Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 407



103 Ia 407

61. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1977 i.S. L.
gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
Regeste

    Art. 4 BV. Strafprozess.

    1. Gerichtsbesetzung. Fall eines Appellationsrichters, der bei
der Hauptverhandlung und der Urteilsberatung mitgewirkt hat, aber der
Urteilsverkündung nicht beiwohnt. - Das Verfassungsrecht des Bundes enthält
keine Vorschrift über das Quorum bei mündlicher Urteilseröffnung. Der
Angeklagte ist auch nicht beschwert durch die Abwesenheit eines Richters
bloss bei der Urteilsverkündung (Erw. 2b).

    2. Pflicht zur Urteilsbegründung. Ein Appellationsgericht kann, soweit
es das angefochtene Urteil bestätigt und auch mit der Begründung einig
geht, auf die Begründung im Urteil der ersten Instanz verweisen. Anders
ist es, wenn der Appellant vor der zweiten Instanz beachtliche Gründe
vorbringt, zu denen die erste Instanz noch nicht Stellung bezogen hat
(Erw. 3a).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Der Beschwerdeführer rügt, bei der Urteilsverkündigung habe
Appellationsrichter W. gefehlt. Damit wird gerügt, das Gericht sei nicht
richtig besetzt gewesen. Dass W. an der Verhandlung und Entscheidung
mitgewirkt hat, wird nicht bestritten. Dessen Teilnahme entspricht auch
der Auskunft des Präsidenten des Appellationsgerichtes.

    Der Beschwerdeführer sagt nicht, welche kantonale Vorschrift die
Anwesenheit sämtlicher Richter bei der Urteilsverkündigung verlangt. Er
legt somit nicht dar, welche Vorschrift des kantonalen Rechts willkürlich
verletzt wurde. Die Beschwerde entbehrt damit der gesetzlich geforderten
Begründung; auf sie kann daher in diesem Punkte nicht eingetreten
werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Aber selbst der Nachweis einer
solchen Vorschrift (sie besteht: §§ 193 und 248 StPO-BS) könnte dem
Beschwerdeführer nur helfen, wenn eine solche Bestimmung nicht bloss den
Charakter einer Ordnungsvorschrift hätte und auch keine Dispensierung
des Richters zuliesse. Auch das wird weder dargetan noch behauptet. Das
Verfassungsrecht des Bundes aber enthält keine Vorschrift über das Quorum
bei mündlicher Urteilseröffnung.

    Es ist endlich nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch
die Abwesenheit eines Richters, der an Verhandlung und Urteilsberatung
teilgenommen hat und bloss der Urteilsverkündung nicht beiwohnte, beschwert
sein könnte. Er selber sagt auch nicht, worin die Beschwer liege. Auch
mangels eines rechtlichen Interesses ist daher auf die Beschwerde nicht
einzutreten.

Erwägung 3

    3.- a) Das Appellationsgericht verweist in materieller Hinsicht auf
das erstinstanzliche Urteil, das in allen Teilen als zutreffend erscheine
und ohne weitere Beifügung zu bestätigen sei. Daraus schliesst der
Beschwerdeführer, das Appellationsgericht habe sich mit seiner Eingabe vom
31. August 1976 und dem mündlichen Vortrag gar nicht auseinandergesetzt
und damit den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

    Die aus Art. 4 BV ableitbare Pflicht, Strafurteile zu begründen,
schliesst nicht aus, dass ein Appellationsgericht, soweit es das
angefochtene Urteil bestätigt und auch mit der Begründung einig geht,
auf die Begründung im Urteil der ersten Instanz verweist. § 255 Abs. 3
StPO-BS lässt eine solche Verweisung ausdrücklich zu. Denn in diesem Fall
weiss der Appellant, aus welchen Gründen das Appellationsgericht seinem
Antrag nicht gefolgt ist; er kann die Gründe im ersten Urteil nachlesen
(BGE 98 Ia 464 E. 5a). Anders ist es nur, wenn der Appellant vor der
zweiten Instanz beachtliche Gründe vorbringt, zu denen die erste Instanz
noch nicht Stellung bezogen hat, sei es, dass sie vor erster Instanz
noch nicht vorgebracht wurden, aber trotzdem vor zweiter Instanz neu
vorgebracht werden dürfen, oder dass diese Gründe vor erster Instanz
schon vorgetragen wurden, diese aber dazu in der Urteilsbegründung nicht
Stellung bezogen hat. Der Beschwerdeführer legt nun nicht dar, inwiefern
er vor Appellationsgericht beachtliche Gründe geltend gemacht hat, auf
welche im 278 Seiten umfassenden Urteil des Strafgerichtes keine Antwort
zu finden ist. Das Appellationsverfahren erlaubt es dem Appellanten, alle
Argumente, die er vor erster Instanz vorgetragen hat, zu wiederholen. Es
kann nicht Aufgabe des Kassationshofes als Staatsgerichtshof sein, auf
Willkürbeschwerde hin im einzelnen zu untersuchen, ob alle beachtlichen
Argumente, welche der Beschwerdeführer vor der Appellationsinstanz
vorgebracht hat, bereits in der Begründung des erstinstanzlichen
Urteils ausdrücklich oder sinngemäss erörtert wurden. Beruft sich der
Beschwerdeführer auf mangelnde Begründung, ist es vielmehr seine Aufgabe,
darzutun, welche erheblichen Argumente des Beschwerdeführers ohne die
erforderliche Begründung abgetan wurden. Nur dann legt er gemäss Art. 90
Abs. 1 lit. b OG dar, inwiefern das angefochtene Urteil den Anspruch auf
Begründung verletzt. Insoweit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten
werden. Aus dem Umstand aber, dass das Appellationsgericht von der ihm in
§ 255 Abs. 3 StPO-BS gebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, auf die
Begründung der ersten Instanz zu verweisen, kann nicht darauf geschlossen
werden, das Appellationsgericht habe die Vorbringen des Beschwerdeführers
zur Sache nicht gewürdigt. Insoweit ist die Beschwerde unbegründet.