Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 191



102 IV 191

43. Urteil des Kassationshofes vom 10. September 1976 i.S. Senn gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 110 Ziff. 5, Art. 251 Ziff. 1 StGB. Urkundenfälschung.

    1. Die Herstellung fiktiver Fakturen und Geschäftsbriefe auf den
Namen anderer Firmen, die dazu ihre Einwilligung gaben, begründet keine
Fälschung. Dagegen liegt eine solche in der Zurückdatierung der Fakturen
und Briefe (Erw. 1).

    2. Fakturen und Briefe sind im allgemeinen nicht geeignet, die Wahrheit
ihres Inhaltes zu beweisen. Hingegen sind Bankbescheinigungen zum Beweis
geeignet (Erw. 2 und 3).

    3. Eventualabsicht, einen unrechtmässigen Vorteil für einen andern
zu erlangen (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Das amerikanische Marinedepartement schloss in den Jahren 1962 bis
1967 mit der Chromcraft Corporation Missouri verschiedene Verträge über
die Lieferung von Raketenlafetten ab. Anfangs 1963 kamen Andrew L. Stone,
Hauptaktionär und Chefhandlungsbevollmächtigter, und Francis N. Rosenbaum,
Direktor und Spezialanwalt der Lieferfirma, überein, den amerikanischen
Staat im Rahmen dieser Verträge zu betrügen, und zwar dadurch, dass durch
fiktive Rechnungen über angebliche Zulieferungen höhere Gestehungskosten
vorgetäuscht werden sollten. Rosenbaum gelangte zu diesem Zweck 1964
an Johann Senn, Mitglied des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung
sowie Teilhaber der Bank für Handel und Effekten in Zürich, der in der
Folge nach dessen Weisungen auf Geschäftspapier verschiedener Firmen 184
fiktive Rechnungen und 20 Briefe ausstellte, nach welchen mit angeblichen
Zulieferfirmen Geschäftsbeziehungen bestanden hätten, bei diesen Zahlungen
eingegangen seien oder nächstens erfolgen würden usw. Er fertigte ferner
3 Bankerklärungen aus, nach denen von verschiedenen der angeblichen
Zulieferfirmen Checks zum Inkasso übergeben und bestimmte Zahlungen
ausgeführt worden seien. Senn bezog hiefür 1% des Gesamtfakturabetrages,
ca. Fr. 150'000.--, als Vergütung für seine Tätigkeit.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich (II. Strafkammer)
verurteilte Senn am 20. Juni 1975 wegen wiederholter und fortgesetzter
Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 StGB zu einer bedingt
vollziehbaren Strafe von 18 Monaten Gefängnis.

    C.- Senn führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, dieses sei wegen Verletzung der Art. 110 und 251 StGB zu kassieren.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht wirft dem Beschwerdeführer materielle
Urkundenfälschung vor, indem er Fakturen und Geschäftsbriefe auf den
Namen anderer Firmen (Alwatra AG, Etablissement Macoba, Exporttechnik,
Infina AG, Finax AG) ausgestellt habe, ohne dazu rechtsgültig ermächtigt
worden zu sein. Eine Täuschung über die Identität des Ausstellers läge
indessen nur vor, wenn der Beschwerdeführer die Urkunden mit einer falschen
Unterschrift versehen hätte, um vorzutäuschen, sie stamme von einer andern
Person als dem wirklichen Aussteller (BGE 75 IV 168). Dies trifft aber
nicht zu. Im Falle Finax AG handelte der Beschwerdeführer als berechtigtes
Organ dieser Gesellschaft, und in den andern Fällen stellte er die Fakturen
und Schreiben unter Verwendung der entsprechenden Geschäftspapiere mit
Wissen und im Einverständnis des zur Vertretung dieser Firmen befugten
Brunschwiler aus. Handelte somit der Beschwerdeführer mit Einwilligung
der angeblichen Lieferfirmen in deren Namen, so bewirkte die Verwendung
ihres Geschäftspapiers keine falsche Herkunftsangabe oder eine Täuschung
über den wirklichen Aussteller. Die Urkunden waren daher echt im Sinne des
Art. 251 StGB. Daran ändert nichts, dass ihr Inhalt nicht der Wahrheit
entsprach und nicht ernst gemeint war und dass der Beschwerdeführer und
Brunschwiler ihre Vertretungsmacht missbrauchten oder die von diesem
erteilte Ermächtigung zivilrechtlich ungültig gewesen sein sollte.

    Dagegen hat der Beschwerdeführer insoweit eine Urkundenfälschung im
engern Sinne begangen, als er die fiktiven Fakturen und Geschäftsbriefe
zurückdatierte. Die Beschwerde verkennt, dass die Herstellung einer
falschen Urkunde sich nicht in der Täuschung über die Person des
Ausstellers erschöpft. Auch der Aussteller kann eine Urkunde fälschen,
so z.B. wenn er eine nicht mehr vorhandene Originalschrift nachträglich
nachahmt und die Kopie als scheinbar echte Urkunde ausgibt (BGE 88
IV 31). Ebenso begeht nicht nur eine Falschbeurkundung, sondern eine
Fälschung, wer eine neue Urkunde schafft und sie zurückdatiert, um
z.B. eine angeblich frühere Rechnungsstellung vorzutäuschen, die nie
erfolgt ist (SCHWANDER, S. 457 Nr. 697).

Erwägung 2

    2.- Soweit der Beschwerdeführer gewisse Fakturen und Briefe nicht
zurückdatierte, um ihnen den Schein echter Urkunden zu verleihen,
fallen sie entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch nicht als
Falschbeurkundungen in Betracht. Rechnungen und gewöhnliche Briefe sind
zwar insofern Urkunden im Sinne des Art. 110 Ziff. 5 StGB, als sie die
darin niedergelegten Erklärungen festhalten; sie sind jedoch im allgemeinen
nicht, wie der Tatbestand der Falschbeurkundung voraussetzt, dazu geeignet,
gerade die Wahrheit der darin behaupteten rechtserheblichen Tatsachen zu
beweisen (BGE 88 IV 35 mit Verweisungen, 96 IV 152 Erw. 2a). Insbesondere
kann im vorliegenden Fall nicht auf den Grundsatz zurückgegriffen
werden, dass einer Parteiäusserung dann erhöhte Beweiseignung zukomme,
wenn sie für den Erklärenden ungünstig ist (BGE 96 IV 152). Für eine
solche Überlegung besteht nur Raum, wo die Abwicklung eines geordneten
Rechtsgeschäfts in Frage steht, nicht aber in Fällen wie dem vorliegenden,
in denen schriftliche Erklärungen gänzlich erfunden sind.

    Der Beschwerdeführer ist daher insoweit, als er fingierte Fakturen und
Geschäftskorrespondenzen nicht zum Zwecke der Täuschung zurückdatierte,
von der Anklage der Urkundenfälschung freizusprechen.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer bestreitet, dass hinsichtlich der drei
Bankbescheinigungen eine Falschbeurkundung vorliege, jedoch zu Unrecht.

    Ob eine schriftliche Erklärung inhaltlich falsch sei oder nicht,
ist Tatfrage, die vom Sachrichter für den Kassationshof verbindlich
festgestellt wird und mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten
werden kann (Art. 273 Abs. 1 lit. b und Art. 277bis Abs. 1 BStP). Es
ist daher davon auszugehen, dass die Bank für Handel und Effekten
tatsachenwidrig vorgab, die in den Erklärungen genannten Firmen hätten
ihr eine Anzahl Checks der Western Molded zum Inkasso übergeben und die
Bestätigung der ausgeführten Zahlungen erfolge auf Veranlassung dieser
Firmen.

    Die Beweisbestimmung der fraglichen Bankbescheinigungen ist
unbestritten. Auch ihre Beweiseignung kann aus den von der Vorinstanz
angeführten Gründen nicht in Frage gestellt werden. Bankbescheinigungen
wird im Geschäftsverkehr ein erhöhtes Vertrauen entgegengebracht, weil
die Geschäftstätigkeit der Banken den Anforderungen des Bundesgesetzes
über die Banken und Sparkassen zu entsprechen hat, die damit betrauten
Personen einen guten Ruf geniessen und Gewähr für eine einwandfreie
Geschäftstüchtigkeit bieten müssen und der Betrieb einer besondern
Aufsicht und Kontrolle untersteht. Die Beweiseignung der fraglichen
Bankbescheinigungen ist umsomehr gegeben, als die darin enthaltenen
Erklärungen unter das Bankgeheimnis fallen, also an Dritte nur mit
Ermächtigung des Auftraggebers bekanntgegeben werden dürfen, und die
Verletzung dieser Geheimnispflicht von Amtes wegen mit Strafe verfolgt
wird.

Erwägung 4

    4.- In subjektiver Hinsicht ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil,
dass der Beschwerdeführer die fingierten Rechnungen, Schreiben und falschen
Bescheinigungen mit Wissen und Willen, also vorsätzlich ausgestellt
hat. Die Vorinstanz stellt ferner fest, der Beschwerdeführer habe gewusst,
dass die ausgestellten Schriftstücke zur Täuschung Dritter bestimmt waren,
um Rosenbaum unrechtmässige Vorteile zu verschaffen, und dass er die
rechtswidrige Zweckbestimmung in Kauf nahm. Damit ist erstellt, dass er
zum mindesten in der Eventualabsicht gehandelt hat, für einen andern einen
unrechtmässigen Vorteil zu erlangen. Worin dieser konkret bestehe, brauchte
er nicht zu wissen. Fehl geht schliesslich auch die Berufung darauf, dass
anstelle des Art. 251 StGB das Steuerstrafrecht hätte angewendet werden
müssen; der Zweck der Urkundenfälschungen stand nicht zum vornherein fest
und hat auch in Wirklichkeit nicht ausschliesslich der Hinterziehung von
Steuern gedient (vgl. BGE 101 IV 57 mit Verweisungen).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise dahin gutgeheissen, dass
das Urteil der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom
20. Juni 1975 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.