Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 59



102 Ib 59

12. Auszug aus dem Urteil vom 14. Mai 1976 i.S. Allenspach gegen Eidg.
Justiz- und Polizeidepartement Regeste

    Entzug des Führerausweises wegen Verletzung von Verkehrsregeln
(Art. 16 SVG).

    Auch eine im Ausland begangene Verletzung von Verkehrsregeln kann
zum Entzug des Führerausweises führen.

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer, der im Kanton Graubünden Wohnt, wurde durch
die liechtensteinischen Strafbehörden wegen verschiedener Verletzungen
von Verkehrsregeln gebüsst. Das Justiz- und Polizeidepartement des
Kantons Graubünden entzog ihm aufgrund der im Fürstentum Liechtenstein
begangenen Verkehrsregelverletzungen und der damit in Zusammenhang
stehenden Verkehrsgefährdungen in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten. Der Beschwerdeführer
focht diese Entzugsmassnahme erst bei der kantonalen Regierung und
anschliessend beim Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) an. In
beiden Instanzen wurde er abgewiesen. Gegen den Entscheid des EJPD erhebt
er Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Entzug des Führerausweises stellt eine um der
Verkehrssicherheit willen angeordnete Verwaltungsmassnahme mit
präventivem und erzieherischem Charakter dar (BGE 101 Ib 273; 96 I
772). Die Administrativbehörden des Wohnsitzkantons (Art. 22 Abs. 1 SVG)
sind befugt, selbständig zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für einen
Ausweisentzug erfüllt sind. Das Gesetz zählt diese Voraussetzungen in
Art. 16 SVG auf. Ausweise sind nach Art. 16 Abs. 1 SVG grundsätzlich zu
entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen; sie können auch entzogen
werden, wenn die mit der Erteilung im Einzelfall verbundenen Beschränkungen
oder Auflagen missachtet werden. Der Führerausweis kann nach Art. 16 Abs. 2
SVG insbesondere entzogen werden, wenn der Führer Verkehrsregeln verletzt
und dadurch den Verkehr gefährdet oder andere belästigt hat; in leichten
Fällen kann eine Verwarnung ausgesprochen werden (sog. fakultativer
Entzug). Die obligatorischen Entzugsgründe sind in Art. 16 Abs. 3
lit. a bis e aufgezählt; es sind dies namentlich die Fälle der schweren
Verkehrsgefährdung (lit. a), des Fahrens in angetrunkenem Zustand (lit. b),
der Führerflucht nach Verletzung oder Tötung eines Menschen (lit. c),
der Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch (lit. d) und der
mangelnden Eignung zum Führen eines Motorfahrzeuges ohne Gefährdung oder
Belästigung anderer (lit. e). Das neue Recht (Änderung vom 20. März 1975,
in Kraft seit dem 1. August 1975) bestimmt als weiteren obligatorischen
Entzugsgrund die Verwendung eines Motorfahrzeuges zur Begehung eines
Verbrechens oder zu wiederholten vorsätzlichen Vergehen (lit. f).

    Lehre und Rechtsprechung haben aus dieser gesetzlichen Aufzählung
der Entzugsgründe den Schluss gezogen, dass zwischen sog. Sicherungs-
und Warnungsentzügen zu unterscheiden ist. Während der Sicherungsentzug
unabhängig von einer Verkehrsregelverletzung bei körperlicher, geistiger
oder charakterlicher Unfähigkeit eines Fahrzeuglenkers verfügt wird,
setzt der Warnungsentzug stets ein Verkehrsdelikt oder, nach dem neuen
Recht, auch die Verwendung eines Motorfahrzeuges zur Begehung deliktischer
Handlungen voraus. Der Betroffene, an dessen Eignung zum Führen eines
Motorfahrzeuges an sich nicht gezweifelt wird, soll ermahnt werden. Die
Massnahme soll ihn anspornen, sich zu bessern und in Zukunft mit grösserer
Sorgfalt und Verantwortlichkeit im Strassenverkehr aufzutreten (vgl. VPB
39/1975 Nr. 97). Der Entzug des Ausweises für eine beschränkte Dauer und
die damit verbundenen Nachteile sollen den fehlbaren Fahrzeuglenker von
weiteren Widerhandlungen gegen die Regeln des Strassenverkehrs abhalten
und damit auch zu einem sichereren Strassenverkehr beitragen.

    Verletzt ein Fahrzeuglenker Verkehrsregeln und gefährdet er damit
den Verkehr, so kann es hinsichtlich der Verfügung eines Warnungsentzuges
grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob die Tat im Inland oder im Ausland
begangen worden ist, zumal Verletzungen von Verkehrsregeln im Ausland
nach Art. 101 SVG auf Ersuchen der ausländischen Behörden in der Schweiz
strafrechtlich verfolgt werden können. Wesentlich erscheint vielmehr,
ob die konkreten Tatumstände im Einzelfall es gerechtfertigt erscheinen
lassen, den fehlbaren Fahrzeuglenker mittels einer Administrativmassnahme
zu verwarnen. Wurde die Tat, die Anlass zum Warnungsentzug geben soll,
im Ausland begangen, ist aber insbesondere folgenden Gründen gebührend
Rechnung zu tragen:

    - Die Entzugsbehörde des Wohnsitzkantons muss von den Tatumständen
umfassende Kenntnis erhalten haben. In der Regel dürfte dies nur
dann der Fall sein, wenn das fehlerhafte Verkehrsverhalten eines
Schweizers im Ausland Anlass zu einer gründlichen Sachverhaltsabklärung
durch die ausländischen Polizei- und Strafbehörden gab und die
Tatbestandsfeststellung dieser Behörden hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit
des Verkehrsverhaltens die schweizerische Entzugsbehörde zu überzeugen
vermag; namentlich dürfen die von den ausländischen Behörden eruierten
Tatumstände keine Zweifel offen lassen. Es müssen eindeutige Schlüsse im
Blick auf die zu verfügende Verwaltungsmassnahme gezogen werden können,
denn es ist den schweizerischen Verwaltungsbehörden - abgesehen von der
Befragung des Fehlbaren und allfälliger Zeugen mit Wohnsitz in der Schweiz
- in der Regel nicht möglich, selber Erhebungen zur Sache anzustellen.

    - Liegt eine strafrechtliche Verurteilung vor, von der der
Wohnsitzkanton Kenntnis erhält, so darf das ausländische Urteil - gleich
wie im Rahmen des Art. 67 Ziff. 2 StGB (Strafverschärfung wegen Rückfall)
- den Grundsätzen des schweizerischen Rechts nicht widersprechen.

    - Den Besonderheiten der ausländischen Verkehrsregeln ist Rechnung
zu tragen. Diese können unter Umständen von den im schweizerischen
Strassenverkehr geltenden beträchtlich verschieden sein. Trifft dies zu,
so wird die Verletzung einer ausländischen Verkehrsregel im Blick auf die
Verfügung einer Administrativmassnahme nicht gleich gewertet werden dürfen,
wie die Verletzung einer Verkehrsregel aus dem SVG im schweizerischen
Strassenverkehr.

    - Das allgemeine Verkehrsverhalten kann unter Umständen in einem
andern Land beträchtlich von den im schweizerischen Strassenverkehr
herrschenden Sitten und Gebräuchen abweichen. Auch diesen Gesichtspunkt
hat die Entzugsbehörde zu werten, und sie wird daher unter Umständen zu
andern Schlüssen gelangen, als wenn derselbe Verkehrsfehler von einem
Schweizer im schweizerischen Strassenverkehr begangen worden wäre.

    - Bei der Bewertung der beiden letztgenannten Punkte wird aber auch
in Rechnung zu stellen sein, dass den schweizerischen Fahrzeuglenker,
wenn er im Ausland bei ihm von den Verkehrsregeln und vom allgemeinen
Verkehrsverhalten her wenig vertrauten Strassenverkehr ein Fahrzeug lenkt,
eine entsprechend grössere Vorsichtspflicht trifft.

    Was für den sog. Warnungsentzug zutrifft, gilt sinngemäss auch für
die Verfügung eines Sicherungsentzuges, sofern ein im Ausland begangenes
Delikt in die Beurteilung der Voraussetzungen einbezogen werden
soll; dies umso mehr deshalb, weil dem Verkehrsdelikt als solchem -
gleichgültig ob es nun im Inland oder im Ausland begangen worden ist -
im Blick auf die Verfügung des Sicherungsentzuges, d.h. eines Entzugs
wegen mangelnder Eignung als Fahrzeuglenker am Verkehr teilzunehmen,
ohnehin bloss indizieller Charakter zukommt.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer die ihm zur
Last gelegten Verkehrsregelverletzungen und Verkehrsgefährdungen
in unmittelbarer Nähe der Schweiz, im Fürstentum Liechtenstein,
begangen. Er ist hiefür von den zuständigen Strafbehörden des Fürstentums
verurteilt worden und hat sich dieser Verurteilung unterzogen. Das Urteil
widerspricht den Grundsätzen des schweizerischen Rechts nicht. Es gibt,
zusammen mit den Polizei- und Strafakten, genügend Anhaltspunkte, um die
Frage nach der Verfügung einer Verwaltungsmassnahme nach SVG entscheiden
zu können. Der Strassenverkehr im Fürstentum Liechtenstein stellt für
einen schweizerischen Motorfahrzeuglenker weder von den Verkehrsregeln
noch von den Verkehrsverhältnissen her etwas besonderes dar. Die
Verkehrsregeln und die allgemeinen Verkehrsverhältnisse im Fürstentum
Liechtenstein unterscheiden sich nämlich von jenen in der Schweiz kaum:
Das Strassenverkehrsrecht des Fürstentums ist im wesentlichen dasselbe
wie jenes der Schweiz. Nach Art. 1 des liechtensteinischen Gesetzes vom
22. Dezember 1959 über den Strassenverkehr bildet das SVG - von hier
nicht bedeutsamen Ausnahmen abgesehen - einen integrierenden Bestandteil
des liechtensteinischen Strassenverkehrsgesetzes. Das Verkehrsverhalten
der auf den liechtensteinischen Strassen verkehrenden Motorfahrzeuglenker
dürfte sich von jenem der Motorfahrzeuglenker auf schweizerischen Strassen
in nichts wesentlich unterscheiden. Es steht also nichts entgegen, das
verkehrswidrige Verhalten des Beschwerdeführers und die damit verbundene
Verkehrsgefährdung auf den Strassen des Fürstentums Liechtenstein zum
Anlass der Verfügung einer Administrativmassnahme zu nehmen, sofern die
Voraussetzungen des Art. 16 SVG erfüllt sind.

    Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Das EJPD hat die Sache umfassend
geprüft und ist ohne Verletzung von Bundesrecht und in Übereinstimmung
mit den Feststellungen der liechtensteinischen Polizei- und Strafbehörden
zum Schluss gelangt, dass der Beschwerdeführer zur rechtlich relevanten
Zeit die signalisierten Höchstgeschwindigkeiten streckenweise um 40
und 50 km/h überschritten und damit den Verkehr zumindest in erhöht
abstrakter Weise gefährdet hat. Der Schluss, dass unter diesen Umständen
ein dreimonatiger Führerausweisentzug sich unter Berücksichtigung aller
Umstände nicht nur rechtfertigt, sondern geradezu mild erscheint, stellt
weder Ermessensmissbrauch noch Ermessensüberschreitung dar, selbst wenn
die damit für den Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen
in Betracht gezogen werden.