Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 505



103 Ia 505

76. Urteil vom 12. Oktober 1977 i.S. Gebr. Hoffmann AG gegen
Einwohnergemeinde Thun und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 4 BV (Treu und Glauben); Kanalisationsanschlussgebühr,
öffentlichrechtlicher Vertrag.

    1. Grundsatz von Treu und Glauben: Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts
(E. 1).

    2. Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge (E. 2).

    3. Zulässigkeit öffentlichrechtlicher Verträge (E. 3a); Rechtmässigkeit
eines Vertrags, der vorsieht, dass für den Anschluss eines Grundstücks an
die Kanalisation bei Erstellung eines Fabrikneubaus Gebühren nach Massgabe
des bei Vertragsschluss geltenden Reglements zu entrichten sind (E. 3b).

    4. Nach den Regeln von Treu und Glauben kann nicht jeder rechtliche
Mangel eines öffentlichrechtlichen Vertrags zu dessen Ungültigkeit
führen. Die Rechtswirkungen des Vertrags sind - grundsätzlich gleich
wie im Falle fehlerhafter Verwaltungsverfügungen - unter Abwägung des
Interesses nach richtiger Durchführung des objektiven Rechts und des
Vertrauensschutzinteresses des Bürgers zu bestimmen (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Gebrüder Hoffmann AG, Thun, beschäftigte im Jahre 1960 rund 800
Personen und galt als zweitgrösstes privates Unternehmen in der Gemeinde
Thun. Die Firmenleitung sah sich seit Ende der fünfziger Jahre veranlasst,
eine Verlegung und Erweiterung des Betriebs zu planen. Im Jahre 1959 traten
die Gebr. Hoffmann AG und die Einwohnergemeinde Thun in Verhandlungen
über die Beschaffung eines Baugrundstücks auf dem Gebiet der Gemeinde
Thun. Für die Gebr. Hoffmann AG stand im damaligen Zeitpunkt neben der
Neuerrichtung des Betriebs in Thun eine Verlegung in die Ostschweiz in
Frage, wo die Firma bereits ein geeignetes Baugrundstück besass, oder
in eine der Nachbargemeinden von Thun, von woher die Firma bereits
günstige Baulandangebote erhalten hatte. Am 9. Juli 1960 schlossen
die Gebr. Hoffmann AG und die Einwohnergemeinde Thun nach längeren
Verhandlungen einen öffentlich beurkundeten Tauschvertrag und eine damit
im Zusammenhang stehende Vereinbarung. Im Tauschvertrag verpflichtete
sich die Einwohnergemeinde, der Gebr. Hoffmann AG ein Industrieareal im
Halte von 50'536 m2 zu übertragen. Die Gemeinde gab dieses Land, das sie
zum Teil von Dritten hatte beschaffen müssen, zu einem Tauschwert ab,
der teilweise unter den Anschaffungskosten lag. In der Vereinbarung
wurde die Erschliessung des Industrieareals geregelt und hinsichtlich
der Kanalisation unter anderem bestimmt, dass sich die gesetzlichen
Einkaufsgebühren in die städtische Kanalisation nach den stabilisierten
Brandversicherungswerten der zu erstellenden Gebäude richteten. Hinzu
komme ein kleiner Zuschlag pro m2 Bodenfläche des Grundstücks. Über die
Höhe der Gebühren sei Art. 20 der Bauordnung der Gemeinde Thun (BauO)
massgebend. Diese Bestimmung wurde in der bei Abschluss der Vereinbarung
geltenden Fassung vom 11. Oktober 1942 wörtlich wiedergegeben.

    Am 15. September 1960 beantragte das Stadtbauamt dem Bauvorsteher
der Einwohnergemeinde Thun, Art. 20 der Bauordnung von 11. Oktober
1942 sei im Sinne einer Erhöhung der Kanalisationsanschlussgebühren
zu ändern. Dieser Antrag den die Baubehörden kurzfristig stellten
und den sie bei Abschluss des Tauschvertrages und der Vereinbarung
noch nicht erwogen hatten, wurde damit begründet, die Erhöhung der
Anschlussgebühren dränge sich auf, da die Gemeinde vor sehr kostspieligen
Kanalisationsbauten stehe. Mit Stadtratsbeschluss vom 28. Oktober 1960,
gebilligt in der Gemeindeabstimmung vom 3./4. Dezember 1960, wurde
Art. 20 BauO antragsgemäss geändert, wobei die Gebührensätze erhöht und
als Bemessungsgrundlage der geschätzte Zustandswert der Gebäude, statt
wie bis anhin der stabilisierte Brandversicherungswert, gewählt wurde.

    Im Herbst 1962 wurde die Liegenschaft der Gebr. Hoffmann AG an die
Kanalisation angeschlossen. Mit Rechnung vom 12. Mai 1964 forderte die
Einwohnergemeinde Thun von der Firma gestützt auf den geänderten Art. 20
BauO eine Kanalisationsanschlussgebühr von Fr. 164'211.20, was 20% der
Brandversicherungssumme des Fabrikneubaus entspricht, ferner mit Rechnung
vom 20. Mai 1965 eine Kanalisationsanschlussgebühr von Fr. 40'065.90
für die durch einen Lagerhausanbau geschaffene Wertvermehrung. Die
Gebr. Hoffmann AG bezahlte in der Folge Fr. 55'466.10 und 10'952.--,
entsprechend der bisherigen Fassung von Art. 20 BauO. Im übrigen bestritt
sie die Forderung mit der Begründung, die Parteien hätten sich in der
Vereinbarung darauf geeinigt, die bei Anschluss der Liegenschaft an
die Kanalisation zu entrichtenden Gebühren seien nach Massgabe des bei
Vertragsschluss geltenden Reglements zu berechnen.

    Auf Klage der Einwohnergemeinde Thun hin verurteilte der
Regierungsstatthalter von Thun die Gebr. Hoffmann AG zur Zahlung der
Gebührenrestanz. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern bestätigte
diesen Entscheid, im wesentlichen mit der Begründung, der wörtlichen
Wiedergabe des alten Art. 20 BauO in der Vereinbarung vom 9. Juli 1960
komme nicht der Sinn zu, dass die Elemente der Gebührenerhebung ein
für allemal festgelegt worden seien und dass sie von einer allfälligen
Reglementsänderung nicht berührt würden. Vielmehr sei anzunehmen, dass
der fragliche Teil der Vereinbarung nur dazu bestimmt gewesen sei, die
Gebr. Hoffmann AG auf ihre reglementarischen Pflichten hinzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde der
Gebr. Hoffmann AG gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt der
Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur im Privatrecht, sondern auch im
öffentlichen und namentlich im Verwaltungsrecht. Er bedeutet insoweit,
wie das Bundesgericht in BGE 94 I 520 E. 4a ausgeführt hat, dass der
Rechtsverkehr zwischen Bürger und Verwaltung von gegenseitigem Vertrauen
getragen sein muss und berechtigtes Vertrauen Schutz verdient. Soweit der
Grundsatz treuwidriges Verhalten der Behörden verbietet und den Schutz
berechtigten Vertrauens des Bürgers gewährleistet, folgt er unmittelbar
aus Art. 4 BV und besitzt er grundrechtlichen Charakter. Behördliches
Verhalten, das berechtigtes Vertrauen des Bürgers verletzt, etwa bei
unrichtigen Auskünften, widersprüchlichem Verhalten oder beim Widerruf
von Verwaltungsverfügungen, verstösst deshalb unmittelbar gegen die
genannte Verfassungsgarantie. Ob ein solcher Vorstoss vorliegt, prüft
das Bundesgericht ohne Einschränkung seiner Kognition. Es verhält sich
insoweit nicht anders, als wenn eine Verletzung des bundesrechtlichen
Anspruchs auf rechtliches Gehör, auf unentgeltliche Rechtspflege oder des
Verbots des überspitzten Formalismus in Frage steht (BGE 102 Ia 579 E. 6;
98 Ia 432; 97 I 497 E. 2c; 94 I 521 f.).

    Das Bundesgericht hat freilich in zwei neueren Fällen eine andere
Auffassung vertreten und ausgeführt, eine freie Prüfung greife - gleich
wie insbesondere beim Verhältnismässigkeitsprinzip - nur dann Platz, wenn
der Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit einem speziellen,
seinerseits eine freie Prüfung erheischenden verfassungsmässigen Recht
angerufen werde (BGE 102 Ia 71 f.; 99 Ia 67). An dieser Einschränkung
ist, was den Grundsatz von Treu und Glauben anbelangt, indes schon in
BGE 102 Ia 579 E. 6 nicht mehr festgehalten worden, und jene Entscheide
haben insoweit als überholt zu gelten (vgl. auch die Kritik von SAMELI,
Treu und Glauben im öffentlichen Recht, ZSR 96/1977, S. 389 f.). Das
heisst allerdings nicht, dass die Anwendung des Grundsatzes von Treu und
Glauben in allen Fällen der freien Prüfung unterliege. Diese greift nur
soweit Platz, als der Grundsatz den Schutz berechtigten Vertrauens des
Bürgers in das Verhalten der Behörden gewährleistet und grundrechtlichen
Charakter hat. Das trifft nicht zu, wie das Bundesgericht in BGE 102 Ia
579 E. 6 für den Zivilprozess ausgeführt hat, soweit der Grundsatz von
Treu und Glauben sich nicht auf das Verhalten des Richters, sondern auf
jenes der Prozessparteien bezieht. Grundrechtlicher Charakter fehlt ihm
überdies, soweit er eine Regel für die Auslegung von Rechtsgeschäften
darstellt und verlangt, dass der Sinn öffentlichrechtlicher Verträge nach
dem Vertrauensprinzip zu ermitteln ist (dazu näher unter E. 2b). Insoweit
kann seine Handhabung auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur unter dem
beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüft werden.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vereinbarung vom 9. Juli 1960 hat die Erschliessung des
neuerworbenen Industrieareals der Gebr. Hoffmann AG zum Gegenstand. In ihr
wird festgelegt, in welcher Weise die Einwohnergemeinde Thun Strassen,
Kanalisation und Werkleitungen (Elektrizität, Gas, Wasser) zu erstellen
und welche Leistungen die Beschwerdeführerin daran zu erbringen hat.
Diese Fragen sind vom öffentlichen Recht geregelt. Die Vereinbarung
stellt deshalb einen öffentlichrechtlichen Vertrag dar (BGE 102 Ia 34
E. 2a; 99 Ib 120 E. 2 mit Hinweisen; 93 I 509), und zwar gilt dies
ungeachtet des Umstandes, dass sie unmittelbar in Zusammenhang mit
dem Grundstücks-Tauschvertrag steht, der zwischen denselben Parteien
geschlossen wurde und der rein privatrechtlicher Natur ist.

    b) Öffentlichrechtliche Verträge sind grundsätzlich gleich wie
privatrechtliche nach den Regeln von Treu und Glauben (Vertrauensprinzip)
auszulegen. Das bedeutet, dass einer Willensäusserung der Sinn zu geben
ist, den ihr der Empfänger aufgrund der Umstände, die ihm im Zeitpunkt des
Empfangs bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in guten Treuen
en durfte und beilegen musste. Bei der Auslegung öffentlichrechtlicher
Verträge ist freilich besonders zu beachten, dass die Verwaltung beim
Abschluss solcher Verträge dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen
hat. In Zweifelsfällen ist deshalb zu vermuten, dass sie keinen Vertrag
abschliessen wollte, der mit den von ihr wahrzunehmenden öffentlichen
Interessen in Widerspruch steht, und dass sich der Vertragspartner
hierüber Rechenschaft gab. Indessen wäre es verfehlt, in allen Fällen
der dem öffentlichen Interesse besser dienenden Auslegung den Vorzug
zu geben. Die Wahrung des öffentlichen Interesses findet ihre Schranke
vielmehr gerade im Vertrauensprinzip, d.h. sie darf nicht dazu führen,
dass dem Vertragspartner des Gemeinwesens bei der Vertragsauslegung
Auflagen gemacht werden, die er beim Vertragsschluss vernünftigerweise
nicht voraussehen konnte (BGE 93 I 511 E. 3 mit Hinweisen; vgl. 98 Ia
269). Die Anwendung dieser Grundsätze prüft das Bundesgericht auf das
Vorliegen von Willkür hin (E. 1); gleich verhält es sich hinsichtlich
der im angefochtenen Entscheid enthaltenen tatsächlichen Annahmen.

    c) In Ziff. 2 der Vereinbarung wird einleitend festgelegt, dass die
Einwohnergemeinde Thun für die Aufnahme und Ableitung der Abwässer des
Quartiers Hännisweg samt denjenigen der Gebr. Hoffmann AG auf ihrem eigenen
Terrain ein Pumpwerk erstelle und dass das Industrieareal durch öffentliche
Leitungen zu diesem Pumpwerk nicht berührt werde. Dieser Abschnitt und
die entsprechenden, den Bau von Strassen und Werkleitungen betreffenden
Vertragsbestimmungen legen die Annahme nahe, dass die Vereinbarung
vorab dazu bestimmt war, die Erschliessung des Industrieareals durch die
Einwohnergemeinde Thun sicherzustellen und hinsichtlich der Art und Weise
- Linienführung, Zeitpunkt der Erstellung der Strassen usw. - näher zu
umschreiben. Die Vereinbarung erschöpft sich indes nicht in derartigen
Abreden, sondern bezieht sich zusätzlich darauf, in welchem Umfang die
Beschwerdeführerin an die Kosten der zu erstellenden öffentlichen Werke
beizutragen habe. In Ziff. 2 der Vereinbarung nimmt die Kostenregelung
den weitaus grösseren Platz ein. Es wird in dieser Hinsicht ausgeführt,
dass sich die gesetzlichen Gebühren für den Einkauf in die städtische
Kanalisation nach den stabilisierten Brandversicherungswerten der zu
erstellenden Gebäude richteten und dass ein kleiner Zuschlag pro m2
Bodenfläche hinzukomme. Ferner wird ausgeführt, dass hinsichtlich der Höhe
der Gebühren Art. 20 der Bauordnung der Gemeinde Thun massgebend sei. Diese
Bestimmung wird in der Folge wörtlich wiedergegeben. Berücksichtigt man
bei der Auslegung dieses Vertragspassus die dem Abschluss der Vereinbarung
vorangegangenen Verhandlungen, so ergibt sich, dass die Einwohnergemeinde
Thun mit den wiedergegebenen Bestimmungen vorab klarstellen wollte, dass
das Industrieareal nicht auf Kosten der Gemeinde an die Kanalisation
angeschlossen werden könne, sondern dass die Beschwerdeführerin die
normalen, der Bauordnung entsprechenden Gebühren zu entrichten habe. Im
Laufe der Vertragsverhandlungen hatte die Beschwerdeführerin nämlich
verlangt, dass die Kosten der Kanalisation von der Gemeinde zu tragen
seien. Dazu hatten sich die Gemeindevertreter jedoch nicht bereitgefunden
und erklärt, ein Verzicht auf die in der Bauordnung festgelegten
Kanalisationsanschlussgebühren sei rechtlich nicht möglich. Von dieser
Vorgeschichte der Vereinbarung geht auch das Verwaltungsgericht aus,
und es kann nicht gesagt werden, dass die Vertragsauslegung insoweit
willkürlich sei. Unhaltbar ist dagegen die Auffassung, der Abmachung
komme einzig diese Bedeutung zu. Aus den Unterlagen, welche den Gang der
Vertragsverhandlungen wiedergeben, geht in klarer Weise hervor, dass die
Beschwerdeführerin neben dem Ziel, für den Fall der Neuerrichtung des
Betriebs in Thun möglichst günstige Bedingungen auszuhandeln, vor allem
bestrebt war, über sichere und umfassende Grundlagen für die bevorstehenden
unternehmerischen Dispositionen zu verfügen. So führte an der Besprechung
vom 16. Februar 1960 einer der Vertreter der Firma aus, noch nicht restlos
geklärt seien verschiedene Punkte, u.a. hinsichtlich der Strassenbeiträge
und der Kanalisation. Darüber müsse für die Beurteilung der finanziellen
Fragen völlige Klarheit herrschen. Weiter wurde ausgeführt, die Firma sei
an sich gewillt, in Thun zu bleiben, die finanziellen Fragen spielten aber
eine entscheidende Rolle. Bei dieser Sachlage durfte die Beschwerdeführerin
Ziff. 2 der Vereinbarung mit der wörtlichen Wiederaufgabe von Art. 20 BauO
nach dem Vertrauensprinzip klarerweise so verstehen, dass die aufgrund des
geplanten Fabrikneubaus zu entrichtenden Kanalisationsanschlussgebühren
nach Massgabe der wiedergegebenen Bestimmung festgesetzt würden. Für die
Beschwerdeführerin bestand dabei kein Grund zur Annahme, dass ein solcher
Inhalt der Vereinbarung den von der Gemeinde zu wahrenden öffentlichen
Interessen widerspreche. Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht haltbar, Ziff. 2 der Vereinbarung sei lediglich
so zu verstehen, dass sich die Beschwerdeführerin verpflichtet habe, zu
gegebener Zeit die dem massgebenden Reglement entsprechende Anschlussgebühr
zu entrichten, und dass die wörtliche Wiedergabe von Art. 20 BauO nur
über das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Recht orientiert
habe. Vielmehr muss der Vereinbarung klarerweise der Inhalt beigemessen
werden, die Gebühren für den Einkauf in die städtische Kanalisation würden
ungeachtet einer allfälligen Änderung des Reglements nach Massgabe der
bei Vertragsschluss geltenden Bauordnung erhoben.

Erwägung 3

    3.- Kommt der Vereinbarung dieser Sinn zu, so fragt sich, ob sie
rechtlich zulässig sei.

    a) Es entspricht einer älteren Auffassung, dass die Verwaltung nur
dann auf dem Wege des öffentlichrechtlichen Vertrages handeln darf,
wenn sie dazu im Gesetz ausdrücklich ermächtigt wird (vgl. FLEINER,
Institutionen, 8. A., S. 210 ff.; RUCK, Schweizerisches Verwaltungsrecht,
3. A, I, S. 123 f.; GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen
Verwaltungsrechts, S. 448). In der neueren Rechtsprechung und Lehre
hat sich demgegenüber der Grundsatz gefestigt, dass die Handlungsform
des öffentlichrechtlichen Vertrages auch stillschweigend zugelassen
sein kann, sofern sie vom Gesetz nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird
(vgl. ZWAHLEN, Le contrat de droit administratif, ZSR 77/1958, II, S. 624
a; GYGI, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu verwaltungsrechtlichen
Grundfragen, ZbJV 102/1966, S. 127; GRISEL, Droit administratif suisse,
S. 223; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. A.,
I, S. 282; FLEINER-GERSTER, Verwaltungsrecht, S. 136; vgl. ferner die
Regelung des deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976, nach
dessen § 54 ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann, soweit
nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen). Vertragliche Vereinbarungen
über Erschliessungsgebühren kommen in der Praxis häufig vor (vgl. BGE
103 Ia 34), und es ist wohl nicht die Meinung des Verwaltungsgerichts,
dass die Einwohnergemeinde Thun im vorliegenden Falle schon an sich
nicht auf dem Wege des öffentlichrechtlichen Vertrages habe handeln
dürfen. Fraglich ist einzig, ob der Inhalt der geschlossenen Vereinbarung
gegen zwingende Rechtsvorschriften verstösst und der Vertrag insoweit
rechtswidrig ist. Das Verwaltungsgericht bejahte dies mit der Begründung,
Kanalisationsanschlussgebühren seien nach der ständigen Rechtsprechung
aufgrund des Tarifs zu erheben, der im Zeitpunkt des Anschlusses
gelte. Soweit die Vereinbarung eine von diesem Grundsatz abweichende
Zusicherung enthalte, stelle sie deshalb einen Abgabenvergünstigungsvertrag
dar, der rechtswidrig sei, weil für eine vertragliche Änderung der
gesetzlich festgelegten Abgabeleistung weder im kantonalen noch im
kommunalen Recht eine ausdrückliche Grundlage bestehe.

    b) Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass
Abgabepflichtigen Vergünstigungen im Grundsatz nur gewährt werden
dürfen, wenn und soweit der betreffende Abgabeerlass es zulässt (BGE
103 Ia 34 mit Hinweisen). Abgabevergünstigung bedeutet dabei, dass
einem Abgabepflichtigen eine von der gesetzlichen Regelung abweichende
Sonderbehandlung gewährt wird, die ihm wirtschaftliche Vorteile
bringt. Keine eigentlichen Abgabevergünstigungsverträge bilden deshalb,
wie das Bundesgericht im erwähnten Urteil ausgeführt hat, die häufig
vorkommenden Abreden über Strassenbeiträge oder Erschliessungsgebühren,
nach welchen der Grundeigentümer keine Anstösserbeiträge oder sonstigen
Gebühren zu entrichten hat, dafür jedoch eine andere vollwertige
Gegenleistung (z.B. Landabtretung) erbringen muss. Ein eigentlicher
Abgabevergünstigungsvertrag liegt auch im hier zu beurteilenden
Falle nicht vor. Mit der Vereinbarung vom 9. Juli 1960 wurde der
Beschwerdeführerin keine von der damals geltenden gesetzlichen Regelung
abweichende Sonderbehandlung gewährt. Vereinbart wurde nur, dass für
den Anschluss des neuerworbenen Industrieareals und die Erstellung
des geplanten Fabrikneubaus Kanalisationsgebühren nach Massgabe der bei
Vertragsschluss geltenden Bauordnung zu entrichten seien. Die Vergünstigung
ergab sich erst als Resultat einer Änderung der Bauordnung, von deren
Eintritt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine der Parteien Kenntnis
hatte, wie im angefochtenen Entscheid unwiderlegt ausgeführt wird. Unter
diesen Umständen kann von einem eigentlichen Abgabevergünstigungsvertrag
offensichtlich nicht gesprochen werden, ebensowenig wie im Falle einer
steuerlichen Vorveranlagung, welcher die Vereinbarung in der Wirkung nahe
kommt (vgl. IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 77/1958,
II, S. 194 a; ZWAHLEN, aaO, S. 548 a ff.). Es ist freilich richtig,
dass die vertragliche Zusicherung, auf einen Abgabetatbestand finde
die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Regelung Anwendung,
schon von Anbeginn weg wenigstens virtuell eine Begünstigung des
Abgabepflichtigen in sich schliessen kann. Eine derartige Vereinbarung
hat sich deshalb in einem engen Rahmen zu halten, soll aus ihr nicht ein
unzulässiger Abgabevergünstigungsvertrag werden. Dieser Rahmen wäre dann
überschritten, wenn sich die Geltungsdauer der Vereinbarung über eine
längere Zeit erstrecken würde oder eine Gesetzesänderung im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses bereits in Aussicht stände (vgl. für die steuerliche
Vorveranlagung: ZWAHLEN, aaO, S. 550 a). So verhielt es sich bei Abschluss
der hier interessierenden Vereinbarung jedoch nicht.

    Mit diesen Feststellungen ist über die Rechtmässigkeit der Vereinbarung
freilich noch nicht endgültig entschieden. Es wäre weiter zu prüfen,
ob die darin enthaltene Zusage nach dem kantonalen oder kommunalen
Recht selbst dann nicht hätte erteilt werden dürfen, wenn sie keine
eigentliche Abgabevergünstigung bewirkte, sondern lediglich dahin ging,
die Gebühren für den Einkauf in die Kanalisation würden nach Massgabe
der bei Vertragsschluss geltenden Bauordnung erhoben, ungeachtet einer
allfälligen Änderung des Reglements. Wie es sich damit verhält, braucht im
vorliegenden Falle jedoch nicht näher untersucht zu werden, da ein solcher
Mangel nach den Regeln des Vertrauensschutzes nicht zur Ungültigkeit des
Vertrages führen könnte, wie aus den folgenden Erwägungen hervorgeht.

Erwägung 4

    4.- a) Erweist sich eine Verwaltungsverfügung als fehlerhaft,
so ist sie nur unter besonderen Voraussetzungen nichtig. Begünstigt
sie den Bürger, so kann sie von der Verwaltung auch nicht ohne
weiteres widerrufen werden. Ein Widerruf ist vielmehr nur aufgrund
einer Wertabwägung und lediglich dann möglich, wenn der richtigen
Durchführung des objektiven Rechts der Vorrang vor dem Interesse an der
Wahrung der Rechtssicherheit zukommt (BGE 100 Ib 302 f. mit Hinweisen;
vgl. zu den Widerrufsgrundsätzen im einzelnen: GRISEL, aaO, S. 209
ff.; IMBODEN/RHINOW, aaO, I, Nr. 41). Sind die Rechtswirkungen eines
fehlerhaften öffentlichrechtlichen Vertrages zu bestimmen, so kann
nichts grundsätzlich anderes gelten. Das Vertrauensschutzinteresse des
Bürgers ist auch in diesem Fall zu berücksichtigen, liegt es doch im
Wesen jedes Vertrages, dass er dazu bestimmt ist, Vertrauen im Hinblick
auf das zukünftige Verhalten des Vertragspartners zu begründen. Es lässt
sich deshalb mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbaren,
wenn sich Rechtsmängel eines öffentlichrechtlichen Vertrages, der den
Bürger begünstigt, ohne weiteres zu dessen Nachteil auswirken. Vielmehr
hat auch diesfalls eine Abwägung zwischen dem Interesse an der richtigen
Durchführung des objektiven Rechts und dem Vertrauensschutzinteresse des
Bürgers stattzufinden (vgl. auch die eingehende gesetzliche Regelung,
die in § 59 des erwähnten deutschen Verwaltungsverfahrensgesetzes für
den Fall der Fehlerhaftigkeit öffentlichrechtlicher Verträge getroffen
wurde). Ob der Bürger in seinem Vertrauen auf den Bestand des Vertrages
zu schützen sei, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (E. 1).

    b) Eine solche Interessenabwägung kann nicht mit Hinblick auf die
Grundsätze unterbleiben, die für die Geltung behördlicher Auskünfte und
Zusagen entwickelt worden sind. Danach stellen behördliche Zusicherungen
nur solange eine schutzwürdige Vertrauensgrundlage dar, als keine
Gesetzesänderung eintritt, was bedeutet, dass der Bürger bei einer
Änderung der Rechtslage nicht gestützt auf früher erteilte Auskünfte
eine vom Gesetz abweichende Behandlung verlangen kann (BGE 102 Ia 337 mit
Hinweisen; vgl. auch SAMELI, aaO, S. 371 ff.). Aus dieser Rechtsprechung
lässt sich für den vorliegenden Fall jedoch nichts ableiten. Der
wiedergegebene Grundsatz gilt schon für Zusagen und Auskünfte nicht
absolut, sondern erleidet eine Ausnahme, wenn sich solche Zusicherung auf
die Rechtsänderung selber beziehen und von der Behörde erteilt wurden,
in deren Kompetenz die Rechtsänderung liegt (BGE 102 Ia 337). Er kann
auch nicht gelten, wenn eine vertragliche Vereinbarung eben dahin geht,
dass ein künftiger Tatbestand aufgrund der Rechtslage beurteilt werde,
wie sie bei Abschluss des Vertrages galt.

    c) Geht man deshalb von den in lit. a dargelegten Grundsätzen aus,
so vermag eine Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben dann
nicht durchzudringen, wenn zwischen der Verwaltung und einem Privaten ein
eigentlicher, widerrechtlicher Abgabevergünstigungsvertrag geschlossen
wurde. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung und Lehre, dass solche
Verträge unwirksam sind, wenn sie sich nicht auf das Gesetz stützen, und es
ist nicht zweifelhaft, dass bei einer Güterabwägung diesfalls der richtigen
Durchführung des objektiven Rechts der Vorrang vor der Beibehaltung der
durch den Vertrag geschaffenen Rechtslage zukommt (BGE 94 I 450). In
der Lehre wird sogar die Auffassung vertreten, dass solche Verträge
schlechthin nichtig seien (vgl. die Hinweise bei IMBODEN, aaO, S. 198
a). Die hier in Frage stehende Vereinbarung stellt jedoch keinen solchen
Abgabevergünstigungsvertrag dar. Nimmt man an, dass die Einwohnergemeinde
Thun die in der Vereinbarung enthaltene Zusage nicht erteilen durfte,
so fällt bei der vorzunehmenden Interessenabwägung zugunsten der
Beschwerdeführerin insbesondere in Betracht, dass sowohl sie wie die
Einwohnergemeinde Thun ohne weiteres davon ausgingen, die geschlossene
Vereinbarung sei rechtlich zulässig. Es ist auch nicht bestritten, dass
die Beschwerdeführerin aufgrund der Notwendigkeit, einen neuen Standort
für ihr Unternehmen zu bestimmen und unter verschiedenen Varianten eine
Auswahl zu treffen, ein erhebliches und schützenswertes Interesse daran
besass, für die zu treffenden unternehmerischen Dispositionen über sichere
und umfassende Grundlagen zu verfügen. Es kommt hinzu, dass es auch in
dem von der Gemeinde Thun zu wahrenden öffentlichen Interesse lag, der
Beschwerdeführerin eine entsprechende vertragliche Zusage zu erteilen,
um damit einem Wegzug des Unternehmens mit dem daraus folgenden Verlust
von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen entgegenzuwirken. Schliesslich
fällt ins Gewicht, dass das Bauvorhaben der Beschwerdeführerin ohne
Verzögerung erstellt und der Kanalisationsanschluss bereits ca. zwei
Jahre nach Abschluss der Vereinbarung vollzogen wurde. Bei dieser
Sachlage kommt dem Vertrauensschutzinteresse der Beschwerdeführerin
der Vorrang vor der richtigen Durchführung des materiellen Rechts zu,
und es ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn
das Verwaltungsgericht die Kanalisationsanschlussgebühr für das von der
Vereinbarung erfasste Bauvorhaben aufgrund der erhöhten Ansätze des neuen
Reglements berechnete. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben.