Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 487



103 Ia 487

71. Auszug aus dem Urteil vom 16. November 1977 i.S. Primarschulgemeinde
Bassersdorf gegen Kappeler und Regierungsrat des Kantons Zürich Regeste

    Gemeindeautonomie; kommunales Abstimmungsverfahren.

    Das Verfahren bei Gemeindeabstimmungen ist im Kanton Zürich durch
das kantonale Gesetzesrecht abschliessend geregelt. Die zürcherischen
Gemeinden besitzen in diesem Bereich keine Autonomie.

Sachverhalt

    A.- In einer den Stimmbürgern der Primarschulgemeinde Bassersdorf
zugestellten Weisung zur Abstimmung über eine kommunale Initiative
Walter Kappelers wurde das Ergebnis einer Konsultativabstimmung
hervorgehoben, welche bei der Vorberatung der Initiative in
der Primarschulgemeindeversammlung durchgeführt worden war. Auf
Aufsichtsbeschwerde von Walter Kappeler hin ordnete die Direktion des
Innern des Kantons Zürich an, dass die Abstimmung zu verschieben und eine
verbesserte Weisung auszuarbeiten sei, welche anstelle des Ergebnisses der
Konsultativabstimmung einen begründeten Antrag der Primarschulpflege zu
enthalten habe. Die Primarschulpflege Bassersdorf führt, nachdem sie diese
Anordnung beim Regierungsrat des Kantons Zürich erfolglos angefochten hat,
wegen Verletzung der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde. Das
Bundesgericht weist diese ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales)

Erwägung 2

    2.- Die Zuerkennung eines geschützten Autonomiebereiches setzt voraus,
dass das massgebende kantonale Verfassungs- und Gesetzesrecht der Gemeinde
im betreffenden Sachgebiet eine "relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit"
belässt, sei es durch Einräumung der Befugnis zum Erlass und Vollzug
eigener kommunaler Vorschriften oder sei es durch Offenhaltung eines
entsprechenden Spielraumes der freien Gestaltung bei der Anwendung
kantonalen Rechtes.

    Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet eine Frage des
Abstimmungsrechtes; es geht um die Zulässigkeit von Konsultativabstimmungen
bei der Behandlung kommunaler Abstimmungsvorlagen. Nach Art. 48 Abs. 1 der
zürcherischen KV sind die Gemeinden befugt, "ihre Angelegenheiten innerhalb
der Schranken der Verfassung und Gesetze selbständig zu ordnen". Dass der
angefochtene Entscheid in unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistete
Selbstverwaltungsbefugnisse eingreife, wird nicht behauptet. Es bleibt
somit zu prüfen, ob die zürcherischen Gemeinden nach dem massgebenden
kantonalen Gesetzesrecht im fraglichen Sachbereich im Sinne der
vorstehenden Ausführungen eine erhebliche Entscheidungsfreiheit besitzen.

    Das zürcherische Abstimmungsrecht ist teils im Gemeindegesetz vom
6. Juni 1926 (GG), teils im Gesetz über die Wahlen und Abstimmungen
vom 4. Dezember 1955 (WahlG) geordnet. Das Gemeindegesetz gilt gemäss
seinem § 1 auch für Schulgemeinden. Es regelt bis in die Einzelheiten
die verschiedenen Formen der Gemeindeorganisation, die den zürcherischen
Gemeinden zur Verfügung stehen, nämlich die sogenannte ordentliche
Gemeindeorganisation mit der Gemeindeversammlung als oberstem Organ
(§§ 40 ff. GG), die ausserordentliche Gemeindeorganisation mit Grossem
Gemeinderat (§§ 88 ff.) und die ausserordentliche Gemeindeorganisation
mit Urnenabstimmung (§ 116 f.). Diese letztgenannte Organisationsform
gilt für die Gemeinde Bassersdorf, die mehr als 2000 Einwohner aufweist,
jedoch keinen Grossen Gemeinderat kennt. In § 116 Abs. 1 GG wird bestimmt,
dass in Gemeinden dieser Kategorie jede Änderung der Gemeindeordnung
der Urnenabstimmung unterliegt, der durch die Gemeindeordnung auch
andere Geschäfte bestimmter Art zugewiesen werden können. In § 116
Absatz 3 wird ausgeführt, die Gemeindeordnung könne bestimmen, dass die
der Urnenabstimmung unterstehenden Geschäfte einer Vorberatung in der
Gemeindeversammlung unterlägen. Vorschriften über Gemeindeabstimmungen
finden sich weiter im WahlG, nämlich in den §§ 60 und 62 für Abstimmungen
durch die Urne, in § 63 für solche in geschlossener Versammlung. Daraus
folgt, dass der zürcherische Gesetzgeber das Abstimmungsverfahren nicht
nur für kantonale Vorlagen, sondern auch für die Gemeinden verbindlich und
abschliessend regeln wollte und diesen nur einen geringfügigen Raum zur
Wahl zwischen zwei oder drei Möglichkeiten gelassen hat, nämlich zwischen
den erwähnten Formen der Gemeindeorganisation und hinsichtlich der Frage
der Vorberatung von Abstimmungsvorlagen an einer Gemeindeversammlung.
Im übrigen kann das zürcherische Abstimmungsrecht geradezu als
Schulbeispiel für eine vom kantonalen Gesetzgeber abschliessend geregelte
Materie gelten. Von einer relativ erheblichen Entscheidungsfreiheit der
Gemeinden, die im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung einen
geschützten Autonomiebereich zu eröffnen vermöchte, kann hier keine Rede
sein. Daran ändert nichts, dass nicht jede einzelne Frage, die in der
Praxis auftauchen kann, wie z.B. hier diejenige nach der Zulässigkeit von
Konsultativabstimmungen, im kantonalen Recht geregelt ist. Jedes Gesetz
ist auslegungsbedürftig und weist mehr oder weniger grosse Lücken auf. Doch
wollte der zürcherische Gesetzgeber das Vorgehen bei Gemeindeabstimmungen
offensichtlich abschliessend regeln und den Gemeinden über die engen,
im Gesetz vorgesehenen Wahlmöglichkeiten hinaus keinen Raum zur freien,
selbständigen Gestaltung offenlassen. Die vorliegende Beschwerde ist daher
schon wegen Fehlens eines geschützten Autonomiebereiches abzuweisen, ohne
dass auf die aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen einzugehen wäre.