Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 III 1



102 III 1

1. Entscheid vom 19. Januar 1976 i.S. Riportella. Regeste

    Betreibung einer unverteilten Erbschaft (Art. 65 Abs. 3 SchKG).

    Die Gültigkeit der Zustellung des Zahlungsbefehls an den
Willensvollstrecker hängt nicht davon ab, ob dieser bzw. der Betreibende
gutgläubig ist.

Sachverhalt

    A.- Am 28. März 1973 liessen die Erbschaftsgläubiger Pro Artibus
Establishment und Robert Boos den unverteilten Nachlass der in den USA
verstorbenen Elisabeth Molnar-Riportella mit Arrest belegen, soweit
er sich in Verwahrung der Schweizerischen Bankgesellschaft in Zürich
befand. In Prosequierung des Arrestes strengten sie gegen den Nachlass die
Betreibungen Nr. 1542 und 1543 an. Das zuständige Betreibungsamt Zürich
1 stellte die Zahlungsbefehle Gabriel von Réthy in Schlieren zu, den die
Gläubiger als Vertreter der beiden in den USA wohnenden Schwestern der
Erblasserin, Tullah Hanley und Amy E. Innes, bezeichnet hatten. Den beiden
genannten Schwestern hatte das Nachlassgericht des Kreises New York am
7. März 1972 gestützt auf § 1412 des Surrogate's Court Procedure Act des
Staates New York ein vorläufiges Willensvollstreckerzeugnis ("preliminary
letters testamentary") ausgestellt. Da kein Rechtsvorschlag erhoben wurde,
gab das Betreibungsamt den Fortsetzungsbegehren vom 30. Mai 1973 statt
und vollzog die Pfändungen der bei der Schweizerischen Bankgesellschaft
gelegenen Vermögenswerte in der Höhe von Fr. 2'805'054.25. Die Summe wurde
dem Betreibungsamt übergeben und ist seither bei der Zürcher Kantonalbank
hinterlegt. Am 13. August 1973 reichte der Ehemann der Erblasserin,
Vincent Riportella, beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des
Bezirksgerichts Zürich ein Gesuch um Bewilligung des nachträglichen
Rechtsvorschlages in den Betreibungen Nr. 1552 und 1543 ein, worauf der
Einzelrichter im Sinne einer provisorischen Massnahme die vorläufige
Einstellung der beiden Betreibungen verfügte.

    B.- Am 24. August 1973 erhob Vincent Riportella zudem Beschwerde
beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs und verlangte die Aufhebung der Betreibungen
Nrn. 1542 und 1543 wegen Ungültigkeit der Zustellung der Zahlungsbefehle
an Tullah Hanley und Amy E. Innes. Da der Beschwerdeführer dargetan hatte,
dass er vor Gerichten des Staates New York Prozesse anhängig gemacht
habe, in denen die Nichtigkeit der Ernennung der beiden Schwestern der
Erblasserin zu Willensvollstreckerinnen festgestellt werden sollte,
und in der Erwägung, dass bei Obsiegen des Beschwerdeführers in diesen
Prozessen auch die Zustellung der streitigen Zahlungsbefehle nichtig
wäre, beschloss die untere Aufsichtsbehörde am 9. November 1973, das
Beschwerdeverfahren einstweilen zu sistieren. Ein Rekurs der Gläubiger
gegen diesen Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich als oberer
kantonaler Aufsichtsbehörde am 28. Juni 1974 abgewiesen.

    Mit Beschluss vom 19. Dezember 1973 hatte inzwischen das
Nachlassgericht die vorläufigen Mandate der beiden Willensvollstreckerinnen
hinsichtlich sämtlicher Nachlassangelegenheiten in der Schweiz widerrufen
und mit Bezug auf diese Angelegenheiten Vincent Riportella eine
provisorische Vollmacht zur Erbschaftsverwaltung ("temporary letters of
administration") erteilt.

    C.- Auf Rekurs der Gläubiger hin wies das Bundesgericht mit Entscheid
vom 14. Januar 1975 (BGE 101 III 1 ff.) die Sache zur Behandlung
der Beschwerde an die kantonale Aufsichtsbehörde zurück. Es führte
aus, die Aufsichtsbehörde dürfe das Verfahren nicht sistieren, um den
Entscheid der New Yorker Gerichte über die Klage des Vincent Riportella
abzuwarten, sondern sie habe selbst zu prüfen, ob die Zahlungsbefehle
gültig zugestellt worden seien. Insbesondere müsse sie abklären, ob
der von den betreibenden Gläubigern genannte Vertreter für den Nachlass
ordnungsgemäss bevollmächtigt gewesen sei, ob ein Widerruf dieser Vollmacht
durch die zuständige Behörde stattgefunden habe und welche Auswirkungen
ein allfälliger Widerruf auf die Zustellung der Betreibungsurkunden
gehabt habe.

    D.- Mit Beschluss vom 4. Juni 1975 wies die untere Aufsichtsbehörde,
an welche das Obergericht die Sache zur Wahrung des Instanzenzuges
zurückgewiesen hatte, die Beschwerde ab. Es hielt dafür, das vorläufige
Willensvollstreckerzeugnis habe die beiden Schwestern der Erblasserin
nach dem anwendbaren Rechte des Staates New York zur Entgegennahme der
Betreibungsurkunden ermächtigt. Der spätere Widerruf der "preliminary
letters" könne an der Gültigkeit der einmal erfolgten Zustellung nichts
ändern. Die obere Aufsichtsbehörde bestätigte diesen Beschluss mit
Entscheid vom 4. Dezember 1975.

    E.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt Vincent Riportella, der
Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Betreibungen Nrn. 1542
und 1543 des Betreibungsamtes Zürich 1 seien als ungültig zu erklären;
eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes an die
untere Aufsichtsbehörde zurückzuweisen. Ferner verlangt er, dem Rekurs
sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.

    In ihrer Vernehmlassung beantragen die beiden Gläubiger Pro Artibus
Establishment und Robert Boos die Abweisung des Rekurses.

    Mit Verfügung vom 6. Januar 1976 wurde dem Gesuch um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung entsprochen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Welche Befugnisse den beiden Schwestern Tullah Hanley und
Amy E. Innes vom Zeitpunkt der Ausstellung der "preliminary letters
testamentary" bis zu deren teilweisem Widerruf am 19. Dezember 1973
zukamen und welche Wirkungen dieser Widerruf auf die vor dem genannten
Datum vorgenommenen Handlungen ausübte, hat die Vorinstanz auf Grund
des Erbrechtes des Staates New York geprüft, dessen Anwendbarkeit vom
Rekurrenten anerkannt wird. Die Kognition des Bundesgerichts beschränkt
sich auf die Frage der Verletzung eidgenössischen Rechtes; die Anwendung
ausländischen Rechtes ist seiner Überprüfung entzogen (Art. 43 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 81 OG). Auch das bestreitet der Rekurrent nicht,
sondern er wirft dem vorinstanzlichen Entscheid Verstösse gegen Bundesrecht
vor, indes zu Unrecht.

    a) So ist vorab der Vorwurf unberechtigt, beide kantonalen Instanzen
hätten die vom Bundesgericht im Entscheid vom 14. Januar 1975 erteilten
Weisungen missachtet. Sie haben im Gegenteil alle Fragen beantwortet,
zu deren Prüfung sie vom Bundesgericht angehalten worden waren. Wie die
Prüfung und Beantwortung ausfiel, ist als Frage des ausländischen Rechts
vom Bundesgericht nicht zu untersuchen. Das gilt insbesondere auch für
die Frage, wie weit Gut- oder Bösgläubigkeit der Gläubiger Einfluss auf
die Gültigkeit der von den beiden Willensvollstreckerinnen vorgenommenen
Handlungen hatte. Auch das beurteilt sich in erster Linie nach dem
anwendbaren ausländischen Recht.

    b) Rekursgegenstand bildet einzig die Frage, ob die Zahlungsbefehle
gültig an die als Vertreter des Nachlasses bezeichneten Personen
zugestellt werden durften. Da es sich dabei nicht um rechtsgeschäftliche
Vorkehren zwischen den beiden Parteien - Gläubiger einerseits,
Willensvollstreckerinnen anderseits -, sondern um einseitige Begehren
der Gläubiger an das Betreibungsamt und gestützt darauf vorgenommene
Amtshandlungen handelte, spielte die Frage der Gut- oder Bösgläubigkeit
entsprechend den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz gar keine Rolle,
falls man - was offenbar die Meinung des Rekurrenten ist - diese Frage auch
unter dem Gesichtspunkt des schweizerischen Rechtes prüfen müsste, weil die
Befugnis zur Vertretung des Schuldners in einer nach schweizerischem Recht
durchgeführten Betreibung auch nach diesem Recht gegeben sein müsse. Nach
schweizerischem Recht kann aber auch ein bösgläubig Betreibender, der
weiss, dass ihm gegen den Schuldner keine Forderung zusteht bzw. dass
sich seine Forderung nicht gegen den Betriebenen, sondern gegen einen
Dritten richtet, einen gültigen Zahlungsbefehl erwirken. Die Frage der
Gut- oder Bösgläubigkeit könnte sich einzig hinsichtlich ausdrücklicher
oder stillschweigender Vereinbarungen über die Anerkennung der
Forderung, die Unterlassung des Rechtsvorschlages usw. stellen, die
aber nicht Gegenstand des Rekurses bilden. Zur blossen Entgegennahme
von Zahlungsbefehlen aber waren die beiden Schwestern in jedem Falle
berechtigt, unabhängig davon, ob sie selbst oder die Gläubiger gut-
oder bösgläubig waren. Im Gegenteil, da sie, wenn auch nur provisorisch,
gerichtlich bestätigte Willensvollstreckerinnen waren, hätten sie die
Annahme der Zahlungsbefehle gar nicht gültig verweigern können. Jedermann,
der sich als Gläubiger des Nachlasses bezeichnete, sei es zu Recht oder
Unrecht, hätte einen Rechtsanspruch darauf gehabt, dass von ihm erwirkte
Zahlungsbefehle gegen den Nachlass den Willensvollstreckerinnen zugestellt
würden. Eine Verletzung von Art. 65 Abs. 3 SchKG liegt somit nicht vor,
und aus den gleichen Gründen versagt auch die Berufung auf Art. 2 ZGB und
den schweizerischen ordre public. Bei der Eigenart des schweizerischen
Betreibungsrechts, nach welchem ein Zahlungsbefehl auszustellen ist, ohne
dass der Betreibende seine Gläubigereigenschaft und die Schuldnerschaft des
Betriebenen glaubhaft machen muss, kann die Erwirkung eines Zahlungsbefehls
im übrigen wohl kaum je rechtsmissbräuchlich sein. Im vorliegenden Fall
kann von einem offenbaren Rechtsmissbrauch schon deswegen keine Rede sein,
weil die Darstellung der Gläubiger nach den Akten mindestens ebensoviel
für sich hat wie jene des Rekurrenten.

Erwägung 2

    2.- Der Rekurs erweist sich daher als unbegründet. Mit seiner
Abweisung fällt die ihm zuerkannte aufschiebende Wirkung dahin. Die
Betreibungen können indessen nicht fortgesetzt werden, solange die vom
Audienzrichter des Bezirksgerichts Zürich im Verfahren um Bewilligung des
nachträglichen Rechtsvorschlages im Sinne einer provisorischen Massnahme
verfügte Sistierung nicht widerrufen bzw. über die Bewilligung nicht
endgültig entschieden worden ist.

Entscheid:

    Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.