Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 414



103 Ia 414

63. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. November 1977 i.S. G.
gegen Justizdirektion des Kantons Zürich Regeste

    Art. 4 BV; Zahlung von Auslagen aus dem Verdienstanteil.

    Die Verfügung, während des Freiheitsentzuges aus dem Sperrkonto eines
Gefangenen eine Auslage zu bezahlen, bedarf gemäss Art. 377 Abs. 2 StGB
einer entsprechenden Vorschrift in der Anstaltsverordnung.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Strafvollzug ist Sache der Kantone, soweit Bundesrecht nicht
eingreift (Art. 374 StGB). Das gilt auch für den Verdienstanteil. Über
diesen hat der Bund bis anhin nur Minimalvorschriften in Art. 376-378 StGB
erlassen. Aus ihnen ergibt sich, dass der Verdienstanteil den Gefangenen
zur Arbeit und zur Bewährung erziehen soll, zur Deckung gewisser Auslagen
dient und insbesondere bezweckt, dem Häftling den Wiedereintritt in das
Leben in Freiheit zu erleichtern und Ihm die Mittel für den Lebensunterhalt
während der ersten Wochen nach der Entlassung zu sichern (BGE 102 Ib 255).

    Was die Ausgaben aus dem Verdienstanteil während des Freiheitsentzuges
angeht, bestimmt Art. 377 Abs. 2 StGB ein Doppeltes. Einmal darf der
Verdienstanteil nur für Auslagen verwendet werden, die zugunsten des
Insassen oder seiner Familie gemacht werden. Sodann muss die Ausgabe
dem Anstaltsreglement entsprechen, das von Bundesrechts wegen darüber
zu bestimmen hat, ob und inwieweit der Verdienstanteil während der Dauer
der Freiheitsentziehung für Ausgaben verwendet werden darf.

Erwägung 3

    3.- a) Die regierungsrätliche Verordnung über die kantonale
Strafanstalt Regensdorf vom 12. Februar 1975 behandelt den Verdienstanteil
im IV. Abschnitt unter dem Titel "Arbeit, Ausbildung, Verdienst". Nach §
18 wird die Hälfte des monatlichen Verdienstanteils dem Gefangenen in bar
zur freien Verfügung ausbezahlt. Die andere Hälfte wird dem Sperrkonto
gutgeschrieben. Über dieses bestimmt § 21 Abs. 1 der Verordnung, dass
das Guthaben grundsätzlich für die Entlassung reserviert bleibe. Mit
Zustimmung der Anstaltsdirektion dürfe es jedoch "für Ausgaben, die
der Ausbildung, der Vorbereitung der Eingliederung nach dem Straf- oder
Massnahmevollzug, der Krankenversicherung und der Altersvorsorge dienen",
in Anspruch genommen werden.

    Die angeführten Auslagen, für die ausnahmsweise das Sperrkonto
verwendet werden darf, dienen mittelbar der Vorsorge nach der
Entlassung. Keine von ihnen erfasst Ausgaben für Hilfsmittel wie die
Brille, auch nicht dem Sinne nach. Die Vorinstanz beruft sich denn auch
selber nicht auf § 21 der Verordnung.

    b) Die Vorinstanz will dagegen die Verwendung des Verdienstanteils
aus § 34 Abs. 2 der Verordnung ableiten, der im VI. Abschnitt über die
Gesundheitspflege die zahnärztliche Betreuung regelt. Nach § 34 Abs. 1
erfolgt die zahnärztliche Behandlung nur, soweit sie während des Vollzuges
von Strafen und Massnahmen notwendig ist. Absatz 2 der Vorschrift sieht
vor, dass andere zahnärztliche Arbeiten vorgenommen werden können,
"wenn die Belastung des zahnärztlichen Dienstes dies erlaubt und die
Kostentragung geregelt ist". Wie die Vorinstanz dazu bemerkt, wird in
der Praxis bei Arbeiten, die über den reinen Zahnunterhalt hinausgehen,
z.B. bei der Beschaffung von Prothesen, für den Grossteil der Kosten
die zuständige Fürsorgebehörde herangezogen, der Gefangene nur insoweit,
als dies im Verhältnis zu seinem Konto in der Strafanstalt als angemessen
erscheine. Mangels einer besonderen Vorschrift werde § 34 Abs. 2 auch
auf die Kosten von Brillen und ähnlichen Hilfsmitteln angewendet.

    Die Berufung auf § 34 Abs. 2 der Verordnung hält nicht stand. Die
Vornahme zahnärztlicher Arbeiten wird davon abhängig gemacht, dass eine
Regelung der Kostenfrage zustandegekommen ist. Damit wird sinngemäss
zum Ausdruck gebracht, dass der Gefangene zur Kostentragung nur soweit
herangezogen werden kann, als er ihr zugestimmt hat. Zum gleichen Schluss
führt auch die Tatsache, dass die Bestimmung überhaupt keine Vorschrift
über die Verwendung des Verdienstanteils, insbesondere keine solche über
die Verwendung des Sperrkontos enthält. Eine ausdrückliche Bestimmung
wäre aber erforderlich gewesen, wenn eine Ausnahme vom allgemeinen
Grundsatz hätte geschaffen werden wollen, wonach der Verdienstanteil
für die Zeit nach der Entlassung reserviert bleiben soll. Das Fehlen
einer entsprechenden Vorschrift hat demnach den Sinn, dass Kosten für
zahnärztliche Betreuung ohne Einwilligung des Gefangenen nicht aus dem
Sperrkonto gedeckt werden dürfen. Somit kann § 34 der Verordnung auch
nicht analog für die Begleichung der Brillenrechnung aus dem Sperrkonto
des Beschwerdeführers angewendet werden.

    c) Aus dem Gesagten folgt, dass die Verwendung des Verdienstanteils
zur Bezahlung der Brille sich auf keine Vorschrift der Anstaltsverordnung
stützen lässt. Die ohne Rechtsgrundlage vorgenommene Verfügung beruht daher
auf einer willkürlichen Auslegung der Verordnung und ist wegen Verletzung
von Art. 4 BV aufzuheben. Unter diesen Umständen kann dahingestellt
bleiben, ob durch die Verfügung auch Art. 377 Abs. 2 StGB verletzt
worden sei.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Direktion der
Justiz des Kantons Zürich vom 6. Juni 1977 aufgehoben.