Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 74



102 IV 74

19. Urteil des Kassationshofes vom 14. Mai 1976 i.S. Conconi gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    1. Art. 13 Abs. 1 und 44 StGB und 277 BStP.

    Begeht ein Drogensüchtiger Straftaten, so muss sich der kantonale
Richter ausdrücklich dazu äussern, ob eine Untersuchung des Täters
hinsichtlich seiner Zurechnungsfähigkeit und der Massnahmebedürftigkeit
erforderlich ist (Erw. 1).

    2. Begriff des fortgesetzten Deliktes.

    Das fortgesetzte Delikt setzt Gleichartigkeit der einzelnen Delikte
voraus; dazu gehört auch, dass es nach Ort und Zeit eine gewisse Einheit
bildet (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Das Strafgericht Basel-Stadt sprach Alberto Conconi mit Urteil vom
22. April 1975 der wiederholten und fortgesetzten, teilweise qualifizierten
Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel sowie des
Diebstahls schuldig und verurteilte ihn u.a. zu 5 3/4 Jahren Zuchthaus
unter Einrechnung der Sicherheitshaft.

    B.- Auf Appellation des Verurteilten hin bestätigte das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt das erstinstanzliche Urteil mit
der Abänderung, dass es das Verfahren wegen Konsums von Betäubungsmitteln
zufolge Verjährung einstellte und die Einziehung der beschlagnahmten
Gegenstände nach Art. 58 Abs. 1 StGB anordnete.

    C.- Conconi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die kantonalen Behörden
hätten zu Unrecht darauf verzichtet, seine Zurechnungsfähigkeit und
Behandlungsbedürftigkeit gemäss Art. 13 und 44 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
untersuchen zu lassen.

    a) Im kantonalen Verfahren wurde die Zurechnungsfähigkeit des
Beschwerdeführers von keiner Seite angezweifelt; auch von einer
Behandlungsbedürftigkeit war nicht die Rede. Weder Conconi selber noch
der Staatsanwalt und die beiden kantonalen Gerichte haben diese Fragen
aufgeworfen. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird zum ersten Mal eine
Begutachtung beantragt. Das hindert indessen das Bundesgericht nicht,
auf die Beschwerde einzutreten, soweit sich die Rüge auf Tatsachen
stützen kann, die im kantonalen Verfahren festgestellt wurden; denn der
Kassationshof wendet Bundesrecht von Amtes wegen an.

    b) Gemäss Art. 13 Abs. 1 StGB ordnet die urteilende Behörde
eine Untersuchung des Angeklagten an, wenn sie Zweifel an dessen
Zurechnungsfähigkeit hat oder wenn nach den Umständen des Falles
ernsthafter Anlass zu solchen Zweifeln besteht (BGE 98 IV 157 Erw. 1).

    Aufgrund der Feststellungen der kantonalen Gerichte war der
Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Taten drogensüchtig. Er hat von 1968
an während ungefähr fünf Jahren mit kurzen Unterbrüchen bis zu seiner
Verhaftung im Oktober 1973 nicht nur Amphetamine, sondern auch Haschisch
und Morphin konsumiert. Angesichts dessen wird in der Beschwerde unter
Berufung auf psychiatrische Fachliteratur die Auffassung vertreten,
mit der Drogenabhängigkeit und der zunehmenden Intoxikation komme es zu
psychischen Wesensveränderungen, die im Grunde viel verheerender seien als
die somatische Schädigung. Daher sei eine Prüfung der Zurechnungsfähigkeit
nötig.

    Heute ist allgemein anerkannt, dass die Drogenabhängigkeit zu
schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen und damit zusammenhängend
zur Verwahrlosung und Kriminalität führen kann (allgemein dazu
GÖPPINGER, Kriminologie, 2. Auflage, 1973, S. 170 ff.; ferner das nicht
veröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 16.12.1974 in Sachen
J.). Aufgrund dieser Erkenntnis ist der Richter verpflichtet, im Falle
des Drogenkonsums zu prüfen, ob Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit
des Angeklagten gegeben sind. Ob diese Forderung im vorliegenden
Falle erfüllt wurde, ist aus den beiden kantonalen Urteilen nicht
ersichtlich. Sie schweigen sich vielmehr - wie bereits erwähnt - über
die Frage der Zurechnungsfähigkeit völlig aus. Unter diesen Umständen
wird es dem Kassationshof verunmöglicht, die Anwendung von Art. 13 StGB
zu überprüfen. Demnach muss die Beschwerde dahin gutgeheissen werden,
dass das angefochtene Urteil gemäss Art. 277 BStP aufgehoben und die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird mit der Weisung, entweder
eine Begutachtung anzuordnen oder zu begründen, weshalb hiezu keine
Veranlassung bestehe.

    c) Art. 13 Abs. 1 StGB schreibt ferner vor, dass eine Untersuchung des
Beschuldigten anzuordnen sei, wenn zum Entscheid über die Anordnung einer
sichernden Massnahme Erhebungen über dessen körperlichen oder geistigen
Zustand nötig sind (siehe auch Art. 44 Ziff. 1 Abs. 2 StGB).

    Die hier zur Diskussion stehende Massnahme des Art. 44 StGB
setzt u.a. voraus, dass der Täter drogensüchtig ist und die von ihm
begangene Tat damit im Zusammenhang steht. Ferner muss die Massnahme
notwendig und geeignet sein, die Gefahr künftiger Verbrechen oder
Vergehen zu verhüten (Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Ziff. 6). Dass
diese Voraussetzungen von vorneherein nicht gegeben wären, ergibt sich
aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht. Vielmehr
wird im angefochtenen Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der
Beschwerdeführer drogensüchtig war. Es kann auch keineswegs zum voraus
ausgeschlossen werden, dass die begangenen Taten mit der festgestellten
Drogenabhängigkeit zusammenhängen. Auch der Umstand, dass heute offenbar
keine körperliche Drogenabhängigkeit mehr besteht, spricht nicht unbedingt
gegen die Notwendigkeit einer Massnahme, um die Gefahr weiterer Verbrechen
oder Vergehen zu verhüten. Da sich nun aber das vorinstanzliche Urteil
trotz diesen Umständen über die Frage der Massnahmebedürftigkeit nicht
ausspricht, muss es auch in diesem Punkte aufgehoben und die Sache an die
Vorinstanz zurückgewiesen werden (Art. 277 BStP). Das Appellationsgericht
hat entweder eine Begutachtung hinsichtlich der Massnahmebedürftigkeit
anzuordnen oder zu begründen, weshalb ein solches Gutachten nicht
erforderlich sei.

Erwägung 2

    2.- Im weiteren rügt Conconi eine Verletzung von Art. 68
StGB. Nach seiner Ansicht hätten seine Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz nicht als wiederholte Tatbegehung, sondern nur
als eine fortgesetzte Tat betrachtet werden dürfen.

    a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein fortgesetztes
Delikt vor, wenn gleichartige oder ähnliche Handlungen, die gegen das
gleiche Rechtsgut gerichtet sind, auf ein und denselben Willensentschluss
zurückgehen (BGE 92 I 118 Erw. 2 am Ende und 90 IV 131 mit Verweisungen).

    Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer u.a. wegen wiederholter (und)
fortgesetzter qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
verurteilt. Sie hat dabei seinen Drogenhandel in vier Gruppen nach dem
jeweiligen Beschaffungsort (Basel, Deutschland, Kabul und Amsterdam)
aufgeteilt. Diese Unterscheidung wird damit begründet, Conconi habe neben
dem Einkauf in Basel verschiedene auswärtige Umschlagsplätze für den
Drogenkauf aufgesucht. Solche Reisen hätten jeweils neue Überlegungen
hinsichtlich der künftigen Beschaffungs- und Transportmöglichkeiten
erfordert.

    b) Demgegenüber wendet die Beschwerde ein, Überlegungen hinsichtlich
Beschaffungs- und Transportmöglichkeiten seien nicht identisch mit dem
Willensentschluss. Der einheitliche Willensentschluss beziehe sich generell
darauf, sich in irgendeiner Form gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
vergehen. Der Beschwerdeführer habe irgendwann im Jahr 1972 oder eventuell
noch früher den Entschluss gefasst, sich gegen das Betäubungsmittelgesetz
zu vergehen, und danach die sich ergebenden Möglichkeiten genützt. Dabei
habe er allenfalls den Willensentschluss erneuert, aber nie aufgegeben
und neu gefasst.

    Der Beschwerdeführer verkennt hier, dass noch kein einheitlicher
Willensentschluss im Sinne der Rechtsprechung vorliegt, wenn sich
der Täter lediglich vornimmt, zahlreiche gleichartige Straftaten zu
verüben, deren Ausführung nach Art, Zeit und Ort aber ungewiss ist
(vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 18. Auflage, 1976, N. 37
vor §§ 52 ff.). Der einheitliche Willensentschluss muss sich auf eine
objektive Sachlage beziehen, welche nach natürlicher Betrachtungsweise als
gleichartig angesehen werden kann (BGE 83 IV 161). Dazu ist erforderlich,
dass die einzelnen Taten nach Ort und Zeit eine gewisse Einheit
bilden und vom Gesamtvorsatz umfasst werden (JESCHECK, Lehrbuch des
Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, 1972, S. 544 f.). Wendet man
diesen Grundsatz auf den vorliegenden Fall an, so wird im angefochtenen
Urteil diesbezüglich keine Verletzung von Bundesrecht ersichtlich. Den
umfangreichen Drogenhandel des Beschwerdeführers nach den Kauforten
zu trennen, entspricht durchaus einer natürlichen Betrachtungsweise.
Wohl wurden die an verschiedenen Orten erworbenen Drogen in Basel
abgesetzt; die Beschaffung des Stoffes im Ausland bedeutet aber eine
erhebliche Ausweitung des ursprünglich lokal beschränkten Handels
und bedingte demzufolge neue Pläne und Reisen sowie die Anknüpfung
neuer Beziehungen. Die Einteilung nach Kauforten ist auch geeignet,
die durch das hängige Verfahren erfasste Kriminalität zu konkretisieren
und die Rechtskraft des Urteils abzugrenzen. Sie erfüllt somit auch die
praktische Aufgabe, welcher die Figur des fortgesetzten Deliktes dient
(siehe SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage,
1964, Nr. 330), ohne die in Art. 68 StGB vorgesehene Strafschärfung für
Realkonkurrenz allzu sehr einzuschränken.

Entscheid:

              Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise
gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 29. Oktober 1975 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an
die Vorinstanz zurückgewiesen.