Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 154



102 II 154

25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Juli 1976 i.S. Signer gegen
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 68 Abs. 1 lit. a OG; bundesrechtliche Anforderungen an das
kantonale Verfahrensrecht.

    Die Kantone dürfen die Beurteilung von Zivilrechtsstreitigkeiten nur
unter der Voraussetzung einer Verwaltungsbehörde übertragen, dass sie
hiefür ein Zweiparteienverfahren vorsehen.

Sachverhalt

    A.- Im Ehelichkeitsanfechtungsprozess, den Peter Glaus gegen seine
frühere Ehefrau Anna Ines Signer-Boltshauser und das Kind Corinne
angestrengt hatte, stellte das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt mit
Urteil vom 17. Juni 1974 fest, das Kind sei nicht die eheliche Tochter
des Klägers. Hinsichtlich der Kosten bestimmte es, die Mutter habe
die ordentlichen Kosten sowie ihre eigenen ausserordentlichen Kosten
und diejenigen des Klägers zu tragen. Dem Kind wurden die eigenen
ausserordentlichen Kosten, also diejenigen der Beistandschaft, auferlegt.

    Lic.iur. Alfons Ziegler, der am 21. März 1969 zum Beistand des Kindes
ernannt worden war und dessen Interessen im Anfechtungsprozess gewahrt
hatte, liess der Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt am 25. Juni 1974 eine
Aufstellung über seine Bemühungen zukommen und ersuchte die Behörde, ihm
das Honorar zu überweisen. Mit Beschluss vom 21. November 1974 setzte
darauf die Vormundschaftsbehörde das Honorar auf Fr. 1'800.-- fest und
verpflichtete gleichzeitig "gemäss Art. 272 ZGB und § 45 EG zum ZGB"
die Mutter, das dem Beistand zustehende Honorar zu bezahlen.

    B.- Gegen diesen Beschluss beschwerten sich sowohl der Beistand als
auch die Mutter beim Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt. Während
der Beistand eine Erhöhung des ihm zugesprochenen Honorars verlangte,
beantragte die Mutter, der Beschluss sei wegen sachlicher Unzuständigkeit
der Vormundschaftsbehörde und wegen Verletzung des Grundsatzes der
Gewaltenteilung aufzuheben. Am 11. Juli 1975 wies das Justizdepartement
beide Beschwerden ab. Ein Rekurs der Mutter gegen diesen Entscheid wurde
vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt mit Beschluss vom 27. Januar
1976 abgewiesen.

    C.- Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Anna Ines
Signer-Boltshauser die Aufhebung des Beschlusses des Regierungsrates. Ihrem
Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Verfügung vom
22. März 1976 entsprochen.

    Der Regierungsrat und der Beistand beantragen in ihren Vernehmlassungen
die Abweisung der Beschwerde. Die Vormundschaftsbehörde liess sich nicht
vernehmen, obwohl ihr dazu Gelegenheit geboten wurde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Beschluss ist in einer Zivilsache ergangen. Er
ist letztinstanzlich, da gemäss § 11 Ziff. 7 des Gesetzes über die
Verwaltungsrechtspflege des Kantons Basel-Stadt vom 14. Juni 1928 der
Rekurs an das kantonale Verwaltungsgericht ausgeschlossen ist. Mangels
Erreichung des Streitwertes von Fr. 8'000.-- ist er sodann nicht
berufungsfähig. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher zulässig (Art. 68
Abs. 1 OG).

Erwägung 2

    2.- Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kann nur die Anwendung kantonalen
bzw. ausländischen Rechts an Stelle des massgebenden eidgenössischen Rechts
oder die Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften gerügt
werden (Art. 68 Abs. 1 lit. a und b OG). Soweit die Beschwerdeführerin
geltend macht, der angefochtene Beschluss verstosse gegen den
"verfassungsmässigen Grundsatz der Gewaltenteilung", mit der Begründung,
die Kostenverteilung im Anfechtungsurteil vom 17. Juni 1974 dürfe durch
die Vormundschaftsbehörde nicht abgeändert werden, ist daher auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Zur Hauptsache wird in der Beschwerde gerügt, Vormundschaftsbehörde
und Regierungsrat seien nicht zuständig gewesen, die Beschwerdeführerin
zur Leistung einer Beistandsentschädigung für das Kind zu verpflichten;
sie hätten bundesrechtliche Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit
der Behörden verletzt.

    Die Vormundschaftsbehörde stützte ihre Zuständigkeit auf § 45 EG ZGB
des Kantons Basel-Stadt. Nach dieser Bestimmung werden Streitigkeiten
über die Unterhaltsansprüche minderjähriger und entmündigter ehelicher
Kinder gegen ihre Eltern von der Vormundschaftsbehörde entschieden,
vorbehältlich der richterlichen Zuständigkeit bei der Festsetzung von
Alimentationsbeiträgen in Ehestreitigkeiten. Im vorliegenden Fall geht
es allerdings nicht um den Unterhaltsanspruch eines ehelichen Kindes
gegen seine Eltern, sondern um den Honoraranspruch des Beistandes eines
ausserehelichen Kindes gegen dessen Mutter. Dass § 45 EG ZGB auch
die Erledigung derartiger Streitigkeiten der Vormundschaftsbehörde
zuschieben will, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Im Rahmen
einer Nichtigkeitsbeschwerde ist das Bundesgericht indessen an
die Auslegung des kantonalen Rechts durch die kantonalen Behörden
gebunden. Es hat daher davon auszugehen, dass nach basel-städtischem
Recht die Vormundschaftsbehörde zuständig ist zur Beurteilung der Frage,
ob die Mutter das Honorar des Beistandes ihres ausserehelichen Kindes
im Anfechtungsprozess bezahlen müsse. Wenn die Beschwerdeführerin
diese Auslegung des kantonalen Rechts hätte anfechten wollen, hätte
sie staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 58 Abs. 1 BV
erheben müssen.

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen bleibt indessen, ob es überhaupt zulässig sei, solche
Streitigkeiten von der Vormundschaftsbehörde beurteilen zu lassen. Das
Bundesrecht enthält hierüber keine ausdrückliche Vorschrift. In Art. 417
Abs. 2 ZGB wird einzig statuiert, das Honorar des Beistandes werde von der
Vormundschaftsbehörde festgesetzt. Daraus kann nicht geschlossen werden,
die Vormundschaftsbehörde sei von Bundesrechts wegen auch zuständig zur
Beurteilung der Frage, ob das Honorar auf einen unterhaltspflichtigen
Dritten überwälzt werden dürfe. Fehlt es aber an einer bundesrechtlichen
Zuständigkeitsordnung, so ist es grundsätzlich Sache der Kantone, die
zuständige Behörde zu bezeichnen. Das ergibt sich aus Art. 64 Abs. 3 BV,
wonach die Organisation der Gerichte und das gerichtliche Verfahren
den Kantonen vorbehalten sind (vgl. auch Art. 52 SchlT ZGB). Da das
Bundesrecht nicht vorschreibt, solche Streitigkeiten müssten vom Richter
beurteilt werden, können die Kantone nach Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB auch
eine Verwaltungsbehörde als zuständig erklären.

    Wie das Bundesgericht in BGE 98 II 168 ff. entschieden hat, dürfen aber
Angelegenheiten, die sachlich der streitigen Gerichtsbarkeit angehören,
nur unter der Voraussetzung den Verwaltungsbehörden zugewiesen werden,
dass der Streit im Zweiparteienverfahren beurteilt wird. In jenem Fall
hatte das Bundesgericht zu prüfen, ob die Zuständigkeit zur Festsetzung
der Unterhaltsbeiträge, welche die Eltern für die ihnen nach Art. 284 oder
285 ZGB weggenommenen Kinder zu leisten haben, den vormundschaftlichen
Behörden übertragen werden dürfe. Dabei führte es aus, die Kantone
seien zwar an sich frei, die in Frage stehende Aufgabe diesen Behörden
zuzuweisen. Dagegen dürften sie diesfalls nicht einfach das Verfahren für
anwendbar erklären, das die vormundschaftlichen Behörden bei Erfüllung der
ihnen nach Bundesrecht obliegenden, in den Bereich der sog. nichtstreitigen
Gerichtsbarkeit fallenden Aufgaben befolgen. Vielmehr müssten die Kantone
dem Umstand Rechnung tragen, dass Gegenstand der zu treffenden Entscheidung
ein privatrechtlicher Anspruch auf Vermögensleistungen sei, der nach
Bundesrecht durch eine Klage gegen die Eltern geltend zu machen sei.
Das Verfahren müsse also notwendigerweise ein Verfahren zwischen zwei
Parteien sein. Nur wenn das Verfahren so ausgestaltet werde, dürften die
Kantone die Beurteilung von Unterhaltsansprüchen einer Verwaltungsbehörde
übertragen (BGE 98 II 174; vgl. auch BGE 86 I 333; GULDENER, Grundzüge
der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, S. 98 ff.).

Erwägung 5

    5.- Die vorliegende Auseinandersetzung ist sachlich eine Angelegenheit
der streitigen Gerichtsbarkeit. Streitig ist die Frage, ob die
Beschwerdeführerin das Honorar des Beistandes ihres ausserehelichen
Kindes im Ehelichkeitsanfechtungsprozess bezahlen müsse. Der Kanton
Basel-Stadt durfte die Beurteilung dieses Streites nach dem Gesagten
nur unter der Voraussetzung der Vormundschaftsbehörde übertragen, dass
er hiefür ein Zweiparteienverfahren vorsah. Ein solches Verfahren hat
indessen nicht stattgefunden. Der Beistand hat nie eine Klage gegen
die Beschwerdeführerin erhoben, sondern er hat in seinem Schreiben vom
25. Juni 1974 einzig die Vormundschaftsbehörde ersucht, ihm das Honorar zu
bezahlen. Auch der Beschwerdeführerin wurde nie klar gesagt, dass gegen sie
eine Forderung geltend gemacht werde. Im Gespräch wurde sie zwar darauf
hingewiesen, dass sie die Beistandskosten zu tragen habe. Dabei wurde
jedoch der zu bezahlende Betrag nur grössenordnungsweise angegeben. Die
Vormundschaftsbehörde hat die Beschwerdeführerin somit offensichtlich
nur durch einseitige Verfügung zur Bezahlung des Beistandshonorars
verpflichtet. Dieses Vorgehen genügt den Anforderungen nicht, die von
Bundesrechts wegen an ein streitiges Verfahren zu stellen sind.

Erwägung 6

    6.- In BGE 98 II 175 hat das Bundesgericht ausgeführt, eine
Verwaltungsbehörde, die in einem Zivilstreit ihre Zuständigkeit in
Anspruch nehme, ohne den bundesrechtlichen Anforderungen an das Verfahren
zu genügen, verletze bundesrechtliche Vorschriften über die sachliche
Zuständigkeit der Behörden. Es betrachtete daher in jenem Entscheid den
Nichtigkeitsgrund von Art. 68 Abs. 1 lit. b OG als erfüllt. Dementsprechend
hat sich im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin einzig auf diesen
Nichtigkeitsgrund berufen. Indessen ist es weniger die Zuständigkeit der
Vormundschaftsbehörde als solche, die mit dem Bundesrecht in Widerspruch
steht, als das von der Behörde angewendete Verfahren. Die Missachtung des
Vorranges des Bundesrechts vor dem kantonalen Verfahrensrecht füllt aber
unter den Nichtigkeitsgrund von Art. 68 Abs. 1 lit. a OG (vgl. BGE 101
II 45 f., 99 II 163, 96 II 435; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 254
ff.). Der angefochtene Entscheid ist daher auf Grund dieser Bestimmung
aufzuheben. Dass die Beschwerdeführerin nur den Nichtigkeitsgrund der
Verletzung eidgenössischer Zuständigkeitsvorschriften anrief, kann ihr
nicht schaden, konnte sie sich doch dabei auf BGE 98 II 175 stützen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates
des Kantons Basel-Stadt vom 27. Januar 1976 aufgehoben.