Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 102 IA 483



102 Ia 483

67. Auszug aus dem Urteil vom 1. Dezember 1976 i.S. C. und Mitbeteiligte
gegen Kanton Bern, Einwohnergemeinde und Kirchgemeinde J. sowie
Appellationshof des Kantons Bern Regeste

    Art. 4 BV und 2 ÜbBest. BV; definitive Rechtsöffnung für
Steuerforderung.

    1. Es ist nicht willkürlich anzunehmen, Art. 168 Abs. 2 des bernischen
Steuergesetzes, wonach Steuerforderungen in öffentliche Inventare oder
auf Rechnungsrufe einzugeben sind, sei eine blosse Ordnungsvorschrift,
von deren Einhaltung die Haftung der Erben für diese Forderungen nicht
abhänge (E. 4).

    2. Die Art. 589/590 ZGB sind auf öffentlichrechtliche Forderungen nicht
anwendbar, wenn nicht das öffentliche Recht deren Geltung ausdrücklich
vorbehält. Eine abweichende kantonale Regelung oder Praxis verletzt
somit den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nicht
und verstösst auch nicht gegen Sinn und Geist des Bundesprivatrechts
(E. 5 und 6).

Sachverhalt

    A.- C., J. und T. S. sowie M. sind zu gleichen Teilen (je 1/4) Erben
der 1974 verstorbenen W. Über den Nachlass wurde ein öffentliches Inventar
errichtet und die Erben traten die Erbschaft unter öffentlichem Inventar
(Art. 588/589 ZGB) an.

    Gegen die Erbschaft der W. wurden von der Staatskasse Bern
Steuerforderungen im Gesamtbetrage von Fr. 21'708.05 nebst Zins zu 5 1/2%
seit 4. Oktober 1974 geltend gemacht. Es handelt sich um die rechtskräftig
veranlagten Staatssteuern 1971 bis 1974, eine Vermögensgewinnsteuer 1972,
die Gemeinde- und die Kirchensteuern 1973/74 sowie die Eidg. Wehrsteuer
für die 17. Periode.

    Die Staatskasse Bern leitete wegen dieser Steuerforderungen Betreibung
ein. Die Erben erhoben Rechtsvorschlag unter Hinweis darauf, dass die
Steuerforderungen nicht rechtzeitig zur Aufnahme ins öffentliche Inventar
angemeldet worden seien.

    Gestützt auf die Rechtskraft der erfolgten Steuerveranlagungen stellte
die Staatskasse beim Richteramt Fraubrunnen das Begehren um definitive
Rechtsöffnung.

    Im Rechtsöffnungsverfahren erklärten die Erben gegenüber der
Schweizerischen Eidgenossenschaft für die Eidg. Wehrsteuer 17. Periode
im Betrage von Fr. 680.-- den Abstand. Für den restlichen Betrag wies
der Gerichtspräsident von Fraubrunnen das Rechtsöffnungsbegehren ab, da
die Erben gemäss Art. 589/590 ZGB für die nicht ins öffentliche Inventar
aufgenommenen Steuerschulden der Erblasserin weder persönlich noch mit
der Erbschaft hafteten.

    Die von der Staatskasse namens der Gläubiger gegen diesen Entscheid
eingereichte Appellation hatte Erfolg. Der Appellationshof des Kantons Bern
erteilte für den ganzen Forderungsbetrag (abzüglich Betreibungskosten)
von Fr. 21'549.05 definitive Rechtsöffnung. Die Erben erheben gegen das
Urteil des Appellationshofes staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts, in einem
Nebenpunkt auch wegen Willkür.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Höhe der in Betreibung gesetzten Steuerforderungen ist nicht
bestritten. Es wird auch nicht geltend gemacht, die gegen die Erblasserin
ergangenen rechtskräftigen Verfügungen seien in einer gegen die Erbschaft
gemäss Art. 49 SchKG eingeleiteten Betreibung nicht als Rechtsöffnungstitel
verwendbar.

    Die Parteien gingen ohne weiteres davon aus, in einem solchen
gegen die Erbschaft gerichteten Zwangsvollstreckungsverfahren könnten
gegebenenfalls die aus Art. 590 ZGB sich ergebenden Einreden erhoben
werden. Der Appellationshof äusserte Zweifel darüber, ob die Einrede
der verspäteten Forderungseingabe im Sinne von Art. 81 SchKG zu einem
Urkundenbeweis führen könne, der als Nachweis der Tilgung, Stundung oder
Verjährung zu werten sei. Er hat die Frage aber offen gelassen und die
Einrede aus andern Gründen als unbehelflich erklärt. Im Verfahren vor
Bundesgericht ist die Frage der Zulässigkeit dieser Einrede von keiner
Seite aufgeworfen worden. Wird angenommen, in der Betreibung gegen die
Erbschaft seien die gegen die Erblasserin bestehenden Rechtsöffnungstitel
verwendbar, so dürfte es aus Billigkeitsgründen unumgänglich sein,
dann auch die aus besondern Haftungsbeschränkungen des Erbrechts sich
ergebenden Einreden zu berücksichtigen. Eine weitere Abklärung dieses
Problems erübrigt sich jedoch, da von keiner Seite geltend gemacht wird,
es sei verfassungswidrig, im hängigen Rechtsöffnungsverfahren den Einwand
des Fehlens der Steuerforderungen im öffentlichen Inventar zu beachten.

    Zusammenfassend ist festzustellen, dass weder die Verwendbarkeit der
gegen die Erblasserin bestehenden Rechtsöffnungstitel in der gegen die
Erbschaft angehobenen Betreibung noch die Beachtung allenfalls aus Art. 590
ZGB sich ergebender Einreden Gegenstand des vorliegenden Verfahrens
bilden. Die Auseinandersetzung beschränkt sich auf die Frage, ob die
Art. 589 und 590 ZGB auch auf die hier umstrittenen Steuerforderungen
zur Anwendung kommen müssen, oder ob bei diesen öffentlich-rechtlichen
Ansprüchen eine Haftung der Erben auch besteht, wenn deren rechtzeitige
Anmeldung für das öffentliche Inventar unterblieb. Die Rüge, die Anwendung
kantonalen Rechts (Steuergesetz StG, vom 29. Oktober 1944) anstelle des
Bundesrechts (Art. 589/590 ZGB) verstosse gegen das Willkürverbot, deckt
sich inhaltlich vollständig mit der Rüge einer Verletzung des Prinzips der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Übergangsbestimmungen BV)
und hat keine selbständige Bedeutung.

Erwägung 4

    4.- Ob Steuerforderungen zum öffentlichen Inventar angemeldet werden
müssen und durch Nichtanmeldung untergehen, ist in Doktrin und Praxis
seit langem umstritten (GRISEL, A propos de la succession en droit
public, in Mélanges Henri Zwahlen, erscheint 1977; ESCHER, Zürcher
Kommentar N 10 zu Art. 582 ZGB; TUOR-PICENONI, Berner Kommentar N
13 zu Art. 582 ZGB mit Hinweisen auf die kantonale Verwaltungspraxis;
PLATTNER in SJZ 25 1928/29 S. 96 ff.; ALBISSER in SJZ 36 1939/40 327
ff.; STEINER in Steuer-Revue 1953 S. 226 f.; KRAMER in Steuer-Revue 1953
S. 312 ff.; RÖHRIG, Steuersukzession, Haftung der Erben im Nachsteuer-
und Steuerstrafrecht, Diss. Zürich 1952, S. 77 f.; Anmeldungspflicht
bejaht in einem Entscheid ZR 28 1929 Nr. 78 S. 161 f.; vgl. auch ZBJV
62 1926 S. 224 ff.; verneint in den Entscheidungen BJM 1968 S. 192 ff.,
MBVR 70 1972 S. 218 ff., ZBl 75 1974 S. 537 ff.).

    a) Der Kanton Bern regelt die Steuernachfolge in Art. 16 StG. Danach
treten die Erben für die bis zum Todestag geschuldeten Steuern des
Erblassers in die Steuerpflicht ein. Dass die Steuersukzession damit eine
ausreichende gesetzliche Grundlage hat und dass die Beschwerdeführer als
Erben der W. gemäss Art. 16 StG grundsätzlich für deren Steuerschulden
haften, wird in der vorliegenden Beschwerde nicht bezweifelt.

    b) Gemäss Art. 168 Abs. 2 des bernischen Steuergesetzes sind
Steuerforderungen in öffentliche Inventare oder auf Rechnungsrufe
einzugeben. Nach Auffassung der bernischen Behörden handelt es sich dabei
um eine Ordnungsvorschrift, deren Nichtbeachtung nicht den Untergang der
Haftung der die Erbschaft unter öffentlichem Inventar antretenden Erben für
die gemäss Art. 16 StG von ihnen zu entrichtenden, aber im Inventar nicht
enthaltenen Steuern zur Folge hat. Der zweite Satz vom Art. 168 Abs. 2
StG, wonach die selbständige Haftung der Erben für Steuern, Strafsteuern
und Bussen (Art. 16 und 181 Abs. 1 StG) vorbehalten bleibt, lässt sich
als Hinweis auf die beschränkte Funktion der Pflicht zur Anmeldung von
Steuerforderungen interpretieren. Auf jeden Fall ist es nicht willkürlich,
Art. 168 Abs. 2 1. Satz StG nur als Ordnungsvorschrift zu verstehen und die
Haftung der Erben für Steuerforderungen nicht von der Einhaltung dieser
Bestimmung abhängig zu machen. Die Beschwerdeführer machen auch nicht
geltend, das kantonale Recht (insbesondere Art. 168 Abs. 2 StG) führe zum
Wegfall der Steuersukzession, wenn bei Erbschaftsantritt unter öffentlichem
Inventar die Steuerforderungen im Inventar nicht enthalten seien.

    c) Die Anfechtung der definitiven Rechtsöffnung stützt sich im
vorliegenden Fall ausschliesslich auf das Argument, auch Steuerforderungen
müssten kraft Bundesrecht im öffentlichen Inventar enthalten sein, damit
die Erben zur Zahlung verpflichtet werden könnten; die Art. 589/590 ZGB
hätten auch für öffentlichrechtliche Forderungen Geltung.

Erwägung 5

    5.- a) Das Bundesgericht hat 1933 in einer zivilrechtlichen
Streitigkeit erklärt, eine Steuerforderung sei als solche unzweifelhaft im
öffentlichen Recht begründet. Infolgedessen sei es auch ausschliesslich
das öffentliche Recht, das darüber zu bestimmen habe, was für einen
Einfluss der Tod des Steuerpflichtigen auf den Bestand der Forderung
ausübe, ob und unter welchen Bedingungen sie auf dessen Erben übergehe
und insbesondere, ob der Fiskus, um seine Rechte nicht zu verlieren,
sie in ein öffentliches Inventar anzumelden habe (BGE 59 II 316 f.). In
einem nicht veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtes vom 14. März 1951
i.S. Erben Flury gegen Kanton Solothurn hat die staatsrechtliche Kammer
den Grundsatz bestätigt, dass das ZGB als Ordnung privatrechtlicher
Art auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse keine Anwendung finde. Eine
kantonale Regelung, welche die solidare Haftbarkeit der Erben auch für
Nach- und Strafsteuern bis zum Wert der Erbschaft und ohne Beschränkung
auf die im Nachlassinventar angemeldeten Steuerforderungen vorsah, wurde
in jenem Entscheid für zulässig erklärt.

    b) Im öffentlichen Recht des Bundes enthält der Wehrsteuerbeschluss
in Art. 117 Abs. 3 eine Bestimmung, wonach eine Eingabe der
Wehrsteuerforderung in öffentliche Inventare und auf Rechnungsrufe
nicht erforderlich ist. Wehrsteuerforderungen können gemäss dieser
ausdrücklichen Vorschrift somit gegen Erben auch geltend gemacht werden,
wenn diese die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angetreten haben
und die Steuerforderung im Inventar nicht verzeichnet ist (ASA 19 1950/51
Nr. 70 S. 394 ff., Urteil des Bundesgerichts vom 2. Februar 1951).

    Im Warenumsatzsteuerrecht fehlt eine analoge Bestimmung, aber aus
Art. 12 WUStB, der die Haftung der Erben für Warenumsatzsteuerschulden
des Erblassers (bis zur Höhe ihrer Erbteile) statuiert, haben Doktrin
und Praxis den Schluss gezogen, die Haftung der Erben bestehe auch, wenn
die Steuerverwaltung die Anmeldung der Steuerforderung im öffentlichen
Inventar unterlasse (ASA 29 1960/61 Nr. 28 S. 245 ff. und 30 1961/62 Nr. 77
S. 467 ff., 471 ff. E. 4; WELLAUER, Die eidgenössische Warenumsatzsteuer,
S. 414 Randziffer 857; HEROLD, Praxis des Umsatzsteuerrechts, Anm. 1 zu
Art. 12 WUStB S. 2).

    Art. 43 der Vollzugsverordnung zum Bundesgesetz über die AHV (AHVV)
schreibt zwar die solidarische Haftung der Erben für die vom Erblasser
zu seinen Lebzeiten geschuldeten Beträge vor; doch werden die Art. 566,
589 und 593 ZGB ausdrücklich vorbehalten. Aus diesem Vorbehalt hat das
Versicherungsgericht den Schluss gezogen, dass die Ausgleichskassen
grundsätzlich ihre Beitragsforderungen zur Aufnahme ins öffentliche
Inventar anzumelden haben; das ergibt sich folgerichtig aus der Erwähnung
von Art. 589 ZGB (BGE 97 V 221).

    c) Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch das Bundesgericht haben
somit in konstanter Praxis angenommen, die Art. 589/590 ZGB seien an sich
auf öffentlich-rechtliche Forderungen nicht anwendbar. Zu einer andern
Lösung kam das Eidg. Versicherungsgericht in bezug auf die Bezahlung
der AHV-Beiträge, weil dort der massgebende Erlass die Möglichkeit
des öffentlichen Inventars durch Hinweis auf Art. 589 ZGB ausdrücklich
vorbehält. Hingegen findet sich nirgends ein Anhaltspunkt dafür, dass
die Vorschriften der Art. 589/590 ZGB generell auch öffentlich-rechtliche
Forderungen betreffen sollen und dass daher von Bundesrechts wegen eine
Anmeldungspflicht für die auf die Erben übergehenden Steuerschulden
bestehe.

Erwägung 6

    6.- a) Für eine Änderung dieser Praxis lässt sich aus der Sicht der
Erben geltend machen, der mit dem öffentlichen Inventar verfolgte Zweck
einer abschliessenden Zusammenstellung aller mit der Erbschaft verbundenen
finanziellen Verpflichtungen und einer klaren Haftungsbeschränkung werde
nicht erreicht, wenn die Art. 589/590 ZGB nicht auch die Steuerforderungen
beträfen. Die Befürworter einer Anmeldepflicht stützen ihre Kritik am
Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Schulden vom Beneficium inventarii
in erster Linie auf diese Überlegung und fügen regelmässig bei, wenn schon
private Gläubiger verpflichtet seien, Aufforderungen zur Forderungseingabe
zu befolgen und den Verlust ihrer Ansprüche riskierten, so müsse auch
Amtsstellen und Behörden zugemutet werden, solche Ausschreibungen zu
beachten.

    b) Gegen die direkte Anwendbarkeit der Art. 589/590 ZGB sprechen
folgende Argumente:

    aa) Das ZGB regelt die zivilrechtlichen Verhältnisse. Die Art. 589/590
ZGB betreffen den erbrechtlichen Übergang von Verpflichtungen, nicht
die im öffentlichen Recht geordnete Steuersukzession. Auch in andern
Bereichen verschaffen die zivilrechtlichen Normen dem Betroffenen keinen
abschliessenden Überblick über die Rechtslage; er muss stets beachten,
ob daneben öffentlich-rechtliche Verpflichtungen und Beschränkungen
bestehen. So können öffentlich-rechtliche Beschränkungen und Belastungen
des Grundeigentums in der Regel dem Grundbuch nicht entnommen werden.

    Das unbestreitbare Interesse des Einzelnen, sich möglichst einfach
einen abschliessenden Überblick über die bestehenden Rechte und Pflichten
zu verschaffen, vermag de lege lata eine Ausdehnung der Wirkungen
zivilrechtlicher Institute auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse nicht
zu begründen.

    bb) Einer solchen Ausdehnung durch Interpretation steht auch die
verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kanton
entgegen, die in Art. 6 Abs. 1 ZGB ausdrücklich bekräftigt worden ist.

    cc) Gegen eine allgemeine Anmeldepflicht der aus einer Erbschaft sich
für die Erben kraft Steuersukzession ergebenden Verpflichtungen, welche
die Kantone in analoger Anwendung der Art. 589/590 ZGB einführen könnten,
bestehen auch gewisse praktische Bedenken: Rechtskräftig veranlagte
Steuern könnten zwar ohne weiteres in das öffentliche Inventar aufgenommen
werden. Diese Steuerschulden dürften in der Regel auch aus den Papieren
des Erblassers und aus öffentlichen Büchern (Steuerregister) ersichtlich
sein (vgl. Art. 583 ZGB); hier besteht also gar kein besonderes Bedürfnis,
die Erben vor "Überraschungen" zu schützen. Die eigentliche Problematik
besteht bei den noch nicht veranlagten Steuern (im Zeitpunkt des Todes
hängige Veranlagungsverfahren) sowie bei Nach- und Strafsteuern, die erst
aufgrund der Abklärung der finanziellen Verhältnisse nach dem Hinschied
gefordert werden. Diese letzteren Steuern, für welche die Erben von den
Steuergesetzen aus praktischen Gründen meistens bis zur Höhe des Erbteils
kraft Steuersukzession als haftbar erklärt werden (ZBl 75 1974 S. 538
f. lit. b), sind im Zeitpunkt der Erstellung des öffentlichen Inventars
regelmässig noch nicht veranlagt. Formell könnte natürlich in jedem Fall,
in welchem eine solche noch nicht feststehende Steuerforderung in Frage
kommt, vorsorglich eine entsprechende Position ohne Nennung eines Betrages
ins öffentliche Inventar aufgenommen werden. Die Erben wären damit über die
möglichen finanziellen Verpflichtungen nicht wesentlich besser informiert,
als wenn sie ohne formellen Passivposten im Inventar nach den Umständen
einfach wissen, dass noch Steuerforderungen zu erwarten sind.

    Es dürfe auch kaum gerechtfertigt sein, Nach- und
Strafsteuerforderungen ganz oder teilweise wegfallen zu lassen, wenn von
der Anmeldung eines solchen vorsorglichen Steueranspruches abgesehen würde,
weil im Zeitpunkt der Inventaraufnahme kein entsprechender Steuertatbestand
zu vermuten war.

    Diese Erwägungen über die praktische Notwendigkeit und die materielle
Begründung einer Anmeldepflicht von Steuerforderungen sind für den Ausgang
des vorliegenden Verfahrens allerdings nicht entscheidend. Abzustellen
ist darauf, dass die Art. 589/590 ZGB sich nicht eo ipso von Bundesrechts
wegen auf Steuerforderungen beziehen, sondern gemäss dem Ziel und Zweck
des ZGB ausschliesslich zivilrechtliche Verpflichtungen betreffen.

    dd) Auch Steuerschulden, welche im Zeitpunkt des Todes des
Steuerpflichtigen rechtskräftig festgesetzt und vollstreckbar
sind, werden nicht aufgrund der zivilrechtlichen Norm von Art. 560
Abs. 2 ZGB persönliche Schulden der Erben, sondern gehen gemäss der
öffentlichrechtlichen Bestimmung des Art. 16 StG kraft Steuersukzession
auf die Erben über (vgl. hiezu GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des
rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, S. 329 Anm. 48, der sich in
überzeugender Weise mit der gegenteiligen Auffassung von BLUMENSTEIN,
System des Steuerrechts, 3. Aufl., S. 61 und 264, auseinandersetzt). Auch
in bezug auf die im Zeitpunkt des Todes des Steuerpflichtigen rechtskräftig
festgesetzten Steuern lässt sich somit aus den zivilrechtlichen
Vorschriften der Art. 589/590 ZGB keine Anmeldepflicht für das öffentliche
Inventar ableiten (so auch aarg. Steuerrekurskommission ZBl 75 1974
S. 538).

    c) Wenn demnach die Kantone befugt sind, über den Grundsatz und
die Modalitäten des erbrechtlichen Überganges von Steuerforderungen, im
besonderen über die Anmeldepflicht im öffentlichen Inventar, eigenes, vom
Bundeszivilrecht abweichendes Recht zu setzen, so dürfen sie doch nicht
mit ihrer Regelung gegen Sinn und Geist des Bundeszivilrechts verstossen
oder gar dessen Anwendung vereiteln (BGE 96 I 716 E. 3; HUBER, Berner
Kommentar, Art. 6 ZGB, N 213 f.; DESCHENAUX, Schweiz. Privatrecht II,
Einleitungstitel, S. 26 f., 29 f.). So gelten fundamentale Rechtsinstitute
und Regelungen des Bundeszivilrechts wie z.B. der Persönlichkeitsschutz
nach Art. 27 ff. ZGB (und Art. 49 OR) als vom öffentlichen Recht her
unangreifbar (HUBER, Art. 6 ZGB, N 173).

    Ob die Erbschaftsausschlagung (Art. 566 ff. ZGB) ein derartiges,
vor jeder öffentlich-rechtlichen Einwirkung geschütztes Institut des
Privatrechts ist, das der kantonale Gesetzgeber auch bei der Rechtsetzung
betreffend den erbrechtlichen Übergang öffentlich-rechtlicher
Forderungen zu beachten hätte, kann hier offen bleiben. Nach der
bernischen Rechtsprechung zu Art. 16 StG treten Erben, die die Erbschaft
ausgeschlagen haben, nicht in die Steuerpflicht des Erblassers ein (MBVR
53 1955 Nr. 91 S. 277 f.; GRUBER, Handkommentar zum bernischen Gesetz über
die direkten Staats- und Gemeindesteuern, Art. 16 StG, N 4). Nicht zu den
zivilrechtlichen Regelungen, an die der kantonale Gesetzgeber auch bei der
Setzung öffentlichen Rechts gebunden ist, gehören nach dem Gesagten die
Bestimmungen über die Annahme der Erbschaft unter öffentlichem Inventar
(Art. 580 ff., 589/90 ZGB). Es wäre unverständlich, einer zivilrechtlichen
Regelung eine Bedeutung zuzusprechen, welcher der Bundesgesetzgeber
selber im Wehrsteuerrecht ausdrücklich derogiert hat (Art. 117 Abs. 3
WstB, oben E. 5b), und welche aus Gründen der Praktikabilität ohnehin
für den regelmässig bedeutenderen Teil der Steuerforderungen (noch nicht
veranlagte Steuern sowie Nach- und Strafsteuern) keine Anwendung finden
könnte (oben E. 6b cc).

    d) Obschon die Aufnahme der öffentlich-rechtlichen Forderungen
ins öffentliche Inventar für die Erben von Vorteil wäre, besteht somit
de lege lata kein Grund, in Änderung der Praxis die zivilrechtlichen
Vorschriften der Art. 589/590 ZGB als auf öffentlich-rechtliche Ansprüche
anwendbar zu erklären. Dogmatische Überlegungen und praktische Bedenken
sprechen für die Beibehaltung der bisherigen Auslegung. Durch die auf
das öffentliche Recht des Kantons gestützte Verneinung der Anmeldepflicht
für Steuerforderungen hat somit der Appellationshof des Kantons Bern den
Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts nicht verletzt.