Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 245



102 IV 245

55. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Oktober 1976 i.S. V.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB. Besondere Gefährlichkeit.

    Mangelnde Zurechnungsfähigkeit schliesst das Merkmal der besonderen
Gefährlichkeit des Täters nicht aus (Erw. 2). Umstände, die neben der
Art der Tatverübung bei der Beurteilung der besonderen Gefährlichkeit
mitberücksichtigt werden dürfen (Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz erblickt die besondere Gefährlichkeit des
Beschwerdeführers vorerst darin, dass er bereits im Jahr 1970 in Genf einen
Raubüberfall verübte und dass er, als er für die Tat in Zürich angeworben
wurde, ohne weiteres sich dazu bereit erklärte. Diese Würdigung ist nicht
zu beanstanden.

    Richtig ist zwar, dass sich der Beschwerdeführer beim
Raubüberfall in Genf in einem schizophrenen Schub befand und
darum völlig unzurechnungsfähig war, was zur Folge hatte, dass das
Strafverfahren eingestellt und der Beschwerdeführer in eine Klinik
eingewiesen wurde. Mangelnde Zurechnungsfähigkeit schliesst jedoch
die Annahme besonderer Gefährlichkeit nicht aus. Diese braucht nicht
verschuldet zu sein und ist in der Regel ein Charakterzug, welcher der
Einsicht und dem Willen des Täters weitgehend entzogen ist. Gerade der
wegen Geisteskrankheit, Drogenabhängigkeit usw. in der vernunftgemässen
Willensbetätigung beeinträchtigte Täter ist häufig asozial und hemmungslos
und deswegen besonders gefährlich. Es wäre nicht einzusehen, weshalb
in solchen Fällen das objektive Qualifikationsmerkmal der besonderen
Gefährlichkeit nicht bejaht werden könnte, was nicht hindert und im
vorliegenden Fall auch geschehen ist, dass der geistigen Beeinträchtigung
des Täters bei der Strafzumessung Rechnung getragen wird.

Erwägung 3

    3.- Der Umstand, dass der Entreissdiebstahl verhältnismässig
problemlos, ohne Überwindung besonders grosser Schwierigkeiten ausgeführt
werden konnte, schliesst das Merkmal der besonderen Gefährlichkeit des
Täters entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht aus. Nach ständiger
Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der Frage, ob die Tat eine
besondere Gefährlichkeit offenbare, nicht einzig und allein auf die Art
des Vorgehens bei der Tatverübung abzustellen, sondern auch das Verhalten
des Täters unmittelbar vor und nach der Tat in Betracht zu ziehen (BGE
88 IV 61 Erw. 1, 98 IV 145, 100 IV 29, 165, 222). Daneben dürfen auch die
Beweggründe und das Vorleben des Täters mitberücksichtigt werden, soweit
sie asoziale Charaktereigenschaften aufdecken, die den Täter als besonders
gefährlich erscheinen lassen, und anzunehmen ist, diese Wesensart habe sich
auch bei der zu beurteilenden Straftat ausgewirkt (BGE 95 IV 165 Erw. 1).

    Der Beschwerdeführer hat sich zur Durchführung des geplanten Überfalls,
der eine ansehnliche Beute versprach, nicht nur bedenkenlos bereit erklärt,
sondern die Tat auch mit Umsicht und Gründlichkeit vorbereitet. Zu diesem
Zweck ist er eigens von seinem Wohnort in Frankreich mehrmals in die
Schweiz gereist, wobei er, um die gegen ihn verfügte Einreisesperre
zu umgehen, einen falschen Identitätsausweis benützte. In Zürich
rekognoszierte er wiederholt die Örtlichkeiten und die Gewohnheiten
der Bankboten, besprach sich mehrmals mit seinen Auftraggebern, um alles
Wissenswerte über die Geldtransporte zu erfahren und ein sicheres Versteck
für die Beute bereit zu halten. Auch war es der Beschwerdeführer, der den
Komplizen zur Ausführung der Tat anheuerte, für die persönliche Tarnung
besondere Kleidungsstücke beschaffte, das Vorgehen in allen Einzelheiten
festlegte und den Zeitpunkt bestimmte, in dem der verwegene Überfall auf
offener Strasse ausgelöst wurde. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt,
hat der Beschwerdeführer nicht jede Gewaltanwendung abgelehnt. Dass er
nicht bewaffnet war, ist offensichtlich dem Umstand zuzuschreiben, dass
die Bankboten, wie ihm bekannt war, keine Waffen mit sich führten und dass
er darauf vertraute, die Opfer überlisten zu können. Wie gründlich er die
Örtlichkeiten rekognosziert hatte und mit welcher Zielstrebigkeit er die
Beute zu sichern verstand, zeigt der Umstand, dass er trotz Verfolgung
durch Passanten auf der Flucht durch Gebäude und Höfe des Stadtzentrums
schliesslich unbehelligt das Versteck erreichte. Auf raffinierte Umsicht
ist sodann auch daraus zu schliessen, dass der Beschwerdeführer bei
seinen Aufenthalten in der Schweiz nicht am Tatort in Zürich, sondern
unter falschem Namen in einem Hotel in Luzern zu wohnen pflegte, wo
er einer allfälligen polizeilichen Überwachung oder Fahndung leichter
entgehen und nach der Tat die vorgesehene Flucht ins Ausland rasch und
unauffällig antreten konnte. Aus dem gesamten Verhalten, namentlich der
umsichtigen Vorbereitung der Tat und Flucht ins Ausland, und dem Umstand,
dass sich der Beschwerdeführer als internationaler Verbrecher betätigt
hat, ist auf Charaktereigenschaften zu schliessen, die ihn als besonders
gefährlichen Täter kennzeichnen. Die Vorinstanz hat daher Art. 137 Ziff. 2
Abs. 4 StGB zu Recht angewendet.