Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 53



102 II 53

8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Januar 1976 i.S.
Aktiengesellschaft X. gegen Gesellschaft A. Regeste

    1. Art. 43 Abs. 1 und 55 Abs. 1 lit. c OG. Gegen Entscheide, die
auf kantonalem Recht beruhen, ist die Berufung nur zulässig, wenn der
kantonale Gesetzgeber bei der Regelung der Frage verpflichtet war, auf
Bundesrecht Rücksicht zu nehmen (Erw. 1).

    2. Art. 2 ZGB setzt der Anwendung des kantonalen Rechts keine Schranken
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- D. erwarb im Dezember 1971 bei einer Schweizer Bank auf 10'000
US-Dollars lautende Reise-Checks der Gesellschaft A., die ihren Sitz in
New York hat. Er liess den Preis dem Konto der in Vaduz niedergelassenen
Aktiengesellschaft X. belasten. Die Checks kamen ihm in Rom abhanden und
wurden einige Tage später von Unbekannten bei Banken im Ausland eingelöst.

    Im September 1974 klagte die Aktiengesellschaft X. beim
Gerichtspräsidenten von Saanen gegen die Gesellschaft A. auf Zahlung
von Fr. 39'491.-- nebst Zins und Kosten. Sie machte geltend, das
Rechtsverhältnis zwischen den Parteien unterstehe gemäss Art. 1140 OR dem
Rechte der Vereinigten Staaten, weshalb die Berufung an das Bundesgericht
nicht möglich sei und Art. 7 Abs. 2 bern. ZPO, wonach für berufungsfähige
vermögensrechtliche Streitigkeiten in der Regel der Appellationshof
einzige kantonale Instanz ist, nicht zutreffe.

    B.- Der Gerichtspräsident von Saanen hielt sich sachlich für
unzuständig, weil schweizerisches Recht jedenfalls als Ersatzrecht
anwendbar, die Sache daher berufungsfähig sei. Er wies die Klage ohne
Prüfung zurück.

    Auf Appellation der Klägerin hin entschied der Appellationshof des
Kantons Bern am 11. November 1975 im gleichen Sinne.

    C.- Die Klägerin ficht das Urteil des Appellationshofes mit der
Berufung an. Sie beantragt, es aufzuheben und die Sache zur weitern
Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gegenstand der beiden kantonalen Entscheide und folglich der
Berufung ist nur, ob die Klage beim Gerichtspräsidenten angebracht werden
durfte oder ob gemäss Art. 7 Abs. 2 ZPO als einzige kantonale Instanz
der Appellationshof zuständig sei. Diese Frage untersteht dem kantonalen
Prozessrecht (Art. 64 Abs. 3 BV) und darf daher vom Bundesgericht auf
Berufung hin nicht überprüft werden (Art. 43, 55 Abs. 1 lit. c OG).

    Dass die sachliche Zuständigkeit der kantonalen Instanzen
davon abhängt, ob bei materieller Beurteilung die Berufung an das
Bundesgericht zulässig wäre, ändert nichts. Das ist zwar eine Vorfrage
des eidgenössischen Rechts. Eine solche macht aber die Berufung gegen
einen auf kantonalem Recht beruhenden Entscheid nur möglich, wenn der
kantonale Gesetzgeber verpflichtet ist, dem eidgenössischen Recht Rechnung
zu tragen (BGE 80 II 183, 84 II 133, 85 II 364, 96 II 63, 101 II 170). Das
trifft hier nicht zu. Das Bundesrecht bestimmt nicht, der Kanton müsse zur
Beurteilung vermögensrechtlicher Klagen der vorliegenden Art im Falle der
Berufungsfähigkeit der Sache eine einzige Instanz, andernfalls dagegen
deren zwei einsetzen. Dass die vorliegende Klage zur Aufrechterhaltung
eines Arrestes eingereicht wurde, ist unerheblich. Auch für solche Klagen
regelt ausschliesslich das kantonale Recht die sachliche Zuständigkeit
des kantonalen Richters, wie es übrigens (s. BGE 85 II 363, 91 II 45,
95 II 206) auch für den örtlichen Gerichtsstand allein massgebend ist.

    Damit ist zugleich gesagt, dass das eidgenössische Recht nicht
gebietet, wie der von Art. 7 Abs. 2 ZPO verwendete Begriff der
"vermögensrechtlichen Streitigkeiten, welche der Berufung an das
Bundesgericht fähig sind", auszulegen sei. Es ist eine Frage des kantonalen
Rechts, ob die Berufungsfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung schon dann
gegeben ist, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Bundesgericht auf Berufung
gegen das Sachurteil hin wird entscheiden müssen, ob ausländisches oder
schweizerisches Recht anzuwenden sei, oder nur dann, wenn das streitige
Rechtsverhältnis dem schweizerischen Recht untersteht und das Bundesgericht
den Streit daher auch im übrigen wird beurteilen können.

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin erachtet die Einrede der Beklagten, der
Gerichtspräsident sei sachlich nicht zuständig, als rechtsmissbräuchlich.

    Auch auf diese Rüge kann nicht eingetreten werden. Art. 2 ZGB setzt
nur der Berufung auf eidgenössisches Recht eine Schranke, nicht auch
der Anwendung des kantonalen Rechtes (BGE 44 II 445, 79 II 405 Erw. 5,
83 II 351 Erw. 3, 84 II 642, 85 II 151).