Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 350



103 Ia 350

55. Urteil vom 1. Juni 1977 i.S. Imhof gegen Gerichtspräsident I von
Konolfingen und den Oberauditor der Armee Regeste

    Kompetenzkonflikt nach Art. 223 MStG.

    Voraussetzungen, unter denen ein Militärkrankenpfleger dem
Militärstrafrecht untersteht (E. 2). Auslegung des in Art. 2 Ziff. 2 MStG
verwendeten Begriffs der "Handlungen, die die Landesverteidigung betreffen"
(E. 2a). Begriff der "Uniform" im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 MStG (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Alfred Imhof, Militärkrankenpfleger auf dem Waffenplatz
Yverdon, kollidierte am 13. Oktober 1976 auf einer Dienstfahrt auf dem
Gemeindegebiet Zäziwil mit einem Personenwagen. Der Gerichtspräsident
I von Konolfingen auferlegte ihm mit Strafmandat vom 16. November 1976
wegen Verletzung der Art. 26 Abs. 1 SVG, 90 SVG, 28 VRV eine Busse von
Fr. 60.--. Der Chef des Motorwagendienstes der Panzerabwehrschulen Yverdon
sandte am 18. November 1976 das Strafmandat an das Richteramt Konolfingen
zurück mit der Begründung, dass der Unfall auf einer Dienstfahrt
erfolgt sei und Imhof daher der Militärgerichtsbarkeit unterstehe. Der
Gerichtspräsident I von Konolfingen teilte Imhof am 9. Dezember 1976 mit,
gemäss Schreiben des Oberauditorates des EMD vom 1. Dezember 1976 sei
die Angelegenheit Imhof durch den bürgerlichen Richter zu beurteilen.

    Mit Eingabe vom 20. Dezember 1976 reichte Alfred Imhof beim
Bundesgericht gestützt auf Art. 223 des Militärstrafgesetzes (MStG) eine
Kompetenzkonfliktsbeschwerde ein mit dem Antrag, es sei der Entscheid des
Gerichtspräsidenten I von Konolfingen vom 16. November 1976 aufzuheben
und die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit in seiner Angelegenheit
betreffend den Strassenverkehrsunfall vom 13. Oktober 1976 festzustellen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 223 Abs. 1 MStG werden Anstände über die Zuständigkeit
der militärischen und der bürgerlichen Gerichtsbarkeit vom Bundesgericht
endgültig entschieden. Im Falle des Beschwerdeführers liegt kein
aktueller (positiver oder negativer) Kompetenzkonflikt vor, denn die
bürgerlichen und die militärischen Behörden sind sich darüber einig,
dass der bürgerliche Richter zuständig sei. Zu den Kompetenzkonflikten
im Sinne von Art. 223 MStG gehört indes auch der virtuelle Konflikt,
d.h. der hier vorliegende Fall, wo der Angeschuldigte geltend macht, in
Wahrheit sei nicht die gegen ihn vorgehende, sondern die andere Behörde
zuständig (BGE 97 I 147 E. 1 mit Hinweisen). Da dem von den bürgerlichen
Behörden verfolgten Angeschuldigten das Beschwerderecht solange zusteht,
als er nicht durch sein Verhalten klar zum Ausdruck gebracht hat, dass er
sich der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterwerfe, ist auf die Beschwerde
Imhofs einzutreten (BGE 80 I 257 E. 1 mit Hinweis).

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 218 Abs. 1 MStG ist eine Person der
Militärgerichtsbarkeit unterworfen, soweit sie dem Militärstrafrecht
untersteht, d.h. soweit sie die in Art. 2 MStG umschriebenen
Voraussetzungen erfüllt. Dies wird in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung
des EMD vom 15. Juli 1975 betreffend das Krankenpflegepersonal auf den
Waffenplätzen (im folgenden VO 1975) bestätigt, nach welcher Bestimmung
die Militärkrankenpfleger für die in Art. 2 MStG genannten Fälle dem
Militärstrafgesetz und damit der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstellt
sind. Es ist daher zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur Zeit seines
Verkehrsunfalles unter das Militärstrafrecht fiel.

    Alfred Imhof ist Beamter des Bundes im Sinne des BG vom 30. Juni
1927 über das Dienstverhältnis des Bundes (Beamtengesetz) und der
Beamtenordnung I vom 10. November 1959 (Art. 1 VO 1975). Er untersteht
deshalb nach Art. 2 Ziff. 2 MStG dem Militärstrafrecht nur "für Handlungen,
die die Landesverteidigung betreffen" oder "wenn er in Uniform auftritt"
(Art. 13 VO 1975).

    a) Der Begriff der Landesverteidigung ist ein unbestimmter
Rechtsbegriff, der durch die Rechtsprechung auszulegen ist.

    Bei den Beratungen der eidgenössischen Räte über das MStG wurde
in bezug auf Art. 2 Ziff. 2 darüber diskutiert, ob die Unterstellung
der Beamten der Militärverwaltung unter das MStG stattfinden solle für
Handlungen, welche die Landesverteidigung "betreffen", oder aber für
Handlungen, welche die Landesverteidigung "gefährden". Eine Minderheit
wollte mit der letztgenannten, engeren Fassung den Anwendungsbereich
des MStG einschränken, doch entschied sich die Mehrheit aus praktischen
Gründen und im Interesse der Klarheit für die weitergehende Umschreibung
"betreffen", weil unter Umständen im Zeitpunkt der Anhebung des
Verfahrens noch gar nicht feststehe, ob eine solche Handlung, die an
und für sich strafbar sei, die Landesverteidigung auch wirklich gefährde
(Sten.Bull. Nationalrat 1924 S. 620, 1926 S. 758, 1927 S. 105; Ständerat
1927 S. 2).

    In der Rechtslehre werden unter den "Handlungen, die die
Landesverteidigung betreffen" nur solche verstanden, welche zumindest
eine abstrakte Gefahr für die Landesverteidigung bedeuten (COMTESSE, Das
schweiz. Militärstrafgesetz, N. 15 zu Art. 2 Ziff. 2 MStG; GRABEMANN,
Geltungsbereich des schweiz. Militärstrafgesetzes von 1927, Diss. Zürich
1936, S. 51) oder die Landesverteidigung als Ganzes berühren, d.h. es
muss im Interesse der Landesverteidigung liegen, dass diese Handlungen
korrekt ausgeführt werden oder überhaupt unterbleiben (SCHUMACHER, Der
Geltungsbereich des schweiz. Militärstrafgesetzes, Diss. Freiburg 1936,
S. 137/138).

    Die Landesverteidigung ist eine Konzeption, die sich seit dem
Zweiten Weltkrieg mit der Einführung der Begriffe des totalen Krieges
und der Gesamtverteidigung ständig weiter entwickelt hat. Sie umfasst
heute im weitesten Sinne alle Tätigkeiten des Staates, die der Wahrung
des Friedens in Unabhängigkeit, der Wahrung der Handlungsfreiheit
des Staates, dem Schutz der Bevölkerung sowie der Behauptung des
Staatsgebietes im Rahmen der Sicherheitspolitik dienen (vgl. Bericht
des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik
der Schweiz vom 27. Juni 1973). Es kann jedoch nicht von einem solchen
Begriff der Landesverteidigung ausgegangen werden, um den Kreis der
dem Militärstrafgesetz unterworfenen Beamten zu bestimmen, ansonst
praktisch sämtliche Beamten für alle ihre Handlungen dem Militärstrafrecht
unterstellt wären. Dieses Recht ist - wie seine Bezeichnung andeutet -
ein Sonderrecht (BGE 99 Ia 99 E. 4), das nur auf diejenigen Beamten
anwendbar ist, welche direkt oder indirekt bei der militärischen
Landesverteidigung mitwirken. Nur solche Handlungen, die die militärische
Landesverteidigung betreffen, fallen unter das Militärstrafrecht.
Unter der Landesverteidigung im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 MStG kann
daher bei richtiger Auslegung nur die militärische Landesverteidigung
verstanden werden, d.h. - in Friedenszeiten - alle Tätigkeiten, die
die Vorbereitung der bewaffneten Landesverteidigung betreffen. Diese
Einschränkung ist aber nicht ausreichend, denn die Beamten des Bundes oder
der Kantone nehmen in Wirklichkeit eine ganze Reihe von Handlungen vor,
die gewisse Beziehungen zur militärischen Landesverteidigung haben, sie
aber nicht in dem Sinne berühren, dass die mangelhafte Ausführung oder
die Nichtausführung der betreffenden Handlungen die Landesverteidigung
als solche zu gefährden vermöchte. So verhält es sich zum Beispiel mit
der Tätigkeit der Zeiger bei den Schiessplätzen oder mit den Beamten,
die mit kleineren Verwaltungsangelegenheiten im Zusammenhang mit der
Armee betraut sind. Als "die Landesverteidigung betreffende Handlungen"
im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 MStG können somit - wie COMTESSE vorschlägt,
aaO N. 15 zu Art. 2 Ziff. 2 MStG - nur solche Handlungen betrachtet
werden, welche geeignet sind, eine abstrakte Gefahr für die militärische
Landesverteidigung zu schaffen. Diese einschränkende Auslegung drängt sich
umso mehr auf, als sie sich nur auf Handlungen derjenigen Beamten bezieht,
die ihre Tätigkeit in Zivil ausüben, denn die Beamten, welche in Uniform
auftreten, unterstehen dem Militärstrafrecht auf Grund des letzten Satzes
von Art. 2 Ziff. 2 MStG.

    Die enge Auslegung des erwähnten Begriffs entspricht dem Grundsatz,
wonach im Zweifel nicht das Militärstrafrecht als Sonderrecht, sondern das
allgemeine bürgerliche Strafrecht anzuwenden ist, es sei denn, zwingende
militärische Gründe - welche hier nicht gegeben sind - verlangten die
Anwendung des Militärstrafrechts (BGE 99 Ia 99 E. 4, BBl 1977 Bd. II
S. 21).

    Was den Beschwerdeführer betrifft, so kann darin, dass er sich von
seinem Waffenplatz zum Standort einer Rekrutenschule begab, um dort
seine Tätigkeit auszuüben, keine Handlung erblickt werden, welche die
Landesverteidigung im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 MStG betrifft. Freilich übt
der Beschwerdeführer seine Tätigkeit im Rahmen der militärischen Ausbildung
aus, denn sie hängt mit der Rekrutenschulung zusammen, doch kann dadurch,
dass sich der Beschwerdeführer bei der Fahrt nach Grosshöchstetten auf der
Strasse korrekt verhält, die militärische Landesverteidigung klarerweise
nicht betroffen werden.

    b) Der Beschwerdeführer wäre indes gleichwohl dem Militärstrafrecht
und damit der Militärgerichtsbarkeit unterstellt, wenn er - entsprechend
seiner Behauptung - im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles die Uniform getragen
hätte (BGE 101 Ia 428 E. 2). Die Beamten der Militärverwaltung unterstehen
nach Art. 2 Ziff. 2 MStG dem Militärstrafrecht immer dann, "wenn sie in
Uniform auftreten". Unter "Uniform" ist die Uniform der Schweizer Armee
im Sinne der Verordnung über die Bekleidung der schweizerischen Armee
vom 10. Januar 1962 und der Verfügung des EMD über die Bekleidung der
schweizerischen Armee vom 10. Mai 1968 zu verstehen. Diese Uniform ist
feldgrau (Art. 2 der VO vom 10.1.62) und weist militärische Abzeichen
auf (Art. 13 der VO vom 10.1.62). Die Dienstkleider, welche die VO 1975
für die Militärkrankenpfleger vorschreibt, unterscheiden sich von der
erwähnten Uniform bezüglich Farbe und Abzeichen und können somit nicht
als Uniform im Sinne von Art. 2 Ziff. 2 MStG bezeichnet werden.

    Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zur Zeit
seines Verkehrsunfalles nicht dem Militärstrafrecht unterstand, da die
Voraussetzungen von Art. 2 Ziff. 2 MStG nicht erfüllt waren. Er kann sich
deshalb nicht auf Art. 218 Abs. 3 MStG berufen, und der Gerichtspräsident
I von Konolfingen hat sich daher mit Recht zur Beurteilung der dem
Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen gegen das SVG als
zuständig erklärt.