Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 65



102 II 65

11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Juni 1976
i.S. Wüest gegen Wüest. Regeste

    Art. 158 Ziff. 5 ZGB.

    Anforderungen an die richterliche Genehmigung von Vereinbarungen über
die Nebenfolgen der Scheidung.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Eheleute Walter und Hedwig Wüest-Zemp wurden vom Bezirksgericht
Uster mit Urteil vom 8. März 1967 in Gutheissung einer Klage des
Ehemannes geschieden. Die drei aus der Ehe hervorgegangenen Kinder
Hedwig Maria, Elietta Rita und Walter Eugen wurden unter die elterliche
Gewalt der Mutter gestellt, wie es die Eheleute dem Gericht in einer
Scheidungskonvention gemeinsam beantragt hatten. Was die Pflicht des
Vaters zur Bezahlung von Beiträgen an den Unterhalt der Kinder betrifft,
sah die Scheidungsvereinbarung folgende Regelung vor:

    "4. Der Kläger verpflichtet sich, der Beklagten an die Kosten
   der Pflege und Erziehung der 3 Kinder monatliche Unterhaltsbeiträge
   von Fr. 250.-- inkl. Kinderzulage pro Kind zu entrichten, zahlbar zum
   voraus, bis zum Eintritt der vollen Erwerbsfähigkeit, mindestens bis
   zum zurückgelegten 18. Altersjahr und längstens bis zum vollendeten

    20. Altersjahr eines jeden Kindes.

    5. Die unter Ziff. 4 der Konvention fixierten

    Unterhaltsbeiträge basieren auf einem heutigen jährlichen
   steuerbaren Einkommen des Klägers von Fr. 24'000.-- bis

    Fr. 25'000.--.

    Sollte der Kläger auf ein steuerbares Reineinkommen von
   jährlich über Fr. 30'000.-- kommen, leistet er an den Unterhalt der

    Kinder für jedes Jahr, in welchem er über Fr. 30'000.-- steuerbares

    Reineinkommen erzielt, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von

    Fr. 300.-- inkl. Kinderzulagen.

    Sollte der Kläger ein jährliches steuerbares Reineinkommen
   von über Fr. 35'000.-- erzielen, leistet er an den Unterhalt der

    Kinder für diese Zeit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von
Fr. 350.--
   inkl. Kinderzulage.

    Sollte sich der Kläger wieder verheiraten, fällt das Einkommen
   der Ehefrau des Klägers nicht in Ansatz.

    Für die Zeit, da die Beklagte aus medizinischen Gründen nicht
   in der Lage sein sollte, die Kinder in ihrem Haushalt zu pflegen und
   zu erziehen, verpflichtet sich der Kläger für die Kosten der

    Unterbringung der Kinder in einem Kinderheim (Pensionspreis,

    Nebenauslagen für Wäschepflege, Heizung und Taschengeld)
   aufzukommen. In dieser Zeit entfallen die Unterhaltsbeiträge gemäss

    Ziff. 4 und Ziff. 5 der Konvention."

    In der Begründung seines Urteils führte das Bezirksgericht Uster
aus, die vorgesehenen Kinder-Unterhaltsbeiträge könnten vorgemerkt und
genehmigt werden, da sie den gegebenen Umständen entsprächen. Des weitern
hielt es fest, dass die in Ziff. 5 und 6 der Konvention enthaltenen
Eventualregelungen bezüglich dieser Unterhaltsbeiträge den Umständen
angepasst erschienen. Da sie keine Rechtsöffnungstitel bildeten, werde
im Einverständnis der Parteien von ihrer Genehmigung abgesehen. Die
getroffenen Vereinbarungen seien jedoch vorzumerken, in der Meinung,
dass sie einen allfälligen spätern Abänderungsprozess erleichtern oder
besser noch verhüten könnten. Das Gericht nahm die beiden Ziffern in
ihrem vollen Wortlaut in das Urteilsdispositiv auf, und zwar im Anschluss
an die Verpflichtung des Klägers zur Bezahlung der auf je Fr. 250.--
monatlich festgesetzten Beiträge an den Unterhalt der Kinder.

    Das bezirksgerichtliche Urteil erwuchs in Rechtskraft.

    B.- Am 30. April 1974 machte Frau Hedi Wüest-Zemp beim Bezirksgericht
Zürich eine Klage gegen ihren geschiedenen Ehemann anhängig, und zwar
mit folgendem Rechtsbegehren:
      "Es sei der Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Januar
      1968 an
   den Unterhalt der Kinder Hedwig Maria, Elietta Rita und Walter Eugen
   monatlich Unterhaltsbeiträge von je Fr. 350.--, abzüglich Fr. 250.--,
   zu bezahlen, nämlich total Fr. 21'600.--, gerechnet bis zum 31. Dezember
   1973, zuzüglich 5% Zinsen von Fr. 21'600.-- ab 1. Januar 1971."

    Zur Begründung berief sie sich auf Ziffer 5 der Scheidungskonvention
und machte geltend, der Beklagte habe bereits ab 1968 ein bedeutend
über Fr. 35'000.-- liegendes steuerbares Reineinkommen erzielt, weshalb
er zur Bezahlung der in der Vereinbarung für diesen Fall vorgesehenen
höheren Kinder-Unterhaltsbeiträge verpflichtet sei; die eingeklagte
Forderung stelle die Differenz zwischen den vom Beklagten für die Zeit
vom 1. Januar 1968 bis zum 31. Dezember 1973 geschuldeten und den von
ihm tatsächlich bezahlten Unterhaltsbeiträgen dar.

    Mit Urteil vom 23. Februar 1976 hiess das Obergericht des Kantons
Zürich als letzte Instanz die Klage teilweise gut und verpflichtete den
Beklagten, der Klägerin Fr. 18'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Juli 1971
zu bezahlen.

    C.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung ans Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Berufungsverfahren vor Bundesgericht ist allein die Frage
streitig, ob die Ziffer 5 der Scheidungskonvention seinerzeit im Sinne
von Art. 158 Ziff. 5 ZGB richterlich genehmigt worden und damit in
Rechtsgültigkeit erwachsen ist. Davon hängt es nach der übereinstimmenden
Auffassung der Parteien ab, ob der Beklagte zur Bezahlung des von der
Klägerin geforderten Betrages verpflichtet ist. Der Beklagte macht im
wesentlichen geltend, der Scheidungsrichter habe in seinem Urteil klar
zwischen Genehmigung und blosser Vormerkung einzelner Bestimmungen der
Konvention unterschieden und sodann selber zum Ausdruck gebracht, was
die Vormerkung zu bedeuten habe: Genehmigt habe er nur jenen Teil der
Scheidungskonvention, den er zum Urteil erhoben habe; vorgemerkt habe
er demgegenüber jene Bestimmungen, die als Massstab für einen späteren
Abänderungsprozess von Bedeutung sein könnten. Die Parteien hätten auf die
Genehmigung der Ziffer 5 und damit auf deren Verbindlichkeit verzichtet;
dadurch sei diese Bestimmung aus der Konvention losgelöst worden. Die
vorgesehene Anpassung der Rente könne somit nur durch Abschluss einer
Vereinbarung oder auf dem Wege einer Abänderung des Scheidungsurteils
erreicht werden. Ein Auseinanderfallen von formeller und materieller
Genehmigung sei dem Bundesrecht unbekannt.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 158 Ziff. 5 ZGB bedürfen Vereinbarungen über die
Nebenfolgen der Scheidung zu ihrer Rechtsgültigkeit der Genehmigung durch
den Richter. Zweck dieser Genehmigungspflicht ist es, dass die von den
Parteien geschlossenen Vereinbarungen vom Richter auf ihre rechtliche
Zulässigkeit, ihre Klarheit und ihre sachliche Angemessenheit geprüft
werden (EGGER, N. 14 zu Art. 158 ZGB; HINDERLING, Das schweizerische
Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 185; BGE 60 II 82). Die Prüfung der
Angemessenheit einer Vereinbarung ist allerdings nur eine beschränkte,
soweit lediglich die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den
Eheleuten selber in Frage stehen (vgl. dazu BGE 99 II 362 lit. c mit
Zitaten).

    Das Gesetz regelt nicht näher, in welcher Form die Genehmigung zu
erfolgen hat. Es dürfte indessen kaum zweifelhaft sein, dass sie in das
Scheidungsurteil selber aufzunehmen ist (so EGGER, N. 15 zu Art. 158 ZGB;
EMILIE HARTMANN, Die Scheidungskonvention nach schweiz. Privatrecht,
Berner Diss. 1943, S. 40/41). Da es sich dabei um eine Einrichtung des
Bundesrechts handelt, ist die Frage, ob eine Genehmigung im Einzelfall
erfolgt sei, der Überprüfung durch das Bundesgericht zugänglich. Die
Genehmigung ist grundsätzlich dann als erteilt zu betrachten, wenn sich
aus dem Scheidungsurteil ergibt, dass der Richter das von den Parteien
Vereinbarte auf seine Zulässigkeit, Klarheit und Angemessenheit hin
geprüft und unter diesen Gesichtspunkten nichts dagegen einzuwenden
hat. Ob und inwieweit der Inhalt einer genehmigten Vereinbarung in das
Urteilsdispositiv selber aufgenommen werden muss, kann hier dahingestellt
bleiben, da diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist (vgl. zu
dieser Frage GMÜR, N. 23a zu Art. 158 ZGB; HARTMANN, aaO S. 40/41).

    Aus dem Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Uster geht hervor,
dass das Gericht die Regelung in Ziffer 5 der Scheidungskonvention
materiell geprüft und deren Angemessenheit bejaht hat. Der einzige Grund,
weshalb es die betreffende Bestimmung von der formellen Genehmigung
glaubte ausnehmen zu müssen, war der Umstand, dass sie nicht als
Rechtsöffnungstitel betrachtet werden konnte. Trotzdem nahm es sie in das
Urteilsdispositiv auf, "in der Meinung, dass sie einen allfälligen spätern
Abänderungsprozess erleichtern oder besser noch verhüten könne(n)". Damit
steht fest, dass das Scheidungsgericht den verbindlichen Charakter der
betreffenden Bestimmung nicht grundsätzlich in Frage stellen wollte. Es
war lediglich der Auffassung, deren Anwendbarkeit beschränke sich auf den
Fall einer späteren Abänderung des Scheidungsurteils. Da dieser Umstand
indessen auch nach der Auffassung des Gerichts keinen genügenden Grund
für die Ausserachtlassung des von den Parteien Vereinbarten bildete,
wurde die fragliche Bestimmung im Urteil vorgemerkt. Es fragt sich nun,
ob diese Vormerknahme von der Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht
als Genehmigung im Sinne von Art. 158 Ziff. 5 ZGB anerkannt werden durfte.

    Diese Frage ist ohne Bedenken zu bejahen. Aus dem Bundesrecht lässt
sich nicht ableiten, dass eine Scheidungsvereinbarung geradezu den
Charakter eines Rechtsöffnungstitels aufweisen müsse, um gerichtlich
genehmigt werden zu können. Zwar ist es zweifellos erwünscht, wenn bei
der Umschreibung der Leistungspflicht einer Partei darauf geachtet wird,
dass die Vollstreckung möglichst ohne neuen Prozess erfolgen kann. Es würde
indessen zu weit führen, einem von den Parteien vereinbarten Nachklagerecht
die Genehmigung nur deshalb zu versagen, weil es ohne neuen Prozess nicht
vollstreckbar ist (BGE 80 II 192/193).

    Mit der Aufnahme von Ziffer 5 der Scheidungskonvention in das
Urteilsdispositiv hat der Scheidungsrichter zum Ausdruck gebracht, dass
auch diese Bestimmung der von den Parteien geschlossenen Vereinbarung
nach Eintritt der darin enthaltenen Bedingung Rechtswirkungen entfalten
solle. Darin ist aber bereits die Erteilung einer Genehmigung im Sinne
von Art. 158 Ziff. 5 ZGB zu erblicken. Dass der Scheidungsrichter auf
Grund einer bundesrechtlich nicht zutreffenden Überlegung annahm, die
Genehmigung könne formell nicht in gleicher Weise ausgesprochen werden wie
in bezug auf die ohne weiteres vollstreckbaren Konventionsbestimmungen,
vermag an der Rechtslage nichts zu ändern. Mit der materiellen Prüfung
der getroffenen Regelung und deren Vormerknahme im Urteilsdispositiv
ist das von den Parteien Vereinbarte sinngemäss genehmigt worden, selbst
wenn dies aus dem Scheidungsurteil nicht ausdrücklich hervorgeht. Eine
falsche Ausdrucksweise darf nichts schaden, sofern alle Voraussetzungen
einer Genehmigung im Sinne des Bundesrechts gegeben sind.

    Nicht von Bedeutung ist ferner, dass der Scheidungsrichter
die rechtliche Tragweite der betreffenden Klausel lediglich in der
Erleichterung eines künftigen Abänderungsprozesses erblickte. Der später
angerufene Richter ist an die Interpretation des Scheidungsrichters nicht
gebunden. Erheblich ist einzig, dass der betreffenden Bestimmung auch nach
Auffassung des Scheidungsrichters bindende Wirkung zukam. Das ist hier
der Fall. Es trifft deshalb nicht zu, dass mit dem im Einverständnis der
Parteien erfolgten Verzicht auf eine förmliche Genehmigung auch auf die
Verbindlichkeit der in Frage stehenden Regelung verzichtet worden wäre,
wie in der Berufungsschrift ausgeführt wird.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts
(I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 23. Februar 1976 bestätigt.