Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 370



102 II 370

53. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. November 1976 i.S. Fischer gegen
Attenhofer AG Regeste

    Art. 1 und 26 Abs. 1 Ziff. 1 PatG. Nichtigkeit eines Patentes.

    1. Anforderungen an die Erfindungshöhe, wenn die Erfindung in der
Übertragung einer vorbekannten Lehre auf neue Gebiete oder Stoffe besteht
(Erw. 1).

    2. Wer eine bereits bekannte Lösung auf einen neuen Ski überträgt,
erbringt keine schöpferische Leistung von Erfindungshöhe (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Der Skifabrikant Josef Fischer stellte am 7. Dezember 1960 in
Österreich ein Patentgesuch für eine Erfindung, die er am 27. November
1961 auch in der Schweiz zur Patentierung anmeldete. Das Eidgenössische
Amt für geistiges Eigentum erteilte ihm dafür am 15. April 1966 das Patent
Nr. 411'659, dessen Hauptanspruch wie folgt lautet:

    "Mehrschichtenski, bei welchem ein mehrteiliger Holz- oder
Kunststoffkern
   an seiner oberen und unteren Begrenzungsfläche durch eine Metallplatte
   abgedeckt ist, wobei die untere Deckplatte an den laufflächenseitigen

    Rändern durchgehende Stahlkanten trägt, dadurch gekennzeichnet, dass
   zwischen den Stahlkanten und der unteren Metallplatte eine Zwischenlage
   aus einem nichtsynthetischen, elastischen Hochpolymer mit einer
   Festigkeit von

    200-300 kg/cm2 und einer elastischen Dehnbarkeit von 500-600%
angeordnet
   ist, welche mit den an sie angrenzenden Teilen fest verbunden ist."

    Dem Hauptanspruch ist ein Unteranspruch zugeordnet, der in der
Patentschrift wie folgt umschrieben wird:

    "Mehrschichtenski nach Patentanspruch, dadurch gekennzeichnet, dass die

    Zwischenlage mit den an sie anschliessenden Teilen durch Vulkanisieren
   verbunden ist."

    B.- Im Dezember 1968 liess Fischer beim Obergericht des Kantons
Luzern gegen die A. Attenhofer AG, Zürich, die ebenfalls Skier herstellt,
Klage wegen Patentverletzung einreichen. Er beantragte insbesondere, der
Beklagten die Herstellung, das Anbieten und den Verkauf von Skiern gemäss
Patent Nr. 411'659 bei Strafe zu verbieten, im Besitze der Beklagten
befindliche Skier dieser Art zu beschlagnahmen und die Beklagte zu
Schadenersatz zu verurteilen.

    Die Beklagte bestritt eine Patentverletzung und beantragte, die
Klage abzuweisen. Sie erhob zudem Widerklage auf Feststellung, dass das
Patent Nr. 411'659 nichtig sei, weil weder von Erfindungshöhe noch von
einem technischen Fortschritt die Rede sein könne.

    Das Obergericht zog zunächst B. als Begutachter bei. Dieser bejahte
die Neuheit, verneinte dagegen die erforderliche Erfindungshöhe und liess
offen, ob der Gegenstand des Streitpatentes einen technischen Fortschritt
aufweise. Zahlreiche Ergänzungsfragen beider Parteien veranlassten den
Experten nicht, seine Auffassung zu ändern.

    Auf Begehren des Klägers ordnete das Obergericht eine weitere
Begutachtung an. Auf Vorschlag beider Parteien bezeichnete es V. und E. als
Oberexperten. Diese hielten den in den Patentansprüchen des Klägers
umschriebenen Mehrschichtenski für neu und technisch fortschrittlich,
verneinten aber eine für die Patentierung genügende Erfindungshöhe.

    Am 28. April 1976 wies das Obergericht des Kantons Luzern die Klage ab
und erklärte das Patent Nr. 411'659 in Gutheissung der Widerklage nichtig.

    C.- Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingereicht. Er
beantragt, es aufzuheben, die Widerklage abzuweisen und die Sache zur
Beurteilung der Hauptklage an die Vorinstanz zurückzuweisen; es sei zudem
ein Ergänzungsgutachten einzuholen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine Erfindung im Sinne des Art. 1 PatG liegt nur vor, wenn die
technisch fortschrittliche Leistung Erfindungshöhe aufweist, d.h. nicht
ohne weiteres schon von durchschnittlich ausgebildeten Fachleuten in
normaler Fortentwicklung der Technik erbracht werden konnte, sondern einen
zusätzlichen schöpferischen Aufwand erforderte (BGE 85 II 138 und 513,
89 II 109 und 167, 92 II 51, 93 II 512).

    Welche Anforderungen an die Erfindungshöhe zu stellen sind, entscheidet
sich nicht allgemein, sondern nach den Umständen des Einzelfalles,
insbesondere nach dem Gebiet, dem die umstrittene Regel angehört, nach
dem vorbekannten technischen Wissen, den zur Verfügung stehenden Mitteln
und der Grösse des technischen Fortschritts; je bedeutender dieser ist,
desto eher ist die Erfindungshöhe zu bejahen, und umgekehrt (BGE 89
II 166 Erw. 5 mit Zitaten). Besteht die Erfindung in einer blossen
Übertragung einer vorbekannten Lösung auf neue Gebiete oder Stoffe,
so ist zu berücksichtigen, dass eine solche dem Durchschnittsfachmann
in der Regel durch den Stand der Technik nahegelegt wird; sie ist nur
dann patentierbar, wenn der Gedanke zur Übertragung über das von einem
Durchschnittsfachmann zu Erwartende hinausging oder bei der Übertragung
Schwierigkeiten zu überwinden waren (BGE 92 II 54 Erw. 4 und dort
angeführte Urteile; siehe auch BLUM/PEDRAZZINI, Anm. 33 zu Art. 1 PatG;
TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Aufl. Bd. I. S. 199 ff.).

Erwägung 2

    2.- Nach der Auffassung der Oberexperten, denen sich die Vorinstanz
angeschlossen hat, kann dem Patent Nr. 411'659 ein gewisser technischer
Fortschritt gegenüber dem Stand der Technik am Stichtag nicht abgesprochen
werden. Man dürfe als sicher annehmen, dass durch die elastische Einlage
die Schwingungen zwischen Skikörper und Kante in beiden Richtungen
mehr gedämpft werden als nach vorbekannten Lösungen; diese Dämpfung
sei aber ein Vorteil, zumal sie nur eine Relativbewegung zwischen dem
Skikörper und der Kante, nicht aber zwischen der Lauffläche und dem
Skioberteil zulasse. Das Obergericht hält die Gutachten auch bezüglich der
erforderlichen Erfindungshöhe, die von allen Experten klar verneint worden
sei, für überzeugend. Es geht mit den Sachverständigen davon aus, dass
Bildstein schon im Jahre 1935 das Einbringen einer Gummischicht zwischen
Kante und Skikörper gelehrt habe; die damals auf den Holzski bezogene
Erfindung auch einmal auf die neuen Mehrschichtenskier anzuwenden, habe
zur Zeit, als der Kläger sein Patent anmeldete, aber durchaus nahegelegen
und könne deshalb nicht als besondere Leistung mit Erfindungshöhe gelten.

    a) Der Kläger hält dem entgegen, die Lehre Bildsteins sei im
Jahre 1939 von Klemm ausdrücklich abgelehnt worden; dieser habe eine
starre Befestigung der Stahlkanten verlangt, und die Fachwelt sei ihm
bis zur Erfindung gemäss Streitpatent ausnahmslos gefolgt. Während 23
Jahren habe somit über die Befestigung der Stahlkanten am Skikörper ein
festeingewurzeltes technisches Vorurteil bestanden, das sich vom Holzski
auf den aus Metall und Holz bestehenden Sandwich-Ski übertragen habe. Die
Überwindung dieses Vorurteils beweise Erfindungshöhe, was die Vorinstanz
verkannt habe.

    Von der Überwindung eines Vorurteils könnte indes nur gesprochen
werden, wenn die Lehre des Klägers sich auf einen Holzski beziehen
würde. Das trifft nach seinen Patentansprüchen aber nicht zu. In der
Widerklageantwort machte er übrigens geltend, die Lehre Bildsteins sei
für die Befestigung von Stahlkanten an Holzskiern wegen deren besonderen
Eigenschaften praktisch unbrauchbar gewesen, während die Lehre gemäss
Streitpatent beim modernen Mehrschichtenski eine gute Verbindung von
Kante und Skikörper ergebe. In der Berufungsschrift schliesst er dagegen
nicht aus, dass "bei Bildstein noch ein gewisser Anhaltspunkt für die
Entwicklung gemäss Streitpatent vorhanden" war.

    Selbst wenn die Lehre Bildsteins für den Bau von Holzskiern
angeblich nicht taugte, hinderte das den Fachmann nicht daran, auf sie
zurückzugreifen und sie am Mehrschichtenski auszuprobieren, als dieser den
Holzski ablöste. Ein solcher Versuch lag umso näher, als nach dem Stand
der Technik anzunehmen war, dass die Gummieinlage beim Mehrschichtenski
sich gerade wegen dessen Besonderheiten nicht nur leichter anbringen
lasse, sondern auch anders wirken könnte als beim Holzski. Der Fachmann
brauchte daher zur Zeit, als der Kläger seine Erfindung zur Patentierung
anmeldete, bloss zu prüfen, ob die Lehre Bildsteins sich auf den modernen
Mehrschichtenski übertragen lasse und welches ihre Wirkungen seien. Diese
Übertragung geht aber nicht über das von einem Durchschnittsfachmann
zu Erwartende hinaus und ist daher keine patentfähige Erfindung. Von
einer solchen kann umsoweniger die Rede sein, als 1960/61 nach dem
angefochtenen Urteil auch die Verteilung von Gummi auf die ganze Skibreite
und die verschiedenen Möglichkeiten, auf Mehrschichtenskiern Stahlkanten
anzubringen, bereits bekannt waren.

    b) Die Vorinstanz hat die erforderliche Erfindungshöhe auch verneint,
weil keiner der Experten von einem besonderen oder erheblichen technischen
Fortschritt gesprochen habe; ihre ausserordentliche Mühe, die Frage zu
beantworten, zeige gerade, dass es sich nicht um einen auffallenden
Fortschritt handeln könne, der erlauben würde, bei der Prüfung der
Erfindungshöhe einen weniger strengen Massstab anzulegen.

    Der Kläger bemerkt dazu mit Recht, dass die Frage nach dem technischen
Fortschritt im Gutachten B. offengelassen worden ist; die angeführte
Erwägung des Obergerichtes ist in diesem Sinne richtigzustellen. Das
heisst indes nicht, B. habe bezüglich des technischen Fortschrittes
Zweifel gehabt; er machte bloss von der ihm im Expertenauftrag eingeräumten
Möglichkeit Gebrauch, diese Frage nicht zu prüfen, falls die erforderliche
Erfindungshöhe nach seiner Auffassung zu verneinen war.

    Ebensowenig geht es an, die Mühe der Oberexperten, den technischen
Fortschritt einigermassen verlässlich abzuschätzen, als Indiz für die
nötige Erfindungshöhe auszulegen. Eine solche Mühe spricht eher gegen eine
zusätzliche schöpferische Leistung und damit gegen die Patentierbarkeit,
zumal wenn es sich, wie hier, um eine blosse Übertragungserfindung
handelt. Das ist auch dem Einwand entgegenzuhalten, Erfindungshöhe
bewiesen ferner die Tatsachen, dass es heute noch keinen besseren Ski
als jenen gemäss Streitpatent auf dem Markte gebe und dass mit diesem
Ski grösste Rennerfolge erzielt worden seien. Weder das eine noch
das andere hilft darüber hinweg, dass die Erfindung des Klägers zur
Hauptsache in der Anwendung einer vorbekannten Lösung gemäss der Lehre
Bildsteins besteht. Die Auffassung des Klägers läuft denn auch darauf
hinaus, die erhöhten Anforderungen, welche nach der Rechtsprechung an die
Patentierbarkeit einer Übertragungserfindung zu stellen sind, beträchtlich
herabzusetzen oder aufzuheben.

    c) Der Kläger wendet weiter ein, die Oberexperten hätten zur Frage der
besonders fortschrittlichen Leistung mittelbar dadurch Stellung genommen,
dass sie erklärten, man sei diesbezüglich auf Mutmassungen angewiesen. Um
über das Ausmass des technischen Fortschrittes eine direkte Antwort
zu erhalten, habe er am 24. Mai 1974 Erläuterungsfragen gestellt und
ein Ergänzungsgutachten beantragt, das aber vom Obergericht im Wege
vorweggenommener Beweiswürdigung abgelehnt worden sei.

    Auch dieser Rüge ist vorweg entgegenzuhalten, dass nicht zu
verstehen ist, inwiefern der Kläger eine schöpferische Leistung von
Erfindungshöhe erbracht haben könnte, indem er trotz der seit der Lehre
Klemms bestehenden Bedenken die Anwendung einer Gummieinlage zwischen
Kante und Skikörper befürwortete. Es handelte sich für ihn einfach
darum, diese Bedenken zu überwinden und durch Versuche festzustellen,
ob die befürchteten Nachteile eintreten würden. Damit ist nicht nur dem
angeblich beträchtlichen technischen Fortschritt, den der Kläger aus dem
Fahrverhalten des Mehrschichtenskis gemäss Streitpatent ableitet, sondern
auch seinem Antrag auf Ergänzung der Gutachten die Grundlage entzogen
(vgl. BGE 85 II 142 und 514, 86 II 103, 89 II 163, 91 II 70 Erw. 2).
Fragen kann sich bloss, ob das Obergericht den Begriff der erforderlichen
Erfindungshöhe oder anderer technischer Fragen verkannt habe. Das behauptet
der Kläger jedoch selber nicht und ist auch nicht zu ersehen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts
(I. Kammer) des Kantons Luzern vom 28. April 1976 bestätigt.