Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 50



102 Ia 50

11. Auszug aus dem Urteil vom 4. Februar 1976 i.S. Sozialdemokratische
Partei der Stadt Zürich gegen Stadtrat von Zürich und Regierungsrat des
Kantons Zürich. Regeste

    Benützung öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken; Art.  85 lit. a
OG, Meinungsäusserungsfreiheit, Versammlungsfreiheit.

    1. Für die Zulassung einer den Gemeingebrauch übersteigenden Benützung
öffentlichen Grundes können, selbst wenn es um die Ausübung ideeller
Freiheitsrechte geht, neben rein polizeilichen Gesichtspunkten auch andere
öffentliche Interessen massgebend sein; doch hat die Behörde bei der
Interessenabwägung dem besonderen Gehalt der berührten Freiheitsrechte
Rechnung zu tragen. Kognition des Bundesgerichtes. Verhältnis der
Meinungsäusserungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit zu den durch
Art. 85 lit. a OG geschützten Befugnissen politischer Betätigung (E. 3).

    2. Überprüfung der Verfassungsmässigkeit einzelner Bestimmungen der
vom Stadtrat von Zürich am 5. Juli 1972 erlassenen "Vorschriften über
die Benützung öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken":

    a) Es ist zulässig, an öffentlichen Ruhetagen sowie an den übrigen
Tagen in der Zeit zwischen 22.00 und 07.00 Uhr politische Veranstaltungen
auf öffentlichem Grund allgemein auszuschliessen; hingegen ist es
verfassungswidrig, das für die öffentlichen Ruhetage vorgesehene Verbot
auf die Vortage hoher Feiertage auszudehnen (E. 4).

    b) Es ist zulässig, die Errichtung von Zeichnungsstellen für Initiativ-
und Referendumsbegehren sowie für Petitionen auf öffentlichem Grund auf
die Dauer von längstens sechs Monaten zu beschränken (E. 5).

    c) Es ist verfassungswidrig, Veranstaltungen zu Wahlen und Abstimmungen
auf öffentlichem Grund generell erst in den letzten beiden Wochen vor
dem Wahl- oder Abstimmungswochenende zuzulassen (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Der Stadtrat der Stadt Zürich erliess am 5. Juli 1972 Vorschriften
über die Benützung des öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken
(im folgenden: Vorschriften). Durch diesen Erlass wurde jede über
den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung des öffentlichen Grundes
zu politischen Zwecken der Bewilligungspflicht unterstellt. Gemäss
Art. 1 Abs. 2 der Vorschriften fallen unter diese Bewilligungspflicht
"insbesondere das Sammeln von Unterschriften, Darbietungen, das
Durchführen von Versammlungen, Umzügen und Demonstrationen und die damit
in Zusammenhang stehenden Werbeaktionen".

    Die sozialdemokratische Partei der Stadt Zürich sowie ihre
geschäftsleitenden Mitglieder, auf deren Rekurs hin bereits der Bezirksrat
zwei Bestimmungen dieses Erlasses aufgehoben hatte, führen im Anschluss
an den abweisenden letztinstanzlichen Rekursentscheid des zürcherischen
Regierungsrates staatsrechtliche Beschwerde, mit der sie folgende
Bestimmungen der stadträtlichen Vorschriften anfechten:

    Art. 5: "An öffentlichen Ruhetagen, mit Ausnahme des 1. Mai und des 1.

    August, an Vortagen hoher Feiertage und an den übrigen Tagen in
der Zeit
   von 22.00 bis 07.00 Uhr steht der öffentliche Grund für politische
   Zwecke nicht zur Verfügung."

    Art. 8: "Die Errichtung von Zeichnungsstellen für Initiativ- und

    Referendumsbegehren sowie für Petitionen in Angelegenheiten des
Bundes, des

    Kantons und der Stadt Zürich ist an geeigneten Örtlichkeiten bis
auf die

    Dauer von längstens sechs Monaten zu bewilligen. Vorbehalten bleiben
die

    Bestimmungen über das Sammeln von Unterschriften bei den Wahl- und

    Abstimmungslokalen."

    Art. 9: Abs. 1

    "Veranstaltungen zu Wahlen und Abstimmungen sind auf dem öffentlichen

    Grund
   frühestens zwei Wochen vor dem Wahl- bzw. Abstimmungswochenende
   gestattet."

    Die Beschwerdeführer rügen u.a. eine Verletzung der
Meinungsäusserungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit sowie der politischen
Rechte (Art. 85 lit. a OG).

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Verfahren ist die verfassungsrechtliche
Zulässigkeit der Bewilligungspflicht für jede über den Gemeingebrauch
hinausgehende Benützung des öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken
nicht bestritten (vgl. BGE 100 Ia 398 ff., 97 I 896 ff., 96 I 225 ff.). Es
wird auch nicht in Frage gestellt, dass die angefochtenen Beschränkungen
auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhen. Nach der Argumentation
der Beschwerdeführer verletzen die beanstandeten Vorschriften jedoch die
betroffen verfassungsmässigen Rechte, weil eine ausreichende polizeiliche
Motivation fehle und die angeordneten allgemeinen Beschränkungen
unverhältnismässig seien.

    Wie aus BGE 100 Ia 401 ff. hervorgeht, können für die Zulassung
einer den Gemeingebrauch übersteigenden Benützung öffentlichen Grundes,
selbst wenn es um die Ausübung ideeller Freiheitsrechte geht, neben
rein polizeilichen Gesichtspunkten auch andere öffentliche Interessen
massgebend sein, z.B. das Bestreben einer zweckmässigen Nutzung der
vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der Allgemeinheit und
der Anwohner (vgl. auch BGE 101 Ia 222 E. 6). Das gilt nicht nur für
die Bewilligung im Einzelfall, sondern auch für eine generell-abstrakte
Reglementierung der Bewilligungsvoraussetzungen, wie sie hier in Frage
steht. Der angefochtene Erlass verfolgt, wie aus Art. 4 hervorgeht, in
erster Linie ein polizeiliches Ziel (Verkehrspolizei, Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit). Er muss, um vor der Verfassung
standzuhalten, nicht nur mit Art. 4 BV vereinbar sein, sondern darüber
hinaus dem besonderen Gehalt der berührten Freiheitsrechte Rechnung
tragen (BGE 100 Ia 402). Ob die von den Beschwerdeführern beanstandeten
Vorschriften diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen,
prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei. Doch setzt es nicht sein
Ermessen anstelle desjenigen der kantonalen und kommunalen Behörden,
und es übt auch Zurückhaltung, soweit es um die Würdigung der besonderen
örtlichen Verhältnisse geht (BGE 100 Ia 403 mit Hinweisen).

    Ob die angefochtenen Vorschriften durch ein ausreichendes öffentliches
Interesse gedeckt sind und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
entsprechen, braucht nicht für jedes der hier angerufenen Freiheitsrechte
gesondert geprüft zu werden. Im Vordergrund steht eindeutig der
Schutz der aus der Stimmberechtigung sich ergebenden Möglichkeiten
politischer Betätigung (gemäss Art. 85 lit. a OG) unter Einschluss der
mit Initiative, Referendum und Petitionsrecht zusammenhängenden Benützung
öffentlichen Grundes (BGE 97 I 895 E. 2). Aus den durch ungeschriebenes
Bundesrecht gewährleisteten Freiheitsrechten der Meinungsäusserung
und der Veranstaltung von Versammlungen ergeben sich keine zusätzlichen
Wertungsgesichtspunkte, die im vorliegenden Fall geeignet wären, eine unter
dem Aspekt der Wahrung der politischen Rechte zulässige Beschränkung doch
als verfassungswidrig erscheinen zu lassen.

Erwägung 4

    4.- Der angefochtene Art. 5 der Vorschriften schliesst die Bewilligung
irgendwelcher politischer Veranstaltungen auf öffentlichem Grund an
bestimmten Tagen (öffentlichen Ruhetagen ausser 1. Mai und 1. August,
Vortagen hoher Feiertage) und allgemein zu bestimmten Zeiten - 22.00 bis
07.00 Uhr - aus.

    In der Beschwerde wird geltend gemacht, diese Errichtung von
"Sperrzeiten" sei unverhältnismässig, die Bewilligungspflicht an sich
genüge. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass nur die Verhinderung
tumultähnlicher Auseinandersetzungen die polizeiliche Motivation für die
Verweigerung der Bewilligung politischer Veranstaltungen auf öffentlichem
Grund bilden könne. In bezug auf die öffentlichen Ruhetage weisen die
Beschwerdeführer darauf hin, dass bei einzelnen Initiativen oder Referenden
(z.B. Waffenausfuhrverbot, Erhaltung eines Sonntagsspazierweges) das
Zielpublikum am besten an einem Sonntag erreicht werden könne. Was
die Vortage hoher Feiertage betreffe, so seien sie durch keine andern
Vorschriften in besonderer Weise geschützt; ein polizeiliches Motiv, um
beispielsweise am 24. Dezember Demonstrationen gegen den Warenhausrummel
zu untersagen, bestehe nicht. Auch der generelle Ausschluss jeder
politischen Veranstaltung von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr wird als sachlich
nicht begründet bezeichnet; damit werde vor allem das Sammeln von
Unterschriften vor Arbeitsbeginn (07.00 Uhr) verhindert, ohne dass für
eine solche Beschränkung eine polizeiliche Notwendigkeit bestehe.

    a) Es gehört seit jeher zu den Aufgaben des Staates, nicht nur
eigentliche Unruhen, Tumulte usw. zu verhindern, sondern der Bevölkerung
durch besondere Vorschriften auch Zeiten erhöhter Ruhe zu sichern. Durch
die Gesetzgebung der Kantone werden - unter Berücksichtigung der örtlichen
Usanzen - die Sonntage und eine Reihe speziell bezeichneter Feiertage
in dieser Weise geschützt. Zur Wahrung der Sonntagsruhe untersagen
die einschlägigen kantonalen Erlasse verschiedene Tätigkeiten, die im
allgemeinen keineswegs gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung verstossen,
wie etwa die Ausführung von Arbeiten, Übungen und Inspektionen von
Feuerwehren, das Hausieren, die Jagd usw. (vgl. z.B. Zürcher Gesetz
über die öffentlichen Ruhetage und über die Verkaufs- und Arbeitszeit
im Detailhandel vom 3. April 1949, Zuger Gesetz über die öffentlichen
Ruhetage und die Öffnungszeiten der Verkaufsgeschäfte vom 4. November
1974, Schwyzer Polizeiverordnung betreffend Sonn- und Feiertagsruhe
vom 12. Januar 1884). In vielen kantonalen Erlassen wird unterschieden
zwischen gewöhnlichen Ruhetagen und hohen Feiertagen (vgl. Zürcher Gesetz §
1 Abs. 3: "Karfreitag, Ostersonntag, Pfingstsonntag, eidgenössischer Bettag
und Weihnachtstag sind hohe Feiertage"), wobei den hohen Feiertagen durch
zusätzliche Verbote (etwa von Sportveranstaltungen, Tanz, Schiessübungen)
ein besonderer Grad feiertäglicher Ruhe gesichert wird.

    Diese Feiertagsgesetzgebung hat man ursprünglich wohl vorwiegend
aus religiösen Motiven geschaffen; im Laufe der Zeit wurde sie in
unterschiedlichem Mass von Überlegungen des Arbeitnehmerschutzes
beeinflusst. Unabhängig von den historischen Grundlagen darf aber
festgestellt werden, dass auch heute ein Bedürfnis besteht, durch das
Verbot bestimmter Tätigkeiten der Bevölkerung an Sonn- und Feiertagen
ein Mindestmass an erhöhter Ruhe zu sichern. Die Auffassungen darüber,
was an Ruhetagen zulässig sein soll, dürften von Region zu Region
unterschiedlich sein. Zulässigkeit oder Verbot hängen auch nicht allein von
der Lautstärke des zu erwartenden Lärms ab; so werden Sportveranstaltungen
und Schiessübungen gemäss altem Herkommen weitgehend toleriert, weil man
darin offenbar eine ruhetagskonforme Betätigung sieht, während Arbeitslärm
und jede mit dem Geschäftsalltag zusammenhängende Aktivität grundsätzlich
als ruhetagsstörend empfunden wird. - Massnahmen, welche in sachlich
haltbarer Weise der Wahrung einer speziellen Sonn- und Feiertagsruhe
dienen, sind polizeilich begründet; denn auch die Gewährleistung der Sonn-
und Feiertagsruhe ist eine polizeiliche Aufgabe.

    Durch Art. 5 der Vorschriften werden an öffentlichen Ruhetagen
politische Veranstaltungen nicht untersagt; sie sind auf privatem Boden
ohne weiteres zulässig. Ausgeschlossen wird lediglich, dass an Sonn-
und Feiertagen öffentlicher Grund für politische Zwecke zur Verfügung
gestellt werden kann. Würdigt man diese Vorschrift im Rahmen der
gesamten Ruhetagsgesetzgebung, so erscheint es auf jeden Fall nicht als
verfassungswidrig, dass eine Stadt an Ruhetagen den öffentlichen Boden
nicht für politische Umzüge, Demonstrationen, Sammeln von Unterschriften
usw. zur Verfügung stellt. Die Auffassung, solche politischen Aktivitäten
auf öffentlichem Grund seien geeignet, die Sonntagsruhe zu beeinträchtigen,
ist mit guten Gründen vertretbar. Zur Sonntagsruhe gehört auch, dass
der Einzelne nicht in unerwünschter Weise durch Vertreter irgendeiner
politischen Forderung behelligt wird. Mag das Sammeln von Unterschriften
vor Kirchen oder auf Spazierwegen bei einzelnen Aktionen auch besonders
erfolgversprechend sein, so hat dies doch nicht zur Folge, dass ein Verbot
sonntäglicher Sammelaktionen auf öffentlichem Grund verfassungswidrig
wäre. Das zuständige Rechtsetzungsorgan darf den Schutz der Sonntagsruhe
höher einstufen und diese verhältnismässig geringfügige Beschränkung
der politischen Betätigungsmöglichkeit als tragbar erachten. Aus
diesen Erwägungen hält Art. 5 der Vorschriften, soweit er sich auf die
öffentlichen Ruhetage bezieht, der verfassungsrechtlichen Überprüfung
stand.

    b) Ein gleicher Ausschluss jeder Bewilligung für die Benützung
öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken gilt gemäss Art. 5 auch für
die Vortage hoher Feiertage. Diese zeitliche Ausdehnung des Verbots mag
praktisch von geringer Bedeutung sein, weil sie nur fünf Tage pro Jahr
betrifft; es ist trotzdem zu prüfen, ob diese Gleichstellung der Vortage
mit öffentlichen Ruhetagen sachlich gerechtfertigt ist.

    Die Vortage hoher Feiertage geniessen nach zürcherischem Recht keinen
besonderen Schutz. Was oben über die Gewährleistung einer erhöhten Ruhe
gesagt wurde, trifft auf diese Vortage daher nicht zu. Die Argumentation
des Regierungsrates, der Durchschnittsbürger wolle sich in Ruhe auf
die hohen Feiertage vorbereiten und dabei nicht durch politische
Auseinandersetzungen gestört werden, vermag nicht zu überzeugen. Es
fehlt jeder rechtliche oder tatsächliche Anhaltspunkt dafür, dass
die hier in Frage stehende Benützung öffentlichen Grundes an Vortagen
hoher Feiertage - anders als an den übrigen Werktagen - in besonderem
Masse als störend empfunden werden könnte. Es erscheint daher nicht
als gerechtfertigt, diese Vortage in bezug auf das Ruhebedürfnis und
die Zulässigkeit politischer Veranstaltungen den gesetzlichen Ruhetagen
gleichzustellen. Nachdem sie nach Ruhetagsgesetz als gewöhnliche Werktage
gelten, fehlt ein ausreichender Grund, um die Möglichkeit der Bewilligung
politischer Veranstaltungen auf öffentlichen Strassen und Plätzen ex lege
auszuschliessen. Die staatsrechtliche Beschwerde ist in dieser Beziehung
gutzuheissen.

    c) Für die Nachtzeit besteht - ähnlich wie für die Ruhetage -
ein erhöhtes Bedürfnis nach Vermeidung von Lärm und irgendwelchen
Störungen. Zur Gewährleistung des legitimen Anspruchs auf Nachtruhe
dürfen Tätigkeiten während der Nachtstunden verboten werden, die tagsüber
zulässig sind. Politische Veranstaltungen auf öffentlichem Grund sind
geeignet, die in der Nacht erwünschte Ruhe auf Strassen und Plätzen
zu stören. Mag auch die Gefahr solcher Störungen - je nach der Art der
Veranstaltung - nicht sehr gross sein, so besteht anderseits unter dem
Aspekt der Ausübung politischer Rechte kein ernstlicher Grund dafür,
dass Strassen, Plätze und Anlagen gerade in der Nacht für Versammlungen,
Umzüge, Werbeaktionen usw. zur Verfügung gestellt werden müssten. Der
legitime Bedarf nach Durchführung solcher politischer Veranstaltungen
kann während der Tageszeit bis 22.00 Uhr sicher in ausreichendem Masse
befriedigt werden. Dass Art. 5 für die Nachtstunden eine "Sperrzeit"
enthält, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

    Die genaue Abgrenzung der "Sperrzeit" ist weitgehend
Ermessenssache. Gegen den Beginn der "Sperre" um 22.00 Uhr wird von den
Beschwerdeführern nichts Konkretes vorgebracht. Dass ein dem Interesse
an der Nachtruhe vorgehendes Bedürfnis bestehe, auch nach 22.00 Uhr
öffentlichen Boden für politische Zwecke zu benützen, wird nicht
behauptet. Die spezielle Kritik richtet sich gegen die Ausdehnung der
Sperre bis 07.00 Uhr. Diese Begrenzung hat zur Folge, dass bei Fabriken
mit Arbeitsbeginn um 07.00 Uhr eine vorangehende Werbeaktion oder
Unterschriftensammlung auf öffentlichem Grund nicht bewilligt werden
kann. Dass andere politische Veranstaltungen sinnvollerweise schon vor
07.00 Uhr stattfinden könnten, ist nicht anzunehmen.

    Obschon die Festlegung der Grenze auf 07.00 Uhr eine gewisse, praktisch
nicht sehr bedeutsame Beschränkung der Möglichkeiten politischer Aktivität
zur Folge hat, erscheint es doch als naheliegend und angemessen, den
besonderen Schutz der Nachtruhe im Bereich der Bewilligung politischer
Veranstaltungen auf öffentlichem Grund zeitlich gleich zu begrenzen
wie in der städtischen Lärmschutzverordnung vom 2. Juni 1971. Würde
man die generelle Grenze etwa auf 06.00 oder 06.30 Uhr verlegen, so
müsste im einzelnen Bewilligungsverfahren die Gefahr einer Störung der
Nachtruhe jeweilen stets unter Berücksichtigung der gesamten Situation
(allfällige Nähe von Wohnhäusern, Altersheimen, Kinderheimen) genau
abgeklärt werden. Indem Stadtrat und Regierungsrat durch das Festlegen der
"Sperrzeit" bis 07.00 Uhr solche Zweifelsfälle von vornherein zu vermeiden
suchten, verletzten sie kein verfassungsmässiges Recht; denn der Ausschluss
der Benützung öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken vor 07.00
Uhr stellt eine geringfügige Beschränkung der Möglichkeit politischer
Betätigung dar und lässt sich im Interesse einer praktikabeln, mit den
allgemeinen Lärmschutzvorschriften übereinstimmenden Regelung hinreichend
rechtfertigen. Überdies ist jene Form politischer Propaganda, die wohl
am ehesten vor Arbeitsbeginn in Frage kommen kann, nämlich das Verteilen
von Flugblättern, gemäss Art. 9 Abs. 2 der Vorschriften jederzeit möglich.

Erwägung 5

    5.- In Art. 8 der Vorschriften wird die Errichtung von
Zeichnungsstellen für Initiativ- und Referendumsbegehren sowie für
Petitionen (auf öffentlichem Grund) auf die Dauer von längstens sechs
Monaten beschränkt.

    Während ein Referendumsbegehren stets innert einer bestimmten
Frist (auf Bundesebene: 3 Monate) einzureichen ist, kennt das
Bundesrecht bei Initiativen und Petitionen keine Limitierung des für
die Unterschriftensammlung zur Verfügung stehenden Zeitraumes. Gemäss
Art. 5 Abs. 1 lit. a des eidg. Initiativengesetzes vom 23. März 1962
dürfen aber Unterschriften, die nicht innerhalb der Frist von sechs
Monaten, vom Tage des Eingangs der Initiative zurückgerechnet, durch
die zuständige Amtsstelle bescheinigt worden sind, bei der Ermittlung
der Unterschriftenzahl nicht berücksichtigt werden. Im Kanton Zürich sind
Unterschriftenbogen für kantonale Volksinitiativen ungültig, wenn sie erst
nach Ablauf von sechs Monaten seit Beginn der Unterschriftensammlung dem
Büro des Kantonsrates eingereicht werden (§ 13 Abs. 2 des Gesetzes über
das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969).

    Für die Beurteilung der Frage, ob die angefochtene zeitliche Begrenzung
der Bewilligung von Zeichnungsstellen vor der Verfassung standhält,
sind die erwähnten gesetzlichen Fristen nicht von entscheidender
Bedeutung. Auch soweit die Sammlung von Unterschriften an sich ohne
zeitliche Begrenzung möglich ist, ergibt sich daraus keine Pflicht,
Zeichnungsstellen auf öffentlichem Grund zeitlich unbeschränkt zu
bewilligen. Soweit eine solche Limitierung sich aus sachlichen Gründen
aufdrängt, ist sie nicht verfassungswidrig. - In der Stadt Zürich
gibt es unbestrittenermassen nur eine beschränkte Zahl von Plätzen,
die sich für das Sammeln von Unterschriften eignen. Um zu verhindern,
dass eine günstige Zeichnungsstelle dauernd von der gleichen Organisation
besetzt und damit für andere Interessenten blockiert werden kann, ist
die angemessene Limitierung der Bewilligung dieser Art der Benützung
öffentlichen Grundes durchaus sachgemäss. Die Festlegung eines Maximums
von sechs Monaten ist eher grosszügig; es wird damit eine den erwähnten
gesetzlichen Fristen analoge Begrenzung getroffen. Weshalb die politischen
Rechte oder irgendwelche Freiheitsrechte einen Anspruch auf unbefristete
Errichtung solcher Zeichnungsstellen gewährleisten sollen, lässt sich der
Beschwerde nicht entnehmen. Die getroffene Regelung trägt den in Frage
stehenden Interessen der Öffentlichkeit und der politischen Gruppierungen
gebührend Rechnung, erleichtert eine angemessene Aufteilung der möglichen
Benützung öffentlichen Grundes unter die Gesuchsteller und enthält keine
sachlich ungerechtfertigte Einschränkung der politischen Aktivität.

Erwägung 6

    6.- Gemäss Art. 9 Abs. 1 der Vorschriften sind Veranstaltungen zu
Wahlen und Abstimmungen auf dem öffentlichen Grund nur in den letzten
zwei Wochen vor dem Wahl- oder Abstimmungswochenende möglich. Dies gilt
gemäss Absatz 2 von Art. 9 nicht für die Verteilung von Flugblättern. -
Die Frist von zwei Wochen wählte der Stadtrat offenbar in Anlehnung an
die Praxis der Parteien beim Plakataushang, der sich in der Regel in
Zürich auf die letzten beiden Wochen vor dem Abstimmungs- oder Wahltermin
konzentriere. Zur Begründung der knappen zeitlichen Begrenzung wird im
Entscheid des Regierungsrates ausgeführt, derartige Veranstaltungen
überstiegen in der Regel den zulässigen Gemeingebrauch und es würden
dadurch Rechte anderer Strassenbenützer berührt; es sei deshalb vertretbar,
diese Veranstaltungen "infolge ihrer relativ starken Beeinträchtigung
der übrigen Strassenbenützer" auf eine verhältnismässig kurze Zeit zu
beschränken.

    Die der Bewilligungspflicht unterstellten Arten der Benützung
öffentlichen Grundes sind gemäss Art. 1 Abs. 1 der Vorschriften ganz
allgemein dadurch charakterisiert, dass sie über den Gemeingebrauch
hinausgehen. Inwiefern Veranstaltungen zu Wahlen und Abstimmungen
die übrigen Strassenbenützer stärker stören sollen als andere
politische Veranstaltungen auf öffentlichem Grund (Versammlungen,
Umzüge, Demonstrationen), wird im Entscheid des Regierungsrates
nicht dargetan. Selbst wenn eine vergleichsweise besonders starke
Beeinträchtigung wahrscheinlich wäre, so würde dies an sich noch kein
genügendes polizeiliches Motiv bilden, um derartige Veranstaltungen, die in
erwünschter Weise das Interesse der Stimmbürger an einer bevorstehenden
Wahl oder Abstimmung wecken können, auf den Zeitraum von zwei Wochen
zu beschränken. Veranstaltungen, die früher - z.B. in der dritten oder
vierten Woche vor der Abstimmung - stattfinden, bringen ja keine grössere
Beeinträchtigung des Verkehrs als eine gleichartige Veranstaltung in
den letzten zwei Wochen. Bei einer längern Frist oder beim Fehlen einer
solchen zeitlichen Begrenzung wäre es dem einzelnen Veranstalter allerdings
eher möglich, eine Manifestation oder Werbeaktion auf öffentlichem Grund
zu wiederholen; dadurch könnte der Wegfall der Befristung eine gewisse
zusätzliche Benützung und Belastung des öffentlichen Grundes zur Folge
haben. Auch mit diesem Argument, das von Stadtrat und Regierungsrat nicht
geltend gemacht wird, liesse sich aber die in Art. 9 Abs. 1 angeordnete
Konzentration auf zwei Wochen nicht rechtfertigen. Die Bewilligungsbehörde
hat es stets in der Hand, - unter Wahrung des Gleichheitsprinzips -
die Anzahl und die zeitliche Ausdehnung solcher Veranstaltungen so zu
begrenzen, dass die Erfordernisse des öffentlichen Verkehrs in angemessener
Weise gewahrt bleiben. Hingegen fehlt eine ausreichende Motivation für
den generellen Ausschluss aller Wahl- und Abstimmungsveranstaltungen
auf öffentlichem Grund, welche früher als zwei Wochen vor dem Wahl- oder
Abstimmungstermin durchgeführt werden sollen. Art. 9 Abs. 1 enthält somit
eine Beschränkung, die in dieser allgemeinen Form die verfassungsmässigen
Rechte auf politische Betätigung verletzt und daher aufzuheben ist.

    Nur beiläufig sei bemerkt, dass die Unterscheidung zwischen
Veranstaltungen zu Wahlen und Abstimmungen einerseits und andern
politischen Veranstaltungen anderseits in einzelnen Fällen recht schwierig
sein dürfte. Umgehungen der aufzuhebenden Begrenzung wären leicht
möglich. Abgesehen vom - verfassungsrechtlich entscheidenden - Fehlen des
Nachweises eines wirklichen sachlichen Bedürfnisses empfiehlt sich daher
die Beseitigung der Bestimmung auch unter dem Aspekt der Rechtssicherheit
und Praktikabilität.