Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 35



102 IV 35

10. Urteil des Kassationshofes vom 20. Januar 1976 in Sachen Knaut gegen
Metzger und Borgert. Regeste

    Ein Pressedelikt im Sinne von Art. 27 StGB kann auch dann in der
Schweiz verfolgt werden, wenn das Presseerzeugnis zwar im Ausland
herausgegeben und gedruckt, aber in der Schweiz verbreitet wurde
(Art. 346 ff. StGB).

Sachverhalt

    A.- Am 25. März 1972 erschien in Nr. 13 der Zeitschrift "Neue
Illustrierte Revue", Heinrich Bauer Verlag, Hamburg auf den Seiten
86-89 ein bebilderter Artikel unter dem Titel "Die Botschaft aus der
Geisterwelt", der zur Hauptsache über angebliche Vorgänge in der "Abtei
Thelema" in Stein/AR berichtete.

    B.- Hermann Metzger, Schriftsteller, Zürich, und Anita Borgert,
Geschäftsführerin, Stein/AR, die im erwähnten Artikel mit Namen
genannt worden waren, klagten gegen den als verantwortlich zeichnenden
Redaktor Dr. Walter Kunze, Stuttgart, und den Journalisten Horst Knaut
(Schwarzenbach/BRD) wegen Ehrverletzung.

    Die Verteidigung erhob gegen die Klage die Einrede der örtlichen
Unzuständigkeit, weil die Tat im Ausland begangen worden sei. Ferner
machte sie geltend, infolge des Rückzugs der Klage gegen Dr. Kunze fehle
ein gültiger Strafantrag.

    Mit Vorfrageentscheid vom 11. September 1975 hat das Kantonsgericht
von Appenzell A.Rh., 1. Abteilung, beide Prozesseinreden abgewiesen.

    C.- Auf Appellation von Horst Knaut hat das Obergericht des Kantons
Appenzell A.Rh. die Einrede der Unzuständigkeit gänzlich, die Einrede
des Rückzuges des Strafantrags im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

    D.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde vom 5. November bzw. 10./11. Dezember
1975 beantragt der Beschwerdeführer, das Urteil des Obergerichtes sei
aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung in dem Sinne an die
Vorinstanz zurückzuweisen, dass das Strafverfahren "infolge mangelnder
örtlicher Unzuständigkeit" (gemeint "infolge örtlicher Unzuständigkeit")
sowie infolge Rückzugs des Strafantrages eingestellt werde.

    Die Beschwerdegegner beantragen, auf die Beschwerde nicht einzutreten,
soweit sie die Einstellung wegen Rückzugs des Strafantrags verlange;
im übrigen sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht
ist gegen Rückweisungsentscheide der letzten kantonalen Instanz über
präjudizielle Fragen nicht zulässig, wenn der Rückweisungsentscheid bloss
prozessleitenden Charakter hat, die präjudizielle Frage also im kantonalen
Verfahren noch nicht endgültig entschieden wurde, die letzte kantonale
Instanz somit auf die Frage zurückkommen kann (BGE 68 IV 113, 72 IV 89,
80 IV 177 E. 1 und 83 IV 211).

    Ein solcher Fall liegt hier vor, soweit der Beschwerdeführer
geltend macht, der Rückzug des Strafantrages gegen Dr. Kunze habe
gemäss Art. 31 Abs. 3 StGB zur Folge, dass der Strafantrag auch gegen
ihn selber dahingefallen sei. Die Vorinstanz hat diese präjudizielle
Frage weder im positiven noch im negativen Sinne entschieden, sondern
vielmehr die Beschwerde diesbezüglich in dem Sinne abgewiesen, "dass die
"Vorfrage" des Rückzugs des Strafantrages erst entschieden werden kann,
wenn das Gericht (gemeint: die erste Instanz) festgestellt hat, welche
Äusserungen Dr. Kunze mitzuverantworten hat, inwiefern seine Teilnahme über
eine rein redaktionelle Tätigkeit hinausging sowie ob ihm überhaupt ein
Verschulden zur Last gelegt werden kann". Den Entscheid über die Frage,
ob der Rückzug des Strafantrags gegen Dr. Kunze bewirke, dass auch der
Strafantrag gegen den Beschwerdeführer dahingefallen sei, hat sich die
Vorinstanz somit ausdrücklich vorbehalten und die erste Instanz angehalten,
zu diesem Zwecke zuerst die nötigen Beweise zu erheben. Der angefochtene
Entscheid ist insoweit lediglich eine prozessleitende Verfügung im Sinne
der erwähnten Rechtsprechung. Auf die Beschwerde kann daher in diesem
Punkte nicht eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die schweizerischen
Gerichte seien örtlich unzuständig. Das Presseerzeugnis, in welchem die
eingeklagten Äusserungen enthalten seien, sei im Ausland gedruckt und
herausgegeben worden. Nach Art. 347 StGB sei die Zuständigkeit lediglich
dann gegeben, wenn die strafbare Handlung im Inland durch das Mittel der
Druckerpresse begangen worden sei.
   a) Der Beschwerdeführer bestreitet die Zuständigkeit der
schweizerischen Behörden überhaupt und damit sinngemäss die
schweizerische Gerichtsbarkeit und Strafhoheit. Diese Rüge kann mit der
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben werden (BGE 82 IV 67 f. E. 1; V. SCHWANDER,
Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Nr. 73a).

    b) Der räumliche Geltungsbereich des Schweizerischen Strafgesetzbuches
und die schweizerische Gerichtsbarkeit werden durch Art. 3-7 sowie 346
ff. StGB umschrieben. Danach ist die schweizerische Strafhoheit in erster
Linie dann gegeben, wenn der Beschuldigte die Tat in der Schweiz verübt
hat. In der Schweiz wird ein Delikt "verübt", wenn es der Täter hier
ausführt oder wenn der Erfolg in der Schweiz eintritt bzw. (beim Versuch)
nach der Absicht des Täters hätte eintreten sollen (Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1
und Art. 7 StGB; siehe ferner Art. 346 Abs. 1 StGB).

    Bei den Ehrverletzungsdelikten der üblen Nachrede und der Verleumdung
(Art. 173 f. StGB) besteht der "Erfolg" in der Kenntnisnahme der
ehrenrührigen Äusserung durch Dritte; sobald der Dritte die Äusserung
vernommen hat, ist das Delikt vollendet (G. STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, 1973, Bd. I, S. 116; P. LOGOZ, Commentaire du Code
Pénal Suisse, Partie spéciale, 1955, Bd. I, N. 3d vor Art. 173-178;
PH. THORMANN/A. VON OVERBECK, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 1941,
Bd. 2, N. 6 vor Art. 173-178).

    c) Auch für Pressedelikte beschränkt das Gesetz den Tatort nicht auf
den Ausführungsort (Herausgabe- bzw. Druckort). Bei diesen Delikten ist der
Erfolgsort grundsätzlich dort, wo das Presseerzeugnis gelesen oder sonst
zur Kenntnis genommen wird. Eine Anpassung an die Sonderheit der Presse
erfolgt, was den Tatort angeht, lediglich insoweit, als der Verbreitungsort
als Erfolgsort gilt, weil angenommen wird, das Presseerzeugnis sei am
Verbreitungsort auch zur Kenntnis genommen worden. Der Verbreitungsort
könnte daher schon durch sinngemässe Auslegung der Art. 7 und 346 StGB
als Erfolgsort der Pressedelikte erklärt werden, hätte nicht das Gesetz
selber in Art. 347 Abs. 3 StGB diese Präzisierung vorgenommen.

    Im vorliegenden Fall steht fest, dass die "Neue Illustrierte Revue"
zwar im Ausland - nämlich in der Bundesrepublik Deutschland - herausgegeben
und gedruckt, aber auch in der Schweiz vertrieben wurde. Da somit der
Erfolg (im oben lit. b umschriebenen Sinne) der Veröffentlichung, sollte
sie eine Ehrverletzung darstellen, in der Schweiz eingetreten ist, sind
die schweizerischen Gerichte für die Beurteilung zuständig. Die Beschwerde
muss daher in diesem Punkte als unbegründet abgewiesen werden.

    Im übrigen ist auch die Lehre einhellig der Meinung, ein Pressedelikt
im Sinne von Art. 27 StGB könne auch dann in der Schweiz verfolgt werden,
wenn das Presseerzeugnis zwar im Ausland herausgegeben und gedruckt,
aber in der Schweiz verbreitet wurde. Art. 347 StGB schliesse für solche
Fälle den sog. fliegenden Gerichtsstand nicht aus, dessen nachteilige
Wirkungen übrigens zum grossen Teil durch die Vorschriften der Art. 346
Abs. 2 und 347 Abs. 3 StGB aufgehoben werden (vgl. z.B. E. HAFTER,
Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Auflage,
S. 91; THORMANN/VON OVERBECK, aaO, Art. 347, N. 2 und 6; C. LUDWIG,
Schweizerisches Presserecht, 1964, S. 183). Die Auffassung der Doktrin
stützt sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte des Art. 347 StGB
(Nachweise bei HAFTER, aaO, S. 91, Fn. 4): In der II. Expertenkommission
(Prot. Bd. 8, S. 70 f.) wurde nämlich ein Antrag von Wettstein, in
Art. 366 (jetzt Art. 347) die Worte "im Inland" zu streichen und damit den
fliegenden Gerichtsstand auch im internationalen Verkehr auszuschalten,
abgelehnt (siehe ferner LOGOZ, Sten. Bull. NR 1930, S. 73).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.