Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 206



102 V 206

50. Auszug aus dem Urteil vom 30. November 1976 i.S. Gasser & Cie AG
gegen Ausgleichskasse der graphischen und papierverarbeitenden Industrie
der Schweiz und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen
Basel-Stadt Regeste

    Verwirkung der Rückerstattung zuviel bezahlter AHV-Beiträge.
Die am 1. Januar 1973 in Kraft getretene Verwirkungsnorm des Art. 16
Abs. 3 letzter Satz AHVG ist auch auf Ansprüche anzuwenden, welche vor
Inkrafttreten der neuen Regelung entstanden und fällig wurden; doch kann
die neue Verwirkungsfrist nicht vor diesem Inkrafttreten beginnen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- In der bis 31. Dezember 1972 gültig gewesenen Fassung lautete
die Verjährungsbestimmung des Art. 16 Abs. 3 AHVG wie folgt:

    "Der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Beiträge erlischt mit

    Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen

    Leistungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit Ablauf von
5 Jahren
   seit der Zahlung."

    Die im Rahmen der achten AHV-Revision beschlossene Gesetzesnovelle
vom 30. Juni 1972 liess die bisherige Fassung des Art. 16 Abs. 3 im
wesentlichen bestehen, wobei allerdings die absolute Verjährungsfrist jetzt
5 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres eintritt, in dem die Beitragszahlung
erfolgte. Sie fügte aber jener Fassung folgenden neuen Rechtssatz hinzu
(AS 1972 II S. 2485):

    "Sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge von Leistungen bezahlt
   worden, die der Wehrsteuer vom Reinertrag juristischer Personen
   unterliegen, so erlischt der Anspruch auf Rückerstattung mit Ablauf
   eines

    Jahres, nachdem die Steuerveranlagung rechtskräftig wurde."

    Diese Novelle trat am 1. Januar 1973 in Kraft, ohne dass sie einer
besondern Übergangsbestimmung unterworfen worden wäre.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin bestreitet vor dem Eidg.
Versicherungsgericht mit Recht nicht mehr, dass die Verjährungsbestimmung
des Art. 16 Abs. 3 AHVG in der neuen Fassung auch auf die
Rechtsverhältnisse anzuwenden ist, welche vor deren Inkrafttreten
bereits bestanden. Zwar gilt in der Rechtsordnung im allgemeinen
gestützt auf Art. 1 SchlTZGB der Grundsatz der Nichtrückwirkung des neuen
Rechts. Dieser Grundsatz erleidet aber u.a. gerade im Verjährungsrecht
eine Ausnahme (vgl. Art. 49 SchlTZGB). Es ist allgemein anerkannt und
ergibt sich aus dem Zweck der Verjährung, die Rechtssicherheit durch
Befristung der Ausübung der Verjährung zu wahren, dass eine Ordnung,
welche eine Verjährung neu einführt oder ändert, auch auf Ansprüche
anwendbar ist, die vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung entstanden
und fällig geworden sind. Immerhin erfordert der Schutz der bestehenden
Rechte, dass in solchen Fällen die neue Verjährungsfrist nicht vor dem
Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem sie eingeführt wird, also nicht vor dem
Inkrafttreten des neuen Rechts (BGE 87 I 413, 82 I 57 f.; IMBODEN/RHINOW,
Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. I, Nr. 15, B III d; MUTZNER,
Komm. N. 7 zu Art. 49 SchlTZGB; HAFNER, Komm. N. 5a zu Art. 883 aOR).