Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 366



103 Ib 366

58. Auszug aus dem Urteil vom 28. Oktober 1977 i.S. D. AG gegen
Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Bindung des Bundesgerichts an Parteibegehren, Zulässigkeit neuer
Begehren (Art. 114 Abs. 1 OG); Rückstellungen gemäss Art. 49 Abs. 1 lit.
c WStB.

    1. Nach Art. 114 Abs. 1 OG kann das Bundesgericht in
Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz korrigieren, ohne
an die Anträge der Parteien gebunden zu sein. Eine solche Korrektur wird
aber nur vorgenommen, wenn ihr eine erhebliche Bedeutung zukommt und der
betreffende Entscheid offensichtlich unrichtig ist. Der Steuerpflichtige
kann aus Art. 114 Abs. 1 OG hingegen nicht das Recht ableiten, dass
das Bundesgericht in Abgabestreitigkeiten auf neue, d.h. vor der
Vorinstanz nicht geltend gemachte Begehren eintritt (E. 1; Klärung der
Rechtsprechung).

    2. Zulässigkeit einer Rückstellung für die Entwertung eines
Dollarguthabens, die wegen eines befürchteten Kursrückgangs droht (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die in Zürich domizilierte D. AG gewährte im Juli 1967 im Rahmen
eines Treuhandkredites mit der X. Bank der G. Kaufhaus GmbH, Wien, einen
Kredit von öSch 7'025'000.--. Dieser Kredit wurde am 30. Juni 1968 auf
US$ 272'182.-- umgestellt. In der Folge veränderte sich die Höhe des
Kredites durch Rückzahlungen und Aufstockungen. Er erreichte Ende 1972
einen Betrag von § 854'896.--. Die D. AG bilanzierte die Forderung von §
854'896.-- per 31. Dezember 1972 mit Fr. 3'222'957.92, d.h. zu einem Kurs
von Fr. 3.77. Da der Dollarkurs gesunken war, verbuchte sie zu Lasten der
Erfolgsrechnung 1972 einen Kursverlust von Fr. 98'657.42. Ferner schuf
sie zu Lasten der gleichen Erfolgsrechnung eine Rückstellung "Kursrisiko
Treuhandkredit X. Bank" von Fr. 322'300.--, weil sie im Zeitpunkt der
Aufstellung des Jahresabschlusses mit weiteren Kursverlusten auf ihrem
Dollarguthaben rechnete. Diese Rückstellung deckte einen Kursrückgang
bis zum Stand von Fr. 3.51 ab.

    Das kantonale Steueramt Zürich hielt weder die Abschreibung von Fr.
98'657.42, noch die Rückstellung von Fr. 322'300.-- für gerechtfertigt. Es
rechnete darum diese Beträge, d.h. total Fr. 420'957.-- zum steuerbaren
Reinertrag. Gleich verfuhr das Steueramt mit Bezug auf Beratungshonorare
(Fr. 244'425.--), welche die D. AG an die I. GmbH, München bezahlt
hatte, und anerkannte davon nur einen Betrag von Fr. 100'000.-- als
Geschäftsunkosten. Die D. AG focht diese Veranlagung ohne Erfolg mit
Einsprache und Rekurs an. In beiden Verfahren wandte sie sich gegen die
Aufrechnung der zum Ausgleich von Kursverlusten vorgenommenen Abschreibung
und Rückstellung. Die nur teilweise Anerkennung der Beratungshonorare blieb
jedoch sowohl im Einsprache- als auch Beschwerdeverfahren unangefochten.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die D. AG, die von der
Vorinstanz vorgenommenen Aufrechnungen der Abschreibung auf dem Kursverlust
von Fr. 98'657.42 und der Rückstellung wegen künftigen Kursverlusten von
Fr. 322'300.-- seien aufzuheben; ferner seien die vom Steueramt des Kantons
Zürich aufgerechneten Beratungshonorare (Fr. 144'424.--) im Sinne eines
neuen, d.h. in der Vorinstanz nicht vorgebrachten Begehrens anzuerkennen.

    Das Bundesgericht hebt den Entscheid der Vorinstanz auf, soweit
die Abschreibung und Rückstellung als steuerbarer Reinertrag erfasst
werden. Auf das weitergehende Begehren der Beschwerdeführerin tritt das
Bundesgericht nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Unter dem Gesichtspunkt des Eintretens stellt sich die
Frage, ob die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht die Aufrechnung
der Beratungshonorare an die I. GmbH im Betrag von Fr. 144'425.--
noch rügen kann, nachdem sie die Einschätzung in diesem Punkt weder
im Einspracheverfahren noch im Verfahren vor der Rekurskommission
angefochten hat.

    a) Nach der Rechtsprechung und Lehre sind neue Begehren in einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde grundsätzlich unzulässig (BGE 100 Ib 120, 99
Ib 126 E. 1a, 198, 98 Ib 428, 93 I 569; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und
Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 28, 60). Im vorliegenden Fall
hat die Frage, ob die gesamten Beratungshonorare, die der I. GmbH bezahlt
wurden, geschäftsmässig gebotene Aufwendungen waren, nichts zu tun mit den
umstrittenen Abschreibungen und Rückstellungen auf dem Dollarguthaben bei
der G. GmbH. Es besteht kein innerer Zusammenhang zwischen diesen beiden
Begehren. Der Antrag betreffend die Aufrechnung der Beratungshonorare
erweist sich somit als neues Begehren und ist grundsätzlich unzulässig.

    b) Nach dem von der Beschwerdeführerin zitierten Kommentar MASSHARDT
ist das Bundesgericht jedoch bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden in
Steuersachen nicht an die Lage des Prozesses vor der Vorinstanz gebunden
und kann auch neue Begehren berücksichtigen, die in der Beschwerde an
die kantonale Rekurskommission nicht gestellt worden sind (Kommentar zur
eidg. Wehrsteuer 1971-1982, N. 26 zu Art. 112). MASSHARDT stützt diese
Auffassung unter anderem auf die Entscheide des Bundesgerichts in ASA 30,
135 und 16, 146. In diesen Entscheiden wurde die Pflicht zum Eintreten
auf neue Begehren aus dem Umstand abgeleitet, dass das Bundesgericht in
Abgabestreitigkeiten über die Rechtsbegehren der Parteien hinausgehen könne
(Art. 109 aOG, heute Art. 114 Abs. 1 OG). Das Bundesgericht habe daher
den Entscheid zu treffen, der nach seiner eigenen Prüfung richtig sei. In
BGE 63 I 89, worauf sich die beiden zitierten Entscheide stützen, wurde
die Berücksichtigung neuer Begehren allerdings davon abhängig gemacht,
dass ihre Beurteilung keine neuen tatsächlichen Erhebungen erfordert.

    In anderen Entscheiden hat das Bundesgericht auch in Steuersachen
keine neuen Begehren im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren
zugelassen. So wurde in BGE 69 I 101 (betreffend Stempelabgaben) erklärt,
was nicht Gegenstand der Einsprache gewesen sei, könne nicht mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Diese Rechtsprechung
wurde in BGE 71 I 366 E. 2 mit Bezug auf die Verrechnungssteuer bestätigt.

    Es muss unterschieden werden zwischen dem prozessualen Anspruch des
Beschwerdeführers auf Prüfung eines völlig neuen Rechtsbegehrens, das vor
der Vorinstanz nicht gestellt worden war und der Pflicht des Richters,
den ihm unterbreiteten Streitgegenstand von Amtes wegen zu überprüfen. Mit
Art. 114 Abs. 1 OG soll dem Bundesgericht die Möglichkeit gegeben werden,
in Abgabestreitigkeiten einen Entscheid der Vorinstanz im Rahmen seiner
von Amtes wegen getroffenen Abklärungen gegebenenfalls dem objektiven Recht
anzupassen, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein. Eine solche
Berichtigung wird aber nur vorgenommen, wenn der betreffende Entscheid
offensichtlich unrichtig und die Korrektur von erheblicher Bedeutung ist.

    Der Sinn von Art. 114 Abs. 1 OG besteht nicht darin, dem
Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, den Streitgegenstand vor
Bundesgericht auf neue Fragen auszudehnen, die überhaupt nicht Gegenstand
des vorinstanzlichen Verfahrens waren. Der Bürger hat darum auch in
Abgabestreitigkeiten keinen Anspruch darauf, dass das Bundesgericht auf
völlig neue Begehren eintritt. Insoweit in den zitierten Entscheiden aus
dem ehemaligen Art. 109, jetzt Art. 114 Abs. 1 OG etwas anderes abgeleitet
wird, kann daran nicht festgehalten werden.

    Der Entscheid der Vorinstanz erscheint in bezug auf die Aufrechnung
eines Teils der an die I. GmbH ausgerichteten Beratungshonorare
nicht offensichtlich als unrichtig. Das Bundesgericht hat darum keine
Veranlassung, diese Frage von Amtes wegen näher zu prüfen. Auf den Antrag
betreffend die Aufrechnung der Beratungshonorare kann aus diesen Gründen
nicht eingetreten werden.

    Im vorliegenden Fall kann die Frage offen bleiben, ob der
Eidg. Steuerverwaltung in der Umschreibung ihrer Anträge in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine grössere Freiheit einzuräumen ist,
wenn sie am kantonalen Verfahren nicht beteiligt war (vgl. BGE 98 Ib 319).

Erwägung 2

    2.- /3.- (Feststellung, dass die zum Ausgleich des eingetretenen
bzw. befürchteten Kursverlustes vorgenommenen Abschreibungen und
Rückstellungen weder eine verdeckte Gewinnausschüttung noch eine
Steuerumgehung darstellen.)

Erwägung 4

    4.- Die Eidg. Steuerverwaltung und das Kantonale Steueramt weisen
schliesslich darauf hin, dass sich die Aufrechnung der strittigen
Rückstellung auch darum rechtfertige, weil diese Rückstellung
geschäftsmässig nicht begründet sei.

    Nach Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB sind Rückstellungen, die nicht
geschäftsmässig begründet sind, zum Reinertrag hinzuzurechnen. Die
bundesgerichtliche Praxis betrachtet Rückstellungen dann als
geschäftsmässig begründet und somit steuerrechtlich zulässig, wenn sie
zur Sicherung von unmittelbar drohenden Verlustgefahren vorgenommen
werden. Geschäftsmässig nicht begründet sind jedoch Rückstellungen,
die künftigen Risiken dienen (ASA 32, 484, BGE 75 I 259 f. E. 2).

    Im vorliegenden Fall nahm die Beschwerdeführerin die strittige
Rückstellung vor, weil sie eine Entwertung des Dollarguthabens
befürchtete. Rückstellungen dieser Art werden in der Literatur zum Teil
auch als vorübergehende Wertberichtigungen bezeichnet (KÄNZIG, Kommentar,
N. 80 und 85 zu Art. 22 Abs. 1 lit. b WStB, vgl. auch BLUMER/GRAF,
Kaufmännische Bilanz und Steuerbilanz, 6. Aufl. 1977, S. 412). Eigentliche
Rückstellungen können nach diesen Autoren nur gebildet werden für
Verbindlichkeiten, und zwar für solche, die am Ende eines Geschäftsjahres
bereits entstanden sind, aber ihrem Rechtsbestande oder ihrer Höhe nach
nicht genau feststehen (KÄNZIG, Kommentar, N. 85 zu Art. 22 Abs. 1 lit. b
WStB und N. 171 zu Art. 49 Abs. 1 lit. c WStB, BLUMER/GRAF, aaO).

    Ob die Wertberichtigung, mit der die Unsicherheit des Dollarguthabens
abgedeckt werden sollte, zu Recht als "Rückstellung" bezeichnet wird,
braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Solche Wertberichtigungen
gelten nämlich unabhängig davon, wie sie genannt und systematisch
eingeordnet werden, steuerrechtlich als zulässig, wenn sie zur Sicherung
von unmittelbar drohenden Verlustgefahren vorgenommen werden und somit
geschäftsmässig begründet sind.

    Im vorliegenden Fall fiel der Wert des Dollars während der
Bemessungsperiode (1971/72) von Fr. 4.33 auf Fr. 3.77, d.h. um 13% seines
Wertes. Die meisten Prognosen gingen dahin, dass er im Laufe des Jahres
1973 weiter fallen werde. Aus diesem Grund hätte das Dollarguthaben am
Bilanzstichtag vermutlich bereits nicht mehr zum Tageskurs abgetreten
werden können. Mit ihrer Rückstellung wollte die Beschwerdeführerin ein
Absinken des Dollarkurses um weitere 6,9%, d.h. bis auf den Stand von
Fr. 3.51 abdecken. Diese Massnahme war aufgrund der damaligen Prognosen
betreffend die Währungsentwicklung geschäftsmässig begründet und somit
steuerrechtlich zulässig. Die Aufrechnung der strittigen Rückstellung
verletzt daher Bundesrecht.

    Es zeigte sich im übrigen, dass der Dollarkurs bis März 1973 15% des
Kurswertes von Ende 1972 verloren hatte und auf den Stand von Fr. 3.20
abgesunken war. Die Schätzung des unmittelbar drohenden Kursverlustes blieb
somit hinter dem bald nachher eintretenden tatsächlichen Verlust zurück.