Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 50



102 Ib 50

10. Urteil vom 14. Mai 1976 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und X. Regeste

    Wehrsteuer: Kapitalgewinn (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB).

    Die Voraussetzungen für einen steuerfreien Übergang stiller
Reserven können nicht nur erfüllt sein, wenn ein ganzer Betrieb oder
ein Betriebsteil zu den Buchwerten übertragen wird, sondern auch, wenn
eine Geschäftsliegenschaft zum bisherigen Buchwert ohne Realisation
der in diesem Wirtschaftsgut steckenden stillen Reserven auf einen
buchführungspflichtigen Betrieb übergeht und keine Anhaltspunkte für eine
Steuerumgehung bestehen.

Sachverhalt

    A.- Mit Kaufvertrag vom 3. Februar 1969 veräusserte
der Beschwerdegegner X. die seinem Einzelunternehmen gehörende
Fabrikliegenschaft in N. an die X.-AG, welche diese Gebäulichkeiten bereits
seit Jahren benützte, zum damaligen Buchwert von Fr. 240'000.--. X. besass
im Zeitpunkt der Transaktion 85% der Aktien der X.-AG. Nach Schätzung
der Steuerbehörden hat die übertragene Liegenschaft einen Verkehrswert
von Fr. 671'000.--. Die kantonale Wehrsteuerverwaltung betrachtete die
Differenz zwischen dem Buchwert und dem Verkehrswert als steuerbaren
Kapitalgewinn gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB und bezog den so
errechneten Gewinn in die Wehrsteuerveranlagung für die 16. Periode
ein. Im Einspracheverfahren wurde die Veranlagung geschützt; dagegen
drang X. mit seiner Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht
durch. Dieses reduzierte die angefochtene Veranlagung um den einbezogenen
Kapitalgewinn. Gegen diesen Entscheid erhebt die Eidg. Steuerverwaltung
(EStV) Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Veranlagung
des Beschwerdegegners X. gemäss Einspracheentscheid wiederherzustellen. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der zu beurteilende Vorgang ist in tatsächlicher Hinsicht
unbestritten: Die Einzelfirma X. hat gegen Vergütung des Buchwertes
von Fr. 240'000.-- eine Fabrikliegenschaft mit einem Verkehrswert von
Fr. 671'000.-- auf die X. AG übertragen. In die Buchhaltung der Erwerberin
wurde die Liegenschaft ebenfalls mit Fr. 240'000.-- aufgenommen.

    Das übertragene Wirtschaftsgut enthält bei diesem Procedere vor und
nach der Transaktion stille Reserven in der Grössenordnung der Differenz
zwischen Buchwert und Verkehrswert (Fr. 431'000.--).

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hält eine steuerfreie
Übertragung dieser stillen Reserven für zulässig. Es bezeichnet den Vorgang
als wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral, weil die stillen Reserven im Falle
einer Veräusserung oder Verwertung durch die X. AG besteuert würden. Die
EStV betrachtet die Übertragung der Liegenschaft von der Einzelfirma auf
die Aktiengesellschaft als eine Realisation der in diesem Wirtschaftsgut
steckenden stillen Reserven, welche daher als Kapitalgewinn gemäss Art. 21
Abs. 1 lit. b WStB zu versteuern seien.

Erwägung 2

    2.- Steuerlich anerkannte stille Reserven sind mit der Einkommens-
oder Ertragssteuer zu erfassen, sobald sie realisiert werden. Die
in Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB gegebene Umschreibung der steuerbaren
Kapitalgewinne mit den Begriffen "Veräusserung" und "Verwertung"
("réalisation", "realizzazione") vermag die für die Besteuerung stiller
Reserven entscheidende Grenze nicht klar aufzuzeigen. Steuerrechtslehre
und -praxis anerkennen, dass es zahlreiche Formen der Veräusserung und
Verwertung von Geschäftsvermögen gibt, die keine steuerlich beachtlichen
Realisationsvorgänge darstellen (KÄNZIG, N. 99 ff. zu Art. 21
Abs. 1 lit. d WStB; MASSHARDT, Kommentar WStB 1971-1982, S. 202 f.);
insbesondere löst der Übergang einer Einzelfirma auf eine Personen-
oder Kapitalgesellschaft keine Steuerpflicht für die vorhandenen stillen
Reserven aus, wenn das Geschäftsvermögen zu den Buchwerten übertragen wird.
Auch beim erbrechtlichen Geschäftsübergang oder bei der Übertragung eines
Betriebes auf Rechnung künftiger Erbschaft hat ordentlicherweise eine
Besteuerung der vorhandenen stillen Reserven zu unterbleiben, sofern nicht
durch eigentliche Veräusserung, Verwertung oder buchmässige Aufwertung die
stillen Reserven ganz oder teilweise realisiert werden. Ähnlich verhält
es sich bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Der schenkungsweise
Übergang von Geschäften, Geschäftsanteilen oder betrieblichen Einheiten
zu den Buchwerten kann nach einhelliger Auffassung steuerfrei erfolgen
(KÄNZIG, N. 104 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB; MASSHARDT, S. 204). Hingegen
wird in der Doktrin ohne weitere Begründung festgestellt, dass das
Verschenken einzelner Gegenstände des Geschäftsvermögens einen steuerlich
beachtlichen Realisationsvorgang darstelle und dass daher die auf einem
Schenkungsobjekt vorhandenen Mehrwerte vom Schenkenden zu versteuern
seien. In der Rechtsprechung ist die Aufgabe eines buchführungspflichtigen
Unternehmens und die Weiterführung des Betriebes in kleinerem Umfang (ohne
Buchführungspflicht) wehrsteuerrechtlich als Verwertung qualifiziert und
zum Anlass für die Besteuerung der stillen Reserven genommen worden (ASA
28 S. 502 und 511), obschon diese Änderung nach allgemeinem Sprachgebrauch
nicht ohne weiteres unter den Begriff der Verwertung fällt.

Erwägung 3

    3.- Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der für stille Reserven
geltende Besteuerungsaufschub wegfällt und die vorhandenen Werte steuerlich
zu erfassen sind, wird in Doktrin und Praxis für eine Reihe typischer
Tatbestände erörtert. Wie die eben erwähnten Beispiele zeigen, haben sich
dabei einzelne Regeln herausgebildet. Die eigentlichen Gründe für die
getroffenen Unterscheidungen lassen sich aber nicht immer leicht erkennen.

    a) Zwei Gesichtspunkte treten jedoch sowohl in den Entscheidungen als
auch in den wissenschaftlichen Stellungnahmen immer wieder als massgebende
Kriterien hervor:

    aa) Der Besteuerungsaufschub ist sachlich begründet, solange die
stillen Reserven weiterhin dem Geschäftsbetrieb dienen, auch wenn dieser
seine rechtliche Form durch Umwandlung, Fusion oder Betriebsspaltung
wesentlich geändert hat. Übertragungen haben zum Buchwert zu erfolgen.

    Dispositionen, welche formell diese Voraussetzung erfüllen,
aber materiell offensichtlich dazu dienen, die stillen Reserven für
den bisherigen Eigentümer verfügbar zu machen - wie insbesondere die
Umwandlung einer Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft zum Zwecke des
nachherigen Verkaufs der Aktien (vgl. ASA 38 S. 497, 42 S. 400; KÄNZIG,
N. 100 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) - werden jedoch als Steuerumgehung
qualifiziert, d.h. die übertragenen stillen Reserven werden als realisiert
betrachtet und besteuert (kritisch hiezu SCHÄRRER, in Steuer-Revue 1968
S. 482 f.).

    bb) Transaktionen zum Buchwert sind zudem stets nur dann
wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral und die stillen Reserven dürfen
steuerfrei übertragen werden, wenn der übernehmende Betrieb ebenfalls
buchführungspflichtig ist und die übertragenen stillen Reserven folglich
bei einer künftigen Realisation (durch Veräusserung, Verwertung, Aufwertung
oder Liquidation) unvermindert als Kapitalgewinn gemäss Art. 21 Abs. 1
lit. d WStB erfasst werden können.

    Wird ein Wirtschaftsgut, das stille Reserven enthält, hingegen in einen
Bereich überführt, in welchem die Einkommens- bzw. Ertragsbesteuerung
nicht mehr möglich ist (z.B. vom Geschäftsvermögen ins Privatvermögen),
so stellt dies eine Realisation der vorhandenen stillen Reserven dar,
welche die Besteuerung zur Folge haben muss.

    b) Diese beiden Gesichtspunkte erlauben eine folgerichtige und
sachgerechte Begrenzung des Besteuerungsaufschubs. Die bisherige Praxis
beruht weitgehend auf diesen Kriterien, auch wenn dies nicht durchwegs
deutlich zum Ausdruck kommt.

    So wird etwa aufgrund der beiden Kriterien die oben kurz dargelegte
Behandlung der Schenkung von Vermögenswerten eines buchführungspflichtigen
Unternehmens erklärbar. Die Regel, der schenkungsweise Übergang eines
ganzen Betriebes oder Betriebsteiles sei wehrsteuerfrei möglich, die
Schenkung einzelner Objekte eines Geschäftsbetriebes aber stelle eine
zu besteuernde Realisation der im Schenkungsobjekt enthaltenen stillen
Reserven dar, bedarf allerdings der Präzisierung: Nicht ob das Objekt
der Schenkung einen Betrieb oder eine selbständige Betriebseinheit
darstellt, ist im Grunde für die Steuerfreiheit der Übertragung stiller
Reserven entscheidend, sondern es muss darauf abgestellt werden, ob
das geschenkte Gut samt den stillen Reserven zum Buchwert wieder in
ein buchführungspflichtiges Unternehmen kommt, sodass die übertragenen
stillen Reserven weiterhin die gleiche wirtschaftliche Funktion haben und
im Zeitpunkt einer effektiven Realisierung beim neuen Eigentümer steuerlich
erfasst werden können. Diese Voraussetzungen einer steuerfreien Übertragung
stiller Reserven sind natürlich am ehesten erfüllt, wenn ein ganzer Betrieb
(mit Aktiven und Passiven) oder ein Betriebsteil zu den Buchwerten
übertragen wird. Aber auch der Übergang einer Geschäftsliegenschaft
zum bisherigen Buchwert ohne Realisation der in diesem Wirtschaftsgut
steckenden stillen Reserven kann die Voraussetzung der Steuerfreiheit
erfüllen, sofern der übernehmende Betrieb buchführungspflichtig ist.

    c) Aufgrund der beiden oben umschriebenen Voraussetzungen des
fortgesetzten Besteuerungsaufschubs - Beibehaltung der wirtschaftlichen
Funktion, Wahrung der Besteuerungsmöglichkeit einer spätern Realisation
- lassen sich auch jene Fälle ohne weiteres erklären, in denen nach
der Praxis stille Reserven besteuert werden müssen, obschon eine
"Veräusserung" oder eine eigentliche "Verwertung" nicht erfolgt: Wird
ein buchführungspflichtiges Unternehmen verkleinert und als nicht mehr
buchführungspflichtiger Betrieb weitergeführt, so entfällt damit die
Möglichkeit der Besteuerung der künftigen Kapitalgewinne durch Realisation
der übertragenen stillen Reserven. Die im Geschäftsvermögen vorhandenen
stillen Reserven gehen bei dieser Änderung in einen Bereich über, in dem
sie wehrsteuerrechtlich nicht mehr erfasst werden können. Dieser Übergang
ist daher eine wehrsteuerrechtlich beachtliche Verwertung. - Der gleiche
Grundgedanke führt auch zur Besteuerung der sogenannten Privatentnahme,
der Überführung von Werten des Geschäftsvermögens ins Privatvermögen.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdegegner ein Vermögensobjekt
samt den darauf bestehenden stillen Reserven zum Buchwert auf eine
von ihm beherrschte Aktiengesellschaft übertragen. Damit sind die
stillen Reserven nicht realisiert worden, sie behalten im Rahmen
der Geschäftstätigkeit der Erwerberin ihre bisherige wirtschaftliche
Funktion. Vor allem aber bleibt die Besteuerungsmöglichkeit im Falle einer
künftigen Realisierung unvermindert bestehen. Ob die Fabrikliegenschaft als
selbständige betriebliche Einheit betrachtet werden kann, wie das kantonale
Verwaltungsgericht annimmt, mag hier offen bleiben. Auf jeden Fall besteht
kein Grund, diese Übertragung einer Liegenschaft samt der stillen Reserven
auf ein buchführungspflichtiges Unternehmen wehrsteuerrechtlich anders
zu behandeln als die analoge Übertragung eines ganzen Betriebes oder
eines selbständigen Betriebsteiles. Wesentlich ist bei allen derartigen
Transaktionen, dass der Veräusserer oder Schenker nicht auf irgendeinem
Weg wenigstens einen Teil des buchmässig nicht in Erscheinung tretenden
Mehrwertes doch für sich realisiert, sodass er darüber frei verfügen
kann. Der vorhandene Mehrwert muss als stille Reserve erhalten bleiben
und so auf den Erwerber übergehen, dass er im Bereich der Wehrsteuer
bleibt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hat daher zu Recht festgestellt, das
zu beurteilende Rechtsgeschäft sei wehrsteuerrechtlich erfolgsneutral,
die übertragenen stillen Reserven seien nicht zu besteuern. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der EStV ist somit abzuweisen.

Erwägung 5

    5.- Anders wäre zu entscheiden, wenn die Fabrikliegenschaft nicht
zum Buchwert übertragen, sondern als Sacheinlage gegen entsprechende
Beteiligungsrechte (Aktien) in die Aktiengesellschaft eingebracht worden
wäre. Der hier zu beurteilende Vorgang kann aber nicht als Sacheinlage,
als eigentliches Einbringen, qualifiziert werden, sondern stellt wohl
im Umfang des Preises von Fr. 240'000.-- einen Kauf und im Umfang der
mitübertragenen stillen Reserven eine Schenkung dar. Die unentgeltliche
Übertragung der stillen Reserven erfolgte wegen der engen Beziehungen des
Beschwerdegegners zur X. AG. Mit einer "fremden" Gesellschaft wäre ein
solches Geschäft nicht abgeschlossen worden. Dieser Grund der Transaktion
berührt aber die wehrsteuerrechtliche Beurteilung nicht. Entscheidend
ist nur, dass eine effektive Realisation nicht erfolgt ist, und dass die
stillen Reserven - wie bei der Umwandlung einer Einzelfirma in eine AG oder
bei der Aufspaltung eines Unternehmens in zwei Betriebe - unter Wahrung
des steuerrechtlichen Status auf ein anderes buchführungspflichtiges
Unternehmen übergingen, ohne dass der Beschwerdegegner den vorhanden
Mehrwert ganz oder teilweise "herausgenommen" hat.

    In der Literatur und Rechtsprechung wird manchmal besonders
hervorgehoben, dass die Übertragung auf ein Unternehmen erfolgen müsse,
das vom Veräusserer/Schenker oder ihm nahestehenden Personen beherrscht
werde. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch nur insofern von Bedeutung,
als die unentgeltliche Übertragung stiller Reserven zu Buchwerten nach
allgemeiner Erfahrung eine erhebliche "wirtschaftliche Nähe" zwischen
dem Abtretenden und dem Übernehmer voraussetzt; denn auch solche latente
Mehrwerte werden ja in der Regel nicht einfach verschenkt. Fehlt eine
"wirtschaftliche Nähe", welche die Transaktion verständlich macht, so
besteht der Verdacht, dass doch für die stillen Reserven eine Gegenleistung
erfolgte oder versprochen wurde, die als Kapitalgewinn zu besteuern wäre.

    Im vorliegenden Fall erscheint es als glaubhaft, dass der 1903
geborene Beschwerdegegner die bisher seinem Einzelunternehmen gehörende
Fabrikliegenschaft auf die von ihm beherrschte X. AG übertragen
hat, ohne die stillen Reserven zu realisieren. Damit stärkte er die
Aktiengesellschaft, erhöhte den innern Wert der Aktien und liess
somit auf diesem Wege durch finanzielle Stärkung der X. AG den andern
Aktionären wirtschaftlich einen Teil des in der Liegenschaft steckenden
Mehrwertes ohne Gegenleistung zukommen, wobei aber dieser Mehrwert als
stille Reserve der Aktiengesellschaft gebunden ist und im Falle einer
künftigen Realisierung der Wehrsteuer unterliegt. Die Situation ist
ähnlich wie beim Einbringen der Aktiven und Passiven einer Einzelfirma
zu den Buchwerten in eine Personen- oder Kapitalgesellschaft (vgl.
KÄNZIG, N. 100 zu Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) und es rechtfertigt sich
eine analoge steuerliche Behandlung.

    Im vorliegenden Fall bestehen auch keine Anhaltspunkte für
eine Steuerumgehung; insbesondere wird nicht geltend gemacht, der
Beschwerdegegner habe die Übertragung der Fabrikliegenschaft zum Buchwert
nur vorgenommen, um nachher durch Veräusserung der Aktien der X. AG die
unentgeltlich abgetretenen stillen Reserven in Form eines höhern Preises
für seine Aktien zu realisieren. Fällt ein agere in fraudem legis somit
ausser Betracht, so hält die Steuerfreiheit der Übertragung der stillen
Reserven vor dem Bundesrecht stand.