Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 III 10



102 III 10

3. Entscheid vom 21. Januar 1976 i.S. A.X. Regeste

    Armenrecht (Art. 152 OG); Beweismittel und Beweiserhebung im
betreibungsrechtlichen Beschwerdeverfahren; Nova (Art. 79 Abs. 1 zweiter
Satz OG); Ermittlung des pfändbaren Einkommens (Art. 93 SchKG).

    1. Im Rekursverfahren gemäss Art. 78 ff. OG besteht weder für die
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege noch für die Bestellung eines
Armenanwaltes eine gesetzliche Grundlage (Erw. 1).

    2. Die Frage der Zulässigkeit von Beweismitteln und der Form der
Beweiserhebung im betreibungsrechtlichen Beschwerdeverfahren richtet sich
nach dem Verfahrensrecht, das weitgehend den Kantonen vorbehalten ist
(Erw. 2a).

    3. Novenrecht nach Art. 79 Abs. 1 zweiter Satz OG (Erw. 3).

    4. Bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens sind die massgebenden
tatsächlichen Verhältnisse von Amtes wegen abzuklären; dabei ist auf die
Umstände im Zeitpunkt der Vornahme der Lohnpfändung abzustellen (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- In der von A.X. für eine Forderung von insgesamt Fr.  2'631.70
(zur Hauptsache fällige Unterhaltsbeiträge) gegen ihren Ehemann B.X.,
von dem sie getrennt lebt, geführten Betreibung Nr. 4345 verfügte das
Betreibungsamt am 26. Juni 1975 eine Lohnpfändung über Fr. 530.--. Bei der
Ermittlung des schuldnerischen Notbedarfs berücksichtigte das Amt unter
anderem die Aufwendungen für C.Y., die für B.X. den Haushalt besorgt
(Barlohn: Fr. 1'100.--; Kost und Logis: Fr. 390.--; AHV-Beitrag:
Fr. 74.50).

    B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich der Schuldner beim Präsidium
des Bezirksgerichts mit dem Antrag, es sei die pfändbare Quote auf
Fr. 385.20 herabzusetzen. Er machte geltend, bei der Berechnung seines
Einkommens sei unberücksichtigt geblieben, dass seit 1. Januar 1975
nicht mehr er, sondern seine Haushälterin C.Y. die Provision für die
Betreuung der örtlichen Agentur der "Z."-Krankenkasse beziehe; sein
Einkommen betrage lediglich Fr. 3'680.-- (statt Fr. 4'080.--, wie das
Betreibungsamt angenommen hatte).

    Mit Entscheid vom 6. November 1975 hat die untere kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde abgewiesen.

    C.- B.X. zog diesen Entscheid an die obere kantonale Aufsichtsbehörde
weiter, welche die Beschwerde teilweise schützte und den pfändbaren Betrag
auf Fr. 405.-- herabsetzte. Nach Einvernahme von C.Y. war die Vorinstanz
zur Überzeugung gelangt, dass tatsächlich die Haushälterin die Provision
der Krankenkasse beziehe.

    D.- Gegen das Urteil der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde vom
22. Dezember 1975 hat A.X. als Gläubigerin mit Eingabe vom 30. Dezember
1975 an das Bundesgericht rekurriert. Sie stellt folgende Rechtsbegehren:

    "1. Der beiliegende Beschwerdeentscheid der Kantonalen Aufsichtsbehörde
   für Schuldbetreibung und Konkurs vom 22. Dezember 1975 sei aufzuheben.

    2. Die von der Kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und

    Konkurs teilweise gutgeheissene Beschwerde des Schuldners sei
abzuweisen.

    3. Eventuell sei die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes und
   zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen."

    Am 5. Januar 1976 ging beim Gericht ausserdem ein vom 2. Januar
1976 datiertes Gesuch der Rekurrentin um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Beiordnung eines Rechtsbeistandes ein.

    E.- In seiner Vernehmlassung vom 19. Januar 1976 beantragt der
Rekursgegner, es sei auf den Rekurs nicht einzutreten, eventuell sei
er abzuweisen oder die Streitsache zur förmlichen zeugenschaftlichen
Einvernahme von Frau C.Y. an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Rekurrentin stellt unter Berufung auf Art. 152 OG das Begehren
um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Bestellung eines
Armenanwaltes (sinngemäss in der Person ihres Rechtsvertreters). Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung besteht indessen im grundsätzlich
gebühren- und entschädigungsfreien Rekursverfahren gemäss Art. 78 ff. OG
weder für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege - für die ohnehin
kein Bedürfnis besteht - noch für die Beiordnung eines Armenanwaltes eine
gesetzliche Grundlage (BGE 83 III 30/31). Der Antrag der Rekurrentin ist
daher abzuweisen.

Erwägung 2

    2.- In ihrer Rekursbegründung macht A.X. im wesentlichen geltend, die
obere kantonale Aufsichtsbehörde habe Art. 8 ZGB verletzt. Die Vorinstanz
habe einerseits auf die Aussagen von C.Y. abgestellt, obschon diese,
da die Befragte nicht auf die strafrechtlichen Folgen eines falschen
Zeugnisses hingewiesen worden sei, keinem formellen Zeugnis gleichkämen,
und andererseits von ihr anerbotene Beweise zu Unrecht nicht abgenommen.

    a) Zur formellen Rüge der Einvernahme von C.Y. führt die
Rekurrentin weiter aus, gemäss Art. 36 des kantonalen EG zum SchKG
seien im Beschwerdeverfahren in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen die
Beweise, abgesehen von einigen Besonderheiten, nach den Vorschriften des
Gesetzes über die Zivilrechtspflege zu erheben. Dieses sehe jedoch keine
Einvernahme vor, bei der die befragte Person vorgängig nicht auch auf
die strafrechtlichen Folgen eines falschen Zeugnisses hingewiesen werde.

    Es trifft zu, dass Art. 8 ZGB, der die Beweislast regelt und aus
welchem die Rechtsprechung ausserdem einen bundesrechtlichen Anspruch
einer Prozesspartei auf Abnahme anerbotener Beweise ableitet (BGE
95 II 467 Erw. 3; 86 II 302), unter Vorbehalt von Sondervorschriften
(wie vor allem der Untersuchungsmaxime) auch im betreibungsrechtlichen
Beschwerdeverfahren zu beachten ist (BGE 97 III 14/15). Die Frage der
Zulässigkeit von Beweismitteln und der Form der Beweiserhebung richtet sich
indessen nach dem kantonalen Prozessrecht bzw. dem ebenfalls weitgehend
den Kantonen überlassenen Verfahrensrecht für Beschwerden nach den Art. 17
und 18 SchKG (BGE 83 III 58; 84 II 537; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und
Konkurs, 2. A., I. Band, S. 44 und 47/48; KUMMER, N. 60 und 64 ff. zu
Art. 8 ZGB). Ob die Vorinstanz nach Art. 36 EG zum SchKG in Verbindung mit
den Art. 215 ff. ZPO nur auf eine formelle Zeugeneinvernahme von C.Y. und
nicht auch auf deren Befragung als Auskunftsperson hätte abstellen dürfen,
entscheidet sich daher nicht nach Art. 8 ZGB und entzieht sich somit der
bundesgerichtlichen Kognition. Ebensowenig ist das Bundesgericht befugt,
die Aussagen von C.Y. auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen, da sich
auch die Würdigung der erhobenen Beweise nach dem kantonalen Prozessrecht
richtet (BGE 98 II 330; 86 II 302).

    Mit ihrer Feststellung, die Provision der "Z."-Krankenkasse von
monatlich Fr. 400.-- werde nicht vom Rekursgegner, sondern von seiner
Haushälterin bezogen, hat die obere kantonale Aufsichtsbehörde demnach
Bundesrecht nicht verletzt.

    b) In sachlicher Hinsicht hält die Rekurrentin das vorinstanzliche
Beweisverfahren insofern für mangelhaft, als weder zur Nebenbeschäftigung
von C.Y. noch zu deren persönlichen Beziehungen zum Rekursgegner Beweise
erhoben worden seien.

    Wie C.Y. selbst ausführte, hat sie (jedenfalls bis zum Zeitpunkt
ihrer Einvernahme vom 19. Dezember 1975) neben der Führung des Haushaltes
von B.X. und der Betreuung der Krankenkassen-Agentur tatsächlich in
einer Kleiderfabrik gearbeitet. Ihre Darstellung ist allerdings insofern
widersprüchlich, als sie einerseits von wöchentlich drei Nachmittagen
zu drei Stunden, andererseits aber von einer unregelmässigen Tätigkeit
spricht, die sich nach dem Bedarf der Arbeitgeberin gerichtet habe. Die
Vorinstanz hat diese Frage nicht näher abgeklärt.

    Andererseits hat die Rekurrentin stets geltend gemacht, C.Y. sei
in Wirklichkeit die Konkubine des Rekursgegners. Sie ist der Ansicht,
diese könne daher nicht einen eigentlichen Haushälterinnen-Lohn - falls
ein solcher überhaupt entrichtet werde - beanspruchen.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen ist, ob die Argumente der Rekurrentin bereits im
kantonalen Verfahren vorgebracht wurden oder ob sie neu und damit nach Art.
79 Abs. 1 zweiter Satz OG unzulässig sind. Der Rekursgegner wendet ein, die
Rekurrentin habe die ursprünglich verfügte Lohnpfändung nicht angefochten
und dadurch stillschweigend auch den Lohn von C.Y. anerkannt, wie er vom
Betreibungsamt in die Berechnung des Notbedarfs aufgenommen worden war.

    Dem ist entgegenzuhalten, dass die Rekurrentin schon im
erstinstanzlichen Verfahren auf die Umstände hingewiesen hat, die sie
heute vorbringt. Das konnte aber nur bedeuten, dass sie sich mit der Höhe
der Lohnpfändung wohl abfinde, dass sie aber, falls diese - als Folge
einer abweichenden Beurteilung der Frage der Krankenkassenprovision -
herabgesetzt werden sollte, die Mitberücksichtigung ihrer zusätzlichen
Vorbringen verlange. Im Verfahren vor der oberen kantonalen
Aufsichtsbehörde hat die Rekurrentin dann ausdrücklich auf jene
erstinstanzliche Vernehmlassung verwiesen, so dass ihre Vorbringen in
der Rekursbegründung keineswegs als neu erscheinen. Auf jene ist daher
einzutreten.

Erwägung 4

    4.- Bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens sind die massgebenden
tatsächlichen Verhältnisse von Amtes wegen abzuklären (BGE 97 III 11/12; 87
III 104 unten). Für die Aufsichtsbehörden gilt dieser Grundsatz jedenfalls
dann, wenn eine angefochtene Verfügung abgeändert werden soll.

    Die pfändbare Quote hängt im vorliegenden Fall (in beträchtlichem
Masse) von der Höhe des Lohnes ab, den der Rekursgegner der Y. für die
Führung des Haushaltes bezahlen soll. Diese Entschädigung wiederum steht
ihrem Wesen nach in einem unmittelbaren Verhältnis zur aufgewendeten
Zeit. Der Hinweis der Rekurrentin auf die Arbeit der Haushälterin in einer
Fabrik ist daher für den Ausgang des Verfahrens insofern erheblich, als
die für den Haushalt verfügbare Zeit vom Ausmass dieser Nebenbeschäftigung
abhängt. Er hätte mithin von der Aufsichtsbehörde schon von Amtes wegen
beachtet und näher untersucht werden müssen. Erst die nachzuholenden
Erhebungen werden eine genaue Beurteilung der Angemessenheit des vom
Rekursgegner für die Haushaltführung bezahlten Lohnes erlauben. Arbeitete
C.Y. neben ihren anderweitigen Tätigkeiten (Krankenkasse und Fabrik)
beispielsweise zur Hälfte im Haushalt, muss dem mit einer entsprechenden
Kürzung des in den Notbedarf des Rekursgegners einzurechnenden Bar-
und Naturallohnes Rechnung getragen werden.

    Die Vorinstanz wird andererseits auch die persönlichen Beziehungen
zwischen dem Rekursgegner und seiner Haushälterin abzuklären und, falls
das Verhältnis tatsächlich als eheähnlich zu werten sein sollte, zu prüfen
haben, ob C.Y. trotzdem gleich einer gewöhnlichen Haushälterin einen
eigentlichen Lohn beanspruchen kann. Schliesslich wird die Aufsichtsbehörde
zu erwägen haben, ob dem Rekursgegner, der mit den beiden immerhin schon
14 und 16jährigen Söhnen zusammenlebt, überhaupt eine ständige Haushälterin
(zu Lasten seines Notbedarfs) zugestanden werden kann, während andererseits
die Rekurrentin mit dem bei ihr lebenden erst 9jährigen Kind auf einen Teil
der dringend benötigten und richterlich zugesprochenen Unterhaltsleistungen
verzichten soll. Dies erscheint zumindest als fraglich. Zur Rechtfertigung
des im Notbedarf berücksichtigten Aufwandes für die Haushälterin von
insgesamt Fr. 1'490.-- reicht jedenfalls die allgemeine Bemerkung der
oberen kantonalen Aufsichtsbehörde nicht aus, ein Monatsverdienst der
Haushälterin C.Y. von Fr. 2'000.-- falle "für eine zeitlich sehr stark
in Anspruch genommene Frau auch wieder nicht so sehr aus dem Rahmen".

    C.Y. hat nun freilich erklärt, sie werde ihre Fabrikarbeit aufgeben
müssen, da sie durch sie zu stark beansprucht werde. Für den Fall, dass
sie heute tatsächlich keiner Nebenbeschäftigung mehr nachgehen sollte,
sei festgehalten, dass für die Höhe der Lohnpfändung auf die zur Zeit
ihrer Vornahme bestehenden Verhältnisse abzustellen ist. Nachträgliche
Änderungen könnten erst mit ihrem Eintritt berücksichtigt werden.

    Nach dem Ausgeführten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Sache zu neuer Festsetzung der pfändbaren Quote im Sinne der vorstehenden
Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.