Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IB 187



102 Ib 187

30. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juli 1976 i.S. Duff gegen Rekurskommission
des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern Regeste

    Entzug des Führerausweises und Verbot des Führens von Motorfahrrädern
und Fahrrädern. Art. 27 f. BRB vom 27. August 1969 über administrative
Ausführungsbestimmungen zum SVG (BRB vom 27. August 1969).

    Gesetzliche Grundlage eines Verbots, Motorfahrräder zu führen, ist
Art. 19 Abs. 3 (in Verbindung mit Abs. 2) SVG. Gesetzeskonforme Auslegung
von Art. 27 Abs. 2 BRB vom 27. August 1969 (Erw. 2a).

    Mit der Verfügung eines Fahrzeugbenützungsverbots gemäss Art. 28
Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 ist stets der Entzug eines allfälligen
Führerausweises zu verbinden (Erw. 2b).

    Das Verbot, ein Motorfahrrad zu führen, zieht nicht obligatorisch
ein Radfahrverbot nach sich. Auslegung von Art. 28 Abs. 1 BRB vom
27. August 1969 im Lichte von Art. 19 Abs. 3 SVG, des Grundsatzes der
Verhältnismässigkeit und von Art. 28 Abs. 2 desselben BRB (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern entzog Duff wegen
Führens eines Motorfahrrades in angetrunkenem Zustand den Führerausweis
für Motorfahrzeuge für 10 Monate und verbot ihm für die gleiche Dauer
das Führen von Motorfahrrädern und Fahrrädern. Es stützte sich hiebei
auf Art. 27 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 BRB vom 27. August 1969.

    Eine von Duff hiegegen geführte Beschwerde wurde von der
Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführern
abgewiesen. Gegen diesen Entscheid führt Duff beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde
insoweit gutzuheissen, als das Radfahrverbot aufzuheben sei. Im übrigen
tritt es für die Abweisung der Beschwerde ein. Es weist darauf hin, dass
es seine Rechtsprechung seit dem 1. Januar 1976 geändert habe. Die von ihm
bisher auf Grund von Art. 28 Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 praktizierte
obligatorische Ausdehnung des Verbots des Führens von Motorfahrrädern
auf alle Fahrzeugkategorien stehe mit der Botschaft des Bundesrates vom
14. November 1973 zur Änderung des SVG (insbesondere zum neuen Art. 19
SVG) in Widerspruch. - Die Eidg. Polizeiabteilung beantragt wohl, die
Beschwerde abzuweisen. Sie bemerkt indessen, ein Radfahrverbot sei nur
zu verfügen, wenn es für die Wirksamkeit des Führerausweisentzugs und des
Fahrverbots für Motorfahrräder erforderlich sei. Der Administrativbehörde
stehe dabei ein weitgehendes Ermessen zu. In diesem Sinne sei gegen
den Antrag der untern kantonalen Instanz, das Fahrverbot für Fahrräder
aufzuheben, nichts einzuwenden. - Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
teilweise gut und hebt den angefochtenen Entscheid insofern auf, als damit
dem Beschwerdeführer das Führen motorloser Fahrräder verboten worden ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Wohnsitzkanton kann das Führen mit einem Motor versehener
Fahrzeuge, für die ein Führerausweis nicht erforderlich ist, unter
Hinweis auf die Strafandrohung des Art. 292 StGB vorübergehend für
wenigstens einen Monat verbieten, wenn der Führer den Verkehr schwer
oder wiederholt gefährdet hat. Ist der Führer in angetrunkenem Zustand
gefahren, so muss "in der Regel" ein Fahrverbot verfügt werden (Art. 27
Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 BRB vom 27. August 1969). Art. 28 Abs. 1
dieses BRB bestimmt, dass mit der Verfügung eines Fahrverbots "auch stets
der Entzug eines allfälligen Führerausweises und das Verbot zum Führen
aller Fahrzeugkategorien zu verbinden" sei. Umgekehrt "kann" nach Abs. 2
desselben Artikels der Führerausweisentzug "durch ein Fahrverbot ergänzt
werden, wenn dies erforderlich ist, um dem Entzug seine Wirksamkeit
zu sichern".

    Der Beschwerdeführer bestreitet die Gesetzmässigkeit des BRB vom
27. August 1969 und des gestützt darauf ihm gegenüber erlassenen Verbots,
Motorfahrräder und Fahrräder zu führen, sowie des damit verbundenen
Führerausweisentzuges.

    a) Die gesetzliche Grundlage des dem Beschwerdeführer gegenüber
ausgesprochenen Verbots, Motorfahrräder zu führen, ist in Art. 19 Abs. 3
(in Verbindung mit Abs. 2) SVG zu erblicken. Danach kann der Wohnsitzkanton
einem Radfahrer, der den Verkehr schwer oder wiederholt gefährdet hat oder
in angetrunkenem Zustande gefahren ist, das Radfahren unter Hinweis auf
Art. 292 StGB untersagen. Der Beschwerdeführer hat, als er angetrunken
war, allerdings kein Fahrrad, sondern ein Motorfahrrad benützt. Indem
der Bundesrat in Art. 23 und 27 BRB vom 27. August 1969 das Führen von
Motorfahrrädern nicht von der Erteilung eines Führerausweises abhängig
machte, hat er indessen diese Fahrzeuge - wie übrigens auch in Art. 5
und 75 ff. der Verordnung über Bau und Ausrüstung der Strassenfahrzeuge
- weitgehend den Fahrrädern gleichgestellt. Hiezu war er infolge
der ihm durch Art. 106 SVG übertragenen Kompetenz zum Erlasse von
Vollzugsvorschriften befugt. Es ist daher folgerichtig, wenn die
administrativen Sanktionen gegenüber Motorfahrradlenkern im Rahmen der
Massnahmenregelung für Radfahrer, d.h. von Art. 19 SVG, vorgesehen werden.

    Art. 19 Abs. 3 SVG legt die Anordnung eines Fahrverbots in das
pflichtgemässe Ermessen der zuständigen Behörde. Art. 27 Abs. 2 BRB vom
27. August 1969 erhebt demgegenüber das Fahrverbot wegen Angetrunkenheit
beim Führen eines Motorfahrrades sogar zur Regel. Ob der Bundesrat damit
in jeder Hinsicht im Rahmen der ihm durch Art. 106 übertragenen Befugnis
geblieben ist, kann indessen dahingestellt bleiben. Art. 27 Abs. 2 BRB
vom 27. August 1969 verlangt nämlich nicht, dass unter allen Umständen ein
Fahrverbot verhängt werde. Diese Bestimmung lässt daher der entscheidenden
Behörde Raum, um die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles zu
berücksichtigen. Im Sinne des Art. 19 Abs. 2 und 3 SVG ausgelegt, genügt
Art. 27 Abs. 2 BRB vom 27. August 1969 jedenfalls als Rechtsgrundlage,
um jemandem, der in angetrunkenem Zustande ein Motorfahrrad benützt hat,
die Führung eines solchen eine Zeitlang zu verbieten.

    Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG setzt die Dauer des Führerausweisentzuges
auf mindestens ein Jahr an, wenn der Führer eines Motorfahrzeuges innert
fünf Jahren seit Ablauf eines Entzuges wegen Fahrens in angetrunkenem
Zustand erneut alkoholisiert gefahren ist. Nachdem der Beschwerdeführer vor
kurzem, am 3. Mai 1974, einen Personenwagen mit Unfallfolge in erheblich
angetrunkenem Zustande gelenkt hat - weswegen ihm am 8. August 1974 der
Führerausweis für 3 Monate entzogen worden ist -, kann ein nunmehr in
Anbetracht der geringeren Betriebsgefahr eines Motorfahrrades auf 10
Monate bemessenes Verbot, ein solches zu führen, nicht beanstandet werden.

    b) Dem Beschwerdeführer wurde auch der Führerausweis entzogen, weil
er in angetrunkenem Zustande ein Motorfahrrad benützt hatte. Nach Art. 23
BRB vom 27. August 1969 ist das Führen eines solchen Fahrzeuges nicht von
der Erteilung eines Führerausweises abhängig. Indessen muss demjenigen,
der in angetrunkenem Zustande ein Motorfahrzeug gelenkt hat, nach Art. 16
Abs. 3 lit. b SVG der Führerausweis entzogen werden. Soweit Art. 28 Abs. 1
BRB vom 29. August 1969 mit der Verfügung eines Fahrverbots stets auch
den Entzug eines allfälligen Führerausweises verbindet, liegt das in der
Logik der gesetzlichen Ordnung und der Sachlage selber begründet. Wer mit
verhältnismässig leichten und langsamen Fahrzeugen den Verkehr derart
gefährdet, dass ihm deren Benützung untersagt werden muss, kann nicht
gleichzeitig zum Verkehr mit Fahrzeugen, deren Betriebsgefahr grösser
ist, zugelassen bleiben. Dieser Gedanke ist denn auch vom Bundesrat in
seiner Botschaft vom 14. November 1973 zur Änderung des SVG im Hinblick
auf Art. 28 BRB vom 27. August 1969 geäussert worden (vgl. BBl 1973 II
S. 1184 f.).

    Es kann somit nicht beanstandet werden, wenn der Führerausweis für die
- vertretbar angesetzte - Dauer eines zulässigen Verbots, ein Motorfahrrad
zu führen, entzogen wird.

    c) Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 28
Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 auch die Benützung motorloser Fahrräder
untersagt. Im Falle der Verfügung eines Fahrverbots - also auch eines
Verbots, Motorfahrräder zu benützen - "ist" dieser Bestimmung zufolge
"damit auch stets ... das Verbot zum Führen aller Fahrzeugkategorien zu
verbinden". Ob unter "allen Fahrzeugkategorien" auch Fahrräder zu verstehen
seien oder ob dieser Ausdruck sich, wie das Strassenverkehrsamt des Kantons
Bern in seiner Vernehmlassung annimmt, nur auf die Kategorien eigentlicher
Motorfahrzeuge bezieht, die in Art. 24 Abs. 1 BRB vom 27. August 1969
aufgezählt sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Wesentlich ist,
dass Art. 19 Abs. 3 SVG das Radfahrverbot nur fakultativ vorsieht. Das
Gesetz trägt damit der im Verhältnis zu den Motorfahrzeugen geringeren
Betriebsgefahr der Fahrräder Rechnung. Es gibt damit der Anwendung des
Grundsatzes der Verhältnismässigkeit den gebührenden Raum. Insofern aus
Art. 28 Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 ein Obligatorium eines Verbots der
Benützung von Fahrrädern herausgelesen werden könnte, käme angesichts
des Inhalts von Art. 19 Abs. 3 SVG nichts auf diese Lesart an. Art. 28
Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 ist vielmehr gesetzeskonform und damit
in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Proportionalität auszulegen.
Der Bundesrat, welcher den BRB vom 27. August 1969 erlassen hat,
vertritt in seiner zitierten Botschaft vom 14. November 1973 ebenfalls
die Meinung, in der Regelung von Art. 28 BRB vom 27. August 1969 sei eine
sinnvolle Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit im
Massnahmerecht zu erblicken. Er geht dabei allem Anscheine nach davon aus,
dass der Ausschluss von der Führung anderer Fahrzeugarten nicht regelmässig
durch ein Radfahrverbot ergänzt werden muss.

    Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn Art. 28 Abs. 1 des genannten
BRB unter Berücksichtigung von Absatz 2 derselben Bestimmung angewendet
wird. Abs. 2 erlaubt, einen Führerausweisentzug durch ein Fahrverbot zu
ergänzen, wenn dies erforderlich ist, um dem Entzug seine Wirksamkeit zu
sichern. Das fakultative Verbot, eine leichtere Art von Fahrzeugen als
jene zu benützen, mit welcher der Fehlbare sich in angetrunkenem Zustande
in den Strassenverkehr gewagt hatte, ergänzt hier das Verbot, sich der
bei der Tat benützten Fahrzeugart zu bedienen, dann in verhältnismässiger
und sinnvoller Weise, wenn dadurch das Erreichen des Zieles der primär zu
verfügenden Administrativmassnahme gewährleistet wird. Ähnlich argumentiert
auch die Eidg. Polizeiabteilung in ihrer Vernehmlassung, wenn sie eine
analoge Anwendung von Art. 28 Abs. 2 BRB vom 27. August 1969 auf die Frage
der Ausdehnung des Verbots, Motorfahrräder zu führen, auf das Radfahren
in Betracht zieht und erklärt: "Das Radfahrverbot ist nur zu verfügen,
wenn es für die Wirksamkeit der Massnahme erforderlich ist."

    Ein Radfahrverbot hätte somit das Verbot der Benützung eines
Motorfahrrades und den Entzug des Führerausweises nur zu unterstützen,
wenn es erforderlich wäre, um die Erfüllung des Zweckes dieser
Massnahmen sicherzustellen. Das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern
hat das Radfahrverbot gegenüber dem Beschwerdeführer jedoch nicht
aus der Überlegung verfügt, es sei zur Sicherung der Wirksamkeit der
beiden anderen, ohne weiteres gegebenen Massnahmen erforderlich. Es war
vielmehr der Meinung, Art. 28 Abs. 1 BRB vom 27. August 1969 schreibe das
Radfahrverbot als Folge derselben zwingend vor. Die Vorinstanz ist dem
Strassenverkehrsamt hierin gefolgt. Damit hat sie nach dem Ausgeführten
Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a OG). Ihr Entscheid ist hinsichtlich
des Radfahrverbotes jedoch nur aufzuheben, wenn auch bei richtiger
Anwendung des Bundesrechts im vorliegenden Fall ein Radfahrverbot nicht
am Platze erscheint.

    Dem Beschwerdeführer war am 8. August 1974 der Führerausweis schon
einmal für drei Monate entzogen worden. Er hat sich jedoch weniger
als ein Jahr später mit einem zwar keines Führerausweises bedürftigen,
doch immerhin mit Motorantrieb versehenen Fahrzeug im Bewusstsein zu
einem Anlass begeben, er werde im Verlaufe desselben voraussichtlich
dem Alkohol übermässig zusprechen. Er hat dadurch besorgniserregende
Einsichtslosigkeit bewiesen. Anderseits spricht nichts dagegen, dass ein
zehnmonatiger Ausschluss von der Führung von Motorwagen und Motorfahrrädern
beim Beschwerdeführer die gewünschte Warnungswirkung erzielen könnte. Im
Blick auf den Grundsatz, dass administrative Eingriffe verhältnismässig
zu bleiben haben, lässt es sich im vorliegenden Falle rechtfertigen,
von einem Radfahrverbot abzusehen.