Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 57



102 Ib 57

11. Urteil vom 22. Januar 1976 i.S. Erben Lüscher gegen Kanton Aargau
und Eidg. Schätzungskommission 8. Kreis Regeste

    Enteignung; Nationalstrassen; Art. 23 VV zum NSG.

    Die Schätzungskommission kann den Werkeigentümer nicht zur Einleitung
des Enteignungsverfahrens zwingen (E. 3a, Bestätigung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zum Landerwerb für den Nationalstrassenbau ist in der aargauischen
Gemeinde Muhen gestützt auf Art. 30 ff. NSG eine Landumlegung durchgeführt
worden. Mit Eingabe vom 24. April 1975 ersuchte die Erbengemeinschaft Karl
Lüscher die Eidgenössische Schätzungskommission des 8. Kreises (kurz
ESchK), ein Enteignungsverfahren nach Art. 23 VV zum NSG zu eröffnen,
da nach ihrer Auffassung im Landumlegungsverfahren Ersatzansprüche
unberücksichtigt geblieben seien. Mit Entscheid vom 16. Juli 1975 trat
die ESchK auf das Gesuch der Erben Lüscher mangels Zuständigkeit und
infolge Verspätung nicht ein.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde fechten die Erben Lüscher diesen
Entscheid an mit dem Begehren, ihn aufzuheben und das Enteignungsverfahren
zu eröffnen.

Erwägung 2

    2.- a) Entscheide der ESchK können nach den Art. 98 lit. e und 115 OG
sowie 77 ff. EntG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Auf
die Beschwerde, die auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt,
ist deshalb einzutreten.

    b) Im vorliegenden Verfahren wendet das Bundesgericht das Recht
von Amtes wegen an; zudem hat es über die ESchK die Aufsicht auszuüben
(Art. 63 EntG). Demzufolge hat es von Amtes wegen festzustellen, ob die
ESchK materiell zuständig war und ob die formellen Voraussetzungen für ihr
Tätigwerden erfüllt waren (BGE 96 I 192 E. 3; 99 Ib 485 E. 2a; 101 Ib 281).

Erwägung 3

    3.- Die ESchK hat ihre materielle Zuständigkeit grundsätzlich bejaht,
sie aber im konkreten Fall verneint, weil der geltend gemachte Schaden
in keinem Zusammenhang mit der durchgeführten Landumlegung stehe und die
Ansprüche verwirkt seien. Die Ausführungen der ESchK über ihre sachliche
Zuständigkeit zur Beurteilung von Ansprüchen, welche in einer nach
Art. 31 NSG und Art. 19 ff. der VV zum NSG durchgeführten Landumlegung
nicht befriedigt werden konnten, sind zweifellos richtig (vgl. Art. 23
VV zum NSG und dazu BGE 97 I 180 f. und 717; 99 Ia 496 ff. E. 4). Es
braucht aber nicht untersucht zu werden, ob die ESchK zu Recht einen
Kausalzusammenhang zwischen der durchgeführten Landumlegung und dem
geltend gemachten Schaden verneint und eine Verwirkung der Ansprüche
angenommen hat. Denn sie hätte schon aus einem andern Grunde auf das
Gesuch der Erben Lüscher nicht eintreten sollen.

    a) Kommt, wie hier, ein formelles Enteignungsverfahren in Frage,
so genügt zum Tätigwerden der ESchK nicht, dass sie zur Beurteilung der
aufgeworfenen Fragen sachlich zuständig ist. Darüber hinaus müssen nämlich
die Voraussetzungen für die Eröffnung des Enteignungsverfahrens erfüllt
sein. Das Recht, die Einleitung eines solchen Verfahrens zu verlangen,
steht ausschliesslich dem Werkeigentümer zu, der mit dem Enteignungsrecht
ausgestattet ist. Die ESchK kann ihn zur Ausübung dieses Rechts nicht
zwingen (BGE 92 I 179 E. 4, mit Hinweisen; 99 Ib 490 E. 2). Anderes
gilt nur in den Fällen materieller Enteignung, wo das Gesetz selbst den
Privaten ermächtigt, direkt die ESchK anzurufen (BGE 101 Ib 284 E. 3b;
vgl. z.B. Art. 18 Abs. 2 NSG, Art. 44 Abs. 2 bis 4 Luftfahrtgesetz und
Art. 19 EBG).

    b) Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass der betroffene
Eigentümer gegenüber der Weigerung der zuständigen Behörde (hier:
des Regierungsrates), ein Enteignungsverfahren nach Art. 23 VV zum NSG
einzuleiten, wehrlos ist. Denn der Weg der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen den negativen Entscheid der Regierung steht ihm offen (BGE 92 I
179 f. E. 4 und 5; 99 Ib 491 f. E. 2). Damit der Regierungsrat sich über
das Gesuch der Erben Lüscher ausspricht, ist ihm das Begehren von Amtes
wegen zuzustellen (vgl. per analogiam BGE 100 Ib 188 f. E. 3).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

    Das Gesuch der Erben Lüscher vom 24. April 1975 wird im Sinne der
Erwägungen dem Regierungsrat des Kantons Aargau zugestellt.