Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 197



103 Ib 197

33. Auszug aus dem Urteil vom 30. September 1977 i.S. X. gegen Kantonale
Rekurskommission Bern Regeste

    Wehrsteuer; Abgrenzung zwischen abziehbaren Gebäudeunterhaltskosten
gemäss Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB und nicht abziehbaren Aufwendungen im
Sinne von Art. 23 WStB.

    1. Behandlung von Kosten der Instandstellung eines Gebäudes kurz nach
dessen Erwerb als nicht abziehbare Aufwendungen im Sinne von Art. 23 WStB
(E. 2; Bestätigung der Rechtsprechung).

    2. Anwendung dieses Grundsatzes auf Aufwendungen zur Behebung von
Mängeln, die erst nach Erwerb eines Gebäudes entdeckt wurden (E. 3).

    3. Berufung auf die im Vertrauen auf die Abzugsmöglichkeit der
Unterhaltskosten getroffenen Dispositionen. Grundsatz von Treu und Glauben
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- X. kaufte ein Altstadthaus und erwarb im folgenden Jahr auch
noch das Nachbarhaus. Der Kaufpreis für beide Häuser zusammen betrug Fr.
785'000.--. Die Kosten des Ausbaus und der Instandstellung, die auf Fr.
1'455'000.-- veranschlagt worden waren, beliefen sich schliesslich
auf Fr. 2'100'000.--. Die Renovationsarbeiten wurden nach dem Erwerb
der zweiten Liegenschaft im Laufe des Jahres 1971 begonnen und im Herbst
1972 beendigt. In seiner Selbstschatzung für die Steuerjahre 1973/74
beanspruchte X., dass von den gesamten Instandstellungskosten ein Betrag
von Fr. 439'454.-- als Unterhaltskosten gemäss Art. 22 Abs. 1 lit. e
WStB bei der Berechnung des steuerbaren Einkommens abgezogen werde. Die
Veranlagungsbehörde liess nur den Pauschalabzug von Fr. 2'755.--
für 1971 und Fr. 3'035.-- für 1972 zu. Die kantonale Rekurskommission
bestätigte diesen Entscheid unter Berufung auf BGE 99 Ib 362, X. erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der Rekursentscheid
sei aufzuheben und es seien die Auslagen für die Instandstellung der
Liegenschaft im Umfang von Fr. 439'454.-- gemäss Selbstschatzung als
Unterhaltskosten vom rohen Einkommen in der Veranlagung zur Wehrsteuer
17. Periode 1973/74 in Abzug zu bringen. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- In BGE 99 Ib 362 hat das Bundesgericht seine frühere Praxis
betreffend den Abzug der Kosten einer unmittelbar nach dem Kauf
einer Liegenschaft vom neuen Eigentümer durchgeführten Renovation
überprüft. Unter Berücksichtigung der in der Steuerrechtswissenschaft
an einem früheren Urteil (ASA 30 S. 375) geübten Kritik (vgl. KÄNZIG,
Wehrsteuer N. 102 zu Art. 22 Abs. 1 lit. e vor allem auch N. 102
im Ergänzungsband 2. Auflage) hat das Bundesgericht die technische
Umschreibung des Begriffs der abzugsfähigen Unterhaltsarbeiten aufgegeben
und die Unterhaltskosten wirtschaftlich definiert. Nur Ausgaben,
die dazu dienen, den vom Steuerpflichtigen ursprünglich erworbenen
Vermögenswert zu erhalten oder wiederherzustellen, sind abzugsfähige
Unterhaltskosten. Soweit aber durch Instandstellungsarbeiten der
ursprüngliche Zustand der Liegenschaft verbessert und ein Mehrwert
geschaffen wird, kommt Art. 23 WStB zur Anwendung. Abzugsfähig sind also
nur jene Kosten, welche eine seit dem Erwerb eingetretene Wertverminderung
aufheben. Bei der Instandstellung eines renovationsbedürftigen Hauses
unmittelbar nach dem Kauf sind in der Regel die gesamten Aufwendungen
wertvermehrend und daher nicht abzugsfähig; denn seit dem Erwerb ist
meistens keine Wertverminderung eingetreten, die jetzt auszugleichen
wäre. Die Instandstellung dient in solchen Fällen der Erhöhung des
Wertes der entsprechend dem damaligen Zustand zu einem niedrigeren Preis
erworbenen Liegenschaft, nicht der Wiederherstellung oder Erhaltung eines
im Eigentum des Steuerpflichtigen bereits vorhandenen Wertes.

    An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie wird auch in der
Beschwerdeschrift nicht prinzipiell in Frage gestellt. Der Beschwerdeführer
macht jedoch für den Abzug von Fr. 439'454.-- zwei besondere Gründe
geltend: die Notwendigkeit von sogenannten Notreparaturen wegen
verborgener, vor dem Kauf nicht erkennbarer Defekte (unten Erwägung 3) und
die Nichtanwendbarkeit der geänderten Praxis auf die vorher im Vertrauen
auf die Abzugsfähigkeit der Unterhaltskosten getroffenen Dispositionen
(unten Erwägung 4).

Erwägung 3

    3.- Im praktischen Ergebnis vertritt der Beschwerdeführer
die Auffassung, als Unterhaltskosten seien nicht nur jene
Instandstellungskosten abzuziehen, welche der Wiederherstellung des
Gebäudewertes dienten, wie er zur Zeit des Kaufes war, sondern auch
alle Aufwendungen, die wegen verborgener, nachträglich entdeckter Mängel
notwendig seien und eigentlich dem übernommenen Gebäude nur den Wert geben,
den es nach der Ansicht des Käufers im Zeitpunkt des Erwerbs haben sollte,
aber wegen der verborgenen Defekte objektiv nicht hatte.

    a) Dass im konkreten Fall zwischen dem bezahlten Kaufpreis von
Fr. 785'000.-- und dem objektiven Wert der beiden Liegenschaften wegen
verborgener Defekte eine Differenz von Fr. 440'000.-- bestand, ist in
keiner Weise belegt. Die projektierten und nachher ausgeführten Ausbau-
und Instandstellungsarbeiten kommen finanziell einem Neubau gleich. Der
ursprüngliche Kaufpreis dürfte ungefähr dem Bodenwert entsprechen
(in diesem Sinne auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 8. November 1976 betreffend Staatssteuern S. 9). Dass mit den
Fr. 785'000.-- noch ein wesentlicher Gebäudewert abgegolten wurde, ist
nach den gesamten Umständen unwahrscheinlich. Wäre die Argumentation
des Beschwerdeführers richtig, so hätte er für die beiden Liegenschaften
gesamthaft bei objektiver Bewertung unter Berücksichtigung der nachträglich
entdeckten Mängel nur Fr. 345'000.-- bezahlen müssen. Obschon ihm bereits
im kantonalen Verfahren mit analogen Überlegungen entgegengehalten wurde,
der bezahlte Kaufpreis beziehe sich im wesentlichen auf den Bodenwert,
hat er das nicht zu widerlegen vermocht. Wer eine Altstadtliegenschaft
erwirbt, um sie vollständig um- und auszubauen, nimmt das Risiko verdeckter
Schäden und zusätzlicher, nicht von vornherein erkennbarer Kosten in
Kauf. Bei der Festlegung des Preises wird regelmässig dieses schwer
abschätzbare Risiko berücksichtigt; entscheidend sind Grösse, Lage und
allenfalls der ästhetische Wert der Objekte. Dass im vorliegenden Fall ein
erheblicher Teil - ja sogar mehr als die Hälfte - des Kaufpreises von der
Verwendbarkeit der vorhandenen Bauten bestimmt gewesen sein soll, ist nicht
nachgewiesen und nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht anzunehmen.

    b) Selbst wenn der bezahlte Preis wegen verborgener Mängel objektiv
zu hoch gewesen wäre, dann könnten trotzdem die Aufwendungen, welche
durch erst nachträglich feststellbare Defekte veranlasst wurden, nicht
als abzugsfähige Unterhaltskosten qualifiziert werden. Es geht bei den
sogenannten "Notreparaturen" nicht um Wiederherstellung eines vorher im
Besitz des Steuerpflichtigen bereits vorhandenen Wertes, sondern um -
vielleicht unerwartete, aber im Gesamtrisiko inbegriffene - Mehrkosten
der einem Neubau gleichkommenden Renovation. Wer bei einem Neubau wegen
unerwarteter Schwierigkeiten des Baugeländes (z.B. Fels verteuert den
Aushub, Wasserader erfordert zusätzlich bauliche Massnahmen) Mehrkosten
hat, kann diese bei der Veranlagung der Einkommenssteuer nicht in Abzug
bringen. Wird ein bestehendes Altstadtgebäude für die Realisierung eines
Bauvorhabens gewählt, so dienen die gesamten Kosten des Aus- und Umbaus der
Verbesserung des erworbenen Vermögensgegenstandes (Altstadtliegenschaft)
und fallen unter Art. 23 WStB. Liegenschaftspreis und Baukosten bilden
im Grunde die Aufwendungen für die Anschaffung der "neuen", vollständig
renovierten Liegenschaft. Auch der Beschwerdeführer rechnet in dieser
Weise. Die Ausscheidung von abzugsfähigen Unterhaltskosten lässt sich
bei der Realisierung eines solchen Projektes nicht auf Art. 22 Abs. 1
lit. e stützen. Zudem wäre eine befriedigende praktische Ausscheidung der
Kosten angeblicher "Notreparaturen" kaum möglich. Die Vorstellungen des
Bauherrn und seiner Berater über die Verwendbarkeit vorhandener baulicher
Elemente und über die mutmasslichen Kosten des Umbaus bilden keine
brauchbare Grundlage für eine steuerrechtliche Abgrenzung zwischen rein
konservierendem Unterhalt und wertvermehrender Erneuerung. Es entspricht
der wirtschaftlichen Situation, dass in konsequenter Anwendung der in BGE
99 Ib 362 aufgestellten Entscheidungsnorm, dem Beschwerdeführer kein den
Pauschalabzug übersteigender Abzug von Gebäudeunterhaltskosten gewährt
werden kann.

    Die steuerrechtliche Gleichstellung desjenigen, der eine
Altstadtliegenschaft umbaut und erneuert, mit dem Käufer einer bereits
renovierten Liegenschaft oder dem Ersteller einer Neubaute ist zumindest
dann gerechtfertigt, wenn die Renovation umfangmässig einem Neubau
gleichkommt.

Erwägung 4

    4.- Eine auf sachlichen Gründen beruhende Praxisänderung ist stets
zulässig (BGE 102 Ib 46 f; 100 Ib 71; 96 I 376, 94 I 16, 93 I 259 E. 2b).
Bei Verfahrensfragen verdient allerdings das Vertrauen in eine kantonale
Auslegung insofern Schutz, als demjenigen der etwa eine Frist- oder
Formvorschrift nach der bisherigen Rechtsprechung beachtet hat, aus
einer ohne Vorwarnung erfolgten Praxisänderung kein Nachteil erwachsen
soll (BGE 49 I 302, 56 I 442). In BGE 99 Ib 362 hat das Bundesgericht
nicht die Interpretation einer Verfahrensvorschrift geändert, sondern die
Auslegung des materiellen Wehrsteuerrechts. Während vorher Aufwendungen für
Unterhaltsarbeiten im technischen Sinn, die der Erhaltung eines Gebäudes
im bisherigen Zustand und der Sicherung der Benützungsmöglichkeit dienen,
auch bei Erwerb und nachfolgender Instandstellung eines Renovationsobjektes
als abzugsfähige Unterhaltskosten betrachtet wurden, wird nach der neuen
Rechtsprechung der Begriff des Unterhalts auf die Besitzesdauer des
Steuerpflichtigen bezogen und wirtschaftlich verstanden.

    Der Beschwerdeführer beruft sich auf sein Vertrauen in die ihm
bekannte frühere Praxis. Gegen Änderungen der materiellrechtlichen Praxis
gibt es keinen allgemeinen Vertrauensschutz. Es bedarf zusätzlich einer
behördlichen Zusicherung oder eines sonstigen, bestimmte Erwartungen
begründenden Verhaltens der Behörden gegenüber dem betroffenen Bürger,
damit er aus dem Grundsatz von Treu und Glauben einen Anspruch ableiten
kann (Urteil vom 4. November 1970 E. 3a, ASA 41, 332 ff.; vgl. auch
BGE 91 I 136; SAMELI, Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR
96/1977 II S. 356, 358 f.). Dem Beschwerdeführer wurden keine bestimmten
Auskünfte oder Zusicherungen über die Abzugsfähigkeit eines Teils der
Instandstellungskosten erteilt. Seine Situation lässt sich auch nicht mit
derjenigen eines Versicherten im Sozialversicherungsrecht vergleichen,
welcher im Vertrauen auf die bisherige Leistungszusprache bereits neue
Dispositionen getroffen hat (BGE 99 V 151 E. 2; EGLI, Treu und Glauben
im Sozialversicherungsrecht, ZBJV 113/1977, S. 392). Es ist im übrigen
auch nicht glaubhaft, dass bei einem Bauvorhaben in der Grössenordnung von
über 2 Millionen Franken (ohne Bodenerwerb) die Vollendung des begonnenen
Werks bzw. der Verzicht auf einzelne Arbeiten nach der Entdeckung gewisser
nicht erwarteter Defekte davon abhängig gewesen sei, ob allenfalls ein
Betrag von rund Fr. 440'000.-- im Rahmen der Einkommenssteuerveranlagung
abgezogen werden könne. Wäre dieser erhoffte steuerliche Vorteil für
seine Dispositionen tatsächlich von entscheidender Bedeutung gewesen, dann
hätte der Beschwerdeführer sich durch eine Erkundigung bei den zuständigen
Behörden Gewissheit verschafft. Der Nachweis, dass er nur im Vertrauen
auf die frühere Praxis das Bauvorhaben ohne Reduktion ausführen liess
und in Kenntnis der fehlenden Abzugsmöglichkeit anders disponiert hätte,
ist keineswegs erbracht, weshalb auch aus diesem Grund die Berufung auf
den Grundsatz von Treu und Glauben ausscheidet.