Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 62



102 IV 62

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Januar 1976 in Sachen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen X. Regeste

    1. Art. 277 BStP: Wenn das angefochtene Urteil sich hinsichtlich einer
bundesrechtlich erheblichen Tatfrage widerspricht, muss die Sache an die
kantonale Behörde zurückgewiesen werden (Erw. 2a).

    2. Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB: Voraussetzungen für eine günstige
Prognose (Erw. 3b).

Sachverhalt

    A.- X. wurde vom Geschwornengericht des Kantons Aargau am 18.
März 1975 wegen fortgesetzter Hehlerei zu 15 1/2 Monaten Gefängnis als
Zusatzstrafe verurteilt und für vier Jahre des Landes verwiesen; der
Vollzug beider Strafen wurde auf vier Jahre bedingt aufgeschoben.

    B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Staatsanwaltschaft,
X. sei wegen fortgesetzter Hehlerei und fortgesetzt gegen die nämliche
Person verübter Erpressung zu verurteilen; ferner sei der bedingte
Strafvollzug zu verweigern.

    Krautgartner beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- ...

    a) ...Nur offensichtlich auf Versehen beruhende Feststellungen
berichtigt der Kassationshof von Amtes wegen (Art. 277bis Abs. 1 Satz
2 BStP). Er greift sodann ein, wenn die Feststellung unter Verletzung
bundesrechtlicher Beweisregeln zustande gekommen ist (Art. 249 BStP);
ferner wenn eine Entscheidung an derartigen Mängeln leidet, dass die
Gesetzesanwendung nicht überprüft werden kann (Art. 277 BStP). Das
trifft auch dann zu, wenn das angefochtene Urteil sich hinsichtlich
einer bundesrechtlich erheblichen Tatfrage widerspricht; denn dadurch
bleibt offen, gestützt auf welche Tatvariante Bundesrecht anzuwenden
ist. Diese Lösung verdient den Vorzug gegenüber einer anderen Möglichkeit,
wonach auf die Feststellung abzustellen wäre, welche das Gericht gerade im
Zusammenhang mit der zu überprüfenden Frage gemacht hat. Soweit in BGE 76
IV 202 Nr. 42 etwas anderes gesagt wird, ist daran nicht festzuhalten. Es
hängt nämlich vom Zufall ab, ob das Bundesgericht die Rechtsanwendung
auch hinsichtlich der anderen (widersprechenden) Feststellung überprüfen
muss. Die Frage ist vor allem von Bedeutung, wenn - wie im vorliegenden
Fall - der Staatsanwalt, dem die Willkürbeschwerde nach Art. 4 BV nicht
zusteht, das Rechtsmittel einlegt.

Erwägung 3

    3.- ...

    b) ...Die Vorinstanz hat die günstige Prognose nur mit "gewissen
Bedenken" bejaht. Sie hebt hervor, zwei der vier Vorstrafen liessen
auf mangelndes Verantwortungs- und Pflichtgefühl schliessen. Das erneute
strafbare Verhalten bestätige diesen Mangel. Der Beschwerdegegner habe sich
überdies durch hartnäckiges Leugnen kaltblütig über die hier beurteilten
Delikte hinweggesetzt und dabei nicht nur ein erhebliches Mass an fehlender
Einsicht bekundet, sondern auch Zweifel an seiner dauerhaften inneren
Besserung aufkommen lassen. Die Probezeit setzte das Geschwornengericht
angesichts der objektiven und subjektiven Schwere der Tat und der bis anhin
bekundeten Uneinsichtigkeit auf vier Jahre an. Noch schwerer belastet den
Beschwerdegegner die Feststellung, welche die Vorinstanz im Zusammenhang
mit der Strafzumessung macht. So wird ihm vorgehalten, er habe sich während
des ehelichen Zusammenlebens mit der Mitangeklagten V. als skrupelloser
Ausbeuter des ertrogenen Geldes erwiesen, zumal der unverhältnismässige
Lebensaufwand, der die Betrügereien und Fälschungen erforderlich gemacht
hätte, auf sein Betreiben hin geführt worden sei. Aus den Scheidungsakten
ergebe sich, dass er sich rücksichtslos gegen den auf eine ehekonforme
Lebensführung gerichteten Willen der Mitangeklagten durchgesetzt habe. Auch
charakterlich könne er nicht günstig beurteilt werden. Gegen seine und
andere Frauen sei er psychisch grausam und verantwortungslos gewesen.

    Wenn die Vorinstanz ihm trotzdem den bedingten Strafvollzug gewährte,
so geschah es deshalb, weil er sich bisher in seinem Beruf voll eingesetzt
habe. Vom Strafmass her gesehen habe er nicht in schwerwiegender Weise
gegen das Gesetz verstossen. Deshalb billige ihm das Gericht zu, dass
er sich durch eine erneute, einschneidende Freiheitsstrafe vor weiteren
Delikten abschrecken lasse.

    Diese Begründung reicht indessen für die Gewährung des bedingten
Strafvollzuges offensichtlich nicht aus. Denn allein aus der Bewährung
am Arbeitsplatz kann - auch wenn es sich hierbei um einen wesentlichen
Faktor für das Prognoseurteil handelt - nicht geschlossen werden, dass der
Beschwerdegegner in Zukunft nicht mehr straffällig werde. Vielmehr lassen
sein Vorleben, sein Charakter und seine Einsichtslosigkeit, so wie sie
im vorinstanzlichen Urteil geschildert werden, keine günstige Prognose
zu. Dass in neuester Zeit in der Einstellung des Beschwerdegegners zu
Mitmenschen oder in seinen Lebensverhältnissen Wandlungen eingetreten
wären, welche eine dauerhafte Besserung erwarten lassen, wird nicht
dargetan.