Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 228



102 IV 228

49. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Oktober 1976 i.S. C.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 33 und 113 StGB.

    Bei der Tötung eines Menschen kann der Täter gleichzeitig in
entschuldbarer heftiger Gemütsbewegung im Sinne des Art. 113 StGB handeln
und sich in einer Notwehrlage gemäss Art. 33 StGB befinden.

Sachverhalt

    A.- C. hatte sich in Spanien von seiner Ehefrau getrennt und lebte
seit 1970 in St. Gallen mit einer Italienerin zusammen. 1974 musste er
feststellen, dass seine Geliebte auch mit seinem Freund R. ein Verhältnis
hatte, worauf er nach einer tätlichen Auseinandersetzung die Beziehungen
zu R. abbrach. Einige Zeit später besuchte R. das Wirtschaftslokal,
in dem C. mit Landsleuten Karten spielte. Da dieser zur Überzeugung
gelangte, R. äussere sich bei andern Gästen abfällig über ihn und wolle
ihn durch entsprechende Gebärden lächerlich machen, folgte er R. in den
Toilettenraum des Restaurants, um ihn dort zur Rede zu stellen. R. wurde
jedoch sofort tätlich und versetzte C. Faustschläge und Fusstritte. Dieser
zückte hierauf ein Küchenmesser und brachte R. einen 22 cm langen Stich
in den Bauch bei, der tödliche Folgen hatte.

    B.- Die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen verurteilte
C. am 26. April 1976 wegen Totschlags zu vier Jahren Zuchthaus und
verwies ihn für die Dauer von 10 Jahren des Landes.

    C.- Der Verurteilte beruft sich in der Nichtigkeitsbeschwerde darauf,
dass er in Notwehr gehandelt habe, und verlangt die Rückweisung der Sache
zur Strafmilderung wegen Notwehrexzesses.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen verzichtete auf
Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die für den Totschlag vorausgesetzte entschuldbare Gemütsbewegung
wird im angefochtenen Urteil vor allem darin gesehen, dass der
Beschwerdeführer durch das überraschende Auftauchen von R., dem er
sich körperlich unterlegen glaubte und den er zu meiden trachtete, von
Angstgefühlen erfasst wurde, gleichzeitig gegenüber seinem ehemaligen
Freund und nunmehrigen Nebenbuhler erneut Enttäuschung, Wut und Verachtung
empfand und den Eindruck hatte, er werde von ihm durch Gebärden und
Grimassen verspottet und verächtlich gemacht.

    Diese seelische Konfliktsituation schloss die Möglichkeit, dass der
Beschwerdeführer das Tötungsdelikt ausserdem in einer Notwehrlage beging,
nicht aus. Nach dem von der Vorinstanz angenommenen Sachverhalt, von dem
auch der Kassationshof auszugehen hat, begab sich der Beschwerdeführer in
den Toilettenraum, um dort R. zur Rede zu stellen, nicht um sich mit ihm
tätlich auseinanderzusetzen. Von einer absichtlichen oder vorsätzlichen
Provokation kann nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
nicht die Rede sein. Es steht vielmehr fest, dass sich R. auf eine
Diskussion gar nicht einlassen wollte, sondern - statt auf eine Frage
zu antworten - sogleich tätlich wurde, indem er dem Beschwerdeführer mit
der offenen Hand ins Gesicht griff und ihn in eine Ecke schob, wo er ihm
zwei Faustschläge ins Gesicht und Fusstritte in die Beine versetzte. Erst
auf diesen rechtswidrigen Angriff hin zog der Beschwerdeführer das Messer
und fügte R. den tödlichen Stich zu.

    Die Vorinstanz hat die Notwehrlage des Beschwerdeführers zu Unrecht
verneint. Ihre dafür gegebene Begründung, dass der Beschwerdeführer sich
an der Auseinandersetzung massgeblich beteiligt habe, indem diese für ihn
voraussehbar gewesen und er ihr nicht ausgewichen sei, sondern sich durch
Beschaffung eines Messers darauf eingestellt habe, hält nicht stand. Nach
Art. 33 StGB ist zur Abwehr berechtigt, wer rechtswidrig angegriffen oder
mit einem solchen Angriff bedroht wird, gleichgültig, aus welchen Gründen
der Angriff erfolgt und ob der Angegriffene schuldhafterweise zum Angriff
Anlass gegeben hat (SCHULTZ, AT I S. 171). Auch wenn der Beschwerdeführer
die Möglichkeit eines Angriffes vorausgesehen hat, war er rechtlich nicht
verpflichtet, einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen (DUBS,
ZStR 1973, 352). Da er den Angriff nicht vorsätzlich provoziert hat,
kann ihm auch das Mitführen eines Messers, das er nur vorsorglicherweise
mitgenommen hat, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dagegen hat er bei
Verwendung des Küchenmessers die Grenzen einer den Umständen angemessenen
Abwehr offensichtlich überschritten und damit einen Notwehrexzess begangen,
was er selber nicht bestreitet.

    Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, um die Strafe in Berücksichtigung des Art. 33
Abs. 2 Satz 1 StGB neu festzusetzen.