Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 76



102 Ib 76

14. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1976 i.S. Eidg. Departement des
Innern gegen Bodmer und Regierungsrat des Kantons Bern Regeste

    Gewässerschutz.

    Bewilligungen für Bauten ausserhalb des Baugebietes. Erfordernis des
sachlich begründeten Bedürfnisses (Art. 20 GSchG, Art. 27 der Allgemeinen
Gewässerschutzverordnung des Bundesrates vom 19. Juni 1972/6. November
1974). Verweigerung der Bewilligung für den Bau eines Einfamilienhauses
neben einer kleinen Fabrik, das der im Unternehmen tätige Sohn des bereits
über ein Wohnhaus in der Nähe verfügenden Betriebsinhabers beziehen soll.

Sachverhalt

    A.- Rudolf Bodmer besitzt im Weiler Kaltenbrunnen im "übrigen
Gemeindegebiet" von Grossaffoltern einen Kleinbetrieb zur Herstellung
von Strohwaren und Grabschmuck. Neben dem Fabrikgebäude steht sein
Wohnhaus. Ausserdem befinden sich in der Nähe einige andere Wohnbauten,
in etwas weiterer Entfernung der Kern des Weilers. Im Mai 1974 suchte
Bodmer um die Bewilligung seines Vorhabens nach, auf dem unmittelbar an
seinen Betrieb angrenzenden Grundstück Nr. 2253 ein Einfamilienhaus zu
bauen. Es ist als Wohnung für seinen im Betrieb tätigen Sohn bestimmt,
der das Geschäft übernehmen soll. Die Direktion für Verkehr, Energie-
und Wasserwirtschaft des Kantons Bern verweigerte eine Ausnahmebewilligung
nach Art. 20 GSchG. Auf Beschwerde Bodmers hin wies der Regierungsrat die
Direktion an, die Bewilligung unter Auflagen und Bedingungen zu erteilen
(Entscheid vom 11. September 1975). Nach seiner Auffassung ist ein sachlich
begründetes Bedürfnis im Sinne des Art. 20 GSchG nachgewiesen. Das
Eidg. Departement des Innern bestreitet dies und beantragt daher mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die Bewilligung sei zu verweigern. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung (neue
Fassung gemäss Novelle vom 6. November 1974, in Kraft seit 1. Januar 1975)
erklärt das Bedürfnis für einen Neubau ausserhalb der Bauzone bzw. des
durch das generelle Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzten Gebietes
dann als sachlich begründet, wenn die Zweckbestimmung der Baute den
beanspruchten Standort bedingt und dem Bauvorhaben keine überwiegenden
öffentlichen Interessen entgegenstehen. Die Bestimmung fügt bei, dass
die Möglichkeit des Anschlusses an eine Kanalisation kein sachlich
begründetes Bedürfnis schafft. Abs. 2 zählt Bauten und Anlagen, für die
ein solches Bedürfnis bestehen kann, beispielsweise auf. Das von Bodmer
projektierte Einfamilienhaus gehört nicht dazu. Der ursprüngliche Text
des Abs. 1 verlangte, der Gesuchsteller müsse auf die geplante Baute
oder Anlage dringend angewiesen und deren abgelegener Standort durch
ihre Zweckbestimmung bedingt oder im öffentlichen Interesse erwünscht
sein. Die neue Fassung, die hier anwendbar ist (vgl. BGE 101 Ib 304
E. 2c), verlangt nicht mehr, dass der Gesuchsteller auf die Anlage oder
Baute dringend angewiesen ist, und sie hat auch das Erfordernis, dass
der abgelegene Standort im öffentlichen Interesse erwünscht ist, fallen
gelassen. Geblieben ist die Bedingung, dass der Standort ausserhalb
der Bauzone oder des GKP, d.h. der abgelegene Standort im Sinne des
alten Textes, durch die Zweckbestimmung bedingt sein müsse, was kurz
gefasst als Standortgebundenheit bezeichnet wird. Ausserdem dürfen dem
Bau keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Diese
Umschreibung des Begriffes des sachlichen Bedürfnisses hält sich im Rahmen
des Gesetzes. Ob sie abschliessend ist, bleibt offen. Es lässt sich
denken, dass bei Vorliegen ganz besonderer Verhältnisse ein sachlich
begründetes Bedürfnis im Sinne des Gesetzes auch anerkannt werden
muss, wenn die Standortgebundenheit verneint wird. In einem solchen
Falle müssen aber besonders schwerwiegende Gründe für die Erteilung der
Ausnahmebewilligung sprechen, wie denn auch bei der Anwendung des BB vom
17. März 1972 über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung
strenge Anforderungen an die Voraussetzungen für die Annahme eines
sachlich begründeten Bedürfnisses gestellt werden (vgl. BGE 100 Ib 402
E. 3d). Andernfalls würde der raumplanerische Zweck des Art. 20 GSchG -
die Verhinderung oder die Eindämmung der Streubauweise ausserhalb des
Baugebietes - weitgehend vereitelt. Im Normalfall muss die geplante Baute
deshalb standortgebunden sein.

Erwägung 4

    4.- a) Der vorgesehenen Baute stehen keine überwiegenden öffentlichen
Interessen im Sinne des Art. 27 der Verordnung entgegen. Doch bedingt ihre
Zweckbestimmung den beanspruchten Standort im "übrigen Gemeindegebiet"
nicht.

    Die Standortgebundenheit ist ein objektiver Begriff. Sie bedeutet
Angewiesensein auf eine bestimmte Lage. Standortgebundenheit kann
technischer oder betriebswirtschaftlicher Natur sein; sie kann auch durch
die Bodenbeschaffenheit begründet sein, z.B. bei Anlagen, die für den Abbau
gewisser Materialien bestimmt sind. Ob sie im einzelnen Fall vorliegt,
ist vom Bundesgericht zu überprüfende Rechtsfrage. Die rechtsanwendende
kantonale Behörde verfügt dabei über einen gewissen Beurteilungsspielraum,
wenn es auf örtliche Verhältnisse ankommt, die sie besser zu würdigen
vermag als das Bundesgericht. Jedoch ist dieser Spielraum eng begrenzt.

    b) Beim geplanten Bau handelt es sich um ein Einfamilienhaus, für
das nach den Akten etwa Fr. 250'000.-- aufgewendet werden sollen. Solche
Bauten gehören grundsätzlich in die Bauzone. Die nächste Bauzone liegt
nur wenige hundert Meter vom Gewerbebetrieb Bodmer ab. Für den Sohn Bodmer
wäre es gewiss vorteilhaft, wenn sein Wohnhaus in der Nähe des Betriebes
gebaut werden dürfte. Auf Gründe der persönlichen Zweckmässigkeit
und Bequemlichkeit kann es jedoch nicht ankommen. Andernfalls würde die
Ausscheidung von Baugebiet und Räumen, in denen kraft Gewässerschutzrechts
nur im Falle eines sachlichen Bedürfnisses gebaut werden darf, vielfach
hinfällig, da solche Gründe von zahlreichen andern Bauinteressenten zu
Recht angerufen werden könnten. Rudolf Bodmer macht indessen geltend, hier
bestehe aus betrieblichen Gründen ein sachliches Bedürfnis. Der Neubau
müsse in unmittelbarer Nähe des Betriebes stehen, damit das Fabrikgebäude
und die leicht brennbaren Vorräte wirksam überwacht werden könnten, wie
auch deshalb, weil bestellter Grabschmuck häufig innert kürzester Frist,
manchmal nachts, hergestellt werden müsse. Diese Überlegungen wären aber
nur durchschlagend, wenn die nächste verfügbare Bauzone weit abläge
und nicht bereits ein Wohnhaus des Betriebsinhabers in unmittelbarer
Nähe des Betriebes stände oder eine telefonische Verbindung zwischen
Betrieb und Wohnhaus in der Bauzone nicht möglich wäre. Keine dieser
Voraussetzungen trifft zu. Betriebe, bei denen ähnliche Verhältnisse wie
im Falle Bodmer anzutreffen sind, sind nicht selten. Nach den bisherigen
Erfahrungen hat sich hier ein rasches Eingreifen aus Sicherheitsgründen
nie aufgedrängt. Das Fabrikgebäude enthält auch Wohnraum, so dass
die Überwachung aus nächster Nähe möglich ist. Eine enge funktionelle
Zusammengehörigkeit des neuen Gebäudes und des bestehenden Betriebes
ist deshalb nicht nachgewiesen. Sie allein wäre allenfalls geeignet,
zur Annahme der Standortgebundenheit der Baute zu führen. Da es an der
Standortgebundenheit fehlt und weitere sachlich begründete Bedürfnisse
nicht nachgewiesen sind, ist die gewässerschutzpolizeiliche Bewilligung
zu Unrecht erteilt worden.

    Es wird eingewendet, in der Umgebung des vorgesehenen Bauplatzes
beständen bereits andere Bauten, so dass von einer Streubauweise gesprochen
werden könne. Richtig ist, dass sich dort ein paar Häuser befinden. Von
einer dichten Überbauung kann aber nicht die Rede sein. Es ist angebracht,
eine weitere Ausdehnung der Streubauweise zu verhindern. Das hat der
bernische Regierungsrat in andern Entscheiden anerkannt. Ob an dieser
Auffassung auch festzuhalten wäre, wenn das Gebiet bereits ziemlich
dicht besiedelt wäre, so dass es praktisch weitgehend dem Baugebiet
gleichzustellen wäre, kann offen bleiben. Die Gemeinde Grossaffoltern
hat dadurch, dass sie es in das "übrige Gemeindegebiet" eingereiht und
damit vorwiegend der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten hat, zu
erkennen gegeben, dass die Besiedlung nicht weit vorgeschritten sein kann.

    c) Nach der alten Fassung des Art. 27 Abs. 1 der Verordnung ergäbe
sich nichts anderes. Der vorgesehene abgelegene, d.h. ausserhalb des
Baugebietes liegende Standort des neuen Wohnhauses ist durch dessen
Zweckbestimmung nicht bedingt. Ebensowenig lassen ihn öffentliche
Interessen als erwünscht erscheinen. Er liegt einzig im privaten
Interesse des Gesuchstellers. Dieser ist auch nicht dringend auf den Bau
am beanspruchten Standort angewiesen, da das Baugebiet nur einige hundert
Meter abliegt.