Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 18



102 IV 18

5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Februar 1976
i.S. Schoch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 139 Ziff. 2 StGB: schwerer Raub durch Bedrohung mit dem Tod.

    Die Todesdrohung muss objektiv unmittelbar ausführbar sein und das
Opfer in eine hochgradige Todesgefahr versetzt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Art. 139 Ziff. 2 StGB zählt die Fälle des schweren Raubes auf
und nennt als ersten Tatbestand die Bedrohung mit dem Tod. Der gleiche
Sachverhalt wird schon vom Grundtatbestand des Art. 139 Ziff. 1 erfasst,
wo als einfacher Räuber u.a. bestraft wird, wer eine Person mit einer
gegenwärtigen Gefahr für das Leben bedroht. Dieser Widerspruch erklärt sich
aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, indem Ziffer 1 nachträglich
eine Änderung erfuhr, ohne dass Ziffer 2 entsprechend angepasst wurde
(BGE 72 IV 57). Um diese Ungereimtheit zu beheben, ist der qualifizierte
Tatbestand der Ziff. 2 Abs. 2 einschränkend auszulegen.

    Die Vorinstanz ist der Meinung, dass die Möglichkeit der Verwirklichung
der Todesdrohung kein genügendes Kriterium für die Abgrenzung zu Ziffer 1
darstelle und deshalb ausserdem die Bereitschaft des Täters, die Drohung
notfalls wahrzumachen, gefordert werden müsse. Sie leitet dieses Merkmal
aus der Generalklausel (Ziff. 2 Abs. 4) ab, nach der auch die subjektiven
Seiten des Falles zu berücksichtigen seien (vgl. dazu z.B. BGE 100 IV
222). Das Bundesgericht hat indessen bereits entschieden, dass es auf die
Bereitschaft oder Absicht des Täters, die Todesdrohung zu verwirklichen,
nicht ankomme, und zwar gestützt auf die Entstehungsgeschichte und die
Tatsache, dass in keiner andern Bestimmung des StGB die Strafbarkeit der
Drohung vom Willen des Täters abhängig gemacht werde, ferner auch aus
der praktischen Überlegung heraus, dass die Verwirklichungsabsicht im
Falle der Bestreitung schwer nachzuweisen wäre (BGE 72 IV 58). An dieser
Auffassung ist umso mehr festzuhalten, als das Gesetz auch die anderen,
in Ziffer 2 genannten besonderen Qualifikationsgründe (Verübung einer
schweren Körperverletzung, bandenmässige Begehung) durch objektive Merkmale
umschreibt und damit zum Ausdruck bringt, dass sie für sich allein genügen,
um daraus auf die besondere Gefährlichkeit des Täters zu schliessen.

    In BGE 72 IV 58 wurde nur entschieden, dass stets einfacher Raub
nach Art. 139 Ziff. 1 StGB vorliege, wenn die Drohung mit dem Tod zum
vorneherein nicht wahrgemacht werden könne, der Täter also bloss durch
eine Täuschung Todesangst hervorrufe. Daraus folgt noch nicht und wurde
im erwähnten Entscheid auch nicht gesagt, dass jedes Mal, wenn der Täter
über die Mittel zur Verwirklichung der Drohung verfüge, ein schwerer Raub
im Sinne der Ziffer 2 anzunehmen sei. Diese Bestimmung setzt voraus,
dass die Tat die besondere Gefährlichkeit des Täters offenbare (BGE 72
IV 58), ein Merkmal, das auch dann nicht immer gegeben zu sein braucht,
wenn die Todesdrohung an sich ausführbar ist, z.B. wenn die Drohung
aus irgendwelchen Gründen nicht ernst genommen wird oder wenn ihre
Ausführung zusätzliche Vorkehren, etwa die Beseitigung von Hindernissen,
erfordert. Die Voraussetzung der besondern Gefährlichkeit des Täters ist
jedoch als erfüllt zu betrachten, wenn er die Todesdrohung objektiv
unmittelbar verwirklichen kann und das Opfer nach den Umständen,
insbesondere nach der Art der Drohung, tatsächlich einer grossen
Todesgefahr ausgesetzt ist, diese also hochgradig ist.

    Schoch brachte eine Bankkundin durch einen überraschenden Griff von
hinten in seine unmittelbare Gewalt und bedrohte sie gleichzeitig mit dem
Tod, indem er die Spitze eines langen Küchenmessers an ihre Kehle setzte,
um das Bankpersonal zur Herausgabe des geforderten Geldes zu zwingen. Nach
den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz befand sich die Geisel in
einem Schreckzustand, und das Bankpersonal kam aus Furcht um das Leben der
Geisel der Forderung des Angeklagten unverzüglich nach. Dass die Bedrohte
in hohem Grade in Todesgefahr schwebte, ergibt sich daraus, dass schon eine
unbedachte Bewegung des Täters oder des Opfers hätte genügen können, diesem
eine lebensgefährliche Verletzung zuzufügen. Die Tat fällt demzufolge
unter Art. 139 Ziff. 2, nicht Ziff. 1, wie die Vorinstanz angenommen hat.