Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 V 131



102 V 131

29. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1976 i.S. Krankenkasse
Gelterkinden gegen Schaub und Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Landschaft Regeste

    Begriff der Krankheit und des Unfalls (Art. 12 KUVG). Ein durch
intermittierenden Blutdruckabfall verursachter Sturz mit Beinbruch
ist Unfallfolge. Dafür haftet eine nur gegen Krankheit versichernde
Krankenkasse nicht.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- Die 1885 geborene Frieda Schaub zog sich am 7. Juni 1975 eine
Schenkelhalsfraktur zu, als sie sich von einem Sofa erheben wollte
und dabei stürzte. Zehn Tage nach dem Vorfall attestierte Dr. med. X,
die Patientin leide seit langem an schwerer Cerebralsklerose mit
intermittierendem Blutdruckabfall; am 7. Juni 1975 sei es "während des
Aufstehens offenbar zu einem kurzdauernden Bewusstseinsverlust" gekommen,
welcher den Sturz zur Folge gehabt habe.

    Mit Verfügung vom 14. Oktober 1975 lehnte die Krankenkasse
Gelterkinden, bei welcher Frieda Schaub gegen Krankheit (nicht aber gegen
Unfall) versichert ist, ihre Leistungspflicht ab.

    B.- Frieda Schaub liess durch ihre Grosstochter Beschwerde erheben. Das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft kam zum Schluss, es
liege ein ärztlich bestätigter Krankheitszustand vor, "der den Sturz und
die dadurch bedingte Schädigung der Gesundheit verursacht" habe, weshalb
nicht mehr von einem Unfall gesprochen werden könne. Mit Entscheid vom
17. Dezember 1975 wurde daher die Verfügung vom 14. Oktober 1975 aufgehoben
und die Krankenkasse verpflichtet, ihre Leistungen zu erbringen.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
die Krankenkasse Gelterkinden Aufhebung des kantonalen Urteils sowie
Wiederherstellung ihrer Verfügung.

    Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass rechtlich - ungeachtet der
"inneren Ursachen" des Sturzes - ein Unfall vorliege.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    a) In ständiger, von der Lehre anerkannter Rechtsprechung
qualifiziert das Eidg. Versicherungsgericht als Unfall die plötzliche,
nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines mehr oder weniger
ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper (BGE
100 V 78 f., 99 V 138, 98 V 166, 97 V 2; MAURER, Recht und Praxis der
schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl. S. 86). Dieser
Unfallbegriff dient zur (negativen) Umschreibung des Krankheitsbegriffes
und damit zur Abgrenzung der sozialen Unfall- gegenüber der sozialen
Krankenversicherung. Als Krankheit gilt somit eine Schädigung der
physischen oder psychischen Gesundheit, die nicht auf einen Unfall oder
dessen direkte Folgen zurückzuführen ist (BGE 97 V 2). Es besteht de lege
lata kein Anlass, von dieser bewährten Abgrenzungspraxis abzuweichen,
auch wenn in der privaten Unfallversicherung Körperverletzungen, die
durch Krankheitszustände verursacht werden, im allgemeinen nicht als
Unfälle gelten.

    b) Im vorliegenden Fall fragt es sich, ob die Schenkelhalsfraktur,
welche sich Frieda Schaub bei einem Sturz zuzog, die Folge eines Unfalles
oder aber ihres krankhaften Zustandes war.

    Unmittelbare und adäquat kausale Ursache der Schenkelhalsfraktur war
der Sturz der Versicherten. Dieser erfüllt ungeachtet dessen, ob er sich
wegen eines Schwindelanfalles ereignete oder nicht - die Voraussetzungen
des Unfallbegriffs. Somit gehört der Fall grundsätzlich in das Gebiet
der Unfallversicherung. Anders wäre zu entscheiden, wenn sich aus
der Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustandes der Beschwerdegegnerin
ergäbe, dass der Sturz gegenüber der bei der Versicherten bestehenden
Cerebralsklerose und ihren Auswirkungen als Ursache in den Hintergrund
träte. Die Cerebralsklerose mit intermittierendem Blutdruckabfall kann
indessen nicht als "entscheidende physiologische Ursache" (EVGE 1945 S. 93)
der Schenkelhalsfraktur betrachtet werden. Ohne das Unfallereignis des
Sturzes führt die Cerebralsklerose nicht zu derartigen Frakturen; und
umgekehrt treten solche Frakturen auch ohne diese Krankheit auf. Die
Schenkelhalsfraktur ist mithin kein typischer Gesundheitsschaden,
der "erfahrungsgemäss auch als alleinige Folge" (BGE 99 V 138) von
Cerebralsklerose auftreten kann. Die Bedeutung dieses krankhaften Zustandes
erschöpft sich in der Ermöglichung oder Begünstigung des Unfallereignisses;
er hat den durch dieses Ereignis bewirkten Schaden nur mittelbar verursacht
(vgl. MAURER, aaO, S. 107 f. und 295).

    Die Schenkelhalsfraktur, welche die Versicherte erlitt, ist somit
die Folge eines Unfalles und nicht die - rechtlich relevante - Folge
einer Krankheit. Die Beschwerdeführerin, welche Frieda Schaub nur gegen
Krankheit, nicht aber gegen Unfall versichert, ist daher für den streitigen
Schaden nicht leistungspflichtig.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Dezember
1975 aufgehoben.