Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 234



102 IV 234

51. Urteil des Kassationshofes vom 17. November 1976 i.S. I. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 43 und 44 StGB.

    Verhältnis der beiden Bestimmungen zueinander. Rauschgiftsüchtige,
deren Behandlung zum vorneherein aussichtslos ist, können ohne
vorausgehende Einweisung in eine für sie bestimmte Heilanstalt nach
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB verwahrt werden, wenn die Voraussetzungen
dieser Bestimmung erfüllt sind.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 23. März 1976
den 21jährigen I. wegen wiederholter und fortgesetzter Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz, einfachen und qualifizierten Diebstahls
und wegen anderer Vergehen zu 18 Monaten Gefängnis. Es schob im Hinblick
auf die soziale Gefährlichkeit des rauschgiftsüchtigen, Verurteilten den
Vollzug der Strafe auf und ordnete die Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1
Abs. 2 StGB an.

    B.- I. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei insoweit, als es seine Verwahrung nach Art. 43 StGB
anordne, aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
sie ihn unter Aufschub des Strafvollzuges in eine auf die Behandlung von
Rauschgiftsüchtigen spezialisierte Anstalt gemäss Art. 44 StGB einweise.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Bestimmungen über Massnahmen gegenüber geistig Abnormen
(Art. 43 StGB) und diejenigen über die Behandlung von Trunk- und
Rauschgiftsüchtigen (Art. 44 StGB) ordnen verwandte Gebiete und
ergänzen sich. In ihrem Verhältnis zueinander ist Art. 43 umfassender
als Art. 44. Auch ein Rauschgiftsüchtiger, dessen Sucht bereits
Persönlichkeitsveränderungen zur Folge hatte, kann Anzeichen eines
Geisteszustandes aufweisen, der sich unter den sehr weiten, in seinen
Grenzen unbestimmten Begriff der geistigen Anomalie (SCHULTZ, ZStR
1972 S. 28) einordnen lässt. Wenn der Gesetzgeber dennoch für Trunk-
und Rauschgiftsüchtige in Art. 44 eine besondere Ordnung geschaffen hat,
so folgt daraus, dass dieser Vorschrift gegenüber jener des Art. 43 der
Charakter einer Sondernorm zukommt, die in erster Linie anzuwenden ist,
wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind.

    Art. 44 StGB stellt keine in sich geschlossene Ordnung auf. Die
Bestimmung räumt dem Richter schon in der Wahl der Anstalt ein weites
Ermessen ein. So kann er nach Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 6
einen Rauschgiftsüchtigen entweder in eine besonders für solche Täter
vorgesehene Anstalt oder aber, wenn nötig, in eine andere Heilanstalt
einweisen. Ferner kann gemäss Ziff. 3 Abs. 2 gegenüber einem Eingewiesenen,
der nicht geheilt werden kann, eine andere sichernde Massnahme angeordnet
werden, sofern deren Voraussetzungen gegeben sind. Daraus ergibt sich
zunächst, dass dort, wo die Einweisung in eine therapeutische Anstalt für
Rauschgiftsüchtige aus einem bestimmten Grund nicht in Frage kommt, die
Möglichkeit offen steht, die Massnahme in einer Heilanstalt, z.B. auch
in einer solchen für geistig Abnorme, zu vollziehen. Sodann kann in
Fällen, in denen der Rauschgiftsüchtige sich nach seiner Einweisung als
nicht heilbar erweist, seine Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 in
Betracht fallen, wenn er wegen der drogenbedingten Veränderung seines
Geisteszustandes die öffentliche Sicherheit erheblich gefährdet. Darüber
hinaus ist die Anordnung dieser Verwahrung trotz dem Wortlaut des
Art. 44 Ziff. 3 schon dann als zulässig zu erachten, wenn eine Heilung
des Rauschgiftsüchtigen zum vorneherein ausgeschlossen ist. Denn es wäre
sinnlos, einen Rauschgiftsüchtigen, der nicht mehr geheilt werden kann und
die öffentliche Sicherheit gefährdet, vorerst in eine Heilanstalt im Sinne
des Art. 44 Ziff. 1 einzuweisen, um dem Buchstaben des Gesetzes (Ziff. 3
Abs. 1) Genüge zu tun, obschon zum voraus erkannt wird, dass die Behandlung
wegen ihrer Erfolglosigkeit abgebrochen und die Verwahrung angeordnet
werden muss. In ähnlicher Weise hat das Bundesgericht den früheren
Art. 14 StGB dahin ausgelegt, dass Unzurechnungsfähige und vermindert
Zurechnungsfähige auch dann nach dieser Bestimmung zu verwahren seien,
wenn sie entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nicht der Behandlung oder
Pflege bedurften oder überhaupt nicht geheilt werden konnten (BGE 81 IV 1).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer ist psychopathisch veranlagt und seinem
Wesen nach asozial, unreif-infantil sowie affektlabil und überdies in
erheblichem Masse rauschgiftsüchtig. Seine krankhafte Abhängigkeit von
Drogen, namentlich von Opiaten und Amphetaminen, ist so unwiderstehlich,
dass sie ihn zur Verübung schwerer Straftaten zwingt. Der jahrelange
übermässige Drogenkonsum hat zudem bewirkt, dass beim Beschwerdeführer
bereits delirante Episoden und eine kurzdauernde Weckaminpsychose
aufgetreten und deutliche Anzeichen eines Abbaus der Persönlichkeit mit
psychoorganischen Störungen festzustellen sind. Schon der Psychiater
beurteilte deshalb in seinem Gutachten vom 18. April 1975 eine Behandlung
der Drogensüchtigkeit des Beschwerdeführers für nahezu aussichtslos
und behielt nur die theoretische Möglichkeit vor, dass ein spontaner
Reifeprozess zu einer günstigen persönlichen Entwicklung führe, bevor
der drogenbedingte Abbau der Persönlichkeit zu weit fortgeschritten sei.
Diese Voraussetzung wurde vom Obergericht sinngemäss als nicht mehr
vorhanden angesehen, nachdem der Beschwerdeführer im Juni 1975 einen
weiteren qualifizierten Einbruchdiebstahl in einer Apotheke verübt hat,
um sich erneut Betäubungsmittel zu beschaffen. Es liegt in der Tat nahe,
das neue Verbrechen als Indiz für den Nichteintritt des theoretisch
möglichen Reifungsprozesses zu bewerten. Für diesen Fall ist auch nach dem
Gutachten eine unwiderruflich ungünstige Prognose zu stellen, d.h. eine
Heilbehandlung als erfolglos zu betrachten. Das Obergericht hat daher nicht
Bundesrecht verletzt, wenn es eine Einweisung des Beschwerdeführers in
eine Heilanstalt für Rauschgiftsüchtige im Sinne von Art. 44 Ziff. 1 StGB
abgelehnt hat. Dieser Entscheid ist umso weniger zu beanstanden, als die
Vorinstanz feststellt, dass die asoziale Grundhaltung des Beschwerdeführers
und sein Hang zur Missachtung der herrschenden Ordnung, worin nach dem
Gutachten der primäre Grund seiner Delinquenz liegt, auch während des
vorläufigen Massnahmevollzuges sich ungünstig ausgewirkt haben und dass die
Einweisung des Beschwerdeführers in eine Heilanstalt für Rauschgiftsüchtige
den Behandlungserfolg der übrigen Insassen gefährden würde.

    Beim vorliegenden Sachverhalt konnte in analoger Anwendung von Art. 44
Ziff. 3 Abs. 2 StGB eine andere sichernde Massnahme angeordnet werden. Die
Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, die nach Auffassung des
Obergerichts als einzig mögliche Massnahme in Betracht kommt, wurde auch
vom Gutachter, der die Einweisung in eine ärztlich geleitete Anstalt
ablehnte, für den Fall eines Rückfalls des Beschwerdeführers in Erwägung
gezogen. Dass sie erst dann angeordnet werden dürfe, wenn eine Behandlung
in einer therapeutischen Wohngemeinschaft durchgeführt worden sei, wie die
Beschwerde annimmt, lässt sich dem Gutachten weder ausdrücklich noch dem
Sinne nach entnehmen. Anderseits sind die Voraussetzungen der Verwahrung
erfüllt. Der Geisteszustand des Beschwerdeführers ist nach dem Gutachten
infolge des hirnorganisch bedingten Abbaus der Persönlichkeit abnorm, und
seine deliktische Tätigkeit ist jedenfalls teilweise eine Folge dieses
geistigen Zustandes. Überdies steht fest und ist unbestritten, dass der
Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit in so schwerwiegender Weise
gefährdet, dass sich der Schutz der Öffentlichkeit als notwendig erweist.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.