Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 23



103 Ib 23

6. Urteil des Kassationshofes vom 9. März 1977 i.S. Low gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich Regeste

    Art. 55 Abs. 2 StGB; probeweiser Aufschub der Landesverweisung.

    Für den Entscheid über den Vollzug oder den bedingten Aufschub der
gerichtlich angeordneten Landesverweisung eines bedingt Entlassenen sind,
wenn er die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet, einzig die Verhältnisse
seiner Resozialisierung massgebend; fremdenpolizeiliche Überlegungen sind
für den Strafrichter ohne Belang.

Sachverhalt

    A.- Choon Hock Low wurde am 24. November 1975 vom Obergericht des
Kantons Zürich wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die
Betäubungsmittel und Veruntreuung zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt und
für die Dauer von 6 Jahren des Landes verwiesen.

    Mit Verfügung vom 9. September 1976 entliess die Justizdirektion des
Kantons Zürich Low auf den 18. Oktober 1976 bedingt aus dem Strafvollzug
und bestimmte die Probezeit auf 3 Jahre. Der Vollzug der Landesverweisung
wurde dagegen nicht probeweise aufgeschoben.

    Low rekurrierte an den Regierungsrat des Kantons Zürich, der den
Rekurs am 1. Dezember 1976 abwies.

    Low führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss
des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1976 sei aufzuheben
und der Vollzug der Landesverweisung für die Dauer von 6 Jahren probeweise
aufzuschieben.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt die Abweisung, das Eidg.
Justiz- und Polizeidepartement die Gutheissung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 55 Abs. 2 StGB entscheidet die Behörde, die über die
bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug befindet, auch darüber, ob
und unter welchen Bedingungen der Vollzug einer gerichtlich angeordneten
Landesverweisung probeweise aufgeschoben werden soll. Bei diesem Entscheid
steht der Behörde ein weites Ermessen zu, das sich jedoch im Rahmen
sachlich haltbarer Gründe halten muss. Insbesondere darf der Entscheid,
ob der Vollzug der Landesverweisung bedingt aufzuschieben sei, nicht auf
Überlegungen gestützt werden, die mit dem Sinn und Zweck der bedingten
Entlassung unvereinbar sind. Denn die beiden Entscheidungen stehen in
engem Zusammenhang zueinander und verfolgen im wesentlichen das gleiche
kriminalpolitische Ziel, das darin besteht, dem Verurteilten Gelegenheit
zu bieten, während einer Probezeit sich in Freiheit zu bewähren und sich
wieder in die Gesellschaft einzuordnen. Massgebend ist somit, ob dieser
Zweck durch den Aufschub oder den Vollzug der Nebenstrafe besser erreicht
werden kann. Darf mit grösster Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass
der Aufschub der Landesverweisung am geeignetsten ist, den Verurteilten vor
einem Rückfall zu bewahren, so ist diese Massnahme anzuordnen. Ist dagegen
anzunehmen, dass die Aussichten für künftiges Wohlverhalten ebenso gut oder
noch besser durch den Vollzug der Landesverweisung verwirklicht werden,
oder drängt sich diese Massnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
auf, so ist der Aufschub zu verweigern. Die Frage, ob die Schweiz oder das
Heimatland die günstigeren Voraussetzungen für die Resozialisierung biete,
ist im Einzelfall anhand der persönlichen Verhältnisse des Verurteilten,
seiner Beziehungen zur Umwelt und seiner Bindung zu beiden Ländern sowie
der Arbeitsmöglichkeiten zu prüfen (BGE 100 Ib 365 mit Verweisungen).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Führung des
Beschwerdeführers in der Strafanstalt und die Aussichten auf seine
Besserung die bedingte Entlassung rechtfertigen. Die Vorinstanz anerkennt,
dass der Beschwerdeführer, der sich seit 1974 in der Schweiz aufhält
und seither mit einer Schweizerin verheiratet ist, eine ausreichende
Bindung zu seinem Gastland besitzt, anderseits als Malaysier chinesischer
Herkunft in seinem Heimatland der Diskriminierung ausgesetzt ist und
Schwierigkeiten hätte, dort Arbeit zu finden, während ihm, wie sich
aus den Akten ergibt, von seinem früheren Arbeitgeber in Zürich die
Weiterbeschäftigung zugesichert wurde. Die Vorinstanz gelangt daher zum
Schluss, dass unter den gegebenen Verhältnissen eine Resozialisierung des
Beschwerdeführers in der Schweiz besser gelingen könnte als in seinem
Heimatland. Trotzdem wird ihm im angefochtenen Entscheid der Aufschub
der Landesverweisung verweigert, nicht weil die Vorinstanz davon ausgeht,
der Beschwerdeführer gefährde die öffentliche Sicherheit in einem Mass,
dass selbst der probeweise Aufschub untragbar wäre, sondern allein mit
der Begründung, dass die kantonale Fremdenpolizei Fernhaltemassnahmen
vorgesehen habe, weshalb die Resozialisierung in der Schweiz praktisch
undurchführbar sei und ein Aufschub der Landesverweisung keinen Sinn hätte.

    Diese Betrachtungsweise widerspricht der Zielsetzung des Art. 55 Abs. 2
StGB und ist daher unhaltbar. Der Entscheid über den bedingten Aufschub
der gerichtlich ausgesprochenen Landesverweisung ist strafrechtlicher Art,
für den einzig die eingangs erwähnten Kriterien massgebend sind. In Fällen
wie dem vorliegenden, wo nicht die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit,
sondern die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft im
Vordergrund steht, bleibt für fremdenpolizeiliche Überlegungen, die auf die
Abwehr der Überfremdung und die Vermeidung von Störungen des Arbeitsmarktes
sowie auf den Schutz der öffentlichen Ordnung ausgerichtet sind (BGE 98
Ib 89 E. 2 b) und dem Zweck der bedingten Entlassung zuwiderlaufen, kein
Raum. Auf die Meinungsäusserung der kantonalen Fremdenpolizei kommt es
somit nicht an. Der bedingte Aufschub der Landesverweisung ist in einem
solchen Fall auch dann zu gewähren, wenn damit gerechnet werden muss,
dass der bedingt Entlassene früher oder später, sei es freiwillig, sei
es aus fremdenpolizeilichen Gründen die Schweiz doch noch verlassen
wird. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz hätte überdies die
nachteilige Folge, dass dem Beschwerdeführer während der Dauer der
gerichtlichen Landesverweisung die Einreise in die Schweiz verwehrt
bliebe, wogegen ihm im Falle einer bloss fremdenpolizeilichen Wegweisung
die Fremdenpolizeibehörde jederzeit eine Bewilligung zur Wiedereinreise
erteilen kann.

Erwägung 3

    3.- Hat die Vorinstanz die Voraussetzungen für den bedingten Aufschub
der Landesverweisung zwar als gegeben erachtet, diese Massnahme aber aus
rechtlich unzutreffenden Gründen verweigert, so ist sie anzuordnen. Der
angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, um zu prüfen, ob an den probeweisen Aufschub
der Landesverweisung bestimmte Bedingungen im Sinne des Art. 55 Abs. 2
StGB zu knüpfen seien.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Regierungsrates
des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1976 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.