Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 335



103 Ib 335

54. Auszug aus dem Urteil von 9. Dezember 1977 i.S. S. AG gegen Eidg.
Volkswirtschaftsdepartement Regeste

    Pflichtlagervertrag; Beschwerdelegitimation, Art. 5 und 48 VwVG.

    - Rechtsnatur der Weisung des Delegierten für wirtschaftliche
Kriegsvorsorge an einen Pflichtlagerhalter, sein bei einem namentlich
genannten Dritten eingelagertes Pflichtlager aufzuheben.

    - Legitimation dieses Dritten zur Anfechtung der Weisung.

Sachverhalt

    A.- Das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) schloss am
27. September 1976 mit der C. AG einen Vertrag, wonach diese während einer
gewissen Zeit ein Pflichtlager von 29835 Tonnen Futtermittel verschiedener
Art zu unterhalten hat. Aus Art. 4 und 8 des Vertrages ergibt sich, dass
die C. AG mit der Lagerhaltung auch einen Dritten beauftragen kann. Die
C. AG schloss in der Folge mit der S. AG einen Lagervertrag ab, in dem
sich die S. AG verpflichtete, gegen ein jährliches Lagergeld von rund
Fr. 110'000.-- ein Pflichtlager von ca. 3000 Tonnen Futtermittel für die
C. AG zu halten. Eine Kontrolle, welche die Schweizerische Genossenschaft
für Getreide und Futtermittel (GGF) am 18. April 1977 durchführte, ergab,
dass das im Auftrag der C. AG gehaltenen Pflichtlager bei der S. AG nicht
im vollen Umfang vorhanden war. Nach Kenntnisnahme des diesbezüglichen
Berichts der GGF teilte der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge
(nachstehend: Delegierter) der C. AG mit, die S. AG biete unter diesen
Umständen nicht mehr Gewähr für eine korrekte Pflichtlagerhaltung;
er mache darum von seinem Recht Gebrauch, die S. AG als Lagerhalterin
für Pflichtvorräte der C. AG zu sperren. Gleichzeitig wurde die C. AG
angewiesen, ihre Pflichtlager bei dieser Unternehmung bis spätestens
31. Dezember 1977 umzulagern. Die C. AG erhob gegen diese Weisung keine
Einwendungen, leitete die sich daraus für sie ergebenden Schritte ein
und erklärte der S. AG, sie mache sie für den ihr erwachsenen Schaden
verantwortlich.

    Auf eine Verwaltungsbeschwerde der S. AG gegen die Weisung des
Delegierten trat das EVD mit Entscheid vom 17. August 1977 nicht ein, weil
es die Schiedskommission für Streitigkeiten aus Pflichtlagerverträgen in
dieser Sache als zuständig erachtete. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
verlangt die S. AG, der Entscheid des EVD sei aufzuheben und die Sache
zur materiellen Behandlung an das EVD zurückzuweisen; eventuell habe das
EVD die Sache an die zuständige Behörde zu überweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Bei den Verträgen, die der Bund auf Grund des KVG mit privaten
Lagerhaltern abschliesst, handelt es sich um verwaltungsrechtliche
Verträge, nicht um solche des Privatrechts (BBl. 1955 I 827; GRISEL, Droit
administratif suisse, 221; IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag,
ZSR 77 II 176 a ff.; REDLI, Der Pflichtlagervertrag, Diss. 1953, 58). Die
Rechtsfolgen bestimmen sich, soweit sie nicht durch den Vertrag selber
geregelt sind, nach öffentlichem Recht. Die verwaltungsrechtlichen
Sanktionen bei Vertragsverletzung und die Ausgestaltung des
Rechtsmittelweges sind Folgen der öffentlich-rechtlichen Natur des
Vertrages. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Pflichtlagerhalter und einem
Dritten, der das Pflichtlager für den durch den verwaltungsrechtlichen
Vertrag Verpflichteten tatsächlich hält, sind jedoch privatrechtlicher
Natur (in diesem Sinn auch REDLI, aaO, S. 70). Zwar kann nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes ein verwaltungsrechtlicher Vertrag auch
zwischen Privaten abgeschlossen werden (BGE 99 Ib 120 E. 2 mit Hinweisen
auf Rechtsprechung und Literatur, insbesondere ZWAHLEN, Le contrat de
droit administratif, ZSR 77 I 494 a ff.). Das setzt voraus, dass die
vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen vom öffentlichen Recht beherrscht
werden. In bezug auf das Verhältnis zwischen einem Pflichtlagerhalter und
einem Dritten trifft das jedoch nicht zu. Das KVG regelt die Beziehungen
zwischen dem Pflichtlagerhalter und dem Dritten nicht.

    Durch den verwaltungsrechtlichen Vertrag werden Rechtsbeziehungen nur
zwischen dem Bund und dem Pflichtlagerhalter geschaffen; nur letzterer
ist durch den Pflichtlagervertrag gebunden, nicht allfällige Dritte,
die für ihn die Einlagerung übernehmen. Wenn Streitigkeiten zwischen dem
Pflichtlagerhalter und diesem Dritten entstehen, betreffen diese nicht
den Pflichtlagervertrag, sondern die privatrechtliche Vereinbarung, die
ihren Beziehungen zugrunde liegt. Daraus folgt, dass solche Streitigkeiten
nicht von der im Gesetz vorgesehenen Schiedskommission (Art. 33 KVG) zu
behandeln sind, denn diese ist nur für die Beurteilung von Streitigkeiten
aus dem Pflichtlagervertrag selbst zuständig. Es handelt sich auch nicht
um eine Streitigkeit zwischen einer Vertragspartei oder einem andern
in seinen Interessen verletzten Lagerpflichtigen mit dem Träger eines
Garantiefonds. Die Art. 33 und 34 KVG unterscheiden ferner zwischen
Streitigkeiten aus den Pflichtlagerverträgen und administrativen
Sanktionen. Mit den administrativen Sanktionen des Art. 34 sind die
Massnahmen im Sinne von Art. 25 KVG gemeint. Die Entscheidung über
letztere ist nicht der Schiedskommission übertragen, sondern dem EVD,
dessen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
weitergezogen werden kann.

    Angesichts dieser gesetzlichen Ordnung kann dem Eventualantrag der
Beschwerdeführerin, wonach die Sache an die Schiedskommission zu überweisen
wäre, von vornherein nicht entsprochen werden.

Erwägung 4

    4.- Das EVD hätte auf die Beschwerde eintreten und sie materiell
behandeln müssen, wenn die Anordnung des Delegierten für Kriegsvorsorge
eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG ist und der Beschwerdeführerin nach
Art. 48 lit. a VwVG die Legitimation zur Beschwerde gegen die Verfügung
des Delegierten zukommt.

    a) Wäre die Pflichtlagerhaltung nicht durch verwaltungsrechtlichen
Vertrag, sondern durch einseitiges Gebot des Bundes geregelt, könnten
keine Zweifel darüber bestehen, dass das Schreiben des Delegierten für
wirtschaftliche Kriegsvorsorge vom 7. Juli 1977 eine beschwerdefähige
Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG darstellt. Der Bund kann aber unter
Umständen auch in Bereichen, in denen er verwaltungsrechtliche Verträge
abschliesst, Verfügungen erlassen (vgl. ZWAHLEN, aaO, S. 635 a ff.,
GRISEL, aaO, S. 226).

    Im genannten Schreiben macht der Delegierte nicht einen vertraglichen
Anspruch geltend, sondern tritt als staatlicher Hoheitsträger auf. Er
verpflichtet nämliche die C. AG in imperativer Form, ihr Pflichtlager
bei der Beschwerdeführerin bis zum 31. Dezember 1977 aufzuheben. Die
Weisung des Delegierten vom 7. Juli 1977 erscheint somit als Verfügung,
deren Überprüfung im Verfahren der Verwaltungsbeschwerde zulässig sein
muss. Es trifft nicht zu, dass diese Weisung nur als "Meinungsäusserung
einer Vertragspartei" angesehen werden musste, wie das EVD nachträglich
in seiner Vernehmlassung ausführt.

    Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu entscheiden, ob der Delegierte
überhaupt befugt war, mit einer Verfügung die angefochtene Sperrung eines
Lagerhalters anzuordnen. Diese Frage wird Gegenstand der materiellen
Beurteilung der angefochtenen Verfügung bilden.

    b) Zur Anfechtung der Verfügung ist in erster Linie die C. AG
legitimiert. Sie wird durch sie betroffen und hat gegebenenfalls ein
schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Änderung. Bei der Weisung
des Delegierten handelt es sich nicht um eine administrative Sanktion im
Sinne von Art. 25 Abs. 1 KVG; sie kann aber unter Umständen die Grundlage
für eine solche abgeben. Vielmehr handelte es sich, falls die C. AG
die Weisung angefochten hätte, um einen Streit über Rechte und Pflichten
aus dem Pflichtlagervertrag. Zur Beurteilung dieses Rechtsstreites wäre
erstinstanzlich die Schiedskommission zuständig. Im vorliegenden Fall
stellt sich jedoch die Frage, ob neben der Vertragspartei auch eine
Nichtvertragspartei eine im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Vertrages
ergangene Verfügung anfechten kann, wenn sie ihr Nachteile bringt.

    Nach Art. 48 lit. a VwVG ist zur Anfechtung einer Verfügung berechtigt,
wer durch diese berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an ihrer
Aufhebung oder Änderung hat. Zur Auslegung dieser Bestimmung kann die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 103 lit. a OG herangzogen
werden, da diese Bestimmung die Beschwerdelegitimation gleich regelt
wie Art. 48 lit. a VwVG (BGE 98 Ib 71 E. 3). Nach dieser Rechtsprechung
hängt die Legitimation nicht davon ab, ob der Beschwerdeführer einen
vom materiellen Recht geschützten Anspruch hat, denn das Interesse des
Beschwerdeführers kann sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Natur sein
(BGE 101 Ib 109). Immerhin soll durch die in Art. 48 lit. a VwVG und 103
lit. a OG gestellten Anforderungen die Popularbeschwerde ausgeschlossen
werden. Deshalb kann sich auf diese Bestimmungen nicht berufen, wer durch
die angefochtene Verfügung nicht mehr als irgend ein anderer Bürger
berührt ist. Für die Legitimation ist ferner Voraussetzung, dass der
Beschwerdeführer durch die Verfügung besonders und unmittelbar betroffen
ist. Sein Interesse an der Aufhebung oder Änderung der Verfügung muss
sich aus einer nahen Beziehung zum Gegenstand des Streites ergeben (BGE
103 Ib 149 f. mit Hinweisen). Die Beschwerdelegitimation steht ausser
Zweifel, wenn sich der Beschwerdeführer gegen eine Verfügung wendet,
die ihm etwas untersagt, eine vollstreckbare Verpflichtung auferlegt,
ein Recht abspricht oder eine begünstigende Verfügung widerruft. Ein
Bürger ist aber auch befugt, eine Verfügung, die einen anderen begünstigt,
anzufechten, wenn er durch diese Verfügung in einem genügend hohen Mass
berührt ist(BGE 101 Ib 185 E. 4).

    Die angefochtene Verfügung richtet sich gegen die C. AG und
auferlegt dieser eine Pflicht. Die Beschwerdeführerin hingegen wird
von der Weisung des Delegierten nur indirekt betroffen. Diese Weisung
wirkt sich aber auf die Beschwerdeführerin mehr als auf jeden anderen
Drittinteressierten aus, denn die Verfügung, in welcher sie namentlich
genannt wird, hat den alleinigen Zweck, sie als Lagerhalterin für die
Zukunft auszuschalten. Unter diesen Umständen hat die S. AG eine so nahe
Beziehung zum Gegenstand des Streites, dass sie als legitimiert betrachtet
werden muss, die fragliche Verfügung im Verfahren der Verwaltungsbeschwerde
überprüfen zu lassen. Die Vorinstanz hätte aus diesen Gründen auf die
Beschwerde der S. AG eintreten müssen. Ihr Nichteintretensentscheid
verletzt Bundesrecht und muss aufgehoben werden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.