Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 385



102 II 385

55. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. September
1976 i.S. Erbschaft der Frau Marie Boog-Bähny gegen Darlehenskasse
Ebikon-Buchrain Regeste

    Parteifähigkeit einer unverteilten Erbschaft im Aberkennungsprozess.

    Kann eine Erbschaft als solche nach Art. 49 SchKG betrieben werden,
muss ihr auch die Passivlegitimation im Rechtsöffnungsverfahren zuerkannt
werden. Ist die Erbschaft aber auch berechtigt, im nachfolgenden
Aberkennungsprozess als Klägerin aufzutreten? Frage offen gelassen.

Sachverhalt

    A.- Die am 20. Oktober 1969 verstorbene Marie Boog-Bähny hinterliess
als gesetzliche Erben ihren Ehemann, Alois Boog-Bähny, und vier Kinder,
von denen das jüngste noch minderjährig ist. Die Erbschaft ist bis heute
unverteilt.

    Am 15. März 1972 verlangte die Darlehenskasse Ebikon-Buchrain von
Alois Boog als dem Vertreter der Erbengemeinschaft die Rückzahlung von
Darlehen, welche sie der Verstorbenen in den Jahren 1963 und 1964 gewährt
hatte. Da die Rückzahlung nicht erfolgte, leitete die Darlehenskasse
mit Zahlungsbefehl Nr. 2736 des Betreibungsamtes Luzern vom 26. April
1972 gegen die "Erbschaft der Frau Marie Boog-Bähny, wohnhaft gewesen
in Goldau, mit Zustellung an den Erbenvertreter: Alois Boog-Bähny,
Rigihaus, Parkstrasse, 6410 Goldau" Grundpfandbetreibung für den Betrag
von Fr. 74'368.85 nebst Zins zu 6 1/4% seit 21. April 1972 ein. Alois
Boog-Bähny erhob dagegen Beschwerde und machte geltend, die am 1. Mai
1972 an ihn erfolgte Zustellung des Zahlungsbefehls sei ungültig,
weil er zur Vertretung der Erbschaft nicht befugt sei. Diese Beschwerde
wurde von den kantonalen Aufsichtsbehörden und letztinstanzlich von der
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts am 17. August
1972 abgewiesen.

    Alois Boog hatte gegen den Zahlungsbefehl ausserdem Rechtsvorschlag
erhoben, worauf der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Stadt der
Gläubigerin mit Entscheid vom 5. Dezember 1972 die provisorische
Rechtsöffnung in der anbegehrten Höhe von Fr. 46'000.-- nebst 6
1/4% Zins seit 21. April 1972 erteilte. Ein Rekurs gegen diesen
Rechtsöffnungsentscheid wurde vom Obergericht des Kantons Luzern am
26. Januar 1973 abgewiesen; die von Alois Boog dagegen beim Bundesgericht
eingereichte staatsrechtliche Beschwerde wurde mit Verfügung vom 17. Mai
1973 als durch Rückzug erledigt abgeschrieben.

    B.- Alois Boog-Bähny erhob am 16. März 1973 bezüglich der Forderung
der Darlehenskasse Ebikon-Buchrain von Fr. 46'000.-- nebst 6 1/4% Zins
seit 21. April 1972 rechtzeitig Aberkennungsklage. Dabei verwendete
er für die Klägerin die Parteibezeichnung ""Erbschaft" der Frau Maria
Boog-Bähny, sel., wohnhaft gewesen in Goldau, zwangsweise vertreten durch
den unterzeichneten Alois Boog-Bähny, Rigihaus, Parkstrasse, Goldau/SZ".

    Die Klage wurde vom Amtsgericht Luzern-Stadt am 6. März 1974
abgewiesen. Das Obergericht des Kantons Luzern wies eine von Alois Boog als
Vertreter der Klägerin erhobene Appellation mit Entscheid vom 20. Oktober
1975 ab.

    C.- Gegen das obergerichtliche Urteil reichte Alois Boog für die
Erbschaft der Frau Marie Boog-Bähny beim Bundesgericht Berufung ein. Er
beantragte, das Urteil vom 20. Oktober 1975 sei aufzuheben und die
Forderung von Fr. 46'000.-- nebst 6 1/4% Zins seit 21. April 1972, wofür
das Obergericht Luzern mit Entscheid vom 26. Januar 1973 die provisorische
Rechtsöffnung erteilt habe, sei gerichtlich abzuerkennen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- In der Berufungsschrift wird eingewendet, eine Erbschaft als solche
könne nicht Prozesspartei sein, sondern es müssten die einzelnen Mitglieder
der Erbengemeinschaft persönlich als Kläger oder Beklagte auftreten,
sofern nicht ein behördlich bestellter Erbenvertreter, Erbschaftsverwalter
oder ein Willensvollstrecker vorhanden sei. Ein solcher fehle aber im
vorliegenden Fall, da Alois Boog nicht als Vertreter ernannt worden sei.

    In der Tat haben Lehre und Rechtsprechung bisher stets den Standpunkt
eingenommen, weder die Erbengemeinschaft noch auch die Erbschaft als
Sondervermögen seien prozessfähig, weil beiden die Rechtspersönlichkeit
fehle (BGE 53 II 354 und 79 II 115; TUOR/PICENONI, N. 32, und ESCHER,
N. 55 ff. zu Art. 602 ZGB). Diesen Standpunkt kritisiert SPINNER,
Die Rechtsstellung des Nachlasses in den Fällen seiner gesetzlichen
Vertretung, Diss. Zürich 1966, S. 76 ff. (vgl. dazu aber ESCHER in SJZ
63/1967 S. 15). Doch erkennt auch dieser Autor dem Nachlass nur unter
der Voraussetzung die Prozessfähigkeit zu, dass ein Willensvollstrecker,
Erbschaftsverwalter oder Erbenvertreter ernannt worden ist (SPINNER,
aaO, S. 79). Diese Auffassung entspricht jedoch weitgehend der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 79 II 116 und 93 II 14).

    Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz, dass eine Erbschaft mangels
Rechtspersönlichkeit nicht parteifähig sei, findet sich in Art. 49 SchKG,
wonach eine unverteilte Erbschaft betrieben werden kann. Die Zustellung
der Betreibungsurkunden kann in diesem Fall gestützt auf Art. 65 Abs. 3
SchKG an irgendeinen der Erben gültig erfolgen, wenn ein für die Erbschaft
bestellter Vertreter nicht bekannt ist. Entgegen der vom Vertreter der
Klägerin im kantonalen Verfahren hartnäckig verfochtenen Auffassung ist
eine Betreibung gegen eine Erbschaft nicht nur dann möglich, wenn sie schon
vor dem Tode des Erblassers angehoben worden ist. Ein solcher Schluss
kann nicht aus Art. 59 Abs. 2 SchKG gezogen werden; diese Vorschrift
will lediglich klarstellen, dass im Falle des Todes des Betriebenen die
Betreibung gegen die Erbschaft weitergeführt werden kann und nicht etwa
erlischt.

    Ist eine Erbschaft als solche passiv betreibungsfähig, so folgt daraus
zwingend, dass ihr auch die Passivlegitimation im Rechtsöffnungsverfahren
zuerkannt werden muss. Der summarische Charakter und die rasche
Abwicklung des Rechtsöffnungsverfahrens erfordern, dass der Erbe,
dem der Zahlungsbefehl zugestellt worden ist, die Erbschaft auch in
diesem Verfahren zu vertreten hat. Das ergibt sich übrigens auch aus
dem Umstand, dass das Rechtsöffnungsverfahren einen Bestandteil des
Betreibungsverfahrens bildet. Im vorliegenden Fall ist denn auch die
Pflicht und die Befugnis des Alois Boog, die Erbschaft der Maria Boog-Bähny
im Rechtsöffnungsverfahren zu vertreten, rechtskräftig festgestellt worden.

    Hievon rechtlich verschieden ist die Frage, ob die Erbschaft als solche
auch im Aberkennungsprozess als Klägerin auftreten und von einem Erben
vertreten werden könne. Das Bundesgericht hatte diese Frage bisher nicht
zu entscheiden. In der Doktrin wurde einzig von SPINNER, aaO, S. 77/78,
auf dieses Problem hingewiesen. Beide kantonalen Instanzen haben indessen
überzeugend dargetan, dass die Erbschaft als solche im Aberkennungsprozess
parteifähig und ihre Vertretung durch einen einzelnen Erben zulässig sein
muss. Wenn laut Gesetz eine unverteilte Erbschaft betrieben und gegen
sie provisorische Rechtsöffnung erteilt werden kann, muss ihr auch die
Möglichkeit offen stehen, die Forderung in eigenem Namen aberkennen zu
lassen. Eine andere Lösung würde zu unabsehbaren Schwierigkeiten führen;
denn in vielen Fällen wird es dem Erben, der die Erbschaft im Betreibungs-
und Rechtsöffnungsverfahren vertreten hat, nicht möglich sein, innert
der kurzen Frist von zehn Tagen für die Einreichung der Aberkennungsklage
entweder das Einverständnis sämtlicher Erben zur Prozessführung einzuholen
oder aber die amtliche Bestellung eines Erbenvertreters zu erwirken. Zum
mindesten müsste einem einzelnen Erben das Recht zugestanden werden,
sei es in eigenem Namen, sei es im Namen der Erbengemeinschaft oder der
Erbschaft eine Aberkennungsklage einzureichen, wie dies das Bundesgericht
bereits bezüglich der Widerspruchsklage entschieden hat (BGE 58 II 195). Zu
erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch BGE 93 II 14, wo für den Fall,
dass ein Erbe für eine angebliche Schuld der Erbengemeinschaft haftet,
entschieden wurde, dass dieser Erbe legitimiert ist, selbständig, ohne
Mitwirkung der Miterben, auf Feststellung des Nichtbestehens einer solchen
Schuld zu klagen.

    Im vorliegenden Fall muss jedoch zur Frage, ob Alois Boog zur
Einreichung der Aberkennungsklage legitimiert war, nicht abschliessend
Stellung genommen werden. Wäre nämlich Alois Boog, wie er behauptet,
nicht berechtigt gewesen, sei es für sich persönlich, sei es im Namen der
Erbengemeinschaft oder als Vertreter der Erbschaft eine Aberkennungsklage
einzureichen, so hätte das Fehlen einer gültigen Klage zur Folge, dass die
provisorische Rechtsöffnung zu einer definitiven geworden wäre. Damit wäre
aber die Rechtslage gleich wie bei Abweisung der Aberkennungsklage durch
die kantonalen Instanzen. Dieser Einwand führt daher für die Klägerin
nicht zum Ziele.