Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 II 122



102 II 122

20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. März 1976 i.S. Ringier &
Co. AG gegen Annabelle Verlagsgesellschaft und Weltwoche-Verlag Karl von
Schumacher & Co. AG. Regeste

    Markenschutz und unlauterer Wettbewerb.

    1. Art. 40 OG und Art. 73 BZP. Die Erklärung des Beklagten,
auf die weitere Verwendung einer Marke zu verzichten, macht
ein Feststellungsbegehren auf Verletzung von Markenrechten nicht
gegenstandslos, wenn er die Verwechselbarkeit der Marke gleichwohl
bestreitet (Erw. 1).

    2. Art. 6 Abs. 1 und 3 MSchG und Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG.
Verwechslungsgefahr zwischen den Marken "annabelle" und "Annette", die
sich auf gleichartige Zeitschriften beziehen (Erw. 2 und 3).

    3. Art. 32 Abs. 1 MSchG und Art. 6 UWG. Veröffentlichung des
Urteilsspruches (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Annabelle Verlagsgesellschaft in Zürich gibt seit über
30 Jahren die Frauenzeitschrift "Annabelle" heraus, die alle 14 Tage
erscheint. Die Verlagsrechte gehören der Weltwoche-Verlag Karl von
Schumacher & Co. AG in Zürich (abgekürzt Weltwoche-AG). Diese Gesellschaft
ist auch Inhaberin der Marken "ANNABELLE" und "annabelle"; letztere ist
seit 11. Juli 1966 unter Nr. 218'593 im schweizerischen Markenregister
eingetragen und insbesondere für den Gebrauch auf Druckerzeugnissen
bestimmt.

    Die Ringier & Co. AG, Zofingen, erteilte in den Jahren 1971 und 1973
je einem Marktforschungsinstitut den Auftrag, die Aussichten einer neuen
Frauenzeitschrift zu prüfen. Die Zeitschrift "Annabelle" spielte bei diesen
Prüfungen eine erhebliche Rolle, da sie angeblich den besten Ruf genoss.

    Vom Oktober 1973 bis Ende 1975 liess die Ringier & Co. AG wöchentlich
die Frauenzeitschrift "Annette" erscheinen; dazu kam monatlich eine
Sonderausgabe unter dem Namen "Annette extra".

    Im Dezember 1973 ersuchten die Annabelle Verlagsgesellschaft und
die Weltwoche-AG den Richter, der Ringier & Co. AG die Verwendung der
Bezeichnung "Annette" oder "Annette extra" vorsorglich bei Strafe zu
untersagen. Der Präsident des Handelsgerichtes des Kantons Aargau wies
das Gesuch am 29. Januar 1974 ab.

    B.- Die Annabelle Verlagsgesellschaft und die Weltwoche-AG klagten
daraufhin gegen die Ringier & Co. AG auf Feststellung, dass die Beklagte
durch Gebrauch der Bezeichnung "Annette" oder "Annette extra" das Recht der
Weltwoche-AG aus der Marke Nr. 218'593 "Annabelle" verletze (Rechtsbegehren
1) und unlauteren Wettbewerb begehe (Rechtsbegehren 2); sie verlangten
ferner, der Beklagten diesen Gebrauch unter Strafandrohung zu verbieten
(Rechtsbegehren 3) und die Klägerinnen zu ermächtigen, den Urteilsspruch
in zwei Frauenzeitschriften ihrer Wahl je einmal zu veröffentlichen
(Rechtsbegehren 4).

    Das Handelsgericht des Kantons Aargau hiess die Klagebegehren am
28. Oktober 1975 gut.

    C.- Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Sie
beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerinnen beantragen, die Berufung abzuweisen und das
angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte macht in ihren Ausführungen zur Veröffentlichung
des Urteils geltend, die Zeitschrift "Annette" sei nach Ausfällung des
angefochtenen Entscheides mit einer anderen Frauenzeitschrift verschmolzen
worden und erscheine seit Januar 1976 unter dem Namen "Femina".
Den Klägerinnen fehle deshalb ein Interesse an der Feststellung einer
Verletzung und ihr Anspruch auf Unterlassung sei gegenstandslos geworden.

    Dieser Einwand geht fehl. Das Berufungsbegehren vom 21. Januar
1976 lautet auf Abweisung der Klage in vollem Umfange. In der
Berufungsbegründung beharrt die Beklagte auf ihrem Standpunkt, dass
zwischen den streitigen Zeichen keine Verwechslungsgefahr bestehe,
folglich weder von einer Markenrechtsverletzung noch von unlauterem
Wettbewerb die Rede sein könne. Sie versucht die gegenteilige Auffassung
des Handelsgerichtes denn auch bis ins einzelne zu Widerlegen und hält
"Annette" für ein zulässiges Zeichen. Angesichts dieses prozessualen
Verhaltens der Beklagten haben die Klägerinnen unbekümmert darum, dass
die Zeitschrift "Annette" seit anfangs 1976 unter einem anderen Namen
erscheint, auch im Berufungsverfahren noch ein schützenswertes Interesse
am Entscheid darüber, ob ihre Klagebegehren begründet sind. Anders
verhielte es sich nur, wenn die Beklagte die Begehren der Klägerinnen
in der Berufungsschrift wenigstens teilweise anerkannt oder sich ihnen
gegenüber verpflichtet hätte, die Bezeichnungen "Annette" und "Annette
extra" inskünftig nicht mehr zu verwenden, was gemäss Art. 40 OG in
Verbindung mit Art. 73 BZP im Berufungsverfahren zu berücksichtigen wäre
(vgl. BGE 83 II 61, 91 II 85 Erw. 4 und 148 Erw. 1 mit Zitaten). Weder
das eine noch das andere trifft zu. Die Beklagte erklärte auf Anfrage des
Instruktionsrichters vielmehr, dass sie die Herausgabe der Zeitschrift
"Annette" nicht im Sinne einer Anerkennung der klägerischen Begehren
einstellte, noch die Benützung des Zeichens durch die Einstellung der
Zeitschrift präjudizieren wollte.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte hat die Zeichen "Annette" und "Annette extra"
nicht als Marken eintragen lassen. Das schliesst eine Verletzung
von älteren Drittrechten indes nicht aus, wenn die Zeichen, wie dies
hier geschehen ist, tatsächlich wie Marken gebraucht worden sind. Die
Beklagte wendet dagegen mit Recht nichts ein. Sie bestreitet auch nicht,
dass ihre Zeichen und die Marke "annabelle" der Weltwoche-AG sich auf
gleichartige Erzeugnisse, nämlich auf Zeitschriften bezogen haben, mögen
diese in ihrer äusseren Aufmachung auch voneinander abgewichen sein;
die Beklagte anerkannte vielmehr schon im kantonalen Verfahren, dass
wegen der Gleichartigkeit der Ware ein strenger Massstab anzulegen ist
(vgl. BGE 84 II 319/20, 96 II 404 Erw. 2 mit Zitaten). Ihre Zeichen
wären daher nur zulässig, wenn sie sich durch wesentliche Merkmale von
demjenigen der Weltwoche-AG unterschieden (Art. 6 Abs. 1 und 3 MSchG). Ob
diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt vom Gesamteindruck ab, den die
Zeichen insbesondere beim kaufenden Publikum hinterlassen, der jedoch
durch einen einzelnen Bestandteil entscheidend beeinflusst werden kann
(BGE 98 II 140 Erw. 1 mit Zitaten).

    Dieser Eindruck wird hier, wie das Handelsgericht richtig annimmt,
vor allem dadurch bestimmt, dass der Hauptbestandteil der streitigen
Zeichen auf dem gleichen Frauennamen Anna beruht. Von diesem Bestandteil
in der Marke der Weltwoche-AG unterscheidet sich das Zeichen "Annette"
einzig durch die diminutive Form des Namens. Der Mädchenname Annette ist
von Anna abgeleitet, was entgegen den Einwänden der Beklagten in weiten
Kreisen der Bevölkerung bekannt ist, mag die angehängte Bildungssilbe auch
aus der französischen Sprache stammen. Das fremde Suffix -ette kommt nicht
nur bei französischen Vornamen (z.B. Jeanne/Jeannette, Georges/Georgette,
Antoine/Antoinette), sondern als Verkleinerungsform auch im allgemeinen
deutschen Sprachgebrauch oft vor (z.B. Kasse/Kassette, Oper/Operette,
Zigarre/Zigarette), ohne dass das abgeleitete Wort seine Beziehung zum
Grundwort verliert.

    Angesichts dieser inneren Beziehung können hier in den übrigen
Unterschieden zwischen den streitigen Zeichen keine wesentlichen
Merkmale im Sinne von Art. 6 Abs. 1 MSchG erblickt werden. Das lässt
sich insbesondere nicht von der Zahl der Silben und Buchstaben, noch vom
Schriftbild und der Aussprache oder von der Reihenfolge und der Kadenz
der Vokale sagen. Was in der Erinnerung des Käufers haften bleibt, sind
vor allem die Namen Anna und Annette, nicht die verschiedenen Nachsilben
oder andere visuelle und klangliche Unterschiede, welche von der Beklagten
offensichtlich überwertet werden. Daran ändert sich selbst dann nichts,
wenn auch Annabelle vom Publikum als ein von Anna abgeleiteter Frauenname
empfunden und verwendet wird, wie die Beklagte behauptet. Die Beziehung
zum gleichen Grundwort wird dadurch nicht aufgehoben, zumal "belle"
eine Sachbezeichnung und daher ein schwacher Zusatz ist. Es verhält
sich ähnlich wie z.B. bei den Zeichen "Lysol" und "Lysolats", "Alps"
und "Alpina", "Aqua" und "Aquamatica", "Sihl" und "Silbond", die das
Bundesgericht als verwechselbar erachtet hat (BGE 57 II 609, 73 II 186,
82 II 233, 92 II 261).

    Da die streitigen Zeichen auf einem gemeinsamen Frauennamen beruhen,
schliesst das Handelsgericht zudem mit Recht, dass sie den Eindruck von
Serienzeichen erwecken. Wer sie hört oder liest, kann leicht auf den
Gedanken kommen, dass die Erzeugnisse, die sie kennzeichnen, aus dem
gleichen Verlag stammen oder doch Waren von zwei Unternehmen seien, die
wirtschaftlich eng miteinander verbunden sind. Diese Täuschungsgefahr
wird auch durch das Zeichen "Annette extra" nicht vermindert, sondern
noch gefördert. Ob die Beklagte bewusst auf eine Nachahmung der Marke
"annabelle" ausgegangen sei, was die Klägerinnen ihr unter Hinweis auf
die Empfehlungen der beiden Markforschungsinstitute schon in der Klage
vorgeworfen haben, das Handelsgericht aber bezweifelt, kann offen bleiben;
die Verwechslungsgefahr ist unabhängig davon zu prüfen, ob der Inhaber
des späteren Zeichens bei dessen Wahl gut- oder bösgläubig gehandelt habe
(BGE 78 II 383, 82 II 541). Immerhin ist zu bemerken, dass der Verdacht
einer beabsichtigten Angleichung nach den umfangreichen Vorbereitungen
der Beklagten nahe liegt, diese folglich auch deswegen nicht im Ernst
behaupten kann, dass sich ihre Zeichen durch wesentliche Merkmale von der
Marke der Weltwoche-AG unterschieden. Das Handelsgericht räumt denn auch
ein, die Beklagte habe die Möglichkeit erkannt, dass die beiden Namen zu
Verwechslungen führen könnten.

Erwägung 3

    3.- Liegt Verwechslungsgefahr nach Art. 6 MSchG vor, so besteht
sie auch im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG, da die Parteien, was
unbestritten ist, im wirtschaftlichen Wettbewerb miteinander stehen. In
solchen Fällen sind nach ständiger Rechtsprechung beide Bestimmungen
anzuwenden (BGE 93 II 268 und 432, 95 II 198 und 464, 96 II 238 Erw. 1).

    Ob unlauterer Wettbewerb auch darin zu erblicken ist, dass auf
Gestellen und Tischen der Verkäufer angeblich nur das linke Viertel der
Zeitschrift "Annette" sichtbar war und diese sich bezüglich Schriftform,
Papierqualität, Preis, Format usw. nur unerheblich von der "Annabelle"
unterschied, wie die Klägerinnen im kantonalen Verfahren behaupteten,
kann dahingestellt bleiben. Das Handelsgericht hat sich dazu nicht
abschliessend geäussert, und die Klägerinnen haben sich mit seinem Urteil
abgefunden.

    Offen bleiben kann ferner, ob die Beklagte auch Namensrechte der
Erstklägerin verletzt habe, was das Handelsgericht in den Erwägungen
bejaht, im Urteilsspruch mangels eines entsprechenden Klagebegehrens
der Annabelle Verlagsgesellschaft aber nicht zum Ausdruck gebracht
hat. Entscheidungsgründe nehmen an der Rechtskraft des Urteils nicht teil
(BGE 99 II 174 mit Zitaten).

Erwägung 4

    4.- Die Beklagte beanstandet, dass das Handelsgericht die Klägerinnen
ermächtigt, den Urteilsspruch in zwei Frauenzeitschriften ihrer Wahl zu
veröffentlichen. Sie macht geltend, die Vorinstanz verkenne, dass auch
die Klägerinnen an die Depeschenagentur gelangten und dadurch den Streit
in der Öffentlichkeit weiter behandelten. Von weit grösserer Bedeutung
sei jedoch die bereits im September 1975 erschienene Pressemitteilung,
wonach die Zeitschrift "Annette" von 1976 an in die "Femina" aufgenommen
werden sollte.

    Das Handelsgericht hält der Beklagten indes mit Recht vor, dass sie
den Streit als erste in die Öffentlichkeit getragen hat, weshalb sich die
Publikation des Urteilsspruches aufdränge. Dazu kommt, dass der Beklagten
im Entscheid über die vorsorgliche Massnahme ausdrücklich nahegelegt wurde,
angesichts der nicht geringen Prozessrisiken auf die weitere Verwendung der
Zeichen zu verzichten. Sie tat das jedoch nicht, sondern machte den Streit
reklamehalber öffentlich bekannt. Das rechtfertigt die Veröffentlichung
des Urteilsspruches. Das Interesse der Klägerinnen an dieser Massnahme
wurde durch das Zusammenlegen der Zeitschriften "Annette" und "Femina"
nicht aufgehoben; denn die Beklagte hielt die klägerischen Begehren
unbekümmert darum für unbegründet.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Aargau vom 28. Oktober 1975 bestätigt.