Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 166



102 IV 166

39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. Juni 1976 i.S. X., Y.
und Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    1. Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB. Der Begriff der Bande verlangt nicht,
dass der Wille der Täter auf die Verübung einer Vielheit von Diebstählen
und Raubtaten gerichtet sei.

    2. Art. 100bis Ziff. 1 StGB. Der Richter hat den körperlichen und
geistigen Zustand des Täters, dessen Erziehbarkeit zur Arbeit und die
Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Gefahr künftiger Verbrechen oder
Vergehen abzuklären und seinen Entscheid gebührend zu begründen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) X. und Z. machen geltend, gemäss BGE 100 IV 222 E. 2 dürfe
Bandenmässigkeit erst angenommen werden, wenn der Wille der Täter auf die
Verübung einer Vielheit von "Diebstählen und Raubtaten" gerichtet sei. Da
sie lediglich an einem einzigen Raubüberfall mitgewirkt hätten, ohne dass
weitere solche beabsichtigt waren, treffe dieses Erfordernis auf sie nicht
zu. Sie hätten sich, sofern bezüglich Z. überhaupt Mittäterschaft vorliege,
nur des einfachen Raubes schuldig gemacht.

    b) Nach Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB ist zu bestrafen, wer den Raub
als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von
Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat. Bandenmässig verübt wird ein Raub
demnach nicht erst, wenn der ausdrücklich oder konkludent manifestierte
Wille der Täter auf die gemeinsame Verübung einer Vielheit von Diebstählen
und von Raubtaten, sondern bereits, wenn er auf die Begehung einer Vielzahl
von Diebstählen oder von Raubtaten gerichtet ist. Etwas anderes lässt
sich auch dem angeführten bundesgerichtlichen Entscheid nicht entnehmen,
selbst wenn er in Erwägung 2 tatsächlich von "Diebstählen und Raubtaten"
spricht; denn es handelt sich dabei offensichtlich um eine versehentlich
ungenaue Ausdrucksweise. Das ergibt sich deutlich aus Regest, Erwägung
1 und auch Erwägung 2 am Anfang wie am Schluss, wo immer wieder dem
Gesetzeswortlaut entsprechend von "Diebstählen oder Raubtaten" die Rede
ist, wie übrigens auch aus früheren Entscheiden (BGE 78 IV 233 E. 2 und
83 IV 146 E. 5). Aus der genannten Stelle ist daher nichts zugunsten der
Beschwerdeführer abzuleiten.

    Die Vorinstanz stellt für den Kassationshof verbindlich fest,
dass X. und Z., die keiner geregelten Arbeit nachgingen, über kein Geld
verfügten und ihren Lebensunterhalt daher aus dem Deliktserlös bestreiten
wollten und mussten, sich bereits am 2./3. Januar 1975 mit andern zu
einer Bande zusammengeschlossen hatten und in der Folge eine Vielzahl
von Diebstählen verübten. Damit aber handelten sie nicht nur bezüglich
dieser, sondern gemäss Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB auch hinsichtlich
des zum Nachteil des B. gemeinsam begangenen Raubes bandenmässig, selbst
wenn es für sie die einzige Tat dieser Art war.

    An sich wäre die Auffassung der Beschwerdeführerin Z. einleuchtend,
wonach Bandenmässigkeit bei Raub eine Mehrzahl von Raubtaten voraussetze,
weil qualifizierter Raub erheblich härter bestraft wird als qualifizierter
Diebstahl. Der Gesetzgeber hat diese Frage aber ausdrücklich anders gelöst
und geregelt. Der Räuber handelt bandenmässig, wenn er sich mit andern
zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat
(Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB). Die Beschwerdeführerin gibt in ihrer
Eingabe zu, die Verübung einer Vielheit von Diebstählen und eine Raubtat
gewollt zu haben. Das aber genügt nach der klaren gesetzlichen Ordnung
zu einer Schuldigerklärung wegen bandenmässigen Raubes.

Erwägung 3

    3.- X. und Y. erblicken eine Verletzung von Bundesrecht darin, dass
die Vorinstanz ihrem Antrag auf Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt
nicht stattgab und eine Strafe gegen sie ausfällte.

    Nach Art. 100bis Ziff. 1 StGB kann der Richter an Stelle einer Strafe
die Einweisung eines zur Zeit der Tat noch nicht 25jährigen Täters in eine
Arbeitserziehungsanstalt anordnen, wenn dieser in seiner charakterlichen
Entwicklung erheblich gestört oder gefährdet, verwahrlost, liederlich
oder arbeitsscheu ist und seine Tat damit in Zusammenhang steht, sofern
anzunehmen ist, durch diese Massnahme lasse sich die Gefahr künftiger
Verbrechen oder Vergehen verhüten.

    Die Vorinstanz verneint hinsichtlich beider Beschwerdeführer das
Vorliegen des letzten Erfordernisses. Zwar seien sie aus Arbeitsscheu
und Liederlichkeit straffällig geworden. Allein für keinen von ihnen
könne von der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt ein besserer
Erfolg als vom Vollzug einer Strafe erwartet werden. Bei X. sei auf
Grund des von 1966 bis 1973 ohne Unterbruch und seit 1974 mit gewissen
kleineren Unterbrüchen bewiesenen Arbeitseinsatzes eine Erziehung
zur Arbeit nicht erforderlich, um der Gefahr künftiger Straftaten zu
begegnen. Die Arbeitserziehungsmassnahme erscheine auch angesichts
seines fortgeschrittenen Alters, das ihn von den Mitinsassen der
Anstalt abheben würde, als ungeeignet. Bei Y. habe sich sowohl der
Vollzug mehrerer, zum Teil längerer Freiheitsstrafen wie auch die
nach der letzten Strafverbüssung angeordnete, intensive Betreuung
durch die Schutzaufsichtsorgane als nutzlos erwiesen, um ihn von
seiner durch Arbeitsscheu und Liederlichkeit bedingten Deliktstätigkeit
abzubringen. Die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt könne indessen
nicht verantwortet werden, da als solche nach dem Konkordat bloss der
Arxhof, d.h. eine offene, nicht mit Gittern und Mauern versehene Anstalt
in Betracht komme, Y. sich aber der Schutzaufsicht entzogen und sich
zudem auf Grund seines Vorlebens und der hier beurteilten Straftaten als
uneinsichtiger, gefährlicher und gewalttätiger Rechtsbrecher entpuppt
habe, so dass eine akute Ausbruchgefahr bestehe. Y. bedürfe einer
straffen, in einer ausbruchsicheren Anstalt vollzogenen Führung, die in
der Strafanstalt Lenzburg, in der er in der Malerei und damit in jenem
Beruf beschäftigt werde, dem er nach seiner Entlassung nachgehen wolle,
am besten gewährleistet sei. Es müsse daher bei der Freiheitsstrafe,
die seine Führung allein sicherstelle, sein Bewenden haben.

    a) Der heute 26jährige X. ging, wie sich aus dem angefochtenen Urteil
ergibt, von 1966 bis zum Militärdienst im Oktober 1973 im wesentlichen
auf dem erlernten Beruf eines Leichtmatrosen einer geregelten Tätigkeit
nach. Er fing sich, nachdem er zeitweise in einen liederlichen Lebenswandel
verfallen war, seine Arbeitsstelle häufig gewechselt, vorübergehend sogar
ganz aufgegeben oder schlechte Arbeitsleistungen gezeigt hatte, selber
wieder auf, und arbeitete bis November 1974 bei der Schaustellerfirma
J., die ihm ein gutes Arbeitszeugnis ausstellte. Er zeigte demnach über
Jahre eine gute Arbeitsmoral und war, nachdem er sich zeitweilig hatte
gehen lassen, in der Lage, sich aus eigener Kraft wieder aufzufangen
und über längere Zeit erneut gute Arbeitsleistungen zu vollbringen. Die
von ihm verübten Delikte scheinen denn auch primär nicht auf eine
an sich schlechte Arbeitseinstellung oder allgemeine Liederlichkeit,
sondern darauf zurückzuführen sein, dass er während gewisser kürzerer
Zeitspannen in schlechte Gesellschaft geraten war. Sein Arbeitseinsatz
liess wie sein übriges Verhalten auch im vorzeitigen Strafantritt nicht
zu wünschen übrig. Wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen annahm,
X. bedürfe der Erziehung zur Arbeit nicht, um die Gefahr künftiger
Verbrechen oder Vergehen abzuwenden, sondern es genüge der Vollzug einer
(längerdauernden) Freiheitsstrafe, und sie deshalb von der Einweisung in
eine Arbeitserziehungsanstalt absah, so überschritt sie das ihr im Rahmen
von Art. 100bis Ziff. 1 StGB zustehende Ermessen nicht. X. selber führt
in seiner Eingabe aus, Arbeitswille und -fähigkeit seien eindeutig
zu bejahen, und er trägt im weiteren nichts vor, was den auf die
angeführten Tatsachen gegründeten Schluss der Vorinstanz zu erschüttern
vermöchte. Ihre Feststellung indessen, X. würde sich bei Einweisung in
eine Arbeitserziehungsanstalt altersmässig von den Mitinsassen deutlich
abheben, wäre kein stichhaltiges Argument gewesen, um diese abzulehnen,
zumal er die Altersvoraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 StGB unbestreitbar
erfüllt.

    b) Die Einweisung des heute 22jährigen Y. in eine
Arbeitserziehungsanstalt lehnte die Vorinstanz deshalb ab, weil im Gebiet
des nord- und zentralschweizerischen Konkordates lediglich eine offene
Anstalt vorhanden sei, es sich bei Y. aber um einen uneinsichtigen,
gefährlichen und gewalttätigen Rechtsbrecher handle, bei dem akute
Ausbruchsgefahr bestehe. Diese Begründung ist vor Art. 100bis StGB nicht
haltbar. Von der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt darf nicht
schon dann abgesehen werden, wenn der Vollzug einer solchen Massnahme in
einem Konkordatskanton nicht möglich ist, sondern nur, wenn er auch in der
übrigen Schweiz nicht durchgeführt werden kann (BGE 101 IV 143 E. 3). Dass
dem so sei, stellt die Vorinstanz nicht fest; Y. selber bestreitet es
ausdrücklich. Selbst in einem solchen Falle müsste jedoch, sofern die
Voraussetzungen zur Einweisung gegeben sind, mittels der bestehenden
Einrichtungen eine Lösung getroffen werden, mit der das in Art. 100bis
StGB angestrebte Ziel erreicht werden kann (BGE 101 IV 141). Der von der
Vorinstanz angenommenen akuten Ausbruchsgefahr insbesondere könnte dadurch
begegnet werden, dass die Massnahme der Arbeitserziehung vorläufig gemäss
Art. 100bis Ziff. 4 StGB in einer Strafanstalt vollzogen wird, bis diese
Gefahr weggefallen ist (BGE 101 IV 144).

    Weshalb in bezug auf die Gefahr künftiger Deliktsbegehung von der
Einweisung des Y. in eine Arbeitserziehungsanstalt kein besserer Erfolg
als von der Strafe erwartet werden kann, daher diese auszusprechen und
von der Massnahme abzusehen ist, legt die Vorinstanz nicht dar. Da
auch den Akten selber nichts nach dieser Richtung zu entnehmen ist,
kann nicht geprüft werden, ob die Vorinstanz von dem ihr gemäss
Art. 100bis Ziff. 1 StGB zustehenden Ermessen zutreffend Gebrauch
gemacht hat. Wenn sie feststellt, Y. habe sich bisher weder durch den
Strafvollzug noch durch die schutzaufsichtsamtliche Betreuung von seiner
auf Liederlichkeit und Arbeitsscheu zurückzuführenden deliktischen
Tätigkeit abhalten lassen, so lässt sich gerade daraus nichts für ihre
Annahme ableiten. Y. arbeitete, seit er nach einer Probezeit von 3
Monaten als Maschinenmechanikerlehrling und 6monatiger Tätigkeit als
Hilfsarbeiter im Herbst 1972 eine begonnene Malerlehre aufgab, nie
mehr regelmässig, trieb sich oft monatelang beschäftigungslos herum,
nahm nach seiner vorzeitigen bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug
trotz verschiedener Interventionen des Schutzaufsichtsamtes die Arbeit
erst am 18. April 1974 auf, verschwand am 13. August 1974 und war nach
seiner Anhaltung und Zuführung an das Schutzaufsichtsamt am 27. August
1974 bis zu seiner Verhaftung am 14. Januar 1975 bloss noch während 3
Tagen erwerbstätig. Bei dieser Sachlage stellte sich die Frage ernsthaft,
ob durch eine zweckgerichtete und individualisierte Betreuung, wie sie
in einer Arbeitserziehungsanstalt regelmässig stattfindet, der Gefahr
künftiger Verbrechen oder Vergehen nicht wirksamer begegnet werden könne
als durch den (bisher wenig wirkungsvollen) Strafvollzug, und es wären
daher die für einen solchen Entscheid erforderlichen tatsächlichen
Grundlagen zu beschaffen gewesen. Die Vorinstanz hätte insbesondere
Abklärungen über den körperlichen und geistigen Zustand des Y., dessen
Erziehbarkeit zur Arbeit und die Erfolgsaussichten im Hinblick auf
die Gefahr künftiger Verbrechen oder Vergehen treffen müssen. Diese
Pflicht besteht entgegen ihrer Auffassung nicht nur dort, wo der junge
Erwachsene in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen werden soll,
sondern gemäss Art. 100 Abs. 2 StGB überall, wo derartige Erhebungen
erforderlich sind. Bereits der Entscheid darüber, ob der junge Erwachsene
zu bestrafen oder einer Massnahme zuzuführen ist, kann sie daher nötig
machen. Der kantonale Sachrichter ist im übrigen bei diesem Entscheid
keineswegs in dem Sinne frei, dass es bei Vorliegen der Voraussetzungen
von Art. 100bis Ziff. 1 StGB in seinem Belieben stünde, die Massnahme der
Arbeitserziehung anzuordnen oder nicht, sondern er hat das in jenem Fall
auch zu tun (KURT, Die Änderungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches
gemäss dem Bundesgesetz vom 18. März 1971, Kriminalistik 1972, Heft 5,
S. 251).

    Der angefochtene Entscheid ist aus diesen Gründen aufzuheben, damit
die Vorinstanz die notwendigen Aktenergänzungen vornimmt, hernach neu
darüber befindet, ob Y. in eine Arbeitserziehungsanstalt einzuweisen oder
zu bestrafen ist, und diesen Entscheid gebührend begründet.