Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 313



102 II 313

46. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. November 1976 i.S. Nobel gegen
Müller und Müller Regeste

    Art. 214 Abs. 3 ZGB.

    Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten.

    Die ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden
Ehegatten unter dem Güterstand der Güterverbindung ist als Schenkung
auf den Todesfall im Sinne von Art. 245 Abs. 2 OR anzusehen. Sie
unterliegt wie eine Verfügung von Todes wegen der Herabsetzung, soweit
die Pflichtteilsrechte der Nachkommen verletzt sind (E. 3-5).

Sachverhalt

    A.- Fridolin Müller war in erster Ehe verheiratet mit Emma Stöckli. Aus
dieser Ehe ging im Jahre 1916 die Tochter Emma hervor. Im Dezember 1918
starb die Ehefrau. Eine zweite Ehe Müllers blieb kinderlos. 1936 ging
er mit der 19 Jahre jüngeren Frieda Kopp eine dritte Ehe ein, aus der
im Jahre 1944 der Sohn Kurt hervorging. Die Eheleute lebten unter dem
Güterstand der Güterverbindung und schlossen am 7. Februar 1958 einen Ehe-
und Erbvertrag, der im Wesentlichen folgende Bestimmungen enthielt:

    "1. Die Vertragsparteien stellen vorerst fest, dass die
güterrechtlichen

    Verhältnisse ihrer Ehe dem ordentlichen Güterstand der Güterverbindung
   unterstehen, die sie weiterhin beibehalten wollen.

    2. Die Vertragsparteien stellen des weitern fest, dass sie anlässlich
   ihrer Verehelichung im Jahre 1936 folgende Werte in die Ehe eingebracht
   haben:

    a) Der Ehemann: Fr. 15'000.-- in bar, die Firma Fritz Müller,

    Teppichhandel, sowie die Stube;

    b) Die Ehefrau: Fr. 10'000.-- in bar, die in das Geschäft des Ehemannes
   eingelegt wurden, ferner den gesamten vorhandenen Hausrat (ausgenommen
   die

    Stube), wie Möbel, Wäsche, Geschirr etc.

    3. Alles übrige eheliche Vermögen bildet Vorschlag im Sinne von
Art. 214

    ZGB.

    4. Gestützt auf Art. 214 Abs. 3 ZGB und in Abänderung der

    Vorschlagsteilung gemäss Art. 214 Abs. 1 ZGB vereinbaren die Parteien,
dass
   beim Tode des einen oder andern von ihnen der überlebende Ehegatte
   den ganzen Vorschlag zu unbeschwertem Eigentum erhalten soll.

    Bei einem Rückschlag gilt das Gesetz (Art. 214 Abs. 2 ZGB).

    5. Dieser Ehevertrag, dem nur parteiinterne Geltung zukommt, wird der

    Vormundschaftsbehörde der Stadt St. Gallen zur Genehmigung
unterbreitet,
   aber nicht in das Güterrechtsregister eingetragen.

    6. Erbvertraglich vereinbaren und verfügen die Parteien letztwillig was
   folgt:

    a) Beide Ehegatten setzen ihre Nachkommen zugunsten des überlebenden

    Ehegatten auf den gesetzlichen Pflichtteil. An dem Erbteil, welcher
   dem gemeinsamen Sohn Kurt Müller zukommt, erhält der überlebende
   Ehegatte ausserdem die lebenslängliche Nutzniessung gemäss Art. 473 ZGB.

    b) Im Sinne einer Teilungsvorschrift verfügt der unterzeichnete Ehemann

    Fritz Müller, dass seine Ehefrau die Einzelfirma Fritz Müller,
Teppiche,

    Notkerstrasse 12, St. Gallen, samt Aktiven und Passiven, ferner die

    Liegenschaften Notkerstrasse 12 in St. Gallen, Sonnenhaldenstr. 29 in

    Goldach SG und diejenige an der Frauenfelderstrasse in Steckborn TG zum
   dannzumaligen Steuerwert, jedoch unter Übernahme der darauf lastenden

    Hypotheken, sowie den vom Ehemann eingebrachten Hausrat, zu
Alleineigentum
   übernehmen kann. Die Tochter des Ehemannes aus erster Ehe, Frau Emma
   Nobel geb. Müller, Flawil, ist somit in bar auszuzahlen.

    c) Beide Vertragsparteien ernennen zu ihrem Willensvollstrecker
Herrn Dr.

    X., Rechtsanwalt, St. Gallen, und falls dieser das Mandat nicht
annehmen
   kann oder will, das Bezirksamt St. Gallen.

    d) Mit diesem Ehe- und Erbvertrag werden alle früheren letztwilligen

    Verfügungen der Vertragsparteien aufgehoben."

    Der Vertrag wurde am 19. Februar 1958 vom Waisenamt St. Gallen
genehmigt.

    Am 25. September 1972 starb Fridolin Müller im Alter von 85 Jahren. Er
hinterliess als gesetzliche Erben seine dritte Ehefrau, den aus der Ehe
mit dieser entsprossenen Sohn Kurt und die aus der ersten Ehe stammende
Tochter Emma Nobel-Müller.

    Der von den Eheleuten Müller-Kopp geschlossene Ehe- und Erbvertrag
wurde am 12. Oktober 1972 durch das Bezirksamt St. Gallen eröffnet. Seine
Formgültigkeit ist nicht bestritten.

    In der Folge wurde auf Begehren Emma Nobels über den Nachlass des
Erblassers das öffentliche Inventar aufgenommen, das bei Fr. 371'799.65
Aktiven und Fr. 370'826.55 Passiven mit einem mutmasslichen
Aktivenüberschuss von Fr. 973.10 abschloss. Unter den Passiven figuriert
ein Posten von Fr. 263'000.-- als "güterrechtlicher Anspruch der Ehefrau",
wovon Fr. 10'000.-- unter dem Titel eingebrachtes Gut. Am 6. Juni 1973
überwies der Willensvollstrecker Emma Nobel Fr. 5'170.-- als ihren
Erbanteil am Nachlass des verstorbenen Vaters.

    B.- Im August 1973 machte Emma Nobel gegen die dritte Ehefrau ihres
Vaters (Beklagte 1) und ihren Stiefbruder Kurt Müller (Beklagten 2)
bei Bezirksgericht St. Gallen eine Erbteilungsklage anhängig, mit der
sie beantragte:

    "1. Es sei der Nachlass des am 25. September 1972 in St. Gallen
   verstorbenen Fridolin (genannt Fritz) Müller-Kopp, geb. 20. September
   1887, von Näfels, wohnhaft gewesen Notkerstrasse 12, St. Gallen,
   gerichtlich festzustellen.

    2. Es sei festzustellen, dass der gesetzliche Pflichtteil der Klägerin
   neun Zweiunddreissigstel des Nachlasses des genannten Erblassers
   beträgt.

    3. Es seien die vom genannten Erblasser der Beklagten 1 mit Ehe- und

    Erbvertrag vom 7. Februar 1958 gemachten güterrechtlichen Zuwendungen
   (insbesondere die Zuweisung des gesamten Vorschlags) auf das in
   Anbetracht des Pflichtteilsrechts der Klägerin zulässige Mass
   herabzusetzen.

    4. Es sei das in Ziffer 6 lit. b des zwischen dem Erblasser und der

    Beklagten 1 am 7. Februar 1958 abgeschlossenen Ehe- und Erbvertrages
   enthaltene Vorausvermächtnis (genannt "Teilungsvorschrift")
   herabzusetzen oder eventuell der Ausgleichung gemäss Art. 608 Abs. 2
   ZGB zu unterstellen.

    5. Es sei festzustellen, dass der Beklagte 2 für sämtliche vom
Erblasser
   zu dessen Lebzeiten erhaltenen Zuwendungen, insbesondere für eine
   solche im

    Werte von Fr. 15'000.--, ausgleichspflichtig ist.

    6. Es seien die Beklagten zu verpflichten, in die für die Vornahme der

    Erbteilung notwendigen Handlungen einzuwilligen, unter Androhung der

    Ungehorsamsstrafe gemäss Art. 292 StGB im Widerhandlungsfalle.

    7. Es sei die Beklagte 1 zu verpflichten, der Klägerin den ihrem

    Pflichtteil entsprechenden Betrag (abzüglich einer à-Konto-Zahlung von

    Fr. 5'170.--) auszuzahlen."

    Das Bezirksgericht fällte am 24. September 1974 folgendes Urteil:

    "1. Es wird festgestellt, dass der Nachlass des Müller Fridolin, geb.

    20.9.1887, von Näfels, gestorben am 25.9.1972 in St. Gallen, aus
dem von
   ihm in die Ehe mit Müller Frieda eingebrachten Gut besteht, nämlich
   aus der

    Stube, dem Teppichhandel Fritz Müller sowie Fr. 15'000.-- in bar.

    2. Es wird davon Vormerk genommen, dass die Beklagten eine

    Pflichtteilsquote der Klägerin von 9/32 anerkennen.

    3. Die Klagebegehren Ziffer 3, 4, 5, 6 und 7 werden abgewiesen.

    (4./5. Kosten und Entschädigung)"

    Zur Begründung führte das Gericht im wesentlichen aus, Vereinbarungen
nach Art. 214 Abs. 3 ZGB unterlägen nach konstanter Praxis des
Bundesgerichts nicht der erbrechtlichen Herabsetzungsklage. Dass die
Begünstigung des überlebenden Ehegatten rechtsmissbräuchlich sei, könne
im vorliegenden Fall nicht gesagt werden. Da der gesamte Vorschlag an die
Ehefrau falle und Sondergut des Erblassers nicht behauptet werde, bestehe
der Nachlass nur aus dem eingebrachten Mannesgut. Die Pflichtteilsquote
der Klägerin von 9/32 am Nachlass sei anerkannt. Die Liegenschaften
seien nicht Nachlassgegenstände und gehörten nicht zur Erbschaft,
weshalb sie weder der Herabsetzung noch der Ausgleichung unterlägen.
Der Nachlasswert des eingebrachten Teppichhandels sei nicht feststellbar,
so dass diesbezüglich ein herabsetzbares Vermächtnis nicht bewiesen
und deshalb die Herabsetzungsklage wie auch das Ausgleichungsbegehren
abzuweisen seien. Ebensowenig sei erstellt, dass der Beklagte 2 vom
Erblasser Zuwendungen erhalten habe, weshalb eine Ausgleichungspflicht
diesbezüglich entfalle.

    Eine Berufung gegen diesen Entscheid wurde vom Kantonsgericht
St. Gallen mit Urteil vom 9. Juli 1975 abgewiesen. In der Begründung
folgte das Kantonsgericht im wesentlichen dem Bezirksgericht.

    C.- Gegen das kantonsgerichtliche Urteil erhebt die Klägerin Berufung
an das Bundesgericht mit den Anträgen:

    "1. Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es seien
demzufolge
   auch Dispositiv Ziff. 1 und 3-5 des Urteils des Bezirksgerichtes
   St. Gallen vom 24. September 1974 aufzuheben.

    2. Es sei die Sache an die kantonale Instanz zurückzuweisen zur
Vornahme
   folgender Handlungen:

    a) gerichtliche Feststellung des Nachlasses des am 25. September 1972
   verstorbenen Fridolin (genannt Fritz) Müller-Kopp, geb. 20. September
   1887, von Näfels, wohnhaft gewesen Notkerstrasse 12, St. Gallen;

    b) Herabsetzung der vom genannten Erblasser der Beklagten und

    Berufungsbeklagten 1 gemachten güterrechtlichen Zuwendungen
(insbesondere
   gemäss Ehe- und Erbvertrag vom 7. Februar 1958) und sämtlicher weiterer
   ganz oder teilweise unentgeltlicher Zuwendungen an die Beklagte und

    Berufungsbeklagte 1, die vom Erblasser zur pflichtteilsrechtlichen

    Benachteiligung der Klägerin und Berufungsklägerin gemacht wurden
   (insbesondere im Rahmen des am 3. Januar 1967 abgeschlossenen
   Kaufvertrages über die Liegenschaft Notkerstrasse 12 in St. Gallen),
   auf das in

    Anbetracht des Pflichtteilsrechts der Klägerin und Berufungsklägerin
   zulässige Mass.

    3. Es sei das in Ziff. 6 lit. b des zwischen dem Erblasser und der

    Beklagten und Berufungsbeklagten 1 am 7. Februar 1958 abgeschlossenen
Ehe-
   und Erbvertrages enthaltene Vorausvermächtnis (genannt

    "Teilungsvorschrift") herabzusetzen oder eventuell der Ausgleichung
gemäss

    Art. 608 Abs. 2 ZGB zu unterstellen.

    4. Es sei festzustellen, dass der Beklagte und Berufungsbeklagte 2 für
   sämtliche vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhaltenen Zuwendungen,
   insbesondere für eine solche im Werte von Fr. 15'000.--,
   ausgleichspflichtig ist.

    5. Eventuell sei die Sache zur Durchführung des Beweisverfahrens
   hinsichtlich des Berufungsantrages 4 an die kantonale Instanz
   zurückzuweisen.

    6. Es sei die Beklagte und Berufungsbeklagte 1 zu verpflichten, der

    Klägerin den ihrem Pflichtteil entsprechenden Betrag (abzüglich einer

    Akontozahlung von Fr. 5'170.--) auszuzahlen."

    Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Eheleute Müller-Kopp lebten unter dem Güterstand der
Güterverbindung. Wird eine solche Ehe durch den Tod eines Gatten aufgelöst
und ergibt sich nach der Ausscheidung des Mannes- und Frauengutes
ein Vorschlag, so gehört dieser gemäss Art. 214 Abs. 1 ZGB zu einem
Drittel der Ehefrau oder ihren Nachkommen und im übrigen dem Ehemann oder
seinen Erben. Nach Art. 214 Abs. 3 ZGB sind die Ehegatten jedoch befugt,
durch Ehevertrag eine andere Beteiligung am Vorschlag zu verabreden. Die
Eheleute Müller-Kopp haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und
durch ihren im Jahre 1958 abgeschlossenen Ehe- und Erbvertrag vereinbart,
dass beim Tod des einen Gatten der überlebende Gatte den ganzen Vorschlag
zu unbeschwertem Eigentum erhalten solle.

    Die Klägerin macht in erster Linie geltend, ehevertragliche Änderungen
der Vorschlagsteilung im Sinne von Art. 214 Abs. 3 ZGB seien nur zulässig,
soweit dadurch das Pflichtteilsrecht der Kinder nicht verletzt werde,
und sie verlangt demgemäss die Herabsetzung der Vorschlagszuweisung auf
das erlaubte Mass.

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat erstmals in BGE 58 II 1 ff.  entschieden,
gemäss Art. 214 Abs. 3 ZGB könne durch Ehevertrag gültig und nicht
mit der Herabsetzungsklage anfechtbar vereinbart werden, dass der ganze
Vorschlag dem überlebenden Ehegatten zufalle. Dieser Entscheid wurde in der
Literatur lebhaft diskutiert und fand keine einhellige Zustimmung (vgl. die
Zusammenstellung der Befürworter und Kritiker in BGE 82 II 481/482
sowie bei LEMP, N. 92 zu Art. 214 ZGB). In BGE 82 II 477 ff. erhielt
das Bundesgericht Gelegenheit, zu den verschiedenen Kritiken Stellung
zu nehmen. Es hielt in einem ausführlich begründeten Entscheid daran
fest, dass die Ehegatten (innerhalb der Schranken des Rechtsmissbrauchs)
gemäss Art. 214 Abs. 3 ZGB berechtigt seien, den ganzen Vorschlag dem
überlebenden Gatten zuzuweisen, und dass eine solche Vereinbarung keiner
erbrechtlichen Herabsetzung unterliege. Es befasste sich eingehend mit
der Entstehungsgeschichte von Art. 214 ZGB und gelangte zum Ergebnis, aus
den Materialien könne nicht abgeleitet werden, dass die ehevertragliche
Zuweisung des ganzen Vorschlages an den einen oder andern Gatten der
Herabsetzung nach den Bestimmungen über den Pflichtteil unterstehe.
Zur Begründung seines Entscheides führte das Bundesgericht ferner aus,
wenn die Ehegatten von der ihnen durch Art. 214 Abs. 3 ZGB gebotenen
Möglichkeit Gebrauch machten, schaffe ihre Vereinbarung allein Recht
und trete die vereinbarte Vorschlagsbeteiligung an die Stelle der
gesetzlichen Teilungsart (Art. 214 Abs. 1 ZGB). Das Gesetz enge die
Freiheit der Parteien nicht ein und unterwerfe ihre Vereinbarungen über
die Vorschlagsteilung keiner Beschränkung. Es kümmere sich auch nicht
um die Motive, welche die Parteien zu einer vertraglichen Regelung der
Vorschlagsteilung bestimmten und verlange insbesondere nicht, dass die
von den Parteien getroffene Regelung ihren Grund in diesem oder jenem
Umstand habe, der die gesetzliche Teilung als ungerechtfertigt erscheinen
lasse. Die gemäss Art. 214 Abs. 3 ZGB durch Ehevertrag vereinbarte
Vorschlagsteilung habe ihren Rechtsgrund in gleicher Weise wie die
gesetzlich vorgesehene im Güterrecht. Selbst wenn die Vereinbarung
dem überlebenden Gatten den ganzen Vorschlag zuweise, stelle sie keine
Verfügung von Todes wegen dar, sondern sie bleibe ein güterrechtlicher
Vertrag unter Lebenden. Der Tod des einen Gatten sei nicht der Rechtsgrund
der Vereinbarung, sondern nur der Erfüllungszeitpunkt. Eine solche
Vereinbarung könne deshalb nicht gemäss Art. 522 ZGB als herabsetzbare
Verfügung von Todes wegen angesehen werden. Zuwendungen von Todes wegen
könnten im übrigen nur durch Verfügungen von Todes wegen, das heisst durch
Testament oder Erbvertrag, erfolgen. Auch eine Herabsetzung nach Art. 527
ZGB falle ausser Betracht. Die bei der Gütergemeinschaft vorgesehene
Regelung des Art. 226 ZGB könne auf Fälle der Güterverbindung nicht,
auch nicht analog, angewendet werden. Aus diesen Gründen unterlägen
Vereinbarungen über die Vorschlagsteilung einzig den Schranken von
Art. 2 Abs. 2 ZGB.

    Dieses Urteil, das für die spätere bundesgerichtliche
Rechtsprechung wegleitend blieb (BGE 100 II 277/278 Erw. 5, 99 Ia 310
ff.; vgl. auch BGE 99 II 11 ff.), brachte indessen die Kritik nicht
zum Verstummen. Verschiedene namhafte Autoren forderten erneut, dass
Vereinbarungen im Sinne von Art. 214 Abs. 3 ZGB, allenfalls unter gewissen
Voraussetzungen, der Herabsetzung zu unterstellen seien (LEMP, N. 93/94
zu Art. 214 ZGB; PIOTET, Droit successoral, Traité de droit privé suisse,
IV, S. 186/187, 414, sowie ZBJV 1976 S. 335 ff.; DESCHENAUX, SJK 1246,
insbesondere S. 15; BORNAND, Note sur la répartition conventionnelle
entre les époux, particulièrement en faveur de la femme, du bénéfice
de l'union conjugale dans le régime matrimonial de l'union des biens,
ZBGR 1957 S. 65 ff.; MOOR, La convention sur le bénéfice dans le régime
matrimonial de l'union des biens, Diss. Lausanne 1966, insbesondere S. 135;
KLAUS, Pflichtteilsrecht und güterrechtliche Verfügungen, Diss. Zürich
1971, insbesondere S. 129). Es erscheint daher als gerechtfertigt, die
Frage einer erneuten Prüfung zu unterziehen.

Erwägung 3

    3.- In BGE 82 II 485 führte das Bundesgericht aus, die
Gesetzesmaterialien liessen den Schluss nicht zu, der Gesetzgeber
habe ehevertragliche Vereinbarungen über den Vorschlag der Herabsetzung
unterstellen wollen. Es sagte indessen zu Recht nicht, die Herabsetzbarkeit
solcher Vereinbarungen stehe mit den Materialien geradezu in
Widerspruch. Das Bundesgericht untersuchte damals vor allem die Entstehung
des heutigen Art. 214 Abs. 3 ZGB und stellte dabei fest, es sei weder
in diesem Zusammenhang noch bei den Beratungen über die Eheverträge im
allgemeinen je die Rede davon gewesen, dass Vereinbarungen über die Teilung
des Vorschlages irgendwelchen Einschränkungen unterstünden. Daraus lässt
sich jedoch nicht schliessen, der Gesetzgeber habe derartige Eheverträge
dem Pflichtteilsrecht entziehen wollen. Besonderer Diskussionen über
die Schranken der vertraglichen Vorschlagszuweisung bedurfte es nicht,
hatten doch die eidgenössischen Räte sämtliche ehevertragliche Zuwendungen
generell der Herabsetzung unterstellt, indem sie im Abschnitt über den
Ehevertrag folgenden Art. 204 aufnahmen (Sten.Bull. 1905 S. 689-695,
1102-1105):

    "Bei allgemeiner Gütergemeinschaft können die Ehegatten, für den
Fall des

    Todes eines derselben, eine beliebige Teilung des Gesamtvermögens
   verabreden, mit der Beschränkung, dass dessen Nachkommen wenigstens ein

    Viertel des bei seinem Tode vorhandenen Gesamtvermögens zufallen muss.

    Bei den andern Güterständen unterliegen vertragliche Zuwendungen
   ausschliesslich den Beschränkungen des Pflichtteilsrechtes (478)."

    Bei der endgültigen Redaktion des Gesetzes, die einer besonderen
Redaktionskommission oblag, wurde Abs. 1 dieser Bestimmung zum
heutigen Art. 226 Abs. 2 ZGB, während Abs. 2 ersatzlos gestrichen
wurde (zur Entstehungsgeschichte eingehend KLAUS, aaO S. 107 ff.). Da
die Redaktionskommission materielle Änderungen an dem von den Räten
angenommenen Text weder vornehmen wollte noch konnte, muss doch wohl
angenommen werden, die Streichung von Abs. 2 sei deswegen erfolgt, weil
der Vorbehalt des Pflichtteilsrechtes als selbstverständlich angesehen
wurde. Diese Meinung vertrat jedenfalls der als Gesetzesredaktor,
Berichterstatter im Nationalrat und Mitglied der Redaktionskommission
mit dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens bestens vertraute EUGEN HUBER in
der 2. Ausgabe seiner Erläuterungen zum Vorentwurf des Eidg. Justiz- und
Polizeidepartementes, die erst nach dem Inkrafttreten des ZGB erschienen
und durch Verweisungen darauf ergänzt sind (Bd. 1 S. 122 N. 3 und S. 185
N. 1). Die Autoren, die sich mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes
befasst haben, sind der gleichen Ansicht (LEMP, N. 93 zu Art. 214 ZGB;
CAVIN, Régime matrimonial et droit de succession, in Mélanges Guisan,
1950, S. 109-115; EGGER, Ehevertragliche Vereinbarungen über den Vorschlag,
ZBGR 1952 S. 171-173; MEIER-HAYOZ, Die Bedeutung der Materialien für die
Gesetzesauslegung, SJZ 1952 S. 334; MOOR, aaO S. 117-120; KLAUS, aaO
S. 114-116). Zumindest entkräftet die Entstehungsgeschichte des Gesetzes
das Argument, aus Art. 226 Abs. 2 ZGB lasse sich durch Umkehrschluss
ableiten, Vereinbarungen über die Vorschlagsteilung seien im Gegensatz
zu solchen über die Teilung des Gesamtgutes bei der Gütergemeinschaft
keinerlei Beschränkungen unterworfen.

Erwägung 4

    4.- Der Herabsetzung nach Art. 522 ZGB unterliegen Verfügungen von
Todes wegen, welche die Verfügungsbefugnis des Erblassers überschreiten. In
BGE 82 II 488 hat das Bundesgericht ausgeführt, unter Verfügung im Sinne
von Art. 522 ZGB verstehe das Gesetz einzig Testament und Erbvertrag.
Dabei hat es jedoch übersehen, dass den Vorschriften über die Verfügungen
von Todes wegen nach Art. 245 Abs. 2 OR auch Schenkungen unterstehen,
deren Vollziehbarkeit auf den Tod des Schenkers gestellt ist. Auf solche
Schenkungen sind insbesondere auch die Bestimmungen über die Herabsetzung
anwendbar (BGE 96 II 96 Erw. 8d, 89 II 92/93 Erw. 5). Zu prüfen ist somit,
ob die ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden
Ehegatten unter Art. 245 Abs. 2 OR falle.

    a) Dass die Vollziehbarkeit der Zuwendung auf den Tod des Zuwendenden
gestellt ist, liegt in der Natur dieser Art der Vorschlagsteilung und
bedarf keiner weiteren Begründung. Schwieriger ist die Beurteilung der
Frage, ob es sich überhaupt um eine Schenkung handle. Als Schenkung gilt
nach Art. 239 Abs. 1 OR jede Zuwendung, womit jemand aus seinem Vermögen
einen andern ohne entsprechende Gegenleistung bereichert. Fraglich
ist zunächst, ob die Zuweisung des Vorschlages "aus dem Vermögen" des
Zuwendenden erfolge. Nach Abs. 2 von Art. 239 OR liegt keine Zuwendung
aus dem Vermögen des Zuwendenden und damit keine Schenkung vor, wenn
dieser auf ein Recht verzichtet, das er noch nicht erworben hat. In BGE
82 II 489 hat das Bundesgericht diesbezüglich ausgeführt, die Ehefrau
habe während der Ehe keinen Anspruch auf ihren Anteil am Vorschlag;
dieser entstehe vielmehr erst bei der Auflösung des Güterstandes. Wenn
die Ehefrau zugunsten des Mannes auf ihren Vorschlagsanteil verzichte,
mache sie daher keine Schenkung, die herabsetzbar wäre. Unter diesen
Umständen könne aber auch der Verzicht des Mannes nicht als herabsetzbare
Schenkung angesehen werden.

    Dass der Anspruch der Frau auf ihren Anteil am Vorschlag erst bei
Auflösung des Güterstandes entstehe, trifft indessen nicht zu. Richtig
ist nur, dass er erst in diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden kann. Im
übrigen aber besteht der Anspruch als Anwartschaft schon während der Ehe
(LEMP, N. 6 zu Art. 214 ZGB; DESCHENAUX, SJK 1246 S. 2; KNAPP, Le régime
matrimonial de l'union des biens, N. 810; KRADOLFER, Schutz des Rechts
der Ehefrau auf Vorschlagsteilhabe, Diss. Zürich 1974 S. 64 ff.). Die
Vorschlagsbeteiligung der Ehefrau gehört zum Wesen des Güterstandes der
Güterverbindung, wie er im ZGB geordnet ist. Sie kann sich jederzeit
aktualisieren, nicht nur im Falle der Auflösung der Ehe durch Tod eines
Ehegatten oder durch Scheidung, sondern auch schon während der Ehe bei
Eintritt des ausserordentlichen Güterstandes (Art. 182 ff. ZGB). So können
die Gläubiger der Ehefrau nach Art. 185 ZGB die richterliche Anordnung
der Gütertrennung verlangen und dadurch auf den Vorschlagsanteil greifen,
wenn sie in der Betreibung zu Verlust gekommen sind (LEMP, N. 6 zu Art. 185
ZGB). Nach der Lehre kann die Ehefrau ihre künftige Forderung auf Anteil
am Vorschlag sogar an Dritte abtreten (LEMP, N. 88 zu Art. 214 ZGB;
KRADOLFER, aaO S. 74). Der Vorschlagsanteil bildet somit schon vor der
Auflösung des Güterstandes Bestandteil ihres Vermögens. Es lässt sich
daher nicht sagen, durch die Zuweisung des Vorschlages an den Mann für
den Fall ihres Vorversterbens verzichte die Ehefrau im Sinne von Art. 239
Abs. 2 OR auf ein Recht, bevor sie es erworben habe.

    Dazu kommt, dass sich der Verzicht auf ein noch nicht erworbenes
Recht dadurch auszeichnet, dass bei ihm anders als bei der Schenkung kein
rechtlicher Zusammenhang zwischen der Entreicherung des Verzichtenden
und der Bereicherung des Begünstigten besteht (GUHL/MERZ/KUMMER, Das
schweizerische Obligationenrecht, 6. Aufl., S. 341; PIOTET, ZBJV 1976,
S. 336, ZSR 1971, S. 40; MOOR, aaO S. 110/111). Aus diesem Grund ist
die Nichtannahme einer Vertragsofferte, der Verzicht auf die Anfechtung
eines Rechtsgeschäfts oder die Nichtausübung eines Kaufsrechtes nicht
als Schenkung zu betrachten (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 8 zu Art. 239 OR),
ebensowenig die in Art. 239 Abs. 2 OR besonders erwähnte Ausschlagung
einer Erbschaft. In diesen Fällen hat die Begünstigung des "Beschenkten"
ihren Rechtsgrund nicht im Verzicht des "Schenkers". Wird z.B. ein an
sich wegen Irrtums anfechtbarer Kaufvertrag vom Verkäufer unangefochten
gelassen, so erwirbt der Käufer die Kaufsache auf Grund des Vertrages
und nicht auf Grund des Verzichts auf Anfechtung. Beim Verzicht der
Ehefrau auf ihren Anteil am Vorschlag verhält es sich jedoch anders.
Bereicherung und Entreicherung sind hier reziprok; die im Vermögen
des Ehemannes eintretende Bereicherung ist die direkte Folge dieses
Verzichts und hat keinen andern Rechtsgrund als den Ehevertrag. Dass die
ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten
eine Schenkung sei, lässt sich daher nicht mit der Begründung bestreiten,
auf Seiten der Frau liege keine Zuwendung "aus ihrem Vermögen" vor.

    Im übrigen ist nicht einzusehen, aus welchem Grund der Verzicht der
Frau auf Vorschlagsbeteiligung anders behandelt werden sollte als derjenige
des Mannes. Als Vorschlag wird das Ergebnis einer bei Auflösung des
Güterstandes vorzunehmenden Rechenoperation bezeichnet. An diesem Saldo ist
naturgemäss Eigentum nicht denkbar. Der Vorschlag kann demzufolge nicht im
Eigentum des Mannes stehen. So gut wie die Frau hat auch der Mann nur die
Aussicht, bei Auflösung des Güterstandes dereinst einen Teil des erzielten
Vorschlags für sich beanspruchen zu dürfen. Freilich ist richtig, dass der
Ehemann Eigentümer der Errungenschaft ist (Art. 195 Abs. 2 ZGB). Daraus
folgt aber nur, dass der Anspruch der Ehefrau auf Vorschlagsbeteiligung
in der Regel in einer Geldforderung gegen den Mann besteht (BGE 100 II
73). Der Vorschlagsanspruch des Mannes deckt sich deswegen nicht mit
seinem Eigentum an der Errungenschaft. Erfährt z.B. eine von der Frau
eingebrachte Liegenschaft infolge von Investitionen aus der Errungenschaft
eine Wertsteigerung, so ist durchaus denkbar, dass der Mann einen Anspruch
auf Beteiligung am Vorschlag hat, ohne Eigentümer von Errungenschaft zu
sein. Dieser Anspruch unterscheidet sich qualitativ nicht von demjenigen
der Frau.

    b) Von einer Schenkung kann sodann nur gesprochen werden, wenn
die Zuwendung "ohne entsprechende Gegenleistung", also unentgeltlich,
erfolgt ist.

    Ehevertragliche Änderungen der Vorschlagsteilung können aus
den verschiedensten Motiven vorgenommen werden. Eheleute können sich
insbesondere dann veranlasst sehen, von der gesetzlichen Vorschlagsteilung
abzuweichen, wenn die Erzielung eines Vorschlages ausschliesslich oder
doch vorwiegend bloss dem einen von ihnen zuzuschreiben ist, so etwa,
wenn nur dank den Erträgnissen des Frauengutes oder der intensiven
Mitarbeit der Ehefrau im Geschäft des Mannes ein Vorschlag geäufnet werden
konnte. Es liegt nahe, derart güterrechtlich begründete Zuwendungen
als entgeltlich zu betrachten. Bei der Zuweisung des Vorschlags an
den überlebenden Ehegatten fehlt es indessen auf jeden Fall an einer
güterrechtlichen Rechtfertigung. Mit einer solchen Vereinbarung bekunden
die Ehegatten, dass die Begünstigung nicht von besonderen Verdiensten um
das Zustandekommen des Vorschlags, sondern allein von der Zufälligkeit
der Absterbeordnung abhängen soll. Die Zuwendung erweist sich damit
nicht als Gegenleistung für den Beitrag an der Erzielung des Vorschlags,
sondern als reine Liberalität (LEMP, N. 94 zu Art. 214 ZGB; CAVIN,
aaO S. 117; KLAUS, aaO S. 81, 123). Freilich kann sich ergeben, dass
der Vorschlag schliesslich gerade demjenigen Ehegatten zufällt, der sich
durch besonderen Einsatz für die eheliche Gemeinschaft ausgezeichnet hat,
wie es die Beklagte 1 im vorliegenden Fall für sich behauptet. Dadurch
wird aber die Zuwendung nicht entgeltlich. Dass gerade dieser Ehegatte
begünstigt wird, beruht auf Zufall und nicht auf dessen Verdiensten. Wäre
dem nicht so, hätte die Zuwendung einen andern Rechtsgrund als die in
der Vereinbarung ebenfalls enthaltene, bedingte Zuwendung an den andern
Ehegatten. Die Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten kann
jedoch nicht auf einem verschiedenen Rechtsgrund beruhen, je nachdem ob
der Mann oder die Frau zuerst stirbt. Die Unentgeltlichkeit derartiger
Eheverträge wird ferner auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass
die Zuweisung des Vorschlags gegenseitig ist. Wenn der Mann für den Fall
seines Vorversterbens seinen Vorschlagsanteil der Frau zuwendet, so ist
dies nicht die Gegenleistung dafür, dass auch die Frau für den Fall ihres
Vorversterbens eine entsprechende Zuwendung macht.

    c) Gegen die Anwendbarkeit von Art. 245 Abs. 2 OR liesse sich
einwenden, die wirtschaftliche Vorsorge für den überlebenden Ehegatten, die
mit derartigen Eheverträgen bezweckt werde, könne sittlich geboten sein;
die Erfüllung einer sittlichen Pflicht werde aber nach Art. 239 Abs. 3 OR
nicht als Schenkung behandelt. Ob eine Schenkung auf den Todesfall deswegen
der Herabsetzung entzogen sei, weil sie in Erfüllung einer sittlichen
Pflicht erfolgte, beurteilt sich indessen nach Erbrecht und nicht nach
Schenkungsrecht. Im Erbrecht wird nun bei der Frage der Herabsetzbarkeit
nicht darauf abgestellt, aus welchen Gründen eine Zuwendung gemacht
worden ist. So unterliegt z.B. die testamentarische Begünstigung der
Ehefrau der Herabsetzung ungeachtet dessen, ob die Sitte den Ehemann
zu dieser Verfügung verpflichtete. Schliesst der Ehemann zugunsten der
Ehefrau eine Lebensversicherung ab, um sie auf diese Weise für den Fall
seines Todes zu sichern, so unterliegt der Versicherungsanspruch nach
Art. 529 ZGB mit dem Rückkaufswert ebenfalls der Herabsetzung, ohne dass
es auf die Gründe der Begünstigung ankäme. Endlich unterstellt das Gesetz
selbst in Art. 527 Ziff. 1 ZGB gewisse Zuwendungen der Herabsetzung,
die sehr häufig in Erfüllung einer sittlichen Pflicht gemacht werden,
wie z.B. die Ausrichtung einer Aussteuer. Die Herabsetzbarkeit einer
Zuwendung hat daher nichts damit zu tun, ob diese in Erfüllung einer
sittlichen Pflicht erfolgte oder nicht (PIOTET, Droit successoral, S. 416,
ZSR 1971, S. 39 ff.). Dies lässt sich dadurch rechtfertigen, dass der
Pflichtteilsschutz nach der Auffassung des Gesetzgebers ebenfalls auf einer
sittlichen Grundlage beruht. Die sittliche Pflicht, für den überlebenden
Ehegatten vorzusorgen, darf deshalb nicht gegen das im Gesetz verankerte
Pflichtteilsrecht ausgespielt werden.

    d) Die ehevertragliche Zuweisung des Vorschlags an den "überlebenden
Ehegatten" ist somit als Schenkung auf den Todesfall im Sinne von
Art. 245 Abs. 2 OR anzusehen. Sie ist daher wie eine Verfügung von Todes
wegen herabsetzbar (in diesem Sinne PIOTET, ZBJV 1976 S. 335; DESCHENAUX,
SJK 1246, S. 15; MOOR, aaO S. 104 ff.; KLAUS, aaO S. 85 ff.).

Erwägung 5

    5.- Für dieses Ergebnis sprechen auch sachliche Überlegungen.
Besteht das eheliche Vermögen, wie das häufig der Fall ist, praktisch
nur aus Errungenschaft, so können die Nachkommen nach der bisherigen
Rechtsprechung durch die Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden
Ehegatten völlig von der Erbschaft ausgeschlossen werden. Das ist vor allem
dann stossend, wenn wie im vorliegenden Fall Kinder aus einer früheren
Ehe vorhanden sind, denen gegenüber der Ehevertrag wie eine Enterbung
wirkt (EGGER, aaO S. 180). Aber auch gemeinsame Kinder werden durch
eine derartige Vereinbarung in ihrem Erbrecht stark beeinträchtigt. Wohl
besteht für sie die Aussicht, dereinst den überlebenden Ehegatten beerben
zu können. Bis dies der Fall ist, kann es jedoch Jahre dauern, und das
Vermögen kann sich in dieser Zeit vermindern. Zudem kann der Ehegatte
über die freie Quote seines Vermögens letztwillig verfügen. Ferner kann er
sich ein zweites Mal verheiraten und es können ihm weitere Kinder geboren
werden, was die Erbanwartschaft der Kinder aus der ersten Ehe zusätzlich
schmälert. Durch ehevertragliche Vereinbarungen über den Vorschlag kann
somit das Pflichtteilsrecht illusorisch gemacht werden. Angesichts der
hohen Bedeutung, die das Gesetz dem Pflichtteilsschutz beimisst, kann
dies nicht zugelassen werden.

    Freilich entspricht es einem legitimen Bedürfnis, den überlebenden
Ehegatten sicherzustellen und ihm im Alter ein Absinken im Lebensstandard
zu ersparen. Die Motive, welche die Eheleute zum Abschluss eines
derartigen Ehevertrages veranlassen, können denn auch durchaus achtenswert
sein. Die Sicherung des überlebenden Ehegatten darf jedoch nicht auf
Kosten der Pflichtteilsrechte gehen. Das Gesetz geht davon aus, dass
der überlebende Ehegatte durch seinen Anteil am Vorschlag, durch seinen
Erbanspruch und durch allfällige Zuwendungen im Rahmen der verfügbaren
Quote hinreichend gesichert ist. Es ist Sache des Gesetzgebers, hier
Abhilfe zu schaffen, wenn er dies als erforderlich erachten sollte.

    Aus all diesen Gründen ist die ehevertragliche Zuweisung des
Vorschlages an den überlebenden Ehegatten in Abweichung von der
bisherigen Rechtsprechung der Herabsetzung zu unterstellen. Dabei
erscheint es jedoch als gerechtfertigt, den Pflichtteilschutz gegenüber
derartigen güterrechtlichen Verfügungen auf die Nachkommen der Ehegatten zu
beschränken. Weiter entfernten Pflichtteilserben ist zuzumuten, dass ihnen
das, was die Ehegatten während der Ehe gemeinsam erarbeitet haben, entzogen
wird. Auf Seiten der Ehefrau haben diese Erben ohnehin keinen Anspruch
auf den Vorschlag (Art. 214 Abs. 1 ZGB). Sodann ginge es nicht an, bei
Eheverträgen über die Vorschlagsteilung sämtlichen Pflichtteilsberechtigten
die Herabsetzungsklage zuzubilligen, während gegenüber ehevertraglichen
Vereinbarungen über die Teilung des Gesamtgutes unter dem Güterstand der
Gütergemeinschaft nach Art. 226 Abs. 2 ZGB ausdrücklich nur die Nachkommen
geschützt sind. Bei krasser Beeinträchtigung der Rechte weiter entfernter
Pflichtteilserben hilft weiterhin das Verbot des Rechtsmissbrauchs
(vgl. BGE 99 II 9 ff.).

Erwägung 6

    6.- Wird die Zuweisung des Vorschlags an den überlebenden Ehegatten
grundsätzlich als herabsetzbar erklärt, so ist die Sache zur Ergänzung
der Akten und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Diese wird zu prüfen haben, ob die Pflichtteilsrechte der Klägerin
verletzt sind. Zu diesem Zweck ist vorerst die Höhe des Vorschlags
zu ermitteln. Dabei ist insbesondere abzuklären, ob die vom Erblasser
während der Ehe auf die Beklagte 1 übertragene Liegenschaft Notkerstrasse
12 in St. Gallen bei der Vorschlagsberechnung mitzuberücksichtigen
ist. Vom Vorschlag fällt ein Drittel von Gesetzes wegen der Beklagten 1
zu. Lediglich die restlichen zwei Drittel sind ihr unentgeltlich zugewendet
worden. Nur dieser Teil ist daher für die Berechnung der verfügbaren
Quote zum Nachlass hinzuzurechnen. Dazu kommen gegebenenfalls die von
der Klägerin behaupteten herabsetzbaren Zuwendungen unter Lebenden. Der
Pflichtteil der Klägerin beträgt unbestrittenermassen 9/32.

    Wie die Vorinstanz dabei ihre Beweise zu ergänzen hat, regelt sich nach
kantonalem Prozessrecht und der Vorschrift des Art. 8 ZGB. Hinsichtlich
der künftigen Beweisabnahme hat das Bundesgericht der Vorinstanz keine
Weisungen zu erteilen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der
Berufungsschrift ist deshalb nicht einzutreten. Sollte die Vorinstanz die
für sie massgebenden Beweisregeln verletzen, könnte ihr neuer Entscheid
mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln angefochten werden.

Erwägung 7

    7.- In Ziff. 6b des Ehe- und Erbvertrags verfügte der Erblasser
im Sinne einer Teilungsvorschrift, dass seine Ehefrau verschiedene
Liegenschaften zum Steuerwert, den von ihm eingebrachten Hausrat sowie
die Teppichfirma Müller zu Alleineigentum übernehmen könne. Die Klägerin
beantragt, das in dieser Teilungsvorschrift sinngemäss enthaltene
Vorausvermächtnis sei der Herabsetzung, eventuell der Ausgleichung zu
unterstellen. Die fragliche Teilungsanordnung ist indessen weitgehend
gegenstandslos, so dass dadurch zum vorneherein keine Pflichtteilsrechte
verletzt sein können. Sämtliche Liegenschaften hat der Erblasser schon
zu seinen Lebzeiten veräussert. Auch das Teppichgeschäft war nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz beim Tod des Erblassers nicht
mehr vorhanden. Was schliesslich den eingebrachten Hausrat anbetrifft,
so bestreitet die Klägerin nicht, dass dieser einzig in einer "Stube"
im Wert von Fr. 820.-- besteht. Diesen Betrag hat die Vorinstanz aber in
ihrer Nachlassberechnung berücksichtigt.

Erwägung 8

    8.- Die Klägerin verlangt ferner, es sei festzustellen, dass
der Beklagte 2 für alle vom Erblasser zu dessen Lebzeiten erhaltenen
Zuwendungen, insbesondere für eine solche im Werte von Fr. 15'000.--,
ausgleichungspflichtig sei. Die Vorinstanz gelangte in ihrem Urteil jedoch
zum Ergebnis, eine unentgeltliche Zuwendung des Erblassers an den Beklagten
2 sei nicht bewiesen. Das ist eine Feststellung tatsächlicher Art, die
das Bundesgericht bindet. Was die Klägerin dagegen einwendet, richtet sich
gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung, die im Berufungsverfahren vor
Bundesgericht nicht angefochten werden darf. Die Berufung erweist sich
daher auch in diesem Punkt als unbegründet.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts
St. Gallen (I. Zivilkammer) vom 9. Juli 1975 aufgehoben; die Sache wird
zur Ergänzung der Akten und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.