Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 420



102 II 420

61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. November 1976 i.S.
C.J. Bucher AG gegen Max Frey Regeste

    Vorvertrag über den Zusammenschluss von Aktiengesellschaften;
Konventionalstrafe.

    1. Art. 637 und 638 OR. Diese Bestimmungen verlangen die öffentliche
Beurkundung nicht zum Schutze der Gründer. Die Verpflichtung, zwei
Aktiengesellschaften in einer Holding zusammenzuschliessen, kann daher
gemäss Art. 22 Abs. 2 OR auch formlos vereinbart werden (Erw. 2).

    2. Art. 161 Abs. 1 und 163 Abs. 1 OR. Angemessenheit einer
Konventionalstrafe, die für den Fall eines Vertragsbruches durch eine
Partei zum Ausgleich eines ideellen Schadens der anderen vereinbart worden
ist (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Im Frühjahr 1972 begannen Beauftragte der C.J. Bucher AG
und der Jean Frey AG über eine wirtschaftliche Verbindung der beiden
Gesellschaften zu verhandeln. Die erste war vertreten durch Frau Alice
Bucher, Präsidentin des Verwaltungsrates und zusammen mit Charles Bucher
Mitinhaberin aller Aktien der Bucher AG, die zweite durch Max Frey; dieser
gehörte zur Erbengemeinschaft Frey-Massino, welche die Aktienmehrheit der
Jean Frey AG besass. Man nahm die Gründung einer Holdinggesellschaft in
Aussicht, liess bereits im Herbst 1972 Vertrags- und Statutenentwürfe
ausarbeiten und die beiden Unternehmen durch Fachleute bewerten. Nach
deren Berichten wurden die Substanzwerte für die Mehrheitsbeteiligung
der Erbengemeinschaft Frey-Massino an der Jean Frey AG mit rund Fr. 108
Mio. und für das gesamte Aktienkapital der Bucher AG mit etwa Fr. 73
Mio. angegeben. Die Ertragsberechnungen lauteten bei der Jean Frey AG
auf einen "durchschnittlichen Zukunftsgewinn" von Fr. 9,1 Mio., bei
der Bucher AG dagegen auf einen "nachhaltigen Zukunftsverlust" von etwa
Fr. 180'000.--.

    Am 20./21. März 1973 unterzeichneten Alice und Charles Bucher
als Aktionärgruppe I und Max Frey als Vertreter der Erbengemeinschaft
Frey-Massino oder Aktionärgruppe II einen "Vorvertrag". Sie beschlossen,
die beiden Unternehmen samt deren Tochtergesellschaften zu einer
wirtschaftlichen Einheit unter einer Führung zusammenzuschliessen, die
rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaften aber zu wahren. Die von der
Erbengemeinschaft Frey-Massino einzubringenden Vermögenswerte sollten 55%,
diejenigen der Bucher AG 45% der neuen Gesellschaft ausmachen.

    In der gleichen Eigenschaft unterzeichneten Alice und Charles Bucher
sowie Max Frey am 10. Mai 1973 nach stundenlangen Besprechungen mit ihren
Beratern einen "Zusammenschlussvertrag". Ausgehend vom "Vorvertrag", dessen
Inhalt sie sinngemäss wiederholten, verpflichteten die Vertragspartner
sich unwiderruflich, bis spätestens 7. Juni 1973 eine Holding gemäss
den bereits angenommenen Statuten zu gründen (Ziff. 1), den raschen
Zusammenschluss durch alle Vorkehren zu fördern und alle Behinderungen
zu vermeiden (Ziff. 2). Sie versicherten einander, dass sie seit dem
31. Dezember 1971 keine Handlungen vornahmen, welche die finanzielle Lage
ihrer Unternehmen negativ beeinflussten, und dass sie solche Handlungen
bis zur Gründung der Holding unterlassen wollten (Ziff. 5). Falls eine
Vertragspartei die Gründung der Holding verhinderte, sollte "sie im
Hinblick auf den der Gegenpartei daraus entstehenden ideellen Schaden
dieser als Konventionalstrafe" Fr. 1'000'000.-- bezahlen (Ziff. 7).

    Am 30. Mai 1973 schrieb Max Frey an Alice und Charles Bucher, dass die
Gruppe Frey die bisherigen Abmachungen wegen Irrtums und absichtlicher
Täuschung als dahingefallen betrachte und Schadenersatzansprüche
vorbehalte. In ihrer Antwort vom 5. Juni wiesen Alice und Charles Bucher
den Vorwurf der Täuschung zurück und hielten am Vertrag vom 10. Mai
fest. Am 6. August teilten sie Max Frey jedoch mit, dass sie auf die
Erfüllung des Vertrages vom 10. Mai verzichten und die Konventionalstrafe
sowie Schadenersatz beanspruchen würden. Am 18. August verkauften sie
alle Aktien der Bucher AG an die Ringier & Co. AG, obwohl Max Frey dafür
mehr bezahlen wollte als die Käuferin.

    Im September 1973 traten Alice und Charles Bucher ihre Rechte und
Forderungen aus dem Zusammenschlussvertrag vom 10. Mai an die Bucher
AG ab. Diese klagte am 18. März 1974 beim Bundesgericht gegen Max
Frey auf Zahlung von Fr. 1'000'000.-- nebst 6% Zins seit 6. August
1973. Sie fordert damit die Konventionalstrafe gemäss Ziff. 7 des
Zusammenschlussvertrages.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, eventuell die
Konventionalstrafe angemessen herabzusetzen. Er macht geltend, der Vertrag
vom 10. Mai 1973 sei mangels öffentlicher Beurkundung nichtig oder wegen
Grundlagenirrtums unverbindlich; jedenfalls sei die vertraglich vorgesehene
Konventionalstrafe weit übersetzt.

    Das Bundesgericht heisst die Klage in vollem Umfange gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Klage stützt sich auf Ziff. 7 des Zusammenschlussvertrages vom
10. Mai 1973, wonach eine Vertragspartei der andern eine Konventionalstrafe
von Fr. 1'000'000.-- bezahlen sollte, wenn sie die geplante Gründung einer
Holdinggesellschaft verhinderte. Die Klägerin wirft dem Beklagten vor,
diese Gründung mit seinem Schreiben vom 30. Mai 1973 verweigert zu haben.

    Der Beklagte hält dem vorweg entgegen, der Vertrag vom 10. Mai 1973 sei
formwidrig abgeschlossen worden. Es handle sich um einen Vorvertrag, der
alle wesentlichen Punkte zur Gründung einer Holding-Aktiengesellschaft
regle. Der Gründungsvorgang bedürfe gemäss Art. 637 und 638 OR
der öffentlichen Beurkundung, die nach Art. 22 Abs. 2 OR auch für
den Vorvertrag gelte. Die herrschende Lehre zum Aktienrecht und zum
Recht der GmbH stimme damit überein. Vorliegend sei diese Form nicht
eingehalten worden, der Vertrag folglich nichtig. Die Klägerin meint
dagegen, die Vertragsparteien hätten sich zu einer einfachen Gesellschaft
zusammengeschlossen, die u.a. die vorgesehene Holding gründen sollte. Die
Verbindung zu einer einfachen Gesellschaft sei formlos möglich und
insbesondere auch zum Zwecke zulässig, eine Aktiengesellschaft zu bilden.

    a) Das Bundesgericht hat zur Frage, ob Interessenten sich zwecks
Gründung einer Aktiengesellschaft auch formlos zu einer einfachen
Gesellschaft zusammenschliessen können, bisher nicht umfassend Stellung
genommen. Es hat aber wiederholt entschieden, dass die Gründer einer
Aktiengesellschaft bis zu deren Eintragung eine einfache Gesellschaft
bilden (BGE 85 I 131, 95 I 278, 101 Ib 362).

    In der Lehre wird nicht nur die Frage, ob die Vereinbarung über
die Gründung einer Aktiengesellschaft durch die daran Beteiligten als
formbedürftiger Vorvertrag oder als formlos möglicher Zusammenschluss zu
einer einfachen Gesellschaft anzusehen sei, sondern auch die Natur des
Vorvertrages verschieden beurteilt. So halten GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 113)
die Bezeichnung "Vorvertrag" je nach dessen Inhalt für widersprüchlich
und nur dort für gerechtfertigt, wo der erste Vertrag ohne Abschluss
eines zweiten nicht erzwungen werden kann. Ähnlich äussern sich VON
TUHR/SIEGWART (OR I 252 ff.; vgl. ferner OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3/9
besonders N. 6, und BECKER, N. 3/7 besonders N. 7 zu Art. 22 OR; BGE 58
II 365).

    Vereinbaren mehrere, sich zwecks Gründung einer Aktiengesellschaft
zusammenzuschliessen, so entsteht nach GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 526 und
568) eine einfache Gesellschaft. Diese Autoren lehnen es jedoch ab,
die Vereinbarung als Vorvertrag zu behandeln und dafür die öffentliche
Beurkundung zu fordern. SIEGWART (N. 14 zu Art. 645 OR) ist gleicher
Ansicht, verweist aber auf N. 40/44 der Vorbemerkungen zu Art. 629 bis 639
OR, wo er F. VON STEIGER anführt und unter Annahme fliessender Übergänge
unterscheidet, ob nur der Zusammenschluss mehrerer zur Erreichung eines
gemeinsamen Zweckes oder schon die Übernahme aktienrechtlich bestimmter
Pflichten gegeben sei, und die Formlosigkeit entsprechend einschränkt. Nach
SCHUCANY (2. Aufl. N. 1 zu Art. 643 OR) besteht im Vorstadium der
Gründung eine einfache Gesellschaft, muss der Vorvertrag über die Gründung
aber öffentlich beurkundet werden und alle wesentlichen Bestimmungen der
Statuten enthalten. F. VON STEIGER (Das Recht der Aktiengesellschaft in der
Schweiz, 4. Aufl. S. 118; Die schweiz. Aktiengesellschaft, 30 S. 174 ff.)
unterstellt den Vorvertrag über die Gründung ebenfalls dem Formzwang. Das
gleiche gilt für die GmbH nach LANZ (Die schweiz. Aktiengesellschaft, 39 S.
185), HACHENBURG (ZSR 55 S. 141) und nach JANGGEN/BECKER (N. 3 zu Art. 779
OR), während W. VON STEIGER (N. 13 zu Art. 779 OR und Schweiz. Privatrecht
VIII/1 S. 339/40) sowohl für die GmbH wie für die Aktiengesellschaft
ähnlich abgrenzt wie SIEGWART.

    b) Eine Auseinandersetzung mit diesen Lehrmeinungen erübrigt sich
indes im vorliegenden Fall, da der Zusammenschlussvertrag vom 10. Mai
1973 schon nach dem Sinn und Zweck des Art. 22 Abs. 2 OR nicht öffentlich
zu beurkunden war. Diese Bestimmung verlangt die Form des künftigen
Vertrages nicht schlechthin auch für den Vorvertrag, sondern nur wo das
Gesetz sie zum Schutze der Beteiligten fordert. So schreibt Art. 657 ZGB
die öffentliche Beurkundung im Verkehr mit Grundstücken insbesondere vor,
um die Vertragsschliessenden vor unüberlegten Entschlüssen zu bewahren
(BGE 90 II 281 Erw. 6 mit Zitaten); aus dem gleichen Grunde ist diese Form
auch zu beachten, wenn Grundstücke in eine Aktiengesellschaft eingebracht
werden (BGE 58 II 363, 64 II 280 Erw. b).

    Die Formvorschriften der Art. 637 und 638 OR dagegen verlangen
die öffentliche Beurkundung der Beschlüsse der konstituierenden
Generalversammlung bzw. des Errichtungsaktes nicht zum Schutze der
Gründer. Damit sollen vielmehr unlautere Machenschaften verhindert, die
gesetzeskonforme Abwicklung des Gründungsvorganges gewährleistet und
verlässliche Beweise gesichert werden (F. VON STEIGER, Das Recht der
Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. S. 118; SIEGWART, N. 2 zu
Art. 637 OR). Die Vorschriften verfolgen also vor allem objektive Zwecke
zum Schutze Dritter, mögen die Beteiligten daran auch selber interessiert
sein. Gegenstand des Vertrages vom 10. Mai 1973, der denjenigen vom
20./21. März ersetzte, war aber bloss die Verpflichtung der Beteiligten,
ihre Aktien in eine neue Gesellschaft einzubringen, diese zu gründen
und sich bis dahin wohlzuverhalten. Dazu brauchte es keine öffentliche
Urkunde. Das Einbringen von Aktien ist formlos gültig, zumal man sich
auch ohne eine solche Urkunde verpflichten kann, Aktien zu zeichnen. Der
Formzwang für den Vertrag vom 10. Mai ist deshalb zu verneinen.

    Eine solche Lösung ist in Fällen, wie hier, auch sachlich
gerechtfertigt. Verhandlungen zu Gesellschaftsgründungen können sich
nach der Erfahrung lange und über verschiedene Phasen hinziehen, in denen
die sich stellenden Fragen nacheinander erörtert werden (vgl. über die
Gründung von Kartellen bei BECKER, N. 4 zu Art. 22 OR). Umso schwieriger
ist es, formfreie Vereinbarungen über blosse Richtlinien, Feststellungen
und gegenseitige Zugeständnisse von solchen zu unterscheiden, die als
formbedürftige Vorverträge in Betracht kommen. Diese Schwierigkeiten
lassen sich weitgehend vermeiden, wenn der Gegenstand der Vereinbarung
nach dem Schutzgedanken der Art. 637 und 638 OR geprüft wird.

    (3.- Ausführungen darüber, dass der Beklagte sich beim
Vertragsabschluss vom 10. Mai 1973 weder über eine wesentliche Tatsache
irrte, noch dass die Gegenpartei ihn angeblich in Kenntnis eines solchen
Irrtums unterzeichnen liess.)

Erwägung 4

    4.- Das Beweisverfahren hat nichts dafür ergeben, dass Frau
Bucher nachträglich auf die Konventionalstrafe verzichtet habe. Der
Beklagte behauptet dies auch nicht mehr. Er macht aber geltend, die
Konventionalstrafe sei jedenfalls weit übersetzt und daher zu kürzen; sie
sei zum Ausgleich eines ideellen Schadens vereinbart worden, welcher der
einen Partei wegen Verletzung der Gründerverpflichtung durch die andere
entstehen konnte. Einen solchen Schaden habe die Gruppe Bucher überhaupt
nicht oder höchstens in einem ganz geringfügigen Masse erlitten.

    Nach Art. 163 Abs. 1 OR kann die Konventionalstrafe von den Parteien
in beliebiger Höhe bestimmt werden. Sie verfällt gemäss Art. 161 Abs. 1 OR
auch dann, wenn dem Gläubiger kein Schaden entstanden ist. Dass in Ziff. 7
des Zusammenschlussvertrages von ideellem Schaden die Rede ist, ergibt
daher keine nach übereinstimmender Willensäusserung gewollte Abweichung
von der gesetzlichen Regelung. Eine Konventionalstrafe wird ja gerade
vorgesehen, um dem Gläubiger den Nachweis eines Schadens zu ersparen (BGE
95 II 539). Die Klägerin wurde übrigens vor einem "Gesichtsverlust", der
auch nach Auffassung des Beklagten einen ideellen Schaden bilden kann,
nicht schon dadurch bewahrt, dass die Parteien nach dem 30. Mai 1973
zunächst mit einem andern Zweck weiter verhandelten und die Bucher-Aktien
schliesslich an eine der mächtigsten Gesellschaften im schweizerischen
Pressewesen verkauft wurden. Dass der bereits abgemachte und der Presse
mitgeteilte Zusammenschluss an der Weigerung des Beklagten scheiterte,
dürfte in den Kreisen, an welche die Mitteilung vorab gerichtet war,
alsbald bekannt geworden sein. Verglichen mit dem partnerschaftlichen
Zusammenschluss in einer Holding stellte der Aktienverkauf an eine
wirtschaftlich mächtige Gesellschaft aber jedenfalls ein Minderes,
folglich auch einen Gesichtsverlust dar.

    Für den Ausgang des Verfahrens kommt darauf jedoch nichts an. Die
Klausel über die Konventionalstrafe wurde von den Parteien, die beide
als geschäftskundig und erfahren anzusehen sind, insbesondere zur
Sicherung der Gründerverpflichtung in den Vertrag aufgenommen. Sie
schätzten die Auswirkungen für den Fall, dass eine Partei die Gründung
verhinderte, übereinstimmend auf 1 Million Franken. Darüber musste
sich auch der Beklagte Rechenschaft geben. Da von Irrtum nicht die
Rede sein kann, erweist sich seine Weigerung vom 30. Mai 1973 als
glatter Vertragsbruch, bei dem es geblieben ist; er hat nachher nicht
mehr über einen Zusammenschluss, sondern nur noch über einen Kauf der
Bucher-Aktien verhandelt. Sein Verhalten lief darauf hinaus, seine
Zustimmung zum Vertrag und damit zur Vereinbarung über die Folgen
einer Nichterfüllung zu bestreiten; es rechtfertigt deshalb keine
Herabsetzung der Konventionalstrafe. Ebensowenig hilft dem Beklagten,
dass die Konventionalstrafe angeblich unentgeltlich an die Klägerin
abgetreten worden ist. Die Gültigkeit einer Abtretung hängt weder von
einer Gegenleistung ab, noch braucht eine solche in der Urkunde angegeben
zu werden.

    Stichhaltige Gründe, die vereinbarte Konventionalstrafe herabzusetzen,
sind auch sonst nicht zu ersehen. Es trifft insbesondere nicht zu, dass
sie in der vereinbarten Höhe das vernünftige, mit Recht und Billigkeit
noch vereinbare Mass übersteige, wie der Beklagte behauptet. Das lässt
sich schon angesichts der Vermögenswerte, die beiderseits auf dem Spiele
standen, nicht sagen.