Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IV 12



102 IV 12

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Februar 1976 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Verwahrung gemäss Art. 42 StGB

    Das Gesetz verlangt nicht, dass die vorsätzlichen Verbrechen oder
Vergehen, die der Täter begangen hat oder von ihm in Zukunft zu erwarten
sind, besonders schwer seien.

Sachverhalt

    A.- X., geboren im Jahre 1928, ist 18 mal vorbestraft und
insgesamt 16 mal wegen Vermögensdelikten, zumeist wegen Betruges, zu
Freiheitsstrafen verurteilt worden. 1948 erfolgte seine Einweisung in eine
Arbeitserziehungsanstalt, 1950 eine Verurteilung zu 12 Monaten und 1953
eine solche zu 18 Monaten Gefängnis. Wegen gewerbsmässigen Betruges wurde
X. sodann im Dezember 1955 mit 20 Monaten Zuchthaus bestraft und nach
weiteren, teils längeren Strafverbüssungen erkannte das Obergericht des
Kantons Zürich am 7. Juli 1967 erstmals auf Verwahrung nach Art. 42 StGB.

    Aus dem Vollzug der Verwahrung wurde der Angeklagte am 29. Dezember
1969 unter Ansetzung einer dreijährigen Probezeit mit Schutzaufsicht
entlassen. Vom Sommer 1970 an bis zu seiner am 21. Februar 1974
erfolgten Verhaftung beging er neben anderen Schwindeleien 26 Betrüge
bzw. Betrugsversuche. Er täuschte jeweils eine gar nicht oder jedenfalls
nicht im dargestellten Masse bestehende Hilfsbedürftigkeit besonders
Personen wie Freundinnen, Fürsorgern, Geistlichen und Angehörigen der
Heilsarmee vor, welche darauf besonders ansprechbar waren. So ertrog er
in meistens kleineren Beträgen gesamthaft über Fr. 4'400.--.

    B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach am 29. November 1974 X. des
gewerbsmässigen Betruges schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr
Zuchthaus unter Anrechnung der Untersuchungshaft sowie zu einer Busse
von Fr. 100.--. Anstelle des Strafvollzuges ordnete es die Verwahrung
im Sinne von Art. 42 StGB an.

    C.- Auf Berufung des Verurteilten hin bestätigte das Obergericht
des Kantons Zürich am 27. Juni 1975 das erstinstanzliche Urteil
mit der Abänderung, dass es in einigen Fällen wiederholten Betrug
bzw. Betrugsversuch ausserhalb der Gewerbsmässigkeit annahm und auch die
inzwischen aufgelaufene Untersuchungshaft anrechnete.

    D.- Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das Kassationsgericht
des Kantons Zürich mit Beschluss vom 6. November 1975 abgewiesen, soweit
es darauf eingetreten ist.

    E.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und von der Verwahrung sei
Umgang zu nehmen; eventuell sei in Anwendung von Art. 43, subeventuell
von Art. 44 eine ambulante Behandlung des Verurteilten anzuordnen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine Verwahrung gemäss Art. 42 StGB setzt u.a. voraus, dass
ein Täter schon zahlreiche Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich verübt
hat und ihm deswegen durch Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen oder eine
Arbeitserziehungsmassnahme oder eine Verwahrung als Gewohnheitsverbrecher
die Freiheit während insgesamt mindestens zwei Jahren entzogen wurde;
ferner dass er innert fünf Jahren seit der endgültigen Entlassung ein
neues vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen begeht (Ziff. 1 Abs. 1).

    b) Das Gesetz verlangt nicht, dass die vorsätzlichen Verbrechen
oder Vergehen, die der Täter begangen hat oder die von ihm in Zukunft
zu erwarten sind, besonders schwer seien. Es trifft zwar zu, dass
nur ein geringer Teil der Gewohnheitsverbrecher sehr schwere Delikte
begeht (siehe dazu die empirische Untersuchung von CHR. BRÜCKNER. Der
Gewohnheitsverbrecher und die Verwahrung in der Schweiz gemäss Art. 42
StGB, 1971); doch will das Gesetz neben den sog. antisozialen auch die
bloss asozialen Gewohnheitsverbrecher erfassen (H. SCHULTZ, ZBJV 106/1970,
S. 20 f. und ZStR 88/1972, S. 36 ff.; J. REHBERG, ZStR 89/1973, S. 286
ff.; V. KURT, Kriminalistik 26/1972, S. 205; Botschaft des Bundesrates
vom 1. März 1965, S. 14). Dies ergibt sich deutlich aus der Tatsache,
dass die Verwahrung in offenen oder geschlossenen Anstalten vollzogen
werden kann (Art. 42 Ziff. 2 StGB). In dieselbe Richtung weist die
Entstehungsgeschichte des Art. 42 StGB. Der Antrag von Nationalrat Gerwig,
die Verwahrung nur noch anzuordnen, "sofern dies erforderlich ist, um der
Gefahr weiterer schwerer, bedeutsame Rechtsgüter betreffenden Straftaten
zu begegnen", wurde abgelehnt, weil man darin eine zu starke Einschränkung
der Verwahrungsvoraussetzungen sah (vgl. Sten.Bull. NR 1969, S. 110 ff.).

    c) Damit soll nun freilich nicht gesagt werden, dass die Schwere der
früheren und der neuen Delikte völlig bedeutungslos ist. Denn sind die
in Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1 StGB erwähnten Voraussetzungen gegeben, so
"kann" der Richter die Verwahrung anordnen. Demnach gilt entsprechend
dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass je geringfügiger die zu
erwartenden Straftaten sind, desto zurückhaltender die Anordnung einer
Verwahrung erfolgen muss.

    Wie aber die Vorinstanz mit Recht feststellt, handelt es sich in
casu nicht mehr um blosse Bagatelldelikte, auch wenn der materielle
Schaden bei den einzelnen Taten oft verhältnismässig geringfügig war. Der
Beschwerdeführer ist nämlich in einer Vielzahl von Fällen während mehreren
Jahren darauf ausgegangen, in betrügerischer Weise die von anderen ihm
gegenüber bekundete Hilfsbereitschaft zu missbrauchen. Unter diesen
Umständen kann nicht von einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen
den begangenen Taten und der angeordneten Sanktion gesprochen werden.