Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 165



103 Ia 165

31. Auszug aus dem Urteil vom 27. April 1977 i.S. Krause gegen
Staatsanwaltschaft und Justizdirektion des Kantons Zürich Regeste

    Persönliche Freiheit; Untersuchungshaft.

    Grundsätze für die Aushändigung oder Verweigerung fremdsprachiger
Druckschriften, die ein Untersuchungsgefangener von ausserhalb der Anstalt
beziehen will.

Sachverhalt

    A.- Die deutsch-italienische Staatsangehörige Petra Krause befindet
sich wegen Verdachts der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen und anderen
Delikten seit längerer Zeit im Kanton Zürich in Untersuchungs- und seit
Abschluss der Untersuchung in Sicherheitshaft. Mit Verfügung vom 19. August
1976 ordnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich an, es sei der
Angeschuldigten die Druckschrift "Solidarietà Militante/Informazioni del
Comitato Internazionale per la Difesa dei Detenuti Politici in Europa" mit
dem Titel "Onore alla Compagna Ulrike Meinhof", Ausgabe August/September
1976, nicht auszuhändigen. Frau Krause erhob dagegen Rekurs bei der
Direktion der Justiz des Kantons Zürich. Diese verfügte am 1. November
1976, dass die Rekurrentin eine Übersetzung der beanstandeten Schrift
einzureichen habe, die von einem anerkannten Übersetzungsbüro stamme oder
von einem solchen als richtig befunden worden sei, unter der Androhung,
dass sonst auf den Rekurs nicht eingetreten werde. Falls die Rekurrentin es
vorziehe, dass die Justizdirektion die Übersetzung veranlasse, könne ihr
eine Frist zur Leistung eines ausreichenden Kostenvorschusses angesetzt
werden. Nachdem Frau Krause in einer Eingabe vom 3. November 1976 die
Erklärung abgegeben hatte, sie werde weder eine Übersetzung beibringen
noch einen Kostenvorschuss leisten, trat die Justizdirektion mit Verfügung
vom 5. November 1976 auf den Rekurs nicht ein.

    Frau Krause erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
persönlichen Freiheit.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) Der Bezug von Büchern und Druckschriften von ausserhalb
der Anstalt darf wegen der Möglichkeit, dass sich auf diesem Wege
unerlaubte Verbindungen zwischen einem Gefangenen und der Aussenwelt
herstellen lassen, Beschränkungen unterstellt werden (Bezug der
Bücher oder Druckschriften durch eine Buchhandlung, Beschaffung
durch die Gefängnisverwaltung auf Kosten des Gefangenen, Begrenzung
der Zahl der von auswärts beziehbaren Bücher; siehe dazu BGE 102
Ia 294 E. 8c). Eine Beschränkung des Bücherbezugs von auswärts ist
überdies dann zulässig, wenn zwar nicht die Gefahr besteht, dass einem
Gefangenen heimliche Mitteilungen gemacht werden, jedoch der Inhalt der
entsprechenden Druckschriften selber geeignet ist, den Haftzweck oder
die Anstaltsordnung zu gefährden. Dies trifft zum Beispiel dann zu,
wenn die Schriften Anleitungen oder Empfehlungen zur Flucht oder zur
Störung des Gefängnisbetriebes enthalten oder Kenntnisse vermitteln,
die von den Gefangenen zu solchen Zwecken genutzt werden könnten. Stellt
die Kontrollbehörde eine derartige Gefährdung des Haftzwecks oder der
Anstaltsordnung durch den Inhalt der Druckschrift fest, so kann sie die
Aushändigung an den Gefangenen verweigern (BGE 102 Ia 294 E. 8c).

    Will ein Gefangener eine Druckschrift von auswärts beziehen, die
nicht in der Amtssprache des Kantons abgefasst ist, in welchem sich die
Anstalt befindet, so kann nicht in jedem Falle verlangt werden, dass
der Kontrollbehörde eine Übersetzung der Schrift vorgelegt werde. Das
hätte zur Folge, dass der Bezug fremdsprachiger Lektüre von ausserhalb
der Anstalt praktisch verunmöglicht würde. Eine solche Beschränkung wäre
mit dem Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht vereinbar. Anderseits
lässt sich nicht fordern, dass fremdsprachige Bücher und Druckschriften,
die von der zuständigen Behörde nicht oder nur mit besonderem Aufwand
zuverlässig kontrolliert werden können, den Gefangenen ohne weiteres
auszuhändigen seien. Vielmehr sind diesfalls der Anspruch des Gefangenen
auf Bezug derartiger Schriften und das Interesse an der Vermeidung eines
übermässigen Kontrollaufwandes gegeneinander abzuwägen. Dabei sind gewisse
allgemeine Grundsätze zu beachten; daneben ist jeder einzelne Fall anhand
der konkreten Umstände gesondert zu beurteilen.

    d) Ist der fraglichen Schrift bereits ohne nähere Lektüre zu entnehmen,
z.B. aufgrund des Autors oder des behandelten Themas, ob ihr Inhalt dem
Haftzweck oder der Gefängnisordnung zuwiderlaufe oder nicht, so ist sie
dem Gefangenen ohne weiteres zu verweigern oder auszuhändigen. Erweist
sich für diesen Entscheid eine nähere Prüfung des Inhalts als notwendig
und ist die Schrift in einer Sprache abgefasst, die der Kontrollbehörde
nicht ohne weiteres zugänglich ist (vgl. auch BGE 102 Ia 298 E. 11c),
so kann die Aushändigung an den Gefangenen verweigert werden. Die
Behörde hat eine Prüfung des Inhalts diesfalls nur dann vorzunehmen,
wenn ihr eine Übersetzung der Schrift vorgelegt wird. Anders verhält es
sich, wenn die Schrift in einer schweizerischen Landessprache abgefasst
ist. Die kantonale Behörde hat in diesem Falle die entsprechende Kontrolle
vorzunehmen, sofern sie dazu selber in der Lage ist und sofern eine solche
Kontrolle nicht wegen des Umfangs der vom Gefangenen verlangten Schrift als
unzumutbar erscheint. Die Behörde kann darüber hinaus den Bezug derartiger
fremdsprachiger Schriften, die eine nähere Kontrolle des Inhalts erfordern,
einer besonderen zahlenmässigen Beschränkung unterstellen, wenn von diesem
Recht ein übermässiger Gebrauch gemacht wird (vgl. BGE 102 Ia 295; 99 Ia
286 f.).

Erwägung 3

    3.- a) Bei den bundesgerichtlichen Akten befindet sich lediglich
eine Photokopie eines Teils der in italienischer Sprache abgefassten
Druckschrift, deren Weiterleitung an die Beschwerdeführerin verweigert
wurde. Die Kopie umfasst von der gemäss dem Inhaltsverzeichnis
mindestens vierzigseitigen Broschüre lediglich das Titelblatt, das
Inhaltsverzeichnis sowie die Seiten 17-19 und 31-39. Die Justizdirektion
des Kantons Zürich teilte dem Bundesgericht mit, das Original der
Schrift sei vermutlich dem Sohn der Beschwerdeführerin zurückgegeben
worden. Bei den fotokopierten Teilen handle es sich jedoch um diejenigen,
auf welche die Staatsanwaltschaft von dem Polizeibeamten, der den Besuch
der Beschwerdeführerin überwachte, besonders aufmerksam gemacht worden
sei. Es ist daher davon auszugehen, dass nur diese Teile der Schrift der
Staatsanwaltschaft als verdächtig erschienen und Anlass zur beanstandeten
Verfügung der Justizdirektion gaben. Aus dem Gesagten ergibt sich ferner,
dass die fragliche Schrift nicht zu denen gehört, über deren Aushändigung
ohne nähere Prüfung ihres Inhaltes entschieden werden konnte.

    b) Das Italienische wird als schweizerische Landessprache in vielen
Schulen der deutschschweizerischen Kantone unterrichtet und dessen Kenntnis
ist dort weit verbreitet. So verfügt die zürcherische Staatsverwaltung
über zahlreiche Beamte, die in der Lage sind, mit italienischen
Staatsangehörigen oder Schweizern italienischer Muttersprache, welche die
deutsche Sprache nicht oder nur unvollkommen beherrschen, italienisch zu
verhandeln oder deren schriftliche Eingaben zu verstehen. Insbesondere
sind im Strafuntersuchungsdienst und bei der Kantonspolizei solche
Funktionäre vorhanden. Andernfalls könnten diese und zahlreiche
andere Verwaltungszweige ihre Aufgabe unter den heutigen Verhältnissen
nicht erfüllen, ungeachtet dessen, dass die kantonalen Behörden von
Bundesrechts wegen nicht verpflichtet sind, auf Eingaben einzutreten,
die in einer anderen als der massgebenden kantonalen Amtssprache gehalten
sind (BGE 102 Ia 37). Es wäre geboten gewesen, wenn die Justizdirektion
in der vorliegenden Sache einen dieser Beamten beigezogen hätte, ging
es doch einzig darum, insgesamt zwölf Seiten gedruckten Textes so weit
zu verstehen, dass dem Vorsteher der Direktion oder dem juristischen
Sachbearbeiter der Inhalt dieser Stellen in grossen Zügen mitgeteilt
werden konnte. Sieben der insgesamt zwölf Seiten, die hier besonders
in Frage stehen, enthalten überdies die italienisch redigierte Fassung
einer Erklärung der Beschwerdeführerin zum Haftvollzug in der Schweiz,
deren Adressatin die Justizdirektion des Kantons Zürich war und die dieser
bereits seit Monaten bekannt gewesen sein musste. Bei dieser Sachlage ist
die Verpflichtung, die Broschüre ins Deutsche übersetzen zu lassen oder
die Kosten einer amtlichen Übersetzung vorzuschiessen, mit der Garantie
der persönlichen Freiheit nicht vereinbar. Die angefochtene Verfügung
ist aus diesem Grunde aufzuheben. Die Justizdirektion wird zum Rekurs der
Beschwerdeführerin materiell Stellung zu nehmen und zu entscheiden haben,
ob der Inhalt der Broschüre den Haftzweck oder die Anstaltsordnung gefährde
und ob die Druckschrift der Beschwerdeführerin demnach auszuhändigen oder
zurückzubehalten sei.