Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 248



102 IV 248

56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. November 1976 i.S. S.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 169 StGB. Verfügung über gepfändeten Lohn.

    Ein während der Dauer der Lohnpfändung im Vergleich zum Existenzminimum
eingetretener Mindererwerb ist auch dann mit einem Mehrerlös auszugleichen,
wenn das unterschiedliche Einkommen auf einen Wechsel von der selbständigen
zur unselbständigen Erwerbstätigkeit zurückzuführen ist.

Sachverhalt

                    Aus dem Sachverhalt:

    A.- Im August 1974 wurden vom Verdienst der selbständig tätigen
S. monatlich Fr. 1'230.-- gepfändet. In Wirklichkeit betrug der Verdienst
in der Zeit vom 12. November 1974, als die Pfändung in Kraft trat, bis
Ende März 1975 insgesamt nur Fr. 5'000.--. Vom 1. April 1975 an bezog
S. als Angestellte monatlich einen Nettolohn von Fr. 2'890.--, worauf
das Betreibungsamt im Juli 1975 eine neue Lohnpfändung in der Höhe von
Fr. 1'570.-- vornahm. S. lieferte während der ganzen Pfändungsperiode
eine einzige Zahlung von Fr. 1'570.-- ab.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte S. wegen Verfügung
über gepfändete Sachen, begangen vom 1. April bis Mitte Juli 1975, zu
einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe.

    C.- Das Bundesgericht hob in teilweiser Gutheissung der
Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil auf und wies die Sache zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Grundsatz, dass ein zeitweiliger Mindererwerb mit dem an
sich pfändbaren Mehrerlös der folgenden Zeit ausgeglichen werden kann,
ist sowohl für den unselbständigen wie auch für den selbständigen Erwerb
anerkannt (BGE 68 III 156, 69 III 54 E. 2, 96 IV 111 f.; FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. 1, S. 213). Es besteht kein
Grund, diesen Grundsatz dann nicht anzuerkennen, wenn der im Vergleich zum
Existenzminimum eingetretene Minder- und Mehrerlös auf einen Wechsel von
der selbständigen zur unselbständigen Erwerbstätigkeit zurückzuführen ist.

    Im vorliegenden Fall waren die Einkommensverhältnisse vor und
nach dem 1. April 1975 so verschieden, dass der Ausschluss einer
Kompensation von Minder- und Mehrerwerb stossend wäre. Es wäre auch
widersprüchlich, einerseits die alte Pfändung insoweit anzuerkennen, als
sie die Schuldnerin trotz der Erwerbsänderung weiterhin zur Ablieferung
des Lohnes verpflichtete, andererseits den Fortbestand der ursprünglichen
Pfändung aber insofern zu verneinen, als daraus die Möglichkeit zum
Ausgleich von Minder- und Mehrerwerb folgt. Im Gegensatz zur Ansicht der
Vorinstanz sind daher die Erwerbsverhältnisse der Beschwerdeführerin vor
dem 1. April 1975 mitzuberücksichtigen.