Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 353



102 Ib 353

58. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Thürer gegen PTT
und Eidg. Schätzungskommission 11. Kreis Regeste

    Enteignung; Art. 19 lit. a EntG.

    Verkehrswertschätzung von Grundstücken; statistische Methode,
Rückwärtsrechnung; Anwendung dieser Methoden.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Enteignete wirft der Schätzungskommission vor, sie habe bei
der Berechnung der Enteignungsentschädigung zu Unrecht die statistische
Methode von vornherein ausgeschlossen und nur auf die Rückwärtsrechnung
abgestellt. Wenn auch, wie die Enteignete selbst einräumt, keine
Vergleichsgeschäfte gefunden werden könnten, die "zwingend analog" seien,
so hätte dennoch auf Grund der vorhandenen Vergleichspreise erkannt werden
müssen, dass die von der Kommission für die Teilabtretung der Parzelle
Nr. 190 festgesetzten Entschädigungen zu niedrig seien. Diese Kritik ist
nicht ganz unberechtigt.

    Der Verkehrswert von Bauland, d.h. der Preis, den eine unbestimmte
Vielzahl von Kaufsinteressenten voraussichtlich für das betreffende
Grundstück bezahlen würde, lässt sich nur aus bereits bekannten Werten
ermitteln. In der Regel kann der Bodenwert anhand von tatsächlich
bezahlten Preisen für Land in der gleichen Gegend bestimmt werden, wobei
allfälligen Unterschieden der Vergleichsgrundstücke in der Form, Lage,
Ausnutzungsmöglichkeit, Umgebung und Bodenbeschaffenheit Rechnung zu
tragen ist, also entsprechende Preiszuschläge oder -abzüge vorzunehmen
sind (vgl. nicht publ. Entscheide vom 8. Mai 1974 i.S. Grubag AG und
26. Februar 1956 i.S. Meuwly; HÄGI, Die Bewertung von Liegenschaften,
6. A. 1971, S. 50 f., HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 3 zu
Art. 20 EntG, WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich
1966, S. 33 ff.). Diese statistische Methode führt allerdings nur zu
richtigen Resultaten, wenn Vergleichspreise in genügender Zahl, und zwar
für Objekte ähnlicher Beschaffenheit, zur Verfügung stehen.

    Bei der sogenannten Methode der Rückwärtsrechnung wird der Wert von
nicht überbauten oder nur mit Abbruchobjekten bebauten Parzellen auf
Grund einer hypothetischen, den Ausnutzungsbestimmungen entsprechenden
Neuüberbauung berechnet, indem die Anlagekosten vom Ertragswert, der
anhand bekannter Mietpreise bestimmt werden kann, abgezogen werden; die
sich ergebende Summe entspricht dem Bodenwert. Die Rückwärtsrechnung
beruht auf der Überlegung, dass bei Neuüberbauungen der Verkehrswert,
der Sachwert und der Ertragswert ungefähr gleich gross sind, da die
Mietzinse auf Grund der Baukosten berechnet werden (vgl. HÄGI, aaO S. 54
ff., WIEDERKEHR, aaO S. 36 ff.) Bei Anwendung dieser Methode ist jedoch
zu beachten, dass die einzelnen Annahmen mit besonderer Sorgfalt und unter
Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse getroffen werden müssen. Zudem
sind die einzelnen Faktoren in eine vernünftige Beziehung zueinander zu
stellen. So ist nicht in jedem Falle von einem Bauprojekt auszugehen,
das den nach geltender Bauordnung höchst zulässigen Baukubus aufweist,
sondern von einer Überbauung, die unter den gegebenen Verhältnissen an
Ort - je nach Raumbedarf - wahrscheinlich erstellt worden wäre. Bei der
Berechnung des Mietertrages ist der wirtschaftliche Zweck des projektierten
Gebäudes festzulegen und dafür abzuklären, ob und in welchem Umfange es
aus Läden und Büros bestehen könnte oder ob es sich beispielsweise schon
von seiner Lage her nur für Wohnungen eignen würde. Die Festsetzung
der Baukosten hat im weiteren nicht nur nach den üblichen Baupreisen,
sondern unter Berücksichtigung der regionalen und sogar örtlichen
Verhältnisse auf dem Baumarkt zu erfolgen; ausserdem ist der Bauweise und
der Art des Ausbaus Rechnung zu tragen. Schliesslich ist in Betracht zu
ziehen, dass je nach Projekt, Art und Höhe der Investition vom Bauherrn
unterschiedliche Anforderungen an die Rentabilität gestellt werden: wer
für den Eigengebrauch oder zum Zwecke einer langfristigen Kapitalanlage
baut, will erfahrungsgemäss nicht die gleiche Rendite erzielen wie jener,
der ein Gebäude für den sofortigen Weiterverkauf erstellt. - Nur wenn
bei der Festsetzung der verschiedenen Faktoren allen diesen Umständen
die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird, führt die Rückwärtsrechnung
zu brauchbaren Ergebnissen, da auf Grund der Berechnungsformel selbst
ziffernmässig geringe Differenzen in den einzelnen Annahmen erhebliche
Resultat-Streuungen entstehen lassen. Birgt somit diese Methode einen
relativ hohen Unsicherheitsfaktor in sich, ist sie - was übrigens auch
für weitere Methoden (Lageklassen-Methode nach Naegeli, Wertabnahmeformel
für tiefe Grundstücke usw.) gilt - lediglich zur Kontrolle der anhand
der statistischen Methode gefundenen Werte oder nur dann anzuwenden,
wenn geeignete Vergleichspreise fehlen.