Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 59



102 V 59

15. Urteil vom 6. Februar 1976 i.S. Helfenstein gegen Ausgleichskasse
des Kantons Thurgau und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die
AHV Regeste

    Kreis der unterstellten Betriebe und der zum Bezug von Familienzulagen
berechtigten Personen (Art. 1 Abs. 1 FLG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 7
Abs. 2 lit. a FLV). Gehören dazu auch eine Aktiengesellschaft,
welche landwirtschaftliche Güter produziert und vertreibt sowie mit
Grundstücken handeln kann (sog. gemischter Betrieb), und deren einziges
Verwaltungsratsmitglied?

Sachverhalt

    A.- Die Adolf Forster AG bezweckt gemäss Handelsregistereintrag
die Produktion von und den Handel mit landwirtschaftlichen Gütern,
insbesondere den Betrieb einer Geflügelfarm; die Gesellschaft kann
Grundstücke erwerben, verwalten und veräussern. Ihre Aktien gehören der
Fimola AG, deren Zweck im Handelsregister wie folgt umschrieben wird:
Beteiligung an Unternehmungen und Betrieben im In- und Ausland, Erwerb,
Verwaltung und Veräusserung von Grundstücken.

    Paul Helfenstein besitzt treuhänderisch für die Fimola AG eine Aktie
der Adolf Forster AG, deren einziges Verwaltungsratsmitglied er ist. Des
weitern gehört er zum mehrköpfigen Verwaltungsrat der Fimola AG.

    Am 4. Februar 1975 ersuchte er um Ausrichtung der Familienzulagen
für landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Er gab an, Geschäftsführer der
Adolf Forster AG zu sein und in dieser Eigenschaft einen Monatslohn von
Fr... zu erhalten.

    Die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau wies das Gesuch durch Verfügung
vom 21. April 1975 mit der Begründung ab, nach den Erläuterungen des
Bundesamtes für Sozialversicherung zum FLG könne dann nicht mehr von
Arbeitnehmern gesprochen werden, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb
unter der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt werde und die
Bewirtschafter mit den Aktionären bzw. Gesellschaftern zur Hauptsache
identisch seien.

    B.- Die Fimola AG führte gegen diese Verfügung Beschwerde und
beantragte, die Familienzulagen seien Paul Helfenstein zuzusprechen. Dieser
besitze nur treuhänderisch eine Aktie der Adolf Forster AG und sei daher
als deren Arbeitnehmer zu betrachten.

    Die Rekurskommission des Kantons Thurgau für die AHV wies die
Beschwerde am 20. Juni 1975 ab, und zwar mit folgender Begründung:
Paul Helfenstein könne, da er sowohl von der Adolf Forster AG als
auch von der Fimola AG nur je eine Pflichtaktie besitze, nicht
mit den beiden Gesellschaften identifiziert werden; vielmehr sei
er deren Arbeitnehmer. In dieser Eigenschaft verrichte er jedoch
nicht landwirtschaftliche Arbeiten. Die Adolf Forster AG betreibe 5-6
Geflügelfarmen; die Fimola AG verkaufe die Eier an Grossabnehmer. Unter
Berücksichtigung dieses Geschäftsumfanges müsse davon ausgegangen werden,
dass Paul Helfenstein zur Hauptsache die kaufmännischen Arbeiten der beiden
weitgehend zusammengehörenden Firmen besorge. Im übrigen handle es sich
bei der Adolf Forster AG nicht um einen landwirtschaftlichen Betrieb im
Sinne des FLG, da sie - abgesehen vom überdurchschnittlichen Handel mit
Geflügel und Eiern - gemäss Handelsregistereintrag auch noch bezwecke,
Grundstücke zu erwerben, zu verwalten und zu veräussern. Es widerspreche
der Zielsetzung des Gesetzes, Firmen mit einem derartigen Geschäftsbereich
einem eigentlichen landwirtschaftlichen Betrieb gleichzusetzen.

    C.- In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Paul Helfenstein
beantragen, er sei in bezug auf die Familienzulagen für landwirtschaftliche
Arbeitnehmer als anspruchsberechtigt zu erklären. Zur Begründung
wird folgendes vorgetragen: Die Bürotätigkeit betrage nur ca. 10%
der Arbeitszeit und beschränke sich auf Rapportmeldungen sowie auf
die Koordination der Produktion durch die Adolf Forster AG und des
Vertriebes durch die Fimola AG. Die übrige Arbeitszeit verbringe er in
den Geflügelfarmen, wo er aktiv mitarbeite Zudem sei die Adolf Forster
AG ein landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne des FLG, denn auch ein
mengenmässig überdurchschnittlicher Handel mit Geflügel und Eiern
stelle keinen Hinderungsgrund für die Unterstellung unter das Gesetz
dar. Der Grundstückhandel werde nur zur Erreichung des eigentlichen
Gesellschaftszweckes, nämlich der Geflügelzucht, betrieben.

    Die Ausgleichskasse und die Rekurskommission für die AHV des Kantons
Thurgau sowie das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Anspruch auf Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer
haben Personen, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb gegen Entgelt
in unselbständiger Stellung tätig sind (Art. 1 Abs. 1 FLG).

    a) Als landwirtschaftliche Betriebe, auf die das Bundesgesetz Anwendung
findet, gelten sämtliche Betriebe, die dem Anbau landwirtschaftlicher
Nutzpflanzen, dem Obst-, Wein- und Gemüsebau, der Viehhaltung und
Viehzucht, der Geflügel- und Bienenzucht dienen (Art. 7 Abs. 1 FLV). Nicht
anwendbar ist das Bundesgesetz u.a. auf Landwirtschaftsbetriebe, die
in enger betrieblicher Verbindung mit gewerblichen oder industriellen
Betrieben stehen, sofern der nichtlandwirtschaftliche Betrieb den
Hauptbetrieb darstellt (Art. 7 Abs. 2 lit. a FLV).

    b) In bezug auf den unterstellten Personenkreis und damit auf den
Begriff des landwirtschaftlichen Arbeitnehmers kommt es - im Gegensatz zur
frühern Regelung, welche auf die Art der Arbeit abstellte - nach Art. 1
Abs. 1 FLG in der Fassung gemäss Abänderungsgesetz vom 14. Dezember
1973, in Kraft seit 1. April 1974, nur noch auf die Qualifikation
des Betriebes an, in welchem die Tätigkeit verrichtet wird. Zweck der
Gesetzesänderung war die Beseitigung der Schwierigkeiten, denen man
früher bei der Ausscheidung der nichtlandwirtschaftlichen Arbeitnehmer
(z.B. Hilfspersonal der Verwaltung) vor allem in Verwalterbetrieben und
in landwirtschaftlichen Grossbetrieben begegnete (vgl. Botschaft des
Bundesrates vom 16. Mai 1973, BBl 1973 I 1429).

    Hingegen stellt der auf der Ermächtigungsnorm von Art. 1 Abs. 4 FLG
beruhende Art. 1 Abs. 1 FLV bei Arbeitnehmern, die in landwirtschaftlichen
und in nichtlandwirtschaftlichen Betrieben desselben Arbeitgebers
tätig sind, auf die Art der Arbeit ab; diese muss dann vorwiegend
landwirtschaftlichen Charakter besitzen. Als landwirtschaftliche
Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung gilt auch die üblicherweise in einem
landwirtschaftlichen Betrieb bzw. Betriebsteil anfallende kaufmännische
und administrative Arbeit.

Erwägung 2

    2.- a) Insoweit die Adolf Forster AG gemäss Handelsregistereintrag
die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern, insbesondere den
Betrieb von Geflügelfarmen bezweckt, handelt es sich bei ihr um einen
landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des FLG. Als Gesellschaftszweck
ist indessen auch der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen
aufgeführt. Diese Umschreibung weist nicht bloss auf den Verkauf der
eigenen Produkte hin - was im Regelfall noch in den Tätigkeitsbereich
eines landwirtschaftlichen Betriebes fällt -, sondern ebenfalls auf den
gewerbsmässigen An- und Verkauf nicht selber erzeugter Güter. Schliesslich
kann die Gesellschaft laut Handelsregister Grundstücke erwerben, verwalten
und veräussern. Auch diese Umschreibung des Gesellschaftszweckes lässt
gewerbsmässiges Handeln im Grundstücksektor zumindest als möglich
erscheinen.

    Es ergibt sich somit, dass die Adolf Forster AG - nach dem
Handelsregistereintrag zu schliessen - nicht ausschliesslich eine
landwirtschaftliche Tätigkeit bezweckt. Demgegenüber macht der
Beschwerdeführer geltend, es handle sich bei der Gesellschaft um einen
landwirtschaftlichen Betrieb, da sich die Handelstätigkeit auf den Verkauf
ihrer Produkte an die Fimola AG beschränke und Grundstückgeschäfte nur
im Hinblick auf den Betrieb der Geflügelfarmen abgeschlossen würden.

    Unter Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 2 lit. a FLV kann im
vorliegenden Fall die Frage offen bleiben, ob bei der Überprüfung der
Unterstellung eines Betriebes unter das FLG auf den Handelsregistereintrag
oder auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen
ist. Das Gesetz wäre nämlich selbst dann auf den landwirtschaftlichen
Betriebsteil (Hühnerfarmen) anzuwenden, wenn vom Gesamtbetrieb her gesehen
die nichtlandwirtschaftliche Tätigkeit (Handel mit landwirtschaftlichen
Gütern, eventuell mit Grundstücken) im Vordergrund stünde, weil unter
den gegebenen Umständen von einer engen betrieblichen Verbindung des
landwirtschaftlichen mit dem nichtlandwirtschaftlichen Betriebsteil
im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. a FLV nicht gesprochen werden könnte
(vgl. Rz. 77 f. der Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherung
in der Textausgabe zum FLG, gültig ab 1. April 1974).

    b) Auf Grund der Akten lässt sich die Frage nicht beantworten, ob der
Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als einziges Verwaltungsratsmitglied
und Geschäftsführer der Adolf Forster AG vorwiegend landwirtschaftliche
Arbeiten verrichtet und demnach als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer zu
qualifizieren ist oder nicht. Der Handelsregistereintrag gibt hierüber
keinen Aufschluss, da die Gesellschaftszwecke der landwirtschaftlichen
(Hühnerfarmen) und der nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeit (Handel mit
landwirtschaftlichen Gütern, eventuell mit Grundstücken) gleichwertig
nebeneinander figurieren. Selbst wenn aber der nichtlandwirtschaftliche
Bereich tatsächlich den Hauptzweck der Gesellschaft darstellen sollte,
wäre damit nicht ohne weiteres erwiesen, dass der Beschwerdeführer seine
Arbeit effektiv vorwiegend in diesem und nicht im landwirtschaftlichen
Sektor erbringt. Schliesslich lässt auch die Höhe des Lohnes keinen
eindeutigen Schluss auf die Art seiner Tätigkeit zu.

    Die Behauptung, Paul Helfenstein verrichte fast ausschliesslich
landwirtschaftliche Arbeiten, bedarf daher der näheren Abklärung durch
die Ausgleichskasse.

Erwägung 3

    3.- Die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau hat ihre Verfügung
vom 21. April 1975 mit dem Hinweis auf Rz. 5 der Erläuterungen des
Bundesamtes für Sozialversicherung begründet. Danach gelten auf dem
Gebiet des FLG die Bewirtschafter von landwirtschaftlichen Betrieben,
die unter der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt werden, nicht
als Arbeitnehmer, wenn sie mit den Aktionären zur Hauptsache identisch
sind (vgl. ZAK 1963 S. 45). Demgegenüber erachtete es die Vorinstanz
als glaubhaft, dass der Beschwerdeführer bei der Adolf Forster AG und
der Fimola AG nur je eine Pflichtaktie besitze, weshalb er nicht mit den
beiden Gesellschaften identifiziert werden könne. Sollten diesbezüglich
weiterhin Zweifel bestehen, könnte auch diese Frage in die angeordnete
Abklärung einbezogen werden.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der Entscheid der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die AHV
vom 20. Juni 1975 und die angefochtene Verfügung der Ausgleichskasse
des Kantons Thurgau vom 21. April 1975 aufgehoben werden und die Sache
zwecks weiterer Abklärung im Sinne der Erwägungen und neuer Verfügung an
die Ausgleichskasse zurückgewiesen wird.