Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IA 103



103 Ia 103

22. Urteil vom 26. Mai 1977 i.S. X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden Regeste

    Art. 4 BV; amtliche Grundstückschatzung; Vorkaufsrecht.

    Der Verkehrswert eines Grundstückes wird durch ein limitiertes
Vorkaufsrecht, das im Grundbuch nicht mehr vorgemerkt und bloss noch
gegenüber dem jetzigen Eigentümer wirksam ist, nicht beeinflusst.

Sachverhalt

    A.- X. verkaufte im Jahre 1954 einen grossen Teil seines Areals der
Stadtgemeinde Chur. Gleichzeitig räumte er dieser an der ihm verbleibenden
Restparzelle ein unbefristetes, auf 10 Jahre im Grundbuch vorzumerkendes
Vorkaufsrecht ein, wobei der Kaufpreis auf Fr. 260'000.-- limitiert wurde.

    Die kantonale Schätzungskommission setzte im Jahre 1975 im Zuge
einer allgemeinen Revision der Grundstückschatzungen den Verkehrswert
der erwähnten Parzelle auf Fr. 837'000.-- fest. Sie bestimmte ausserdem
den Ertragswert der Liegenschaft (Fr. 685'000.--) sowie den Neuwert
und den Zeitwert der darauf befindlichen Gebäude (Zweifamilienhaus und
Fabrikgebäude).

    X. vertritt den Standpunkt, der Verkehrswert seiner Liegenschaft
könne wegen des darauf lastenden limitierten Vorkaufsrechtes nicht
mehr als Fr. 260'000.-- betragen. Er führt gegen einen Rekursentscheid
des bündnerischen Verwaltungsgerichtes, welches die angefochtene
Verkehrswertschätzung bestätigt hat, wegen Verletzung von Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist diese ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die amtliche Schätzung der Grundstücke erfolgt zum Zwecke der
Gebäudeversicherung, der Belehnung und der Steuerveranlagung (Art. 1 der
grossrätlichen Verordnung über die amtlichen Schätzungen vom 3. Oktober
1969). Es sind zu schätzen: a) der Verkehrswert, b) der Ertragswert,
c) der Schätzungswert gemäss Bundesgesetz über die Entschuldung
landwirtschaftlicher Heimwesen und d) die Gebäudeversicherungswerte (Art. 7
der Verordnung). Die Schätzungsergebnisse werden, was den Verkehrswert und
den Ertragswert anbelangt, u.a. den Steuerveranlagungsorganen mitgeteilt
(Art. 11 der Verordnung). Ein von der Regierung am 29. November 1971
erlassenes Reglement enthält Richtlinien für die Durchführung der amtlichen
Schätzung (Schätzungsreglement).

    Das Steuergesetz des Kantons Graubünden vom 21. Juni 1964 sieht in
Art. 44 ff. die Erhebung einer Vermögenssteuer vor. Nach Art. 46 Abs. 2
werden Grundstücke "zum Verkehrswert unter angemessener Berücksichtigung
des Ertrages und der Ertragsfähigkeit" bewertet. "Wohn- und Geschäftshäuser
sind zum Mittel des Verkehrswertes und des zweifachen Ertragswertes der
letzten sechs Jahre zu bewerten" (Art. 46 Abs. 3).

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine Liegenschaft
ohne Berücksichtigung des fraglichen Vorkaufsrechtes einen Verkehrswert
von Fr. 837'000.-- aufweist. Er erhebt auch keine Einwendungen gegen die
Festsetzung des Ertragswertes auf Fr. 685'000.--. Er macht jedoch geltend,
dass das der Stadt Chur eingeräumte limitierte Vorkaufsrecht, wiewohl
es im Grundbuch nicht mehr vorgemerkt sei, nach wie vor bestehe und auf
dem Grundstück laste. Es bestehe kein Zweifel, dass die Stadt Chur im
Veräusserungsfalle von dem für sie günstigen Vorkaufsrecht Gebrauch
machen würde. Auch bei einer Veräusserung des Grundstückes an einen
Dritten lasse sich im Ergebnis kein höherer Erlös als Fr. 260'000.--
erzielen, wenn man die in diesem Fall seitens der Vorkaufsberechtigten
zu erwartenden Schadenersatzansprüche in Rechnung stelle. Ob das
Vorkaufsrecht im Grundbuch vorgemerkt sei oder nicht, könne keine Rolle
spielen. Die diesbezüglich vom Verwaltungsgericht gemachte Unterscheidung
sei willkürlich und finde im Schätzungsreglement keine Grundlage. Ein
Vorkaufsrecht stelle auch ohne Vormerkung im Grundbuch im Sinne des
Schätzungsreglementes (Abschnitt A, Ziff. 3 lit. a) eine "mit dem
Grundstück verbundene" Last dar und müsse daher bei der Bewertung
berücksichtigt werden.

    a) Diese Argumentation dringt nicht durch. Nach dem Schätzungsreglement
(Abschnitt A, Ziff. 1 lit. a) gilt als Verkehrswert der "mittlere
Preis, zu dem Grundstücke gleicher oder ähnlicher Grösse, Lage und
Beschaffenheit in der betreffenden Gegend unter normalen Verhältnissen
verkauft werden". Diese Definition entspricht der allgemein üblichen
Umschreibung des Verkehrswertbegriffes. Danach ist der Verkehrswert einer
Liegenschaft ein objektivierter Wert, der sich auf das Grundstück als
solches bezieht und nicht von den besonderen persönlichen Verhältnissen des
Eigentümers abhängt. Massgebend sind die Eigenschaften des Grundstückes
und die ihm anhaftenden rechtlichen und tatsächlichen Vorteile und Lasten,
die im Veräusserungsfalle auf den neuen Eigentümer übergehen; einzig
hienach bestimmt sich der mutmasslich erzielbare Kaufpreis. Erlösmindernde
Faktoren, die nicht dem Grundstück anhaften, sondern in den besonderen
persönlichen Rechtsverhältnissen des gegenwärtigen Eigentümers
begründet sind, haben auf den Verkehrswert des Schätzungsobjektes
begriffsgemäss keinen Einfluss. Wenn die kantonalen Instanzen bei der
Verkehrswertschätzung nur Rechte und Lasten berücksichtigen, die in
diesem Sinne "mit dem Grundstück verbunden" sind (Ziff. 3 lit. a des
Schätzungsreglementes), verfallen sie nicht in Willkür.

    b) Ein gewöhnliches, unlimitiertes Vorkaufsrecht ist schon seinem
Inhalt nach grundsätzlich nicht geeignet, den Verkehrswert der belasteten
Liegenschaft zu beeinflussen. Anders verhält es sich bei einem limitierten
Vorkaufsrecht. Ist es im Grundbuch vorgemerkt und daher gegenüber jedem
Eigentümer wirksam (Art. 681 ZGB), so kann sich diese dem Grundstück
anhaftende Veräusserungsbeschränkung, je nach der Höhe des fixierten
Kaufpreises und der Dauer des Vorkaufsrechtes, auf das Preisangebot
eines (Dritt-)Käufers ungünstig auswirken. Ein im Grundbuch vorgemerktes
limitiertes Vorkaufsrecht hat insoweit, als es einen Wiederverkauf des
Grundstückes zum höchstmöglichen Preis erschwert, eine Schmälerung des
Verkehrswertes zur Folge.

    c) Das hier in Frage stehende limitierte Vorkaufsrecht ist heute
indessen nicht mehr im Grundbuch vorgemerkt und wirkt daher bloss
noch gegenüber dem Beschwerdeführer persönlich als obligatorische
Verbindlichkeit. Ein allfälliger Erwerber der Liegenschaft wäre mangels
Vormerkung im Grundbuch keiner entsprechenden Veräusserungsbeschränkung
mehr unterworfen (MEIER-HAYOZ, N. 111 und 296 zu Art. 681 ZGB) und er
könnte von der Stadt Chur auch nicht auf Herausgabe des Grundstückes
oder auf Schadenersatz verklagt werden (MEIER-HAYOZ, N. 50, 56 und 247 zu
Art. 681 ZGB). Für sein Preisangebot wäre der effektive Wert massgebend,
den das Grundstück in unbelastetem Zustand (ohne Vorkaufsrecht) hat. Das
Verwaltungsgericht konnte somit ohne Willkür annehmen, das gegenüber dem
Beschwerdeführer bestehende obligatorische Vorkaufsrecht habe auf den
Verkehrswert der Liegenschaft keinen Einfluss. Sowenig beispielsweise
eine Gewinnbeteiligung oder eine Konventionalstrafe, die ein Eigentümer
aufgrund einer ihn persönlich bindenden Regelung im Veräusserungsfalle
abliefern muss, bei der Verkehrswertschätzung zu berücksichtigen ist,
sowenig kann hier der Beschwerdeführer verlangen, dass die allfälligen
Schadenersatzansprüche, die er bei Verkauf an einen Dritten seitens
der Vorkaufsberechtigten zu gewärtigen hat, bei der Schätzung der
Liegenschaft in Abzug gebracht werden. Auch ein langfristiger (nicht im
Grundbuch vorgemerkter) Mietvertrag kann sich für den Eigentümer einer
Liegenschaft in ähnlicher Weise belastend auswirken, ohne dass dies auf
den Verkehrswert der Liegenschaft einen Einfluss hätte. Wenn die kantonalen
Instanzen es ablehnten, den Verkehrswert des Grundstückes entsprechend dem
im Vorkaufsvertrag festgelegten Preis auf Fr. 260'000.-- zu reduzieren,
sondern auf den Wert der Liegenschaft in unbelastetem Zustand abstellten,
verfielen sie keineswegs in Willkür (vgl. dazu auch HANS STEINER, Die
amtliche Bewertung der Grundstücke nach dem bernischen Steuergesetz vom 29.
Oktober 1944/19. Dezember 1948, Diss. Bern 1949, S. 39/40).

Erwägung 4

    4.- Mit der amtlichen Verkehrswertschätzung, um die es hier einzig
geht, ist die Frage, wie das Grundstück vermögenssteuerrechtlich zu
behandeln sei, noch nicht entschieden. Für die steuerliche Bewertung ist
neben dem Verkehrswert auch der Ertragswert zu berücksichtigen (Art. 46
StG). Sodann können gewisse Verpflichtungen, die nicht das Grundstück,
sondern nur das Vermögen des Eigentümers belasten, einen Schuldenabzug
rechtfertigen (BLUMENSTEIN, System des Steuerrechtes 3. A. S. 203;
PETER VON RECHENBERG, Handkommentar zum Steuergesetz des Kantons
Graubünden vom 21. Juni 1964, N. 44.3 ff. zu Art. 44; vgl. auch BRUNO
SCHÄDLER, Vermögensbewertung und Schuldenabzug bei Liegenschaften im
Privatvermögen und landwirtschaftlichen Grundstücken, Diss. Zürich 1972,
S. 141 ff.). Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, ist hier nicht
weiter zu erörtern. Zwar hat sich das Verwaltungsgericht zur steuerlichen
Bewertung der Liegenschaft bereits ebenfalls geäussert, doch bildet diese
Frage nicht Gegenstand des kantonalen Schätzungsverfahrens; sie wird im
Steuerveranlagungsverfahren noch zu prüfen sein.