Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 242



102 IV 242

54. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1976 i.S. R.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    1. Art. 68 StGB.

    Ist jemand für eine Tat mit Freiheitsstrafe, für eine andere Tat mit
Busse zu bestrafen, so sind beide Strafen zu verhängen (Bestätigung der
Rechtsprechung) (Erw. II 5).

    2. Zusatzstrafe; Art. 68 Ziff. 2, 350 Ziff. 2 StGB.

    a) Bevor eine Zusatzstrafe ausgefällt wird, ist die Rechtskraft der
ersten Verurteilung abzuwarten. Doch darf in einem entscheidungsreifen Fall
sofort geurteilt werden, wobei eine selbständige Strafe auszusprechen ist;
zu dieser ist im anderen Verfahren eine Zusatzstrafe nach Art. 68 Ziff. 2
auszufällen; unterbleibt dies, so kann der Verurteilte Art. 350 Ziff. 2
StGB anrufen (Erw. II 4a).

    b) Für eine Straftat, die nach Fällung, aber vor der Rechtskraft eines
Urteils in einer anderen Strafsache begangen wird, ist weder eine Zusatz-
noch eine Gesamtstrafe zu verhängen (Erw. II 4b).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    II.4.- Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht hätte
am 13. April 1976, als es den Diebstahl in der Badeanstalt vom 17. Juli
1975 beurteilte, eine Zusatzstrafe aussprechen müssen. Gemeint ist eine
Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 7. März 1975. Dieses
Urteil wurde vor dem Diebstahl vom 17. Juli 1975 ausgesprochen; in Kraft
getreten ist es aber erst am 2. September 1975, also nach dem Diebstahl. Es
stellt sich daher die Frage, ob für den Begriff der "Verurteilung"
gemäss Art. 68 Ziff. 2 StGB auf die Ausfällung des Urteils oder auf den
Eintritt der Rechtskraft abzustellen ist.

    a) Nach BGE 97 IV 241 hat der Richter, bevor er eine Zusatzstrafe
ausfällt, die Rechtskraft des Urteils im andern Verfahren abzuwarten. Nur
ein solches Urteil bildet eine hinreichend feste Grundlage für eine
Zusatzstrafe. Ist beispielsweise gegen ein erstinstanzliches Urteil
Berufung eingelegt worden, muss zuerst der Ausgang des Berufungsverfahrens
abgewartet werden. Denn das Berufungsurteil könnte ergeben, dass der
Angeklagte freigesprochen oder nur zu einer Busse verurteilt wird. Auch
können die Art oder die Dauer der ausgesprochenen Freiheitsstrafe die
Art oder die Höhe der Zusatzstrafe, den bedingten Strafvollzug hiefür
und dergleichen präjudizieren.

    An diesem Urteil ist festzuhalten. Seine Tragweite darf aber nicht
überzogen werden. Selbstverständlich hindert diese Rechtsprechung
einen Richter nicht, sofort zu urteilen, wenn sein Fall im übrigen
entscheidungsreif ist, ohne dass er die Rechtskraft des Urteils im
andern Fall abzuwarten hätte. Nur wird er in einem solchen Fall keine
Zusatzstrafe, sondern eine selbständige Strafe ausserhalb der Regel
des Art. 68 StGB aussprechen. Sache des Richters im andern Verfahren
wird es dann sein, auf eine Zusatzstrafe nach Art. 68 Ziff. 2 StGB zu
erkennen. Sollte dieser Richter auf ein Rechtsmittel nicht eintreten oder
ist es ihm nach kantonalem Recht sonstwie verwehrt, eine Zusatzstrafe
auszufällen, so kann der Verurteilte immer noch gemäss Art. 350 Ziff. 2
StGB die Festsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 68 StGB verlangen.

    b) Voraussetzung für eine Zusatzstrafe aber ist stets, dass die
Voraussetzungen für eine Gesamtstrafe nach Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
überhaupt vorgelegen hätten, wenn die verschiedenen Verfahren vereinigt
gewesen wären. Art. 68 Ziff. 2 StGB will das Gleichgewicht mit der
Gesamtstrafe ermöglichen, die bei gleichzeitiger Beurteilung aller
Taten auszufällen gewesen wäre; der Täter soll durch die Aufteilung
der Strafverfolgung in mehrere Verfahren nicht benachteiligt und,
soweit möglich, auch nicht bessergestellt werden (BGE 94 IV 50 mit
Verweisungen). Diese Beziehung der Zusatzstrafe zur Gesamtstrafe ergibt
sich aus dem Wortlaut der Art. 68 Ziff. 2 und 350 Ziff. 2 StGB.

    In einem Fall wie dem vorliegenden, wo - im Unterschied zu dem
vom Beschwerdeführer zu Unrecht herangezogenen Fall in BGE 97 IV 241 -
die spätere Straftat begangen wurde, nachdem die erste Tat durch einen
Entscheid abgeurteilt war, der dann rechtskräftig wurde, fehlt aber diese
Voraussetzung für die Verhängung einer Zusatzstrafe. Ein gemeinsames
Verfahren für die Taten, die das Bezirksgericht Zürich am 7. März 1975
beurteilt hatte, und für den Diebstahl vom 17. Juli 1975 im Hallenbad,
der am 14. November 1975 bzw. 13. April 1976 beurteilt wurde, war gar
nicht möglich; der erst später begangene Diebstahl konnte am 7. März 1975
noch nicht beurteilt werden. Die Verurteilung im Sinne der Art. 68 Ziff. 2
und 350 Ziff. 2 StGB erfasst nicht erst die Rechtskraft der Verurteilung,
sondern schon die Urteilsfällung, unter der Voraussetzung, dass das Urteil
später rechtskräftig wird. Denn schon mit der Ausfällung des Urteils werden
selbständige sowie Gesamt- und Zusatzstrafen festgesetzt. Diese erfahren
mit der spätern Rechtskraft keine Anpassung an nachher eingetretene
tatsächliche Veränderungen, die nicht Gegenstand der Beurteilung
bildeten und die der Richter nicht voraussehen konnte. Tritt hingegen
die Rechtskraft nicht ein, weil das Urteil in einem Rechtsmittelverfahren
dahinfällt, können nachträglich die Voraussetzungen für eine Zusatzstrafe
nach Art. 68 Ziff. 2 StGB erfüllt sein. Dann kann der Verurteilte,
wiederum nach Art. 350 Ziff. 2 StGB, die Ausfällung einer Zusatzstrafe
verlangen. Vorliegend kann dieser Fall sich nicht einstellen, denn als
die Vorinstanzen im November 1975 und April 1976 urteilten, war das Urteil
vom 7. März 1975 bereits rechtskräftig geworden (am 2. September 1975).

    Der Täter, der sich erneut strafbar macht, nachdem er für eine
andere Tat verurteilt wurde, verdient auch die Rücksicht des Art. 68 StGB
nicht, der eine Kumulierung der Freiheitsstrafen im Falle der Konkurrenz
ausschliesst. Vielmehr ist die Begehung neuer Vorsatztaten während eines
hängigen Verfahrens Ausdruck eines ausgeprägten verbrecherischen Willens.

Erwägung 5

    II.5.- Mit dem Vorbringen im Gesuch vom 25. Oktober 1976,
das Strafgericht Zug habe am 22. Oktober 1976 geurteilt, macht der
Beschwerdeführer eine neue Tatsache geltend. Das ist nach Art. 273 Abs. 1
lit. b BStP unzulässig, weshalb darauf nicht einzutreten ist (BGE 85 IV
119 unten, 95 IV 103 E. 2).

    Immerhin kann beigefügt werden: Der Beschwerdeführer erklärt, das
Strafgericht Zug habe ihn mit einer Busse bestraft. In Zürich ist er zu
einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Sein Begehren um Ausfällung einer
Strafe nach Art. 68 StGB scheitert daran, dass, wenn jemand einerseits
mit Freiheitsstrafe und anderseits mit Busse zu bestrafen ist, beide zu
verhängen sind (BGE 75 IV 2, 86 IV 233).