Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 296



103 Ib 296

48. Urteil vom 21. Dezember 1977 i.S. AGIR und Kloster Frauenthal gegen
Regierungsrat des Kantons Zug Regeste

    Gewässerschutz; Kiesausbeutung.

    Art. 32 Abs. 2 Satz 2 GSchG gibt dem Eigentümer von Kiesland keinen
Anspruch darauf, dass ihm die Ausbeutung des über dem Grundwasser liegenden
Kieses unter der dort genannten Bedingung Belassung einer minimalen
schützenden Materialschicht - bewilligt wird. Ob und in welchem Umfange
die Kiesausbeutung oberhalb des Grundwassers zu bewilligen ist, hängt
einerseits von der Bedeutung des Grundwasservorkommens und anderseits
vom Kiesbedarf bzw. vom Vorhandensein von Abbaumöglichkeiten ausserhalb
des Grundwasserbereiches ab.

Sachverhalt

    A.- Die Firma AGIR (vormals A. Girschweiler) beabsichtigt, auf
einem dem Kloster Frauenthal gehörenden Areal in Hattwil (Gemeinde
Cham) Kies bis in eine Tiefe von 18 bis 36 m auszubeuten. Über das
Kiesausbeutungsrecht und die Wiederauffüllung hat sie 1972 mit
dem Kloster einen 20 Jahre laufenden Vertrag abgeschlossen. Die
Baudirektion des Kantons Zug verweigerte in der Folge die für die
Kiesausbeutung erforderliche Bewilligung. Der Regierungsrat bestätigte
am 19. Oktober 1976 als Beschwerdeinstanz diesen Entscheid, wobei er
sich auf Gewässerschutzvorschriften, auf die kantonale VV zum BMR und
auf das kantonale Baugesetz stützte. Die Firma AGIR und das Kloster
Frauenthal rügen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Verletzung
des Gewässerschutzrechtes. Eine zweite Verwaltungsgerichtsbeschwerde
bezieht sich auf die Anwendung des BMR, und mit einer staatsrechtlichen
Beschwerde wird die Verfassungsmässigkeit der kantonalen Rechtsgrundlage
bestritten. Das Bundesgericht weist die erste Beschwerde ab und tritt
auf die beiden andern mangels aktuellen Interesses nicht ein, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales; Reihenfolge der Behandlung der Beschwerden.)

Erwägung 2

    2.- a) Art. 32 Abs. 2 GSchG verbietet die Kiesausbeutung "in
Grundwasservorkommen, die sich nach Menge und Qualität für die
Wasserversorgung eignen", und bestimmt, dass die Ausbeutung über
dem nutzbaren Grundwasser bewilligt werden kann unter der Bedingung,
"dass über dem höchsten möglichen Grundwasserspiegel eine nach den
örtlichen Gegebenheiten zu bemessende schützende Materialschicht belassen
wird". Art. 31 Abs. 1 GSchG sieht die Schaffung von Grundwasserarealen vor:

    "Die Kantone scheiden Areale aus, die für die künftige Nutzung und für
   die künftige künstliche Anreicherung von Grundwasser von Bedeutung
   sind. In diesen Arealen dürfen keine Anlagen erstellt und Arbeiten
   ausgeführt werden, die das Grundwasser verunreinigen oder künftige
   Nutzungs- und

    Anreicherungsanlagen beeinträchtigen können."

    Art. 30 GSchG regelt die Schaffung von Schutzzonen bei bestehenden
Grundwasserfassungen.

    b) Dass der Kies, dessen Ausbeutung die Beschwerdeführer anstreben,
sich über Grundwasser befindet, ist unbestritten. Wie sich aus der
Vernehmlassung des EDI ergibt, sind Umfang und Nutzbarkeit dieses
Grundwasservorkommens noch nicht restlos abgeklärt; entsprechende
Untersuchungen werden mit finanzieller Hilfe des Bundes seit 1973
durchgeführt. Nach dem heutigen Stand des Wissens muss davon ausgegangen
werden, dass es sich um als Trinkwasser verwendbares Grundwasser
handelt. Von keiner Seite wird geltend gemacht, das Grundwasservorkommen
sei für die Wasserversorgung von vornherein nicht geeignet. Dass eine
solche Nutzung des vorhandenen Grundwassers bis jetzt erst in geringem
Umfang - durch eine Quellfassung für die Höfe Hattwil, Isliken und das
Kloster Frauenthal - erfolgt, ändert nichts an der Feststellung, dass es
sich um nutzbares Grundwasser im Sinne von Art. 32 Abs. 2 GSchG handelt.
Entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Auffassung ist nach
Gewässerschutzrecht nicht nur eine bereits bestehende, sondern auch die
mögliche künftige Nutzung als Trinkwasser zu beachten.

    c) Die Beschwerdeführer beanspruchen nicht eine Bewilligung zur
Ausbeutung unter dem Grundwasserspiegel. Sie erklären sich ausdrücklich
bereit, die in Art. 32 Abs. 2 Satz 2 GSchG vorgeschriebene Deckschicht
über dem höchsten möglichen Grundwasserstand zu respektieren.

    Das Gebiet wurde bis jetzt nicht als eigentliches
Grundwasserschutzareal im Sinne von Art. 31 Abs. 1 GSchG
ausgeschieden. Nach Auffassung des EDI würde sich die Ausscheidung eines
solches Schutzareals eher östlich des vorgesehenen Kiesgrubengebietes
rechtfertigen, wo das Grundwasser eine grössere Mächtigkeit aufweist.

    Wie sich aus den Akten ergibt, könnte das vorgesehene Ausbeutungsareal
eventuell am nördlichen Rande in die notwendige Schutzzone der
bestehenden Quellfassung fallen (Art. 30 GSchG), was eine gewisse
Korrektur der Ausbeutungsgrenze zur Folge haben könnte, ohne dass aber
das Ausbeutungsvorhaben als solches wegen des Schutzes bestehender
Grundwasserfassungen in Frage gestellt wäre.

    d) Der Regierungsrat des Kantons Zug begründet seinen ablehnenden
Entscheid sinngemäss damit, dass es nach Art. 32 Abs. 2 GSchG in seinem
Ermessen stehe, ein nutzbares Grundwasservorkommen wegen der künftigen
Nutzung vor der Gefährdung durch eine grosse Kiesausbeutung zu schützen;
die Kann-Vorschrift des zweiten Satzes von Art. 32 Abs. 2 gebe dem
Gesuchsteller, der eine Deckschicht belassen wolle, keinen Anspruch auf
Bewilligung der Kiesausbeutung; die Behörde sei nicht bundesrechtlich
verpflichtet, von der hier eingeräumten Möglichkeit, über dem Spiegel
eines nutzbaren Grundwassers unter gewissen Auflagen (Deckschicht) die
Kiesausbeutung zu bewilligen, in jedem Fall Gebrauch zu machen.

    Die gewässerschutzrechtliche Problematik des konkreten Sachverhaltes
konzentriert sich somit auf die Frage, ob durch den zweiten Satz von
Art. 32 Abs. 2 GSchG eine bundesrechtliche Regelung getroffen worden
ist, welche der zuständigen Behörde unter der genannten Bedingung
(Materialschicht) die Bewilligung der Kiesentnahme gestattet, dem
Gesuchsteller aber keinen Anspruch auf Erteilung der Bewilligung gibt, oder
ob diese Vorschrift zur Folge hat, dass die Kiesentnahme bei Einhaltung
der dort genannten Bedingung überall bewilligt werden muss, sofern dem
nicht andere gesetzlich normierte Gründe (Art. 30/31 GSchG, BMR, kant.
Baupolizei- und Planungsrecht usw.) entgegenstehen.

    Das EDI bestätigt in seiner Vernehmlassung, dass es sich bei Art. 32
Abs. 2, 2. Satz GSchG um eine "echte Kann-Vorschrift" handle, erwähnt aber
als Beispiele für begründete Bewilligungsverweigerungen eigentlich nur die
Fälle der Schutzzone gemäss Art. 30 GSchG und des Grundwasserschutzareals
gemäss Art. 31 GSchG.

    e) Nach der ratio legis bringt der umstrittene zweite Satz von
Art. 32 Abs. 2 GSchG lediglich zum Ausdruck, dass ein Abbau über dem
nutzbaren Grundwasser nur bei Wahrung einer genügenden Deckschicht
bewilligt werden kann. Die Notwendigkeit einer solchen Richtlinie hatte
sich in der vorhergehenden Praxis gezeigt. Es bestand wegen der oft
guten Qualität des Kieses im Bereich des Grundwassers die Tendenz, mit
der Ausbeutung bis zum Grundwasserspiegel oder sogar ins Grundwasser
zu gehen (zur Rechtslage nach GSchG vom 16. März 1955 vgl. BGE 86 I
188 ff.). Durch Art. 32 hat der Gesetzgeber hier eine klare Grenze
gesetzt. Für die kontinuierliche Entstehung nutzbaren Grundwassers
und die Herabsetzung des Risikos von Beeinträchtigungen ist aber die
möglichst weitgehende Erhaltung der gesamten Kiesschicht, d.h. auch
des über dem Grundwasserspiegel liegenden Kieses anzustreben. Jede
Kiesgrube über nutzbarem Grundwasser bringt gewisse erhöhte Risiken der
Grundwasserverschmutzung mit sich, auch wenn eine Materialschicht erhalten
bleibt. Treibstoff und Schmiermittel der beim Kiesabbau verwendeten
Maschinen bilden den einen zusätzlichen Risikofaktor; die zweite
Gefahr entsteht durch die Ablagerung ungeeigneten Materials (Kehricht
usw.) beim Wiederauffüllen der Grube. Durch entsprechende Auflagen
und Vorsichtsmassnahmen (z.B. Umzäunung zur Vermeidung von "wilden"
Ablagerungen) kann das zusätzliche Risiko zwar reduziert, aber nie ganz
ausgeschlossen werden. Vor allem eine grosse Abbaufläche, die zwangsläufig
während langer Zeit offen bleibt und viel Auffüllmaterial erfordert,
bildet trotz Auflagen eine recht erhebliche Gefährdung. Abgesehen vom
Verschmutzungsrisiko kann das grossflächige Abtragen der über nutzbarem
Grundwasser befindlichen Kiesschichten auch die Grundwasserbildung
beeinträchtigen. Unter dem Aspekt des Gewässerschutzes besteht aus
diesen Gründen ein Interesse daran, dass die nach Art. 32 Abs. 2 GSchG
unter Auflagen zulässige Materialentnahme über nutzbarem Grundwasser
in bezug auf die Anzahl der Kiesgruben und die Ausbeutungsfläche nach
Möglichkeit beschränkt wird. Ein Kanton kann durch planerische Massnahmen
(Kiesausbeutungsplan) und durch seine Bewilligungspraxis im Rahmen des
ihm gemäss Art. 32 Abs. 2 GSchG zustehenden Ermessens das Gebiet nutzbarer
Grundwasservorkommen möglichst von Kiesgruben frei halten, um den Standort
künftiger Grundwasserfassungen und eventuell auch die Ausscheidung von
eigentlichen Grundwasserschutzarealen nicht in unnötiger Weise negativ zu
präjudizieren. Eine solche weitsichtige Bewilligungspraxis lässt sich
auf das Gewässerschutzrecht (Art. 29-32 GschG) stützen und verletzt
kein Bundesrecht.

    Art. 32 Abs. 2 Satz 2 GSchG gibt dem einzelnen Grundeigentümer
von Kiesland über Grundwasser keinen Anspruch auf eine Bewilligung zur
Ausbeutung der über dem Grundwasser liegenden Kiesschicht, sondern enthält
eine auf jeden Fall zu beachtende minimale Sicherheitslimite (schützende
Materialschicht). Könnte aus Art. 32 ein Anspruch auf Erteilung der
Ausbeutungsbewilligung abgeleitet werden, so müsste die Behörde jede
Kiesgrube gestatten, die nicht direkt in einer Grundwasserschutzzone
oder in einem Grundwasserschutzareal liegt, und müsste sich mit
Auflagen und Kontrollmassnahmen begnügen. Die "Durchlöcherung" und der
allmähliche Abbau ganzer Schotterebenen über nutzbarem Grundwasser wäre
gewässerschutzrechtlich nicht zu verhindern. Dies stünde im Widerspruch
zum ganzen Sinn und Zweck des Gewässerschutzgesetzes. Art. 29 Abs. 1
GSchG verpflichtet die Kantone in umfassender Weise, die zum Schutz von
nutzbaren Grundwasservorkommen erforderlichen Massnahmen zu treffen. Die
nachfolgenden Vorschriften enthalten keinen abschliessenden Katalog dieser
Massnahmen, sondern nur gewisse Richtlinien. Ob und in welchem Umfang
die Kiesentnahme über der Deckschicht des Grundwassers zu bewilligen ist,
hängt einerseits von der Bedeutung des Grundwasservorkommens und anderseits
vom Kiesbedarf bzw. vom Vorhandensein von Abbaumöglichkeiten ausserhalb
des Grundwasserbereichs ab.

    Im vorliegenden Fall wird nicht geltend gemacht, für die Bautätigkeit
in der Region sei man dringend gerade auf dieses Kiesvorkommen
angewiesen. Anderseits ist unbestritten, dass langfristig gesehen dieses
Grundwasser für die Trinkwasserversorgung benötigt werden dürfte. Im
Hinblick auf die künftige Nutzung des Grundwassers lehnen es die
Zuger Behörden ab, die mit einer grossen, langdauernden Kiesausbeutung
verbundenen Gefährdungsmomente in Kauf zu nehmen. Diese Interessenabwägung
hält sich an den Rahmen des durch Art. 32 GSchG den Bewilligungsbehörden
eingeräumten Ermessens. Wenn sich auch der Regierungsrat des Kantons Zug,
wie er selber zutreffend feststellt, heute nicht mehr auf das absolute
Verbot der Anlegung von Kiesgruben über Grundwasservorkommen in § 13 des
Zuger Gesetzes über die Gewässer vom 22. Dezember 1969 stützen kann,
so gibt ihm doch das anwendbare Bundesrecht die Möglichkeit, in Würdigung
der örtlichen Verhältnisse und in Abwägung der gegensätzlichen Interessen
- Grundwasserschutz und Kiesausbeutung - aus gewässerschutzrechtlichen
Gründen mit der Erteilung von Bewilligungen zur Materialentnahme über
Grundwasser zurückhaltend zu sein. Dass das hier in Frage stehende
Gebiet im Hinblick auf eine künftige Grundwassernutzung vor grössern
Materialentnahmen samt den damit verbundenen Risiken bewahrt wird,
entspricht einer langfristigen, durch Art. 29 ff. GSchG gedeckten
Gewässerschutzpolitik. Dass dem Grundeigentümer in dieser Situation
aus den dargelegten Erwägungen eine Nutzung verwehrt wird, die nicht als
übliche Bodennutzung bezeichnet werden kann, sondern eine einmalige, nur
wenigen Eigentümern mögliche Ausbeutung darstellt, ist keine unangemessene
Einschränkung. Die normale Nutzung wird dabei in keiner Weise tangiert
und nur eine zusätzliche einmalige Gewinnerzielung aus Gründen des
langfristigen Grundwasserschutzes verhindert.

    Hält somit die gewässerschutzrechtliche Argumentation
des Regierungsrates der Überprüfung stand, so ist die erste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen. An der Beurteilung der zweiten
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und der staatsrechtlichen Beschwerde besteht
in diesem Fall kein aktuelles Interesse mehr.