Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 115



103 Ib 115

21. Urteil vom 3. Juni 1977 i.S. Niedermann gegen Regierungsrat des
Kantons St. Gallen Regeste

    Gewässerschutz: Bewilligung für Bauten ausserhalb der Bauzone bzw. des
durch das generelle Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes (Art.
20 GSchG und Art. 27 AGSchV).

    1. Auch wenn ein Intensivtierhaltungsbetrieb (hier: ein
Geflügelmaststall) in der Landwirtschaftszone oder im übrigen
Gemeindegebiet bewilligt werden kann, fehlt in der Regel ein sachlich
begründetes Bedürfnis für die Errichtung eines dazugehörigen Wohnhauses
ausserhalb der Bauzone.

    2. Bei Aufteilung eines landwirtschaftlichen Heimwesens, zu welchem ein
der Betriebsgrösse entsprechendes Wohnhaus gehört, entsteht in der Regel
kein sachlich begründetes Bedürfnis für ein zweites standortgebundenes
Wohnhaus.

Sachverhalt

    A.- Josef Niedermann verkaufte sein landwirtschaftliches Heimwesen
mit Wohnhaus und Scheune an die Firma Füllemann & Co., Gartenbau und
Baumschule. Im Eigentum des Verkäufers verblieben die zuvor abgetrennten
Parzellen 3660 und 3661. Auf diesem Land, das im "übrigen Gemeindegebiet"
liegt und rund 1,5 km von der Bauzone der Gemeinde Gossau entfernt ist,
möchte Niedermann einen Geflügelmaststall und ein Wohnhaus bauen. Schon
vor dem Verkauf des Heimwesens stellte er bei der Baukommission Gossau
ein entsprechendes Bauermittlungsgesuch, das durch Vorbescheid abgelehnt
wurde. Nach dem Verkauf stellte Niedermann ein ordentliches Baugesuch
für die Errichtung eines Geflügelmaststalles auf Parzelle 3660 und eines
Einfamilienhauses auf Parzelle 3661. Die Baukommission und der Gemeinderat
von Gossau wiesen das Gesuch ab mit der Begründung, die Bauten seien
nicht zonenkonform und nicht standortgebunden.

    Den hiegegen eingereichten Rekurs hiess der Regierungsrat des
Kantons St. Gallen insofern teilweise gut, als er die grundsätzliche
Zulässigkeit des Baus eines Geflügelmaststalles im übrigen Gemeindegebiet
sowohl aufgrund des Gewässerschutzrechts als auch aufgrund des kantonalen
Baurechts (Art. 21 Abs. 1 BauG) bejahte und die Sache in diesem Punkt
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückwies. Hingegen erklärte der
Regierungsrat die Errichtung des projektierten Wohnhauses gestützt auf
Art. 20 GSchG für unzulässig.

    Gegen diese Verweigerung der Baubewilligung für das Einfamilienhaus
führt Niedermann Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache
sei zur Neubeurteilung und Genehmigung des Baugesuchs für das Wohnhaus
an die Vorinstanz, eventuell an die Gemeinde Gossau zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gegenstand der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist ausschliesslich die Frage, ob im Falle der Bewilligung des
Geflügelmastbetriebes auf Parzelle 3660 die Errichtung eines dazugehörigen
Wohnhauses auf Parzelle 3661 bundesrechtlich gestützt auf Art. 20 GSchG zu
bewilligen sei. Nicht Stellung zu nehmen ist aber zur Frage der definitiven
Bewilligung des Geflügelmaststalles. Eine Intensivtierhaltung, welche
nicht mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zusammenhängt und nicht
der Nutzung des Kulturlandes dient, lässt sich nicht unter den Begriff
des herkömmlichen Landwirtschaftsbetriebes gemäss Art. 27 Abs. 2 AGSchV
subsumieren. Der Regierungsrat hatte im vorliegenden Fall den projektierten
Geflügelmaststall als eine nach Art. 21 BauG im übrigen Gemeindegebiet
zulässige Baute bezeichnet. Ob diese Baute auch gewässerschutzrechtlich
definitiv bewilligt werden kann, haben die kantonalen Behörden unter
Beachtung der vom EDI in seiner Vernehmlassung erwähnten Kriterien
zu prüfen.

    Der Regierungsrat hat die Baubewilligung für ein Wohnhaus - unter
der Annahme der Zulässigkeit der Errichtung eines Geflügelmaststalles -
in Anwendung des Gewässerschutzgesetzes verweigert. Diese Verweigerung
der Baubewilligung ist eine auf öffentliches Recht des Bundes gestützte
Verfügung (Art. 5 VwVG), welche gemäss Art. 97 ff. OG und gemäss Art. 10
GSchG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt. Auf die Beschwerde
ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Dass der vorgesehene Bauplatz ausserhalb der Bauzone liegt, und
dass eine Baute daher nur im Rahmen von Art. 20 GSchG zulässig sein kann,
ist unbestritten. Erste Voraussetzung für die verlangte Baubewilligung ist
der Nachweis eines sachlich begründeten Bedürfnisses. Das Bedürfnis für
einen Neubau ausserhalb der Bauzonen bzw. des durch das GKP abgegrenzten
Gebietes gilt als sachlich begründet, wenn dessen Zweckbestimmung den
beanspruchten Standort ausserhalb der Bauzonen bzw. des GKP bedingt und
dem Bauvorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen
(Art. 27 Abs. 1 AGSchV).

    a) Geht man davon aus, dass der konkrete Geflügelmaststall bewilligt
werden könnte, so bleibt zu prüfen, ob ein solcher Betrieb die Errichtung
eines Wohnhauses in unmittelbarer Nähe erfordert, so dass in der Regel -
wie bei einem herkömmlichen Bauernhof - die Erstellung einer angemessenen
Wohnung ebenfalls als standortgebundene Baute ausserhalb der Bauzone
zu bewilligen wäre. Wie in der Vernehmlassung des EDI dargetan wird,
ist durch Überwachungsgeräte und Alarmanlagen, die auch bei einer in der
Nähe befindlichen Wohnung unumgänglich sein dürften, eine befriedigende
Betriebsüberwachung denkbar, ohne dass der verantwortliche Betriebsleiter
unmittelbar beim Geflügelstall wohnt. Falls die Distanz zu einer in der
Bauzone befindlichen Wohnung zu gross erscheint, wäre auch die Schaffung
geeigneter Schlaf- und Aufenthaltsräume für einen Pikettdienst zu erwägen.

    Sofern Intensivtierhaltungsbetriebe trotz ihres gewerblichen oder
industriellen Charakters in der Landwirtschaftszone oder im übrigen
Gemeindegebiet zugelassen werden sollten, wird bei ihnen in der Regel
die Notwendigkeit der Errichtung eines standortbedingten Wohnhauses
ausserhalb der Bauzone zu verneinen sein. Die gewerblich-industriellen
Tierhalter können in dieser Beziehung nicht den eigentlichen Bauern
gleichgestellt werden, welchen ein der Betriebsgrösse entsprechendes
Wohnhaus auf ihrer Liegenschaft zusteht. Wer einen Mastbetrieb ohne
eigene Futterbasis betreibt, ist nicht an einen bestimmten Standort (auf
dem zu bearbeitenden Land) gebunden, sondern kann - unter Beachtung der
Immissionsrisiken - frei wählen, wo er seinen Betrieb errichten will. Daher
darf ihm im Sinne der vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen vertretenen
Auffassung wohl zugemutet werden, dass er für seine Tierhaltung einen
Standort wählt, der kein Wohnhaus ausserhalb der Bauzone notwendig macht,
sondern die erforderliche Überwachung von einer naheliegenden Wohnzone
aus erlaubt. Wenn schon gewerblich-industrielle Mastbetriebe ausserhalb
der Bauzone bewilligt werden, so ist doch in bezug auf die gleichzeitige
Bewilligung von Wohnhäusern Zurückhaltung angezeigt; Tierhaltungsbetriebe
sollen nicht gewissermassen "vorgeschoben" werden können, um ausserhalb
der Bauzone Wohnbauten zu erstellen, deren Verwendung für den diesen
Standort zur Not noch rechtfertigenden Zweck in keiner Weise gesichert
wäre; denn derartige reine Intensivtierhaltungsbetriebe sind ja nicht von
einer dazugehörenden Kulturlandfläche umgeben, und die Veräusserung des
einmal erstellten Wohnhauses unter Aufgabe der Tierhaltung dürfte keine
besonderen Schwierigkeiten bereiten.

    Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, zwischen herkömmlichen
Landwirtschaftsbetrieben mit Viehhaltung und Ackerbau einerseits
und einem modernen Geflügelmastbetrieb anderseits in bezug auf
die Standortbedingtheit des Wohnhauses einen klaren Unterschied zu
machen. Während dem mehrere Hektaren Kulturland bewirtschaftenden Bauern
ein Wohnhaus als standortbedingte Baute bewilligt werden kann, erscheint es
angebracht, bei der nicht der Bewirtschaftung landwirtschaftlichen Bodens
dienenden Geflügelmast die Notwendigkeit eines Wohnhauses unmittelbar beim
Geflügelstall in der Regel zu verneinen. Die diesbezügliche Argumentation
des Regierungsrates des Kantons St. Gallen verstösst nicht gegen Art. 20
GSchG und Art. 27 AGSchV, sondern sucht in zweckmässiger Weise eine
rechtsmissbräuchliche Umgehung dieser Vorschriften zu verhindern.

    Dass in seltenen Fällen bei Bewilligung des Neubaus für eine
Intensivtierhaltung ausserhalb der Bauzone je nach den konkreten Umständen
und den praktischen Möglichkeiten auch ein Wohnhaus zu bewilligen
sein mag, soll damit nicht ausgeschlossen werden. Im vorliegenden Fall
erübrigt es sich aber näher abzuklären, ob die Betriebsüberwachung sich
ohne Erstellung eines Wohnhauses mit technischen Mitteln befriedigend
organisieren liesse; denn der Regierungsrat musste aus einem andern,
noch darzulegenden Grund (lit. b) von vornherein die Bewilligung einer
zweiten Wohnbaute auf dem Areal des bisherigen Landwirtschaftsbetriebes
des Beschwerdeführers ablehnen.

    b) Der Beschwerdeführer besass in diesem Gebiet ein
landwirtschaftliches Heimwesen mit einem offenbar der Betriebsgrösse
entsprechenden Wohnhaus. Dass für diesen, ursprünglich dem
Beschwerdeführer gehörenden Bauernhof, aus irgendeinem Grunde die
Bewilligung des Baus eines zweiten Wohnhauses in Frage gekommen wäre,
wird nicht behauptet. Ein Landwirt kann sich nun aber nicht dadurch einen
Anspruch auf Bewilligung der Erstellung eines neuen Wohnhauses ausserhalb
der Bauzone verschaffen, dass er die der Betriebsgrösse angepassten
bestehenden Gebäulichkeiten veräussert in der Absicht, auf einem nicht
verkauften Teil seiner Liegenschaften neue Gebäude zu erstellen. Wäre dies
rechtlich möglich, so könnte ein Landwirt Art. 20 GSchG leicht umgehen
und einem Nichtlandwirt ein Wohnhaus ausserhalb der Bauzone zuhalten,
indem er ihm sein Bauernhaus verkauft und auf dem verbleibenden Land
neu baut. Eine solche Gesetzesumgehung muss verhindert werden. Bestehen
schon Wohn- und Ökonomiegebäude, die der Betriebsgrösse angemessen sind,
so hat deren freiwillige Veräusserung nicht zur Folge, dass dem Landwirt
nun für die Weiterführung eines gleichartigen oder "umstrukturierten"
Betriebes neue Bauten, unter Einschluss eines Wohnhauses, ausserhalb der
Bauzone bewilligt werden müssten.

    Der Einwand des Beschwerdeführers, sofern er die alten Gebäude
behalten hätte, müsste jetzt dem Käufer seines Landes ein Neubau
bewilligt werden, ist unzutreffend. Für den Betrieb einer Baumschule mag
ein Wohnhaus zweckmässig sein, unbedingt notwendig ist es nicht. Werden
die Gebäude eines Bauernhofes eigentumsmässig von einem Teil des bisher
dazugehörenden Landes getrennt, so kann in der Regel auf diesem Wege
nicht ein sachlich begründetes Bedürfnis für neue standortgebundene
Bauten geschaffen werden. Im vorliegenden Fall ist durch den Landverkauf
an einen Baumschulbetrieb objektiv keine Notwendigkeit für den Bau
eines neuen Wohnhauses entstanden, sondern der bereits vorhandene
Wohnraum würde für die neue Nutzung der gesamten Liegenschaften durch
Baumschulanlagen und Geflügelmast genügen. Dass der Beschwerdeführer
jetzt kein Wohnhaus mehr besitzt, weil er es an einen Interessenten
verkaufte, der kein standortbedingtes Wohnhaus braucht, bildet keine
Grundlage für die Bewilligung eines Neubaus gemäss Art. 20 GSchG. Ist
das für die landwirtschaftliche Nutzung erforderliche Wohnhaus bereits
vorhanden, dann kann der Eigentümer nicht durch dessen Veräusserung an
einen Käufer, welchem kein standortbedingtes Wohnhaus ausserhalb der
Bauzone zu bewilligen wäre, die Voraussetzung für die Erstellung einer
zweiten Wohnbaute schaffen.

    Diese zur Verhinderung der Umgehung von Art. 20 GSchG unerlässliche
Richtlinie ergibt sich schon aus BGE 100 Ib 86 ff., insbesondere
S. 93/94. Dort wurde der Neubau eines Wohnhauses auf einem bereits mit
einem Wohnhaus versehenen Kleinheimwesen nur unter der Auflage für zulässig
erklärt, dass das alte Haus, welches die bisherige Eigentümerin für sich
behielt, nach dem Tode der jetzigen Bewohnerin nicht mehr als Wohnhaus
benützt werden dürfe. Auch in jenem Fall ging das Bundesgericht also
davon aus, dass die Aufteilung eines landwirtschaftlichen Heimwesens,
zu welchem ein der Betriebsgrösse entsprechendes Wohnhaus gehört, in
der Regel nicht die Bewilligung für ein zweites Wohnhaus zu begründen
vermag. Zur Vermeidung der Umgehung von Art. 20 GSchG ist die gleiche
Richtlinie konsequent einzuhalten, ob nun der Käufer neu bauen will,
weil der bisherige Bewirtschafter das Haus für sich behält, oder ob -
wie im vorliegenden Fall - der Verkäufer auf dem ihm verbleibenden Rest
seines Landes einen Neubau errichten möchte, weil er die vorhandenen
Gebäulichkeiten veräussert hat.

    Es besteht kein Anlass, im vorliegenden Fall von dieser Regel
abzuweichen. Der Beschwerdeführer hätte sein Wohnhaus behalten können. Er
hat es verkauft, obschon er wusste, dass Art. 20 GSchG prinzipiell einem
Neubau ausserhalb der Bauzone entgegensteht; sein Bauermittlungsgesuch war
abgewiesen worden. Auch wenn in jener Gegend schon Streubauten vorhanden
sind, so bedeutet dies nicht, dass die raumplanerische Grundordnung von
Art. 20 GSchG nicht mehr zu beachten wäre.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.