Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 53



103 Ia 53

11. Auszug aus dem Urteil vom 2. Februar 1977 i.S. X. und Y. gegen
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 32 Abs. 3 und Art. 89 Abs. 1 OG.

    Eine bei der unzuständigen kantonalen Behörde eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde ist nur rechtzeitig, wenn sie gemäss
Art. 32 Abs. 3 OG vor Ablauf der Beschwerdefrist an das Bundesgericht
weitergeleitet wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid wurde den Beschwerdeführern am
9. November 1976 zugestellt. Die 30tägige Frist für die staatsrechtliche
Beschwerde endigte somit am 9. Dezember 1976. Die Beschwerde wurde am 7.
Dezember zur Post gegeben und traf am 8. Dezember beim Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft ein, an dessen Adresse sie gerichtet war. Dieses
gab sie am 13. Dezember zuhanden des Bundesgerichts zur Post.

    Nach Art. 89 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde binnen
30 Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder
Mitteilung des Erlasses oder der Verfügung an gerechnet, dem Bundesgericht
schriftlich einzureichen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
gilt eine staatsrechtliche Beschwerde, die statt beim Bundesgericht bei
einer kantonalen Behörde eingereicht wird, nur dann als rechtzeitig,
wenn sie vor Ablauf der Beschwerdefrist beim Bundesgericht einlangt oder
wenn sie die kantonale Behörde zur Weiterleitung an das Bundesgericht
wenigstens vor Ablauf der Frist zur Post gibt (nicht veröffentlichte
Urteile "Sauver Lavaux" vom 29. Januar 1973, Griesser vom 30. Januar 1969
und Vago vom 4. September 1969; BGE 74 II 46/47, 78 IV 132 E. 1, 86 II
286). Abgesehen von diesen Fällen ist eine staatsrechtliche Beschwerde,
auch wenn sie innert nützlicher Frist an die kantonale Behörde gerichtet
wurde, verspätet. Massgebend ist dabei Art. 32 Abs. 3 OG, der lautet:

    "Eine Frist gilt nur dann als eingehalten, wenn die Handlung innerhalb
   derselben vorgenommen wird. Schriftliche Eingaben müssen spätestens am
   letzten Tag der Frist an die Stelle, bei der sie einzureichen sind,
   gelangt oder zu deren Handen der schweizerischen Post übergeben
   sein. Ist eine Eingabe innert der Frist direkt beim Bundesgericht
   eingereicht worden, so gilt die Frist als eingehalten, selbst wenn die

    Eingabe bei der kantonalen Instanz einzureichen war."

    Wenn somit eine Eingabe, die bei einer kantonalen Behörde einzureichen
wäre, innert der Beschwerdefrist direkt dem Bundesgericht zugestellt
wird, gilt sie als rechtzeitig, auch wenn sie bei der kantonalen
Behörde hätte eingereicht werden müssen. Der Art. 32 Abs. 3 OG lässt
keinen Zweifel darüber offen, dass es sich anders verhält, wenn eine
Eingabe dem Bundesgericht einzureichen wäre, aber der kantonalen Behörde
eingereicht wird. In diesem Fall gilt die Regel, dass die Eingabe nur
rechtzeitig ist, wenn sie die kantonale Behörde noch innerhalb der Frist
zur Weiterleitung an das Bundesgericht der Post übergibt. Diese Ordnung
unterscheidet sich von der für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltenden,
wie sie mit dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 geschaffen wurde
(Art. 107 OG). Demnach gilt die Beschwerdefrist auch dann als gewahrt,
wenn der Beschwerdeführer gegen die Verfügung fristgerecht an eine
unzuständige Behörde gelangt (Art. 107 Abs. 1 OG). Art. 107 Abs. 2
OG schreibt vor, dass die unzuständige (insb. kantonale) Behörde die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ohne Verzug dem Bundesgericht weiterzuleiten
hat. - Eine derartige Vorschrift fehlt für die staatsrechtliche Beschwerde.

    Die Regel des Art. 32 Abs. 3 OG entspricht in Fällen, wo wie hier
die Eingabe an das Bundesgericht zu richten wäre und fälschlicherweise
einer kantonalen Behörde zugestellt wird, kaum mehr der zeitgemässen
Auffassung. Die neuere Bundesgesetzgebung sieht vor, dass eine innert
Frist an eine unzuständige Behörde gerichtete Eingabe zur Wahrung der
Frist genügt und von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten
ist (Art. 107 OG; Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 VwVG;
vgl. BGE 100 III 9 f. E. 2). Es liegt diesen neueren Vorschriften der
Gedanke zugrunde, dass der Rechtsuchende nicht ohne Not um die Beurteilung
seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz gebracht werden soll
(BGE 100 III 10). Die geltende Fassung von Art. 32 Abs. 3 OG, der für die
staatsrechtliche Beschwerde gilt, und an den das Bundesgericht gebunden
ist (Art. 113 Abs. 3 BV), befriedigt somit kaum mehr. Das ist für das
Bundesgericht Anlass, das vorliegende Urteil der Kommission zu übermitteln,
die sich mit der Revision des Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege beschäftigt. Es kann sich aber nicht über die klare
Vorschrift des Gesetzes hinwegsetzen, auch nicht in analoger Anwendung
von Art. 107 Abs. 1 OG, der nur für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gilt. Dass damit im vorliegenden Fall die Rechtzeitigkeit und damit
die Gültigkeit der Beschwerde davon abhängig ist, ob und wie schnell
die kantonale Behörde die Eingabe ans Bundesgericht weiterleitet, ist
unbefriedigend, kann aber am Ergebnis nichts ändern, solange eine Art. 107
Abs. 2 OG entsprechende Verpflichtung zur unverzüglichen Weiterleitung
für die staatsrechtliche Beschwerde fehlt. Da das Obergericht die
Beschwerde erst nach Ablauf der 30tägigen Frist zur Post gegeben hat,
ist sie verspätet, sodass nicht darauf eingetreten werden kann.