Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 122



103 Ib 122

22. Urteil vom 22 September 1977 i.S. Bioquell AG gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich Regeste

    Verkehr mit Verbrauchsgegenständen.

    Beschlagnahme von Werbeprospekten für kosmetische Mittel. Begriff
der Ware im Sinne von Art. 21 LMG.

Sachverhalt

    A.- Die Firma Bioquell AG vertreibt die "Aphro-Öl-Badekur"
als angebliches Schlankheitsmittel und "Fleuro-Bust" als Präparat
"zur Vergrösserung, Entwicklung und Straffung der Büste". Bei diesen
Produkten handelt es sich nicht um Heilmittel, die nach den entsprechenden
Vorschriften bewilligt wären, sondern um kosmetische Mittel (Art. 467 LMV).

    Der Kantonschemiker des Kantons Zürich beanstandete eine Anzahl
Prospekte über diese Produkte, weil darin unzulässige, inhaltlich
unwahre Anpreisungen (wie Schlankmachen, Abmagerung, Formveränderungen
der Brust) enthalten seien. Durch Verfügung vom 19. Oktober 1976 verbot
er der Firma Bioquell AG das Versenden dieser Prospekte ab sofort und
ordnete die Beschlagnahme der allenfalls im Kanton Zürich vorhandenen
Prospektexemplare an.

    Der gegen diese Verfügung eingereichte Rekurs wurde von der Direktion
des Gesundheitswesens abgewiesen. Am 16. März 1977 wies der Regierungsrat
des Kantons Zürich den gegen den Entscheid der Gesundheitsdirektion
erhobenen Rekurs ab.

    Gegen den Entscheid des Regierungsrates führt die Bioquell AG
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen,
dass die Beschlagnahmung von Werbeprospekten und Publikationen aufgrund
des Lebensmittelgesetzes unzulässig sei. Sie macht geltend, nach der
abschliessenden Regelung des LMG (Art. 21/22 und 45) könne nur eine
Beschlagnahmung von gesundheitsschädlichen, verdorbenen oder gefälschten
Waren vorgenommen werden, nicht aber von separaten Werbeprospekten,
welche nicht unter den Begriff der Ware im Sinne von Art. 3 LMV zu
subsumieren seien.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Eidgenössische Departement
des Innern beantragen die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin behauptet in ihrer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht, die beanstandeten Prospekte seien mit
den geltenden Vorschriften im Einklang und enthielten keine für kosmetische
Produkte unzulässigen Anpreisungen. Das Verbot der Versendung der Prospekte
wird nicht angefochten und die Tragweite von Art. 467 LMV gar nicht
erörtert. Die Beschwerde beschränkt sich auf die Frage der gesetzlichen
Möglichkeit einer Beschlagnahme von Werbeprospekten und Publikationen. Ohne
dass dies hier näher darzulegen wäre, kann daher davon ausgegangen werden,
dass das gemäss dem angefochtenen Entscheid allenfalls zu beschlagnahmende
Werbematerial den Vorschriften der Lebensmittelgesetzgebung, insbesondere
Art. 467 LMV nicht entspricht. Diese selbstverständliche Voraussetzung
bildet nicht Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Erwägung 2

    2.- Das LMG enthält in den Art. 21-24 Vorschriften über die
Beschlagnahme. Art. 21 lautet:

    "Die infolge der Vorprüfung oder der Untersuchung beanstandeten Waren
   können durch die Aufsichtsorgane mit Beschlag belegt werden, auch im
   Falle einer

    Einsprache. Die Beschlagnahme ist sofort vorzunehmen, wenn die Waren
   augenscheinlich gesundheitsschädlich, verdorben oder gefälscht sind.

    Sie können in amtliche Verwahrung genommen werden.

    Ist eine Aufbewahrung mit Rücksicht auf ihre Natur unmöglich, so
sind sie
   in geeigneter Weise zu verwerten oder nötigenfalls zu zerstören.

    Das Interesse der Beteiligten ist dabei nach Möglichkeit wahrzunehmen."

    a) Der Begriff der "Ware" wird weder im LMG noch in der LMV
definiert. Das Gesetz bezieht sich einerseits auf den Verkehr mit
Lebensmitteln (Nahrungs- und Genussmitteln) und anderseits auf den
Verkehr mit Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen (Art. 1 LMG). In der
LMV werden drei grosse Gruppen unterschieden: Lebensmittel (Abschnitt
B Art. 39 bis 420), Stoffe zur Behandlung von Lebensmitteln (Abschnitt
C Art. 421 bis 448), Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände (Abschnitt D
Art. 449 bis 485). Der von der Beschwerdeführerin wiederholt angerufene
Art. 3 LMV enthält keine Definition der "Ware", sondern verwendet diesen
Terminus als Oberbegriff für alle in Betracht fallenden Stoffe und Objekte
und setzt fest, dass "für die Beurteilung einer Ware als Lebensmittel,
Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstand im Sinne dieser Verordnung die
Zusammensetzung und der Verwendungszweck massgebend" seien, "nicht aber
eine blosse Verwendungsmöglichkeit oder eine zugeschriebene Wirkung". Damit
wird keineswegs gesagt, "Waren" seien ausschliesslich die Lebensmittel,
Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstände. Dieses Wort behält vielmehr in
der Lebensmittelgesetzgebung eine ganz allgemeine Bedeutung und umfasst
gegebenenfalls u.a. auch die Mittel zur Behandlung von Lebensmitteln
(Abschnitt C der LMV) sowie Verpackungen, Werbeprospekte usw. Wohl mag
der Gesetzgeber bei der Verwendung des Wortes "waren" in Art. 21 LMG in
erster Linie die eigentliche Kontrolle von Lebensmitteln, Gebrauchs-
und Verbrauchsgegenständen im Auge gehabt haben. Es ist aber abwegig
anzunehmen, mit diesem nicht eingeschränkten Allgemeinbegriff seien
die lebensmittelpolizeilich ebenfalls wesentlichen andern Waren, wie
insbesondere Etiketten, Packungen, Propagandamaterial, nicht gemeint. Es
muss nach der ratio legis vielmehr davon ausgegangen werden, dass unter
"Waren" (in Art. 21 und Art. 28 LMG) alle Sachen zu verstehen sind,
deren lebensmittelpolizeiliche Beanstandung in Frage kommt. Dass die im
zweiten Satz von Art. 21 Abs. 1 LMG vorgeschriebene sofortige Beschlagnahme
sinngemäss nicht Propagandamaterial sondern nur die Konsumgüter selber oder
allenfalls noch für deren Behandlung bestimmte Stoffe betrifft, ist kein
stichhaltiges Argument gegen einen weitgefassten Begriff der Ware. Auch aus
der separaten Erwähnung der Beschlagnahme von Apparaten und Gerätschaften
in Art. 22 LMG lässt sich keine Einschränkung des Warenbegriffs in Art. 21
ableiten. Der Gesetzgeber hielt es für zweckmässig, die Möglichkeit der
Beschlagnahme von Apparaten und Gerätschaften (in Parallele zu Art. 15 LMG)
ausdrücklich vorzusehen; es handelt sich dabei um Objekte, deren Subsumtion
unter den Begriff "waren" vielleicht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch
etwas ferner liegt. Es fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt für den Schluss,
durch die Fassung der Art. 21/22 LMG habe der Gesetzgeber die Möglichkeit
einer Beschlagnahme von täuschendem Packungsmaterial und Werbeprospekten
bewusst nicht geschaffen und diese Massnahme auf die zu verkaufenden
Waren sowie Apparate und Gerätschaften beschränkt. Ein sachliches Motiv,
vorschriftswidriges Propagandamaterial von der Beschlagnahme auszunehmen,
ist nicht erkennbar.

    b) Wollte man aber Art. 21 LMG restriktiv interpretieren
und annehmen die dort geregelte Beschlagnahme könne sich nur
auf Lebensmittel, Gebrauchs- und Verbrauchsartikel beziehen, so
dürfte auf jeden Fall nicht gefolgert werden, es handle sich dabei
um eine abschliessende, die Beschlagnahme von vorschriftswidrigem
Propagandamaterial verbietende Regelung. Für einen derartigen Schutz
des zu beanstandenden Propagandamaterials fehlt jeder vernünftige
Grund. Die Lebensmittelgesetzgebung soll nicht nur gesundheitsschädliche
Produkte vom Verkehr fernhalten, sondern auch verhüten, dass im Handel
mit unschädlichen Produkten täuschende Bezeichnungen und irreführende
Anpreisungen gehandelt werden (Art. 54 LMG vgl. hiezu Art. 13 ff. LMV und
insbesondere Art. 467 Abs. 5 LMV). Das Gesetz würde bei einer restriktiven
Interpretation von Art. 21 (Beschränkung der Beschlagnahme auf für den
Verkauf bestimmte Waren) bezüglich der Beschlagnahme von täuschendem
Propagandamaterial eine Lücke aufweisen. Die zuständigen Behörden wären
nach den allgemeinen Grundsätzen über den Verwaltungszwang befugt, zur
Verhinderung der Verwendung vorschriftswidriger Werbedrucksachen das
vorhandene Material zu beschlagnahmen (unmittelbarer Zwang an Sachen
gemäss § 30 Abs. 1 lit. c des Zürcher Verwaltungsrechtspflegegesetzes;
vgl. Art. 41 Abs. 1 lit. b VwVG). Auch bei dieser restriktiven Auslegung
von Art. 21 LMG wäre somit die angefochtene Verfügung nicht aufzuheben,
sondern als eine verhältnismässige Vollstreckungsmassnahme, die sich auf
das kantonale Recht stützen kann, zu schützen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.