Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 158



102 V 158

37. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1976 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen Müller und Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden Regeste

    Art. 42 Abs. 2 lit. c AHVG. Keine Anwendung des Art. 32 Abs.  3 AHVG
bei Ablösung der ausserordentlichen einfachen Altersrente der Ehefrau
durch die niedrigere Ehepaar-Altersrente.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- Mit Verfügung vom 27. April 1971 wurde der am 29. August 1904
geborenen, in S. GR heimatberechtigten Maria Müller, welche sich mit ihrem
Ehemann während knapp 40 Jahren bis anfangs Juni 1969 in Deutschland
aufgehalten hatte und der freiwilligen AHV für Auslandschweizer nicht
beigetreten war, gestützt auf Art. 42 Abs. 2 lit. c AHVG mit Wirkung ab
1. Juni 1969 eine ausserordentliche einfache Altersrente zugesprochen,
die sich 1975 auf Fr. 500.-- belief.

    Am 25. Oktober 1975 vollendete ihr Ehemann, der deutsche
Staatsangehörige Fritz Müller, der seit Juni 1969 regelmässig AHV-Beiträge
entrichtet hatte, das 65. Altersjahr. Durch Verfügung vom 21. Oktober
1975 sprach ihm die Ausgleichskasse eine ab 1. November 1975 laufende
Ehepaar-Altersrente von monatlich Fr. 218.-- zu (Rentenskala 10);
massgebend für die Berechnung dieser Rente war ein durchschnittliches
Jahreseinkommen von Fr. 14'400.-- aus 5 Jahren und 5 Monaten.

    Demzufolge fiel die ausserordentliche Altersrente für die Ehefrau
auf Ende Oktober 1975 weg.

    B.- Beschwerdeweise beantragte Fritz Müller, die Verfügung vom
21. Oktober 1975 sei aufzuheben und die seiner Ehefrau bisher ausgerichtete
einfache ausserordentliche Altersrente sei als Ehepaar-Altersrente weiter
zu gewähren. Er machte geltend, es sei ungerecht und stossend, dass die
Versicherung im Zeitpunkt seines Eintrittes ins AHV-Rentenalter ihm und
seiner Ehefrau zusammen weniger bezahle als vorher an die Ehefrau allein.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess durch Entscheid vom
5. Dezember 1975 die Beschwerde gut, hob die angefochtene Kassenverfügung
auf und sprach Fritz Müller eine Altersrente in der Höhe von Fr. 500.--
monatlich zu. Das Gericht stellte fest, es liege eine Gesetzeslücke vor,
die in analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG auszufüllen sei. Dem
Versicherten sei somit zu seiner Ehepaar-Altersrente ein Zuschlag bis zum
Betrag der früheren ausserordentlichen Altersrente der Ehefrau zu gewähren.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das
Bundesamt für Sozialversicherung den Antrag, der kantonale Entscheid
sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Eine von keiner gesetzlichen Einkommensgrenze abhängige
ausserordentliche Rente erhalten laut Art. 42 Abs. 2 lit. c AHVG die im
Inland wohnenden verheirateten Schweizerinnen, "solange der Ehemann keine
Ehepaar-Altersrente beanspruchen kann".

    Diese Vergünstigung geniessen nur die Frauen, deren Ehemann das 65.
Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat (Art. 21 Abs. 1 lit. a AHVG),
nach der Vollendung aber voraussichtlich eine Ehepaar-Altersrente
zu beanspruchen haben wird. Art. 42 Abs. 2 lit. c AHVG soll in den
Ausnahmefällen, da der Ehemann das für den Bezug einer Rente erforderliche
Alter noch nicht erreicht hat, eine Lücke schliessen, indem der Frau
vom erreichten Rentenalter an (Art. 21 Abs. 1 lit. b AHVG) bis zur
Fälligkeit der Ehepaar-Altersrente eine von keiner Einkommensgrenze
abhängige ausserordentliche einfache Altersrente zugesprochen wird (EVGE
1959 S. 256 lit. b).

    Die Vorinstanz verkennt dies nicht, glaubt jedoch, dass in einem
solchen Fall Art. 32 Abs. 3 AHVG analog anzuwenden sei. Laut dieser,
anlässlich der 8. AHV-Revision mit Wirkung ab 1. Januar 1973 neu
ins Gesetz aufgenommenen Bestimmung wird zur Ehepaar-Altersrente ein
Zuschlag bis zum Betrag der einfachen Altersrente der Ehefrau gewährt,
wenn ihre ausschliesslich auf Grund ihrer eigenen Erwerbseinkommen
und Beitragsjahre berechnete einfache Altersrente höher wäre als die
Ehepaar-Altersrente. Dieser Zuschlag wird allerdings nach dem klaren
Wortlaut von Art. 32 Abs. 3 AHVG nur gewährt, wenn die Ehefrau bis zum
Entstehen des Anspruchs auf die Ehepaar-Altersrente eine ordentliche
einfache Altersrente beanspruchen konnte. Nach Meinung der Vorinstanz
darf indessen in einem Fall wie dem vorliegenden nicht allein auf den
Gesetzeswortlaut abgestellt werden: es könne nicht der Sinn des Gesetzes
sein, einem Ehepaar eine Rente auszurichten, welche nicht einmal die
Hälfte der von der Ehefrau früher allein bezogenen ausserordentlichen
Rente ausmacht. Unter diesen Umständen müsse angenommen werden, bei der
8. AHV-Revision habe man nur an den in Art. 32 Abs. 3 AHVG normierten
Fall gedacht, den hier zu beurteilenden, an sich gleich gelagerten jedoch
nicht beachtet. Es liege somit eine echte Gesetzeslücke vor, die in
dem Sinne zu füllen sei, dass in analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 3
AHVG dem versicherten Ehepaar der dort erwähnte Zuschlag bis zum Betrag
der ausserordentlichen Altersrente der Ehefrau zu gewähren sei. Dieser
Auffassung kann indessen - wie das Bundesamt für Sozialversicherung in
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht darlegt - nicht beigepflichtet
werden.

Erwägung 2

    2.- a) Nach der Rechtsprechung konnte der Ehemann bis zur 8.
AHV-Revision auf die als Teilrente niedrigere Ehepaar-Altersrente zu
Gunsten der weiteren Ausrichtung der von der Ehefrau bezogenen höheren
ordentlichen einfachen Altersrente verzichten (EVGE 1962 S. 298,
1969 S. 211). Ferner bestand bis Ende 1972 laut Art. 30bis AHVG in
Verbindung mit Art. 54 AHVV die Möglichkeit der ersatzweisen Anrechnung
von Beitragsjahren und Erwerbseinkommen der Ehefrau bei unvollständiger
Beitragsdauer des Ehemannes. Sowohl der Verzicht auf die niedrigere
Ehepaar-Altersrente als auch die erwähnte Sonderregelung setzten jedoch
voraus, dass die Ehefrau eine ordentliche Rente beanspruchen konnte. Die
auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretene neue Berechnungsregel für die
Ehepaar-Altersrente fasste diese beiden Ordnungen in "systemkonformer
Weise" zusammen (Botschaft des Bundesrates betreffend die 8. AHV-Revision
vom 11. Oktober 1971, BBl 1971 II S. 1127/1128).

    b) In EVGE 1964 S. 229 Erw. 2 erklärte das Eidg. Versicherungsgericht,
es erscheine als zweifelhaft, ob ein Verzicht auf den Bezug der
Ehepaar-Altersrente zur Weitergewährung der (höheren) ausserordentlichen
Altersrente an die Ehefrau führen könne, weil das im Spiele stehende
Interesse kaum in etwas anderem bestehen dürfte als in der Umgehung der
Einkommensgrenzen. Immerhin liess das Gericht diese Frage offen, denn
ein Verzicht auf die Realisierung des Ehepaar-Rentenanspruches vermöge
auf jeden Fall nichts daran zu ändern, dass das Privileg der Ehefrau, die
ausserordentliche Rente unabhängig von der Einkommensgrenze zu beziehen,
mit der Erreichung des AHV-Rentenalters durch den Ehemann dahinfalle
(nicht veröffentlichtes Urteil Bertschi vom 22. März 1973). Daran ist
festzuhalten. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung zudem mit Recht
ausführt, würde die Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG bei Ablösung der
ausserordentlichen einfachen Altersrente der Ehefrau durch die niedrigere
ordentliche Ehepaar-Altersrente die geltende Teilrentenordnung aushöhlen.

    c) Aus dem Gesagten folgt, dass es - entgegen der Auffassung der
Vorinstanz - dem klaren Wortlaut von Art. 32 Abs. 3 AHVG und dem Willen
des Gesetzes widersprechen würde, dem Beschwerdegegner anstelle seiner
beitragsbezogenen, auf dem Versicherungsprinzip beruhenden Teilrente den
Betrag der vorher von seiner Ehefrau bezogenen, beitragsunabhängigen,
auf dem Versorgungsprinzip basierenden ausserordentlichen Altersrente
zu garantieren.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 5. Dezember 1975 sowie
die angefochtene Kassenverfügung vom 21. Oktober 1975 aufgehoben.