Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 265



102 II 265

39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. September 1976 i.S. Ringier &
Co. AG gegen Jean Frey AG und Offset & Buchdruck AG. Regeste

    Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen.

    1. Kein Verstoss gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller
Aktionäre, wenn ein Kapitalerhöhungsbeschluss nicht für alle Aktionäre
dieselben wirtschaftlichen Folgen zeitigt (Erw. 1).

    2. Das Gleichbehandlungsgebot ist nicht lex specialis zu Art. 2 ZGB
im Aktienrecht (Praxisänderung, Erw. 2).

    3. Überprüfung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses auf Rechtsmissbrauch
nicht nach allgemeinen Kriterien, sondern auf Grund der besonderen Umstände
des einzelnen Falles (Erw. 3).

    4. Umstände, unter denen Rechtsmissbrauch zu verneinen ist (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Firma Ringier & Co. AG, Zofingen, erwarb im Jahre 1959 27%
der Aktien der Jean Frey AG, Zürich. Im Jahre 1961 beteiligte sie sich
an der von der Jean Frey AG gegründeten Offset & Buchdruck AG, Zürich,
und zeichnete ebenfalls 27% des Aktienkapitals.

    Beide Gesellschaften erhöhten ihr Aktienkapital mehrmals. Die Ringier
& Co. AG übte jeweils ihre Bezugsrechte aus, so dass ihre Beteiligung
gleich geblieben ist. Die Jean Frey AG besitzt 72,75% der Aktien der
Offset & Buchdruck AG, und die Aktien der Jean Frey AG besitzen zu 68,36%
Max Frey oder Personen, die durch ihn vertreten werden. Damit stehen sich
bei beiden Gesellschaften praktisch nur zwei Aktionärsgruppen gegenüber.

    B.- An den Generalversammlungen vom 4. September 1974 wurde gegen
die Stimmen der Ringier & Co. AG beschlossen, das Aktienkapital der Jean
Frey AG von acht auf elf Millionen Franken zu erhöhen, jenes der Offset &
Buchdruck AG von acht auf zwölf Millionen Franken. Für die Jean Frey AG
sollten 3000 neue Inhaberaktien, für die Offset & Buchdruck AG 4000 neue
Namenaktien je zum Nennwert ausgegeben werden.

    Die Aktienkapitalerhöhung der Offset & Buchdruck AG wurde
damit begründet, dass ein Gewerbe- und Parkhaus zu erstellen sei. Die
Aktienkapitalerhöhung der Jean Frey AG sollte dazu dienen, der Gesellschaft
die nötigen Mittel für die Liberierung des auf sie entfallenden Anteils
an der Kapitalerhöhung der Offset & Buchdruck AG zu beschaffen.

    Die Ringier & Co. AG machte von ihrem Bezugsrecht Gebrauch.

    C.- Am 1. November 1974 focht die Ringier & Co. AG die
Kapitalerhöhungsbeschlüsse beider Gesellschaften an. Das Handelsgericht
des Kantons Zürich vereinigte die beiden Verfahren und wies am 26. Januar
1976 beide Klagen ab.

    D.- Die Klägerin hat Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil
des Handelsgerichtes des Kantons Zürich aufzuheben und die beiden
Generalversammlungsbeschlüsse betreffend Kapitalerhöhung und deren
Modalitäten ungültig zu erklären.

    Die Beklagten beantragen, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Aktiengesellschaft hat die Aktionäre alle gleich zu behandeln,
soweit nicht Abweichungen unumgänglich nötig sind, um im Interesse aller
den Gesellschaftszweck zu verfolgen (BGE 69 II 248 ff., 88 II 105, 91 II
300 f., 93 II 406, 95 II 162, 99 II 58).

    Die angefochtenen Generalversammlungsbeschlüsse behandeln alle
Aktionäre gleich. Sie stellen alle Aktionäre vor die gleiche Wahl und
verletzen auch nicht das Recht der Aktionäre auf Anteil am Reingewinn
und am Liquidationsergebnis (BGE 99 II 58 ff.). Darauf, dass die
wirtschaftlichen Folgen für die Klägerin andere seien als für die
Beklagten, kann es bei der Frage nach der Gleichbehandlung aller Aktionäre
nicht ankommen. Unstatthafterweise ungleich behandelt wurde die Klägerin
auch nicht, wenn sie als Minderheitsaktionärin wirtschaftliche Tätigkeiten
mitfinanzieren muss, die von der Mehrheitsaktionärin geleitet werden,
so dass die Klägerin praktisch ihren Gegner und Konkurrenten fördern
muss. Diesem Risiko hat sich die Klägerin bewusst ausgesetzt, als sie in
Zeiten allgemeiner Betriebserweiterungen eine Minderheitsbeteiligung an
einem Konkurrenzunternehmen erwarb. Das Gebot der Gleichbehandlung aller
Aktionäre ist demnach nicht verletzt.

Erwägung 2

    2.- Gemäss früherer Rechtsprechung wären die angefochtenen
Generalversammlungsbeschlüsse nicht mehr nach Art. 2 ZGB zu überprüfen,
da sie das Gleichbehandlungsgebot nicht verletzen (BGE 69 II 249 f.,
95 II 163). Zuletzt hat das Bundesgericht diese Frage aber offen
gelassen (BGE 99 II 62 f.). Die Beklagten berufen sich auf die frühere
Bundesgerichtspraxis. Die Klägerin ist gegenteiliger Ansicht und beruft
sich auf den Aufsatz von MEIER-HAYOZ/ZWEIFEL, Der Grundsatz der schonenden
Rechtsausübung im Gesellschaftsrecht (Festschrift für Harry Westermann,
S. 387 f.).

    Zu Recht macht die Klägerin geltend, dass Tatbestände von
Rechtsmissbrauch denkbar sind, die das Gebot der Gleichbehandlung aller
Aktionäre nicht verletzen. Damit kann der Gleichbehandlungsgrundsatz
nicht lex specialis zu Art. 2 ZGB im Aktienrecht sein. Er konkretisiert
lediglich Art. 2 ZGB im Aktienrecht, vermag aber die Berufung auf das
Rechtsmissbrauchsverbot nicht vollständig zu decken.

    Treu und Glaube ist die Schranke aller Rechtsausübung. Auch wenn
ein Generalversammlungsbeschluss Gesetz und anerkannte Grundsätze des
Aktienrechtes (wie das Gebot der Gleichbehandlung) nicht verletzt, kann
er doch in offensichtlichem Missbrauch des Rechtes ergangen sein. Das
hat der Richter zu prüfen.

Erwägung 3

    3.- Die Frage, ob es rechtsmissbräuchlich sei, zum Zwecke einer
Kapitalerhöhung neue Aktien zum Nennwert auszugeben, auch wenn der
innere Wert der Aktien einer Gesellschaft deren Nennwert (beträchtlich)
übersteigt, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Ausschlaggebend
sind immer die besonderen Umstände des einzelnen Falles. Es kann daher
weder unbesehen auf einen den Rechtsmissbrauch verneinenden Entscheid in
einem anderen Verfahren abgestellt werden (BGE 99 II 64 f.), noch auf die
gegen diesen Entscheid laut gewordene Kritik (MEIER-HAYOZ/ZWEIFEL, PATRY,
Die Schweizerische Aktiengesellschaft 1974, S. 38; HIRSCH, JdT 1973,
S. 631 ff.; KUMMER, ZbJV 1975, S. 137 ff.).

    Die Klägerin macht geltend, die Kapitalerhöhungsbeschlüsse hätten
sie vor die Wahl gestellt, entweder für insgesamt 1,89 Millionen Franken
neue Aktien zu zeichnen oder, falls sie ihre Bezugsrechte nicht ausüben
wollte, infolge des Absinkens des inneren Wertes der alten Aktien mehr
als 8,5 Millionen Franken zu verlieren. Praktisch sei sie daher gezwungen
gewesen, die neuen Aktien zu beziehen. Dieser Zwang wäre ihrer Ansicht
nach nur zulässig, wenn die Kapitalerhöhungen und ihre Modalitäten durch
überwiegende Interessen der Gesellschaften gerechtfertigt würden. Sie
bestreitet, dass das der Fall sei. Unter Hinweis auf den Grundsatz der
schonenden Behandlung der Minderheit, den sie angewandt haben möchte,
macht die Klägerin geltend, die neuen Aktien hätten zum inneren Wert oder
einem ihm angenäherten Preise ausgegeben werden müssen. Dieses Vorgehen
hätte ihr keine finanziellen Nachteile gebracht, falls sie die neuen Aktien
nicht beziehen wollte, und sie wäre dann frei gewesen zu entscheiden.

    Was die Klägerin fordert, ist unvereinbar mit dem gesetzlich
vorgesehenen Mehrheitsprinzip für Beschlüsse in Aktiengesellschaften. Die
Struktur des Gesellschaftsrechtes lässt den Willen der Mehrheit der
Aktionäre ausschlaggebend sein. Mit dem Eintritt in die Gesellschaft
unterwirft sich der Aktionär diesem Grundsatz, und er anerkennt, dass die
Mehrheit auch dann bindend entscheidet, wenn sie nicht die bestmögliche
Lösung trifft (BGE 95 II 163) und ihre eigenen Interessen denjenigen der
Minderheit vorgehen lässt. Nur wenn die Mehrheit die ihr in Art. 703
OR eingeräumte Macht im Hinblick auf entgegengesetzte Interessen der
Minderheit offensichtlich missbraucht, darf der Richter einschreiten
(BGE 99 II 62).

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Kapitalerhöhung
der Offset & Buchdruck AG sachlich gerechtfertigt und die sachliche
Rechtfertigung der Kapitalerhöhung der Jean Frey AG unbestritten
ist. Das ist für das Bundesgericht verbindlich. Was die Klägerin im
Berufungsverfahren dagegen einwendet, ist nicht zu hören.

    Mit verschiedenen Einwänden trachtet die Klägerin, die von den
Beklagten angeführten und von der Vorinstanz übernommenen Argumente
für die Ausgabe der neuen Aktien zum Nennwert zu entkräften. Das ist
nicht zu prüfen. Die Frage, ob ein Rechtsmissbrauch vorliege, wäre
allenfalls erheblich, wenn die von den Beklagten gewählte Modalität den
Gesellschaftsinteressen nicht gerecht würde, oder wenn die Ausgabe der
neuen Aktien zu einem höheren Preise den Gesellschaften mehr gedient
hätte. Beides hat die Klägerin nicht behauptet. Es kann daher offen
bleiben, ob die Gesellschaftsinteressen die Ausgabe der neuen Aktien zum
Nennwert geradezu geboten; jedenfalls ist nicht widerlegt, dass diese
Interessen durch die angefochtenen Beschlüsse gewahrt wurden.

    Die Forderung der Klägerin, die neuen Aktien zum inneren Wert
auszugeben, ist mit der Absicht verbunden, die neuen Aktien nicht zu
beziehen. Dies hätte zur Folge, dass die Aktionärsmehrheit alle neuen
Aktien zeichnen müsste, wenn die Kapitalerhöhung gelingen soll. Dies
kann unter Umständen für die Mehrheit nachteilig sein. Nachteile muss die
Mehrheit aber nicht auf sich nehmen, nur um der Minderheit zu dienen. Wenn
sie es nicht tut, handelt sie nicht rechtsmissbräuchlich.

    Die von der Klägerin behauptete Äusserung Max Freys, er sei Experte
dafür, wie man Minderheiten um ihr Recht bringen könne, würde, wenn sie
tatsächlich gefallen wäre, noch nicht belegen, dass die angefochtenen
Generalversammlungsbeschlüsse gerade zu diesem Zwecke gefasst wurden. Es
kann deshalb offen bleiben, ob Max Frey sich tatsächlich so geäussert hat.

    Andere besondere Umstände, die das Vorgehen der Beklagten als
offensichtlich rechtsmissbräuchlich erscheinen liessen, hat die Klägerin
nicht genannt. Die angefochtenen Generalversammlungsbeschlüsse halten
demnach einer Überprüfung auf Rechtsmissbrauch stand.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichtes des
Kantons Zürich vom 26. Januar 1976 bestätigt.